Frankfurter Allgemeine Zeitung - 02.03.2020

(Steven Felgate) #1

SEITE 26·MONTAG,2.MÄRZ2020·NR.52 Jugend schreibt FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Illustration Jör

gMühle

Niemandgeht so ganz:


Helgoländer und ihre


Heimatgefühle.


Boa VistaimAtlantik:


große Armut und


große Offenheit.


Nicht nur erholsam:


Touris teninund um


Cuxhaven.


U

laub! EinWort,das einen auf-
atmen lässt,andie Küstefah-
renund die Seele baumeln las-
sen. Genau aus diesem Grund istCux-
haveneinerder beliebtestenUrlaubs-
und Erholungsorte Deutschlandsund
zieht jährlichmehr als 500 000Urlau-
ber undrund 250 000Tagesgäste an.
Mit zahlreichen Hundestränden,Frei-
zeitangebotenund historischen Se-
henswürdigkeiten istfür jedenetwas
dabei. Besondersbeliebt sind Cuxha-
vens Kurorte, einer dieser Orte ist
Duhnen.Mit seinem traditionellen
jährlichen Wattrennen, Wanderun-
genund Kutschfahrtenzur InselNeu-
werk sowie einem Sandstrandund ei-
nem Nordseeheilbad isterein perfek-
terErholungsort.
Dochwelche Auswirkungen hat
der Tourismusauf Cuxhavenund sei-
ne Kurorte wie Duhnen? „In erster Li-
nie bringt derTourismus vieleVortei-
le“, sagt Oda Offer-Hark, Besitzerin
einerFerienanlageinDuhnen. „So
eine kleineStadt wie Cuxhavenhat
mehr zu bietenals normale Städtein
dieser Größe. Es gibt zum Beispiel
Schwimmbäder,und fast alle Geschäf-
te haben sogar sonntags langegeöff-
net.“Der Tourismus schafft viele Ar-
beitsplätzeinden Bereichen Dienst-
leistungen und Handwerk.Jedoch
gibt es auchSchattenseiten. „Die vie-
len Urlauber lassen die Lebenshal-
tungskostenimmer höherwerden“,
kritisiert Oda Offer-Hark. „Durch die
hohen Besucherzahlen steigt das
Preisniveau bei Lebensmitteln sowie
Mietenstetig an.“
Vorallem die hohen Mietensind
der Grund dafür,dassimmer mehr
Einheimischewegziehen. „Im Som-
mer istesschwer, sichaus demFerien-
sog zu befreienund tr otzUrlaubsge-
fühls einen normalenAlltag zu füh-
ren. Zudemkann man in der Hochsai-
son nur in bestimmteRestaurantsge-
hen.“ Mal eben mit derFamilie essen
zu gehen kann schwierig werden,
wenn man nicht den einen oder ande-
renGeheimtippkennt.Besondersin
den Sommerferien is timKuror tviel
los, und es fällt eine MengeArbeitan.
„Nur mit zusätzlichen Mitarbeitern ist
es möglich, sichauchmal freizuneh-
men und in denUrlaubzufahren.“Au-
ßerdem istdie Wasserversorgungnur
für die Einwohner derKurorte ausge-
legt.Deswegen istesnotwendig,für
Hotels undFerienanlagen eine Druck-
erhöhungsanlagezubesitzen, um ihre
Besucher ausreichend mitWasser zu
versorgen.
Die Straßenschädensind einweite-
resProblem. „Der Haushalt derStadt
Cuxhavenberechnetdie Fahrbahnre-
paraturen nur für dierund 50 000 Ein-
wohner,diezahlreichenUrlauberwer-
den nicht berücksichtigt.“ Risse und
Löcher im Asphalt sind dieFolge.
Bruchstücke und Kopfsteinelösen
sichund rollen überdie Fahrbahn.
Fahrräder und Autosmüsse nauswei-
chen oderReifenschädenriskieren.
Bei RegenfahrenFahrzeugedurch die
Pfützen, die sichinden Löchernbil-
den, und spritzen Fußgänger nass.
Cuxhavenbemüht sich, die Mängel zu
beseitigen. Bürgerkönnen auf der
Websiteder Stadt Beschwerden und
Anregungen äußernoder bereits ein-
gegangene Meldungen einsehen. Hier-
bei können auchverschiedeneKatego-
rien je nachArt des Anliegens ausge-
wählt werden. Das Mottoder Stadt
lautet:,,Schweigen istSilber,melden
istGold!“

