Der Standard - 02.03.2020

(coco) #1

Kultur


Theater
WIEN
DeröffentlicheRaum
vonUlrikeSyhabis 28.3., 20 Uhr

Hamburger
Literaturpreis
2019
Bitte bewahren
Sie Ruhe. Die
Lage iststabil.
Die Gesell-
schaft istgespalten, wiedie Bühne,
die zweigeteiltist und mit ihr das
Publikum, das jeweils nur eine Hälfte
des Ganzen sieht.

http://www.drachengasse.at

Foto: Nela-

Valentina Pichl

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Zum 250.Geburtstag entstehenneueKompositionen–


und mithilfekünstlicherIntelligenz eine 10.Symphonie.


BEETHOVEN-JAHR

DasCor onavirus könnte den


Skiweltcup frühzeitig beenden.


CORTINA-KRISE

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MO., 2. MÄRZ 2020 13


Kultur


Foto: Reuters


Berlinale:Melodram überTodesstrafe imIran gewinntGoldenenBären


Die österreichischeNewcomerin SandraWollner wurde in einerNebensektion prämiert


Dominik Kamalzadeh aus Berlin

Zum Abschluss, bei der samstägi-
gen Preisgala, wurde es auf der
Berlinale doch politisch. Die Ent-
scheidung, den Goldenen Bären
anMohammadRasulof There Is No
Evil zu vergeben, ist auch eine für
die Hartnäckigkeit eines Film-
künstlers, der dem Kino selbst
unter Gefahren nicht abschwört.
Rasulof hat ihm Iran Berufsverbot,
er darf das Land nicht verlassen.
Dassesihmdennochmöglichwar,
einen neuen Film zu realisieren,
liegt daran, dass die Hürden im-
mer wieder geschickt umgangen
wurden:Finanziertwurde There Is
No Evil mit ausländischer Hilfe.
Wahrscheinlich ist, dass er nicht
als Spielfilm deklariert wurde: Die
episodische Struktur lässt vermu-
ten, dass der Film wie vier Kurz-
filme produziert wurde.
Das Leitmotiv ist die Todes-
strafe, die der Iran immer noch
sehr häufig praktiziert. Im Film
geht es jedoch nicht um die Opfer,
sondern um jene, denen als Sol-
daten die Pflicht zukommt, das
Urteil auszuführen. Rasulof the-

matisiert das moralische Dilem-
ma, das daraus erwächst, und
zwar nicht nur im Individuellen.
Es steht auch metaphorisch für
das ganze Land–die Todesstrafe
zieht jene Grenze, hinter der der
Iran zum Unrechtsstaat wird. Der
Film ist kraftvoll und ausdrück-
lich, er sucht melodramatische
Zuspitzungen, etwa wenn ein jun-
ger Mann herausfindet, dass er es
war, der einen Freund der Familie
seiner Verlobten liquidiert hat.

Mit dem „zweiten Preis“,
demSpezialpreis der Jury, wurde
Eliza Hittmans Abtreibungsdrama
Never Rarely Sometimes Always
ausgezeichnet, ein weiterer, zum


  1. Jubiläum vergebener Sonder-
    preis ging an die Komödie Effacer
    l’historique (Delete History)
    von
    Benôit Delépine and Gustave Ker-
    vern, eine Satire über die Ne-
    benwirkungen von exzessivem
    Social-Media-Konsum. Mit dem
    Preis an Paula Beer für ihre Titel-


rolle in Christian Petzolds zeit-
kritischem Liebesdrama Undine
ging auch das deutsche Kino nicht
leer aus. Auf geteilte Reaktionen
traf die Ehrung von Jürgen Jürges,
des Kameramanns von DAU: Na-
tasha, weil dessen Regisseur Ilya
Khrzhanovsky mit Missbrauchs-
vorwürfen konfrontiert ist.
Insgesamt hat die Jury unter
dem Vorsitz von Jeremy Irons mit
ihren Auszeichnungen die Band-
breite des–kuratorisch klar ver-
besserten–Wettbewerbs trefflich
wiedergegeben, erfreulich insbe-
sondere, dass der koreanische
Autorenfilmer Hong Sang-soo als
bester Regisseur ausgezeichnet
wurde. Komisch, leichtfüßig und
doch profund erzählt er in The
Woman Who Ran über Frauen, die
ein individuelles Lebensmodell
bevorzugen, auch von der ein oder
anderen Selbsttäuschung.
Einen schönen Erfolg feierte
auch die österreichische Regis-
seurinSandraWollner,diefür The
Trouble With Being Born in derneu
gegründeten Sektion Encounters
mit dem Preis der Jury prämiert
wurde. Ihr Film ist eine subtil

befremdende Auseinanderset-
zung mit den Erinnerungen eines
Androiden, der in zwei Familien
in delikaten Konstellationen lebt.
Dank dieses Preises wird Woll-
ners origineller Zugang nun inter-
national weiter Echo finden.

Foto: EPA

Der iranische
Regisseur
Mohammad
Rasulofdurfte
nicht ausreisen,
um seinen
Goldenen Bären
in Empfang zu
nehmen–das
tat endann seine
TochterBaran
undseinTeam.

