Frankfurter Allgemeine Zeitung - 02.03.2020

(Steven Felgate) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Sport MONTAG,2.MÄRZ2020·NR.52·SEITE 23


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ChristianStreichzeigt Haltung in


bewegten Zeiten: Erfordert, dass


der Fußball auchpolitischist.


Vonden eigenenFans verspott et:


Wird der SchalkerTorwartNübel


nun ausgetauscht?


Nochwird gebetet. Aber Tokio


könntezum zweiten Mal für die


Olympischen Spiele absagen.


Besuchauf Helgoland: Der


Zusammenhalt auf Deutschlands


einziger Hochseeinsel istgroß.


FURCHTLOSER VORKÄMPFER DASLEID EINESSPORTLERS JUGEND SCHREIBT MAGER-MARATHONUND GEISTER-SUMO


S


ind Fußballfans belehrbar,sind
sie guten Argumentengegen-
über aufgeschlossen, wenn
man das Gespräch sucht?Weresmit
den Ultras gut meint, wirddies beja-
hen und in derAuseinandersetzung ei-
nen großen Teil der Schuld dem Deut-
schenFußball-Bund (DFB) oder der
DeutschenFußball-Liga, wahlweise
auchDietmar Hoppindie Schuhe
schieben,weil alle fürkommerzielle
Wertestehen, die denProfi-Fußball
dochangeblich zerstören. Die ande-
ren, die achsohehrenWerteder Fan-
tribüne,konnteman am Samstagin
Köln kaum überhören–und es waren
nicht mal Schmähgesängegegen
Hoppoder den DFB. Dortforderte
die aufgebrachte Schalker„Kurve“
lautstark „Nübelraus!“. Der 23 Jahre
alteTorwartder Gelsenkirchener hat-
te Tränen in denAugen. Seingrößter
Fauxpaswar nicht mal dernächste
Fehler auf dem Platz, sondernsein
Wechsel zum FC Bayernim Sommer.
Der Todestag vonRober tEnkeist
knapp zehn Jahreher.Jenes Un-
glück, das damals diegesamteFuß-
ballszene betroffenmacht eund nach
dem esvonallen Seiten hieß, man
müsse rücksichtsvollermiteinander
umgehen. Hatirgendwer irgendet-
wasgelernt?Nein, es istalleslängst
wiedervergessen.
Die Plakateund die Schmährufe
gegenDietmar Hopp sind damit
nicht zuvergleichen.Sie sind, perfi-
de genug,nur dazu da, Aufmerksam-
keit in einemStellvertr eterkrieg zu
erreichen.Absurdgenug, dassvor al-
lem Fans der aktiennotiertenDort-
munderBorussia einstden Mäzen
der TSG1899 Hoffenheimals Aus-
bund allesBösenbei derKommerzia-
lisierungdes Fußballs ausmachten,
nur weil mit dessen Geldder Weg
des Vereins aus untersten Ligen bis
in die höchste Spielklasse führte.So
mancher dervoneinem Heiligen-
scheingekröntenTraditionsvereine
wäre nicht da,wo er jetztsteht, wenn
in derNotnicht Steuergelder geflos-
sen wäre n, wenn nichtStadien ausge-
baut, wenn nicht Schuldengestundet
worden wären.
Es geht um dieKollektivstrafenge-
genUltras, die der DFB ausgesetzt
hatte, imFalle desBVBaber wieder
ausgesprochen hat, nachdemwegen
Hopp-Beschimpfungengege nBewäh-
rungsauflagen verstoßen worden
war. Der DFB hätteimpliziter ausfüh-
renkönnen, dasserweitergegen Kol-
lektivstrafenist,esa ber keine andere
Wahl mehr gegeben hatte. Doch
beim merkwürdigen Rechtsver ständ-
nis der Ultraszene hätteesnichts ge-
ändert.Vermummte verstoßenvehe-
mentgegenRegeln (und Gesetze),
tauchen in der Anonymität der Grup-
pe unter–und alle zusammen be-
schweren sich, fallsirgendwann die
komplett eGruppe bestraftwird,
weil die Täternicht ausfindigzuma-
chen sind und aus nachvollziehbaren
Gründen auchnicht „verpfiffen“ wer-
den.
Angesichts derkonzertierten Ak-
tioneninden Stadien wirddas Wo-
chenende erst der Beginnder großen
Auseinandersetzung mit der Ultra-
szenegewesen sein. DieVereine ha-
ben sich lange weggeduckt, der DFB
hat langeauch beimRassismusund
anderen Beschimpfungenweggehört
und geglaubt, mit Geldstrafen oder
einem Dreistufenplanetwasbewir-
kenzukönnen. Dassder FC Bayern
mit seinenUltrasinden Fokusge-
riet,könnteeine besondereWirkung
auslösen.Nurdie Münchner schei-
nen mächtig und willensgenug, es
mit demFeind im eigenen Lager auf-
zunehmen. Am Ende der Entwick-
lung könnten personalisierte Karten
und derVerzicht aufStehplätze her-
auskommen. Das hätteEinflussauf
die Stadionatmosphäre,aber besser
keine Stimmung als Hassparolen jeg-
licher Art.