JaninePeka, Berufskolleg
des Märkischen KreisesinIserlohn,
Wirtschaftsgymnasium

D


as is tein besonderes Fleckchen
Erde“, sagt Pastorin Pamela
Hansen über Deutschlandsein-
zigeHochseeinsel. Siesteht in
der Helgoländer protestantischen Kirche,
die im Ortszentrum auf dem Oberland
liegt.Besonderswährend ihrerwöchentli-
chen Joggingeinheitengenießt die Theolo-
gin,die vorachtJahren die Inselpastoren-
stelle antrat,den unendlichen Blick auf
das rauschende Meer,die urwüchsigenro-
tenFelsen undvorallem dieAbgeschie-
denheit derNordseeinsel. „DieInsel bietet
mir die Möglichkeit, meine Spiritualität
auszuleben undZeit für michselbst zu ha-
ben, da mannicht abgelenkt istdurchan-
dereDingeund äußereEinflüsse.“
Genau das schätzt auchder 58-jährige
Pit Böttcher an der Insel. 45 Jahrelang
machte er hierJahr für JahrUrlaub, seit
sieben Jahren lebterauf Helgoland und
leitet mittlerweile Inselführungen. Seine
Frau verwaltet die Bungalowvermietung
auf derruhigenNebeninsel.„Wer auf Hel-
golandgestresstist,ist selbst schuld“,sagt
er trocken. Er steht vorder Landungsbrü-
cke, bei der Boote in RichtungDüne an-
und ablegen. „Dochdas, waswir hier
schätzen, istgleichzeitig auchein Nach-
teil“, sagt Böttcher und zeigt auf den Flug-
platz auf derNebendüne.
Vorallem imWinter und bei starkem
Sturmstellt diekurzeLandebahn die einzi-
ge Verbindung zumFestland dar undga-
rantiert, dass die Inselbewohner mit Le-
bensmitteln oder Medikamentenversorgt
werden können. Denn abWindstärke8ist
die Wahrscheinlichkeit groß, dassdie Fäh-
re nicht fährt. Daskann unter anderem für
schwangereFrauen zumProblemwerden,
sie müssen für jeden Besuch beimFach-
arzt auf dasFestland. Zudem dürfensie
ihr Kindnicht auf Helgolandgebären,wes-
halb sie 14Tage vordem er rech netenGe-
burts termin aufgefordertwerden, die In-
sel zuverlassen.
Dochnicht nur die ärztlicheVersor-
gungist eingeschränkt,auchauf die leben-
digeVereinskultur hat die IsolationAus-
wirkungen. DieFußballmannschaftzum
Beispiel müsste, umgegenandereMann-
schaf tenspielen zukönnen, alle14Tage
mit derFähreauf dasFestland und am sel-
ben Tagwieder auf die Inselzurück. Auf-
grund derFährverbindungenbleibt ihnen
das Spielen in einerfesten Ligaverwehrt.
„Mitder letztenFähreist dieVerbindung
zum Festland also aufgehoben“, berichtet
Böttcher.„Aber für michist es tr otzdem
auf Helgoland am schönsten, wenn die
Schif fe am spätenNachmittagweggefah-
rensind.“
Täglichkommen nämlichbis zu 3000
Tagesgäs te mit Fähren oder der Halunder
Jet. Au fdem Lung Wai, der Einkaufsstra-
ße, herrschtdann vielTrubel. Er istvoll
mit Leuten, die in denStraßencafés Kaf-
feetrinken, sichSouvenirs ansehen und
einkaufen. WimpelartigeFähnchen in den
Farben HelgolandsGrün, Rot,Weiß we-
hen über demLung Waiinder Luft.Doch
ihr Ziel, Möwenvon den Besuchernfern-
zuhalten, zeigt nicht immerWirkung. Ra-
santund leisefliegt eine Möwe eine Tages-
touristin hinterrücks an, schnapptsich
blitzschnelldas Brötchen. Überras cht
schau tdie Frau der Möwe,die ihr das
Fischbr ötchen aus der Hand entrissen hat,
hinterher und beginnt dann mit ihren er-