AmFreitag gingen dieWogenbei Frankreichs wichtigstemFilmpreis hoch:Trotzheftiger Proteste erhielt
der umstritteneFilmemacher RomanPolanski auch den César für die beste Regie. Brechen nun neue Zeitenan?

schaften offen ausbrachen. Um
0.15 Uhr ging der Regiepreis
zur allgemeinen Überraschung
an Polanski. Ebenso groß war die
Empörung. Die Auszeichnung für
den besten Film wäre noch eini-
germaßen vertretbar gewesen, ist
doch Intrige über die Dreyfus-
Affäre zweifellos ein starker Film.
Entsprechend vertrat Terzian
seit Monaten die Meinung, dass
man ein Werk ehren könne, ohne
sich zur Person des Machers zu
äußern.

E


swar kurz nach Mitter-
nacht, als sich die gewalti-
ge Spannung eines ganzen
Abends, ja des ganzen Frühjahrs,
mit einem einzigen Schrei löste.
Hunderte von Feministinnen hat-
ten zuvor vor dem Pariser Pleyel-
Saal gegen die elf Nominierun-
gen des Polanski-Films Intrige
(auf Französisch J’accuse )de-
monstriert. Sie zündeten Leucht-
raketen, versuchten, den roten
Teppich loszureißen, auf dem die
Galagäste zur César-Verleihung
eintrafen, und schwenkten Pla-
kate mit der Aufschrift: „Verge-
waltiger und Pädokriminelle zu
schützen ist ein Akt widerlicher
Komplizenschaft.“

Der „Pate“ muss gehen
Seit Wochen hatte sich die Lage
in der französischen Kinobranche
zugespitzt. Jüngere Filmschaffen-
de warfen den César-Verantwort-
lichen vor, sie schützten Polan-
ski gegen die Vergewaltigungsvor-
würfe mehrerer Frauen und för-
derten seinen neuen Streifen. Mit-
te Februar führte ein offener Brief
von 400 Filmschaffenden zum
Umsturz: Der mächtigste Mann
des französischen Films, Alain
Terzian, ein 70-jähriger arme-
nischstämmiger Lobbyist alter
Schule, von Le Monde als „Pate“
betitelt, musste mit dem ganzen
Verwaltungsrat der César-Aka-
demie den Hut nehmen.
Am Freitagabend zog Terzian
hinter den Kulissen der César-
Zeremonie noch einmal die
Fäden. Polanski (86) hatte am
Vortag bekanntgegeben, darauf zu
verzichten, an dem Galaabend zu
erscheinen, um nach eigener Dar-
stellung einem „selbsternannten

Meinungstribunal“ und einer „öf-
fentlichen Lynchjustiz“ zu entge-
hen. Bei der mehrstündigen Preis-
verleihung ersetzte Zeremonien-
meisterinFlorenceForestidenNa-
men Polanski durch ein vorsätz-
liches Niesen, wenn sie den pol-
nisch-französischen Regisseur er-
wähnen musste; der Schauspieler
Jean-Pierre Darroussin murmelte
seinen Namen unverständlich.
Zwei kleinere Auszeichnungen
hatte Intrige schon erhalten, als
die zurückgehaltenen Leiden-

Dass Polanski ausgerechnet den
personenbezogenen Preis der
besten Regieführung erhielt, war
zu viel. Durch den Saal ging ein
einzelner Schrei: „Schande“, rief
Adèle Haenel, eine in Frankreich
sehrbekannteSchauspielerinund
selbst Vergewaltigungsopfer. Die
junge Frau erhob sich und verließ
zusammen mit anderen Gästen
den Pleyel-Saal.
„Schande“, hieß es darauf auch
in zahllosen Variationen auf
Twitter; Foresti tippte ins Telefon,

sie sei „angeekelt“, und kam nicht
mehr auf die Bühne. Sogar
Kulturminister Franck Riester
sprach von einem „schlechten
Symbol“ und bezeichnete den Re-
giepreis als problematisch, weil er
„nicht nur das Werk, sondern
auch den Mann“ feiere.
Zurück bleibt der Eindruck,
dass die umstrittene Preisverlei-
hung ein „letztes Ehrengefecht“
(so das Magazin Causeur )des Ter-
zian-Clans war. Sein kollektiver
Rücktritt macht in Paris den
Weg frei für eine neue Generation
von Filmemachern. „Revolutio-
nen werden immer von großen
Hoffnungen getragen“, meinte die
Schauspielerin Sandrine Kiber-
lain nach dem chaotischsten der
seit 1976 existierenden César-
Abende.

Mehr Vielfalt gefordert
Die jüngeren Filmschaffenden
verlangen nicht nur mehr Frauen-
sicht, sondern auch mehr ethni-
sche Vielfalt. Zum Ausdruck kam
dies bereits beim César für den
besten Film, der an das Banlieue-
Polizeidrama Les Misérables (Die
Wütenden) von Ladj Ly ging. Der
César für den besten Erstfilm ging
an Papicha von Mounia Meddour,
und als bester Schauspieler wur-
de Roschdy Zem geehrt, der für
sich allein den Maghreb-Faktor
des französischen Kinos verkör-
pert und den Preis seit Jahren
verdient hatte.
Ein Nichtfranzose sagte seine
Anwesenheit am Pariser César-
Abend im letzten Moment ab:
Brad Pitt, der für einen Ehren-
César vorgesehen war, hielt wohl
lieber Distanz zu den hochwogen-
den Pariser Leidenschaften.

Polanskis verfemte Ehrung


Stefan Brändle aus Paris

Einen César für den „besten Vergewaltiger 2020“ fordern Protestierende zynisch für Roman Polanski.

Foto: APA

/A

FP

/Lucas Barioulet
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