W


er glaubte, er hätte
imFußballallesge-
sehen, sah am
SamstaginSins-
heim etwasganz
anderes. Eineknap-
pe Viertelstunde,
in der eine der bes-
tenMannschaftender Welt kaum einen Ball
zum eigenen Mann bekam, der Gegner aber
auchnicht ;inder dieStatistikkeinen Spurt,kei-
nen Torschuss, keinenZweikampf, nicht mal ei-
nen Einwurfoder Freistoßaufführte.Eine
ViertelstundeFußball also, in derFußball
nicht gespielt, sondernverweiger twurde, von
22 MännernimRegen, die dafür Beifall auf of-
fener Szene erhielten.Undanschließend Bei-
fall ausganz Deutschland, allenvorandurch
Fritz Keller,den Präsidenten des Deutschen
Fußball-Bundes (DFB), der im ZDF-„Sportstu-
dio“ den Akteuren dieser in der Bundesligage-
schichtebeispiellosen Nichtdarbietunggratu-
lierte:„Durch die Solidarität derbeiden Mann-
schaf tenhaben sie den Chaotennicht gelas-
sen, wassie wollten, nämlichdas Spiel zu zer-
stören und Macht über das Spiel zu haben.“
Darumgeht es letztlich, die Macht über das
Spiel.Werhat sie? Haben sie die Spieler,die
laut Bayern-Kapitän ManuelNeuer angesichts
des drohenden Spielabbruchsteamübergrei-
fend auf die Ideekamen, das Spielen auf ihre
Weise abzubrechen und zu zeigen, „dasswir
auchimFußball für ein Miteinanderstehen“?
Hat sie der DFB, dessen Präsident den am
SamstagzuzweiDritteln umgesetzten, neuen
„Drei-Stufen-Plan“ als wirkungsvolle Antwort
auf Schmähungen rass istischer,antisemiti-
scher oder,wie am Samstag, persönlicher Art
sieht? Oder haben sie dochjene alsFans ge-
tarntenInteressengruppen, die nicht nur beim
Spiel Hoffenheim gegenBayern, sondern
auchinDortmund,Köln und beiUnion Berlin
den Hoffenheimer Mäzen Dietmar Hopp, ein
seit vielen JahrengepflegtesFeindbildder Sze-
ne, auf großenTransparenten als „Huren-
sohn“ schmähten? „Es istleider eine neue Di-
mension erreicht“, sagteHopp am Sonntag zu
„Sport1“. Erkönne sichnicht erklären,war-
um diese Idiotenihn so anfeindeten, das erin-
nere„an ganz dunkleZeiten“.
Womöglichgibt der Drei-Stufen-Plan den
Provokateuren imFanblocksogar nochmehr
Macht, nämlichdie, ein Spiel planmäßig zum
Abbruc hzubringen –dann, wenn sie, anders
als in Sinsheim, ihre tumbe Botschaftdem-
nächs tnochein drittes Mal entrollen.„Will
man zukünftig immer,wenn solche Beleidi-
gungen auf derZuschauertribüne geäußert
werden, Fußb allspiele ab- oder unterbrechen,
wirdman keine Partie mehr über 90 Minuten
spielenkönnen“, drohtenachdem Spiel eine
Fangruppierung des FC Bayernauf ihrerWeb-
site. Der„Wortlaut“ der Schmähungen wird
dortdamit erklärt, dassnur so das eigentliche
Thema „die nötigeAufmerksamkeit“ erhalte,
nämlich„die VerhängungvonKollektivstra-
fengegen Fans vonBorussia Dortmund durch
den DFB“–der nachwiederholten Angriffen
auf Hopp alleBVB-Anhängervonden nächs-
tenbeidenAuswärtsspielen bei derTSGHof-
fenheim ausgeschlossen hat. Dieser„Angriff
auf dieFanrechte“, so die anonymenVerfas-
ser,sei „ein Affront, den wir nicht unbeant-
wortet lassenkönnen“.
Kollektivstrafen sind problematisch, eine
ArtNotwe hr desRechtssystems gegennicht
greifbareTäter ,die im Schutz einer Gruppe
agieren, ob imFanblockoder im Internet–für
diese Gruppierungen aber eine echteBedro-
hung,weil sie die Basis ihrer Macht angreifen,
die Anonymität.Auf dieFrage, ob dieseKol-
lektivstrafeein Fehler gewesen sei, sagteKel-
ler im ZDF: „Ichbin sehr dankbar für dieses
Urteil. Jetztkönnen wir endlicheinmal Leute
wachrütteln.“ DerKontrollausschussdes DFB