stauntenFreundinnen ausgelassen zu la-
chen. BürgermeisterJörgSinger betrach-
tetdies vomRathausplatz aus ebenfalls
mit einem Schmunzeln.Wiealle Helgolän-
der schätzt aucheres, dassTag fürTag
Touris tenauf die Insel strömen. 80 Pro-
zent der Inselbewohner leben direktvom
Tourismusauf der Insel, die auf Helgolän-
der Friesisch DeätLun, „Das Land“,
heißt.Ein Drittel der 50 Millionen Euro
Gewerbesteuern, die dieTouristen einbrin-
gen, darfdie Gemeinde, die derzeit aus
1532 Einwohnernbesteht und Bürgeraus
32 Nationalitätenvertritt, behalten. „Zu-
zug auf die Inselfindetständig statt.Mo-
mentan,weil vieleFachkräf te in der Gas-
tronomiegebrauchtwerden und die Insel
als Wohnortfür die Arbeitskräfte der Off-
shore-Windparksdient“, sagt der 53-jähri-
ge Bürgermeister ,der hier seine Kindheit
verbracht hat.Unter den Inselbewohnern
sind rund 150 Einwohner Helgoländer,
die entweder hiergeboren sind oder deren
VorfahrenvonHelgolandstammen.
„Ichbin ’ne Insulanerin,keine Helgolän-
derin“, sagtPastorin Pamela Hansenla-
chend, die Mitglied der freiwilligenFeuer-
wehr is tund im Brandfall dasTanklösch-
fahrzeu gfährt. Auchsie engagiertsich
wie fast alleHelgoländerineinem Verein.
„Ichwerde nie Helgoländerin sein, ichbin
ja nicht hiergeboren“, sagtauchdie gebür-
ti ge Westfa lin EvaMiddeldorff,seit vier
Jahren Schulleiterin der James-Krüss-
Grund- und Gemeinschaftsschule, in ih-
remBüro, vondem sie auf dieWeite der
Nordsee blickt.Weiter erzähltsie, „dasses
gerade auchinder Schule deutlichwird,
dassjeder jedenkennt und auchjeder auf

jeden aufpasst.Die großen Schüler sind
fürdie kleinen Schüler da, und auchumge-
kehrt. Bei persönlichen und schulischen
Problemensteht ihnenzud em immerein
offenes Lehrerohr zur Seite.“ So herrscht
eine familiäreAtmosphäreind er einzigen
Schule der Inselmit zwölf Lehrernund 85
Schülern.VonKlassenstufe1bis Klasse
10 werden immerzweiKlassen zusam-
men als Doppeljahrgang unterrichtet.
Nach der zehnten Klasse enden aber die
Möglichkeiten, sichschulisch zu bilden.
Dies isteine große Herausforderung für
Schüler und Eltern. Zusammen müssen
sie sic hfragen ,wie es weiter geht, und eine
Entscheidung treffen. Das istschwerfür
die Jugendlichen, weil die Entscheidung
füreine weiterführende Schule wieder Be-
suchdes nächstgelegenen, niedersächsi-
schen Internatsgymnasiums in Bad Beder-
kesa un weigerlicheine Trennungvonder
Familie undden Abschiedvonder Insel be-
deutet.Wenn jemandgehe, sei es für eine
Ausbildung, ein Studium oder seinen
Traumberuf, „hängt dessen Herztrotzdem
immer an Helgoland“, sagt EvaMiddel-
dorff während einesRundgangs durchdas
Schulhaus, das Schüler durch ihreWand-

malereien undKunstobjektemit Leben fül-
len. Nach etlichen Jahrenkommen die
meisten, wie auchder Bürgermeister Jörg
Singer,wieder zurück, da sie dieTradition
an keinem anderenOrtfinden.Den Helgo-
ländernwerden die wichtigenWerteder
Insel, wieVerbundenheit und Zusammen-
halt in allenZeiten, vonklein auf beige-
bracht. Zum Beispielwährend desTaufri-
tuals. Inselkinder inTracht ziehen mit ih-
reneigenen silbernenTaufbechernzum
Haus desTäuflings, lassen ihn dortmit
Salzwasser füllen und führen denTäufling
gemeinsamzur Kirche, wo er vonder Ge-
meinde aufgenommen wird.
Im Alltagstehen alle zusammen, sofort
leihen sichHelgoländeretwas, wenn im
Haushaltetwasfehlt. InNotsituationen
sind immer helfende Händezur Stelle. Als
die Düne 2017 nacheinem schweren
Sturmvon Treibgut und Müllverwüstet
warund es zahlreicheSchäden gab, pack-
tensofor tFreiwillige an. Einstimmig be-
stätigen deshalb der Bürgermeister, die
Pastorin, die Schulleiterin und Pit Bött-
cher:„Es is tunglaublich schön zu sehen,
wie hier alle zusammenhalten.“