kündigtekurznachSchlusspfiffein Ermitt-
lungsverfahren an.
Keller räumteein, man hätte„viel früher
durchgreifen müssen und das nicht zulassen
dürfen“, nachdem die ersten Hassplakatege-
genHopp schon 2008 in denStadien aufge-
taucht waren. „Wir haben Hassbilder und
Neid in dergesamten Gesellschaft, und das wi-
derspiegelt sichleider imFußball“, sagteder
DFB-Präsident und sprachvon einem„Tief-
punkt“, an dem man angekommen sei. Erfor-
derte die Vereine auf, den „Chaoten, die
nichts mitFußb all zu tun haben“, dieTick ets
wegzunehmen und zu überdenken, „anwel-
cheGruppen sie bestimmteKartenkontingen-
te verteilen, ohne dasssie personifiziertwer-
den, und ihnen damit eine Machtpositionge-
ben. Das istein Machtspiel.“
Eine andereTaktik in diesem Spielkündig-
te der Chef des mächtigsten deutschen Klubs
an: dieTätereinzeln zu identifizieren und da-
mit die Macht ihrervonvielen Klubsgefürch-
teten Gruppierungen zu brechen.„Ichschä-
me michaus Sicht des FC Bayern zutiefstfür
dieseChaoten“, sagteKarl-HeinzRummenig-
ge.Man habe vielzulangedie Augen zuge-
macht undgestattet,was in vielenKurven pas-
siertsei. „Wir haben dieganzenVorkommnis-
se filmenlassen“, sagte der FCB-Vorstands-
chef. „Wir werden mit allerSchärfe gegendie
Verantwortlichen vorgehen, die den FC Bay-
ernheutediskreditierthaben. Diese Leuteha-
ben in einemFußballstadion nichts mehrver-
loren.“ DiePolizei Mannheimrichtete eine
Ermittlungsgruppe ein.
Während der ersten Unterbrechung nach
67 Minuten, als seinTeam bereits 6:0 führte,
hatteRummeniggedem erschütterten Hopp
trös tend den Armumdie Schulterngelegt,
währendTrainer Hansi Flicküber den Platz
rannte, um dieTäterimFanblockaufgebracht
zur Rede zustellen.Nachder zweitenUnter-
brechungverfolgteeramSpielfeldrand sicht-
lichbewegt an Hopps Seiteden passiven
Protestder Profis. Er schäme sichfür das,was
in de rKurve passiert und „nicht zu entschuldi-
gen“ sei, soRummenigge. Er nannte es „das
ganz hässliche Gesicht vonBayern Mün-
chen“.
Musste also an diesemNach mittag in Sins-
heim derFußballgeopfer twerden, um den
Fußball zuretten? MussteaufsSpielenverzich-
tetwerden, um zu zeigen,wasauf dem Spiel
steht? Dafür sprach, dassder überwiegende
Teil derZuschauer,auchder Ba yern-Fans, die
späteFußballverweigerung mitgroßem Bei-
fall bedachte. Fürden Hoffenheimer Ge-
schäftsführerPeterGörlic hwar es „ein hervor-
ragendes Zeichen“, wie man sich„als Fußball-
Deutschland solidarischzeigen“ müsse.
Daran ändertauchnichts, dassdas Zeichen
nochkraftvoller hättewirkenkönnen, hätte
zu diesemZeitpunkt nochetwas auf dem Spiel
gestanden. Am Endekonnten ja sportlich alle
mit dem neutralisiertenFinale leben: die Hof-
fenheimer,die insgeheim sicher auchfroh wa-
ren, wenigstens in diesen letzten 13 Minuten
nichtvorgeführt, sondernsogar gefeiertzu
werden; die Bayern,die gewissauchberuhigt
waren, die hochverdienten drei Punktenicht
durch einenAbbruc hgefährdetzu sehen.
Dennoch, au ch die Bayern-Spielerwaren
Leidtragende. ManuelNeuer wies daraufhin,
indemer sagte, ihnen sei ja auch„etwaskaputt-
gemacht“worden –die Freude über eine spiele-
rische Glanzleistung.Vor allemgalt das für
den 18-jährigen Joshua Zirkzee, der als Lewan-
dowski-Ersatzfast ein echtes Lewandowski-
Torschoss–Ballannahme mitRücken zum
Tor, halbeDrehung mit Ball unter der Sohle,
Abschlussaus demStand. Seintolles Startelf-
Debüt wirdinder Erinnerungvonden tristen
Nebengeräuschen und dem bizarrenEnde des
Spiels überlagertbleiben. DenFußball retten,
indem man ihn aufgibt? DieseIdee konntenur
dieses eine Mal funktionieren.