Nele Canibano, GymnasiumKenzingen

Rund um


das Meer


ZEITUNGINDER SCHULE

Verantwortlich: Dr.Ursula Kals

Pädagogische Betreuung:
IZOP-Institut zur Objektivierung
vonLern- und Prüfungsverfahren,Aachen
Ansprechpartner:
NorbertDelhey

An dem Projekt
„Jugend schreibt“ nehmenteil:
Aachen, Couven-Gymnasium,Kaiser-Karls-Gymnasi-
umGymnasiumSt.Leonhard, Inda-Gymnasium
Aschaffenburg,Friedrich-Dessauer-GymnasiumKarl-
Theodor-v.-Dalberg-GymnasiumBad Bergzabern
Gymnasium im Alfred-Grosser-SchulzentrumBad
Ems, Goethe-GymnasiumBad Kreuznach, Lina-
Hilger-GymnasiumBad Pyrmont, Humboldt-
GymnasiumBamberg, Franz-Ludwig-Gymnasi-
umBarsinghausen, Hannah-Arendt-Gymnasi-
umBerlin, Droste-Hülshoff-Gymnasium, Eckener-
GymnasiumBielefeld, Brackweder Gymnasi-
umBilbao (Spanien) Deutsche Schule Bil-

baoBöblingen, Lise-Meitner-GymnasiumBraun-
schweig,Wilhelm-GymnasiumBruchsal,Justus-
Knecht-GymnasiumBuxtehude, IGS Buxte-
hudeCottbus, PücklergymnasiumDresden,
Vitzthum-GymnasiumDurmersheim, Wilhelm-
Hausenstein-GymnasiumErlenbachHermann-
Staudinger-GymnasiumEssen, Goetheschule
(Städt. Gymnasium)FrankfurtamMain, Bege-
mann Schule, Helene-Lange-Gymnasium, Helm-
holtzschule, Otto-Hahn-SchuleFreiburg, Droste-
Hülshoff-Gymnasium, Max-Weber-Schule (Wirt-
schaftsgym.) Freigericht, Kopernikusschu-
leFriedrichshafen, Claude-Dornier-SchuleFürs-
tenwalde, Katholische Schule Bernhardi-
numFürth,Helene-Lange-GymnasiumFulda,
Marienschule (Gym. für Mädchen)Geisenheim,
Internatsschule SchlossHansenbergGermers-
heim, Johann-WolfgangGoethe-GymnasiumGie-
ßen, Landgraf-LudwigsGymnasiumGöttingen,
Max-Planck-GymnasiumGroßkrotzenburg,Fran-
ziskanergymnasium KreuzburgHamburg,Ebert-
Gymnasium,Marion-Dönhoff-Gymnasium, Ober-
stufeLangenhornHohenNeuendorf, Marie-Cu-
rie-GymnasiumIxelles (Belgien), Europäische
Schule III BrüsselKaarst, Georg-Büchner-Gymnasi-
umKaiserslautern, H.-Heine-Gymn. (Sportgymna-
sium),Staatl. Gymnasium am RittersbergKarlsru-
he, Tulla-RealschuleKempten, Allgäu-Gymnasi-

umKenzingen, GymnasiumKenzingenKöln, Eli-
sabeth-von-Thüringen-GymnasiumKoprivnica
(Kroatien) Gymnasium "FranGalovic"Langenfeld,
Konrad- Adenauer-GymnasiumLeutkirch im All-
gäu, Hans-Multscher-GymnasiumLichtenstein,
Gymnasium "Prof. Dr.Max Schneider"Linz am
Rhein, Martinus-GymnasiumMayen, Megina-Gym-
nasiumMünchen, Asam-Gymnasium, Willi-Graf-
GymnasiumMünnerstadt, Johann-Philipp-von-
Schönborn-Gymnasium,Münster, Schillergymna-
siumNeumünster, Immanuel-Kant-SchuleNürn-
berg, Johannes-Scharrer-GymnasiumOgulin
(Kroatien), Gymnasium Bernardina Frankopa-
naPtuj (Slowenien), Gymnasiums PtujRode-
wisch, Johann-Heinrich-Pestalozzi-GymnasiumRo-
senheim, Staatl .Karolinen-GymnasiumRostock,
CJD ChristophorusschuleSaarbrücken, Ludwigs-
gymnasiumSchorndorf, Johann-Philipp-Palm-
SchuleSchwanewede, Waldschule Sindelfin-
gen, Stiftsgymnasium SindelfingenSofia, Gala-
bov-GymnasiumStuttgart, Evang. Heidehof-Gym-
nasiumUetikon am See (Schweiz),Kantonsschule
Uetikon am SeeWeinheim, Johann-Philipp-Reis-
SchuleWetzikon (Schweiz),Kantonsschule Zür-
cher OberlandWiesbaden, Friedrich-List-Schu-
leWilhelmshaven, Neue sGymnasiumWolfha-
gen, Wilhelm-Filchner-SchuleWürzburg,St.-Ursula-
GymnasiumZagreb(Kroatien), III Gimnazija Za-
grebZürich,Kantonsschule ZürichNord