Das ist erst


der Anfang


VonPeter Penders

GegenPöbeleien: AuchRummeniggesieht jetzt ein: DerFußball hätte
den Ultras schon viel früher Grenzen zeigen müssen.
Hopp muss die Situation ertragen. Foto firo

Respektvordem Mäzen: Spieler beider Mannschaften, Bayern-ChefKarl-HeinzRummeniggezusammen mit Dietmar HoppvorHoffenheimsFantribüne FotoImago


Machtprobe


Dietmar Hopp: „Warum soll ich
nicht mehr in meinStadiongehen?
DiePersonen, die das anrichten, müs-
sen dann haltwegbleiben. Ichwarte
jetzt gespannt ab, wie das jetzt alles
ins Rollen kommt.Esist leider eine
neue Dimension erreicht.Wenn ich
nur im Entferntestenwüsste, wasdie-
se Idiotenvon mirwollen, dann wür-
de es mir leichterfallen, das zuver-
stehen. Ichkann mir nicht erklären,
warumdie mi ch so anfeinden.Das er-
innertanganzdunkleZeiten.“
HerbertHainer (Präsident FC Bay-
ernMünchen):„Wir werden alle Op-
tionen prüfen, mit denen wirverhin-
dernkönnen, dasssichsoeine unwür-
digeAktion wiegesterninHoffen-
heim wiederholt.Esist höchste Zeit,
jetzt entschlossen zu handeln.Rassis-
mus, Ausgrenzung, Beleidigungen

und Diskriminierungen jeglicher Art
und egalgegenwen, damit mussnun
Schlusssein.“
Fritz Keller (DFB-Präsident):„Wir
sind am Tiefpunkt angekommen.
Wirhaben Hassbilder undNeid in un-
serer Gesellschaftund jetzt auchim
Fußball.Wir müssen jetzt alle an ei-
nem Strang ziehen. Jetzt mussdurch-
gegriffenwerden. Sogeht es nicht
mehrweiter.“
Christian Seifert (DFL-Geschäfts-
führer):„Alle Beteiligten–Spieler,
Schiedsrichterteam und dieVerant-
wortlichen vonBayernMünchen
und derTSGHoffenheim sowie sehr,
sehr vieleStadionbesucher–haben
in dieser Situationvorbildlichgehan-
delt und damit ein klaresSignalanei-
nigeselbsternannteHerrscher über
die Fußballkultur gesetzt, derartige

Entgleisungen nicht mehr zu dul-
den.“
Karl-Heinz Rummenigge (Vor-
standsvorsitzender Bayern Mün-
chen): „Es istspätes tens jetzt der
Zeitpunktgeko mmen,wo die gesam-
te Liga, DFB, DFL,gemeinsamen
Schrittesgegendiese Chaotenvorge-
hen müssen. Das istdas hässliche Ge-
sicht desFußballs, und ichschäme
michauchzutiefst Dietmar Hoppge-
genüber,der ein absoluter Ehren-
mann ist.“
Max Eberl (Sportdirektor Borussia
Mönchengladbach): „Wir wollen
hier Fußballspiele sehen, wirwollen
Spaß am Spiel haben, wirwollen
Kontrahentenversuchen zu schlagen
und nicht solche Schmähplakate
oder Hetzjagdenstarten. Daswollen
wir nicht imStadion.“

Die Bundesliga schämtsichfür di eSchmähungen ihrer


entg renztenFans gegenDietmar Hopp. DenFußballretten,


inde mman ih naufgib t–bei derTSG Hoffenheim


funktionier te diese Strategie. Fürdieses eineMal.


VonChristian Eichler,München


„Wenn ichnur wüsste,was diese Idiotenwollen“

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