S


eit drei Jahren hat es auf BoaVista
nicht mehr geregnet. Rotbrauner
Staub und brauneSteine kennzeich-
nen die Landschaft. „Bei einer längeren
Busfahrthabe ichlangeZeit nurVulkan-
landschaftengesehen, bis irgendwann in-
mitten derstaubigenUmgebung einver-
einzelter Baum zu sehenwar“, berichtet
Sophie Janz, die mit ihrerFamilie auf die
Insel derKapverden, einer kleinen Insel-
gruppe imAtlantik,gereis tist.Unschein-
bar liegt sievorder WestküsteAfrikas auf
der Höhe Senegals.Nurneun der 15 In-
seln sind bewohnbar.Knapp 550 000 Ein-
heimische leben auf denKapverden, auf
Boa Vistasind es 12 000.
Die Straßen sind nicht ausgebaut.Bei
Autofahrtengeht esregelmäßig über un-
befestigteStraßen und Schotterwege.
„Wir wurden dieganze Zeit über durchge-
schüttelt.Stein eprallten gegendas Auto,
doch der Fahrer warüberhaup tnicht beun-
ruhigt.ImRadio lief laut Musik,zuder ge-
sungen wurde. Selbstals wir einen sostei-
len Hügel hochfuhren und wir das Gefühl
hatten, rückwärts wieder runterzurut-
schen, blieb derFahrer ganz entspannt“,
erzählt Sophie Janz. Esfahren nicht viele
Autosauf denwenigenStraßen ,die es auf
Boa Vistagibt.Stau kennen die Menschen
dortnicht, nurwenigebesitzen ein Auto.
Die Dörferliegen kilometerweit vonein-
ander entfernt.„Gelbe, blaue,rote, lilafar-
bene undgrüne Häuser sind überall zu se-
hen. BunteHäuserste hen hier fürReich-
tum. So vieleFarben machen direkt gute
Laune“, berichtetdie Biologiestudentin
der HochschuleFresenius in Idstein nach
einer Inselrundfahrt. DieKapverdier un-
terhalten sichgerne und habenkeine Be-
rührungsängsteFremdengegenüber.Ne-
ben den vielen bunten Häusernsind auch
viele unfertigezusehen, da Armut
herrscht. Es fehlt das Dachoder dieFar-
be. „Die Einwohner sind schlau.Wenn
das Haus nochnicht fertig gebaut ist, müs-
sen sie dafürkeine Steuernzahlen, und da
es so langenicht mehrgeregnethat, müs-
sen sie sichauchkeine Gedanken darüber
machen, ob esreinregnenkönnte“, gibt
die 20-Jährigedie Worteeines Reisefüh-
rers wieder.Stromausfällestehen auf der
Tagesordnung.Auch fließendesWasser

steht nochimmer nicht derganzen Insel
zur Verfügung. Die Dörferauf BoaVista
haben meisteinen ähnlichen Aufbau.In
ihrer Mit te befindetsichein Dorfplatz mit
einigen Steinbänken. Veranstaltungen
wie Hochzeiten und Feiertage werden
dortgemeinsam mit der Dorfgemein-
schaf tgefeier t. Da eswenigeFreizeitakti-
vitäten gibt, spürtman den engenZusam-
menhalt der Gemeinde. Der Klang der
Djemben, der afrikanischenTrommeln,
istvon weitem zu hören. Ein Rhythmus,
der die Zusammengehörigkeit spüren
lässt.WenigeTagebevor Sophie Janz und
ihreFamili edas Dorfbesucht haben ist
hier eine alteFraugestorben. Die Dorfge-
meinschafthat sic hvon ihrverabschiedet,
auchJugendliche und Kinder.„Die Kinder
werden schon sehr früh mit demTodkon-
frontiert, aber siewerden mit ihrerTrauer
nicht alleingelassen.Wirkonnten eine
ganzneueFormdes Zusammenlebens zwi-
schen vielen Generationen erfahren.“
Der Staat in vestiertimVerhältnis zur
Wirtschaftskraftviel Geld in die Bildung,
sodassviele Kinder die Grundschule besu-
chen können. Diese dauertsechs Jahre.
Erst ab der viertenKlasse lernen siePortu-
giesisch, die Amtssprache derKapverden.
Die Nationalsprache istdas Kapverdische
Kreol. Es gibt nurwenigeweiterführende
Schulen. Die monatlichenKosten für je-
des Kind betragen umgerechnetzehn
Euro. Das durchschnittliche Monatsein-
kommen liegt bei 150 Euro, nicht jeder
hat überhaupteine Arbeitsstelle.Viele Fa-
milienkönnen sichden Schulbesuch ihrer
Kinder nicht leisten, besondersdann
nicht,wenn sie mehrereKinder haben.
Universitäten gibt es nurwenige, und
der Abschlussist nur auf denKapverden
anerkannt.Medizinkann man nichtstu-
dieren, das istunter anderem der Grund
für die schlechte medizinische Versor-
gung.Um einen allgemein anerkannten
Abschlusszuerhalten, müssen die Ein-
wohner ins Ausland gehen, dochauf-
grund der Armut istdas für vielekeine Op-
tion. DieKapverdischen Inseln sind ein
Schwellenland, das besondersdurch den
Tourismus immer mehrAuftrieb erhält.
„Das Wetter ,der Strand und die gute Lau-
ne der Einheimischen haben michauf das

Reiseziel gebracht“, berichtet Frank
Mack, der zweimal dieKapverden bereist
hat.Die Menschen dortlebten unter spär-
lichen Bedingungen, aber seien denTou-
risten gegenüber offen. Sie sprächen ihre
Besucher an, fragten, woher siekommen
und wie es ihnengehe. Sie zeigtenkeinen
Neid, und man fühle sichinihrer Gegen-
wart willkommen. Wenngleichsie sich
kaum sprachlichverständigen konnten,
wurde der Rheingauer Mack,IT-Anges tell-
tereiner Sparkasse, in das Haus einer älte-
renFraueingeladen. Er durftebei der Her-
stellung vonPiri-Piri, einer scharfen
Sauce, zusehen, die späterverkauftwur-
de, um den Lebensunterhalt aufzubes-
sern. „Ein beeindruckendes Erlebnis“, er-
innertersichnochnachfünf Jahren.
Durchden Ba uzahlreicher neuer Hotel-
anlagenwerden viele Arbeitsplätzege-
schaf fen. Dochder Tourismus bringt nicht
nur Vorteile. Fürden Bau dieser Anlagen
wirdviel Natur zerstört. „Wir haben kilo-
meterlangeSanddünengesehen. Eswar

einfachunglaublich, alleswarsounbe-
rührt.Aufeinem Ausflug haben wir dann
erfahren, dassdiese inwenigen Jahren
fast vollständig bebaut seinwerden, dage-
nau dortmehrer eneue Hotelanlagenge-
plant sind“, berichtet SophieJanz nach-
denklich, als würde sie das glitzernde
Meer und den hellen Sandvorihrem inne-
renAugeein letztes Mal sehen.
DieKapverdier haben mitweiteren Her-
ausforderungenzukämpfen.Viele Einhei-
mische arbeitenvonder Familieweit ent-
fernt. Oftmals auf einer anderen Insel.
„Ichmöcht emeinen beiden Kindernein
besseres Leben bieten als das, das ichhat-
te“, erzählt einKapverdier,der auf Boa
Vistaals Fotografarbeitet,während seine
Familie auf SaoVicentemehr als 300 Kilo-
meter entfernt lebt.Obwohl er darüber
nicht glücklichist,beschreibt er sein Le-
ben in diesen dreiWorten „hart, interes-
sant, wunderschön“.

Johanna Janz, Flörsheim am Main
Graf-Stauffenberg-Gymnasium

Risse im


Asphalt


Cuxhavenund die


vielenTouris ten


Man kennt sich,


man hilft sich


auf Helgoland


Hart, interessant und wunderschön


Eine Reise auf dieKapverden/Auf Boa Vista werden kilometerweiteSanddünen Hotelbautenweichen


Der Zusammenhalt auf Deutschlands


einziger Hochseeinsel istgroß, sagen diePastorin,


die Schulleiterin, der Bürgermeister


und ein Inselführer.Aberirgendwann


müssen jungeLeutelosziehen.

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