Der Standard - 02.03.2020

(coco) #1

DERSTANDARD International MONTAG,2.MÄRZ 2020 | 3


Nach derWahl istnachder Wahl istvor derWahl


DieIsraelis schreiten zum drittenMalinnerhalb einesJahres an dieUrnen–Ein Ende des politischenPattsschien aber nicht absehbar


Mareike Enghusen aus Tel Aviv

E

ssind die dritten Parla-
mentswahlen innerhalb
eines Jahres, die heute,
Montag, in Israel auf dem Pro-
gramm stehen–aber auch für die
Zeit danach zeichnete sich bisher
keine Erlösung aus der bald ein-
jährigen Lähmung des politischen
Systems ab. Schon nach den Wah-
len im April und im September
2019 war es keiner Partei gelun-
gen, eine Koalition in der Knesset
oder für die Regierung zu bilden.
Undzumindestdenzuletztstets
verlässlichen Umfragen zufolge
dürfte auch die Neuwahl nichts
an dieser unerquicklichen Aus-
gangslage ändern: Weder der
rechtsreligiöse Block des amtie-
renden Premiers Benjamin Netan-
jahu noch das Mitte-links-Lager
des ehemaligen Armeechefs Ben-
ny Gantz, des Vorsitzenden des
zentristischen Blau-Weiß-Partei-


bündnisses, kommt demnach auf
eine Mehrheit.
In denletztenUmfragen lagNe-
tanjahus Likud-Partei ein bis zwei
Sitze vor Blau-Weiß. Nur wenige
Wochen zuvor war das Kräfte-
verhältnis umgekehrt gewesen –
undauch nach derWahl im Sep-
tember hatt edie oppositionelle
Partei die Nase noch leicht vorn.
Dochdiesmal eskalierte im Febru-
ar de rKonflikt zwischen Israel und
derTerrororganisationIslamischer
Jihad (IJ) in Gaza, IJ-Kämpfer feu-
erten rund80Raketen ab, die israe-
lische Armee schlugzurück.
Und diese Eskalation könnte
dem Likud einige Stimmen zuge-
trieben haben, schließlich führt
Netanjahu seinen Wahlkampf mit
der Behauptung, nur er könne die
Sicherheit Israels garantieren. Die
PlakateseinerParteizeigenseinen
Rivalen Benny Gantz neben
dem arabisch-israelischen Politi-
ker Ahmed Tibi. „Ohne Ahmed

Tibi hat Gantz keine Regierung“,
steht in warnroten Buchstaben da-
rüber. Die Botschaft dahinter: Um
auf eine Mehrheit zu kommen,
müsste Gantz mit den arabischen
Parteien koalieren, denen nicht zu
trauen sei–angeblich eine Gefahr
für die nationale Sicherheit.

Nur Unmögliches ist möglich
Gantz hat ein Bündnis mit den
arabischen Parteien jedoch ohne-
hin ausgeschlossen. Der Politik-
wissenschafter Assaf Shapira vom
Israel Democracy Institute, einem
liberalen Thinktank, hält allen-
falls eine Links-Mitte-Minder-
heitsregierung, von den Arabern
toleriert, für denkbar, wenn auch
für „unwahrscheinlich“.
Ein weiteres Szenario wäre,
dass sich Avigdor Lieberman, Vor-
sitzender der rechten Partei Israel
Beitenu (Unser Heim Israel), Ne-
tanjahus Block anschließt. Einst
warerdortfestverankert,dochdie

inhaltlichen und persönlichen
Differenzen zwischen dem säku-
laren Liebermann auf der einen
und Netanjahu und seinen religiö-
sen Verbündeten auf der anderen
Seite scheinen auch weiterhin un-
überbrückbar.
Die bequemste Mehrheit würde
eine Koalition der größten Partei-
en, Likud und Blau-Weiß, errei-
chen. Doch die Verhandlungen
darüber sind bereits zweimal ge-
scheitert, unter anderem an der
Personalie Netanjahu, der sich
einer Anklage wegen Untreue, Be-
stechung und Betrugstellen muss.
Er besteht darauf, Premier zu blei-
ben, denn nur so darf er sein Amt
bis zu einer möglichen Verurtei-
lung behalten; als einfacher Mi-
nister müsste er zurücktreten. Da-
rauf wollte sich Gantz, der seit der
September-Wahl ja die stärkste
Partei anführt, nicht einlassen.
In diesem Wahlkampf attackier-
ten die beiden Lager einander här-

ter denn je. Nur Tage vor der Wahl
tauchte eine Aufnahme auf, in der
Gantz’ Wahlkampfmanager–in-
zwischen entlassen–die Kompe-
tenz seines Chefs anzweifelt. Das
Lager des formellen Oppositions-
chefs wiederum warnte in ein-
dringlichen Worten, Netanjahu
bedrohe die Demokratie in Israel;
die Plakate der Blau-Weiß-Partei
zeigen Netanjahus Konterfei, ver-
sehen mit dem Slogan: „Blau-
Weiß oder Erdoğan“. Der türki-
sche Präsident Recep Tayyip
Erdoğan gilt–nicht nur, aber auch
–inIsraelalsBeispielfüreinende-
mokratiefeindlichen Autokraten.
„Ein mögliches, sogar wahr-
scheinliches Szenario ist eine
vierte Wahl“, meint schon jetzt
der Politikwissenschafter Shapira.
Das glauben auch viele israelische
Wähler: Laut einer Umfrage des
Israel Democracy Institute rechnet
knapp ein Drittel der Befragten mit
Wahlgang Nummer vier.

Die Protestbewegung GewöhnlicheMenschen und unabhängigePersönlichkeiten kam bei derWahl auf Platz eins.
Die bisherigen Regierungsparteien erlitten ein Debakel, enttäuscht sind auch jungeliberale Gruppen.

Mord im Februar 2018 laut gewor-
den.DiespontanentstandeneBür-
gerbewegung Für eine anständige
Slowakei hatte damals die größten
Kundgebungen seit der Wende
desJahres1989organisiert.Robert
Fico trat binnen weniger Wochen
als Premier zurück, ebenso sein
Innenminister Robert Kaliňák.
Regierungschef wurde der
Smer-Politiker Peter Pellegrini.
Kritiker sahen diesen aber stets als
Marionette von Fico, der weiter-
hin Parteichef blieb. Den Absturz
der Smer jedenfalls konnte dieser
Schachzug nicht stoppen. Bis zu-
letzt fand die Partei kein probates
Mittel zur Verhinderung des sich
abzeichnenden Wahldebakels.
Dem hoffnungsvollen Bündnis,
bestehend aus der sozialliberalen
Partei Progressive Slowakei (PS)
und ihrem etwas konservativeren
Partner Spolu, zu Deutsch Ge-
meinsam, wurde die für Wahl-
koalitionen angesetzte Hürde für

D

ie ersten Statements des
frischgebackenen Wahlsie-
gers klangen wie die naht-
lose Fortsetzung seiner Kampag-
ne: „Jetzt sind wir die Mafia defi-
nitiv losgeworden!“, jubelte Igor
Matovič,d essen Partei Ol’ano bei
der Parlamentswahl in der Slowa-
kei am Samstag mit 25 Prozent
souverän den ersten Platz errun-
gen hatte. Ol’ano ist die Abkür-
zung für Gewöhnliche Menschen
und unabhängige Persönlichkei-
ten. Der bunt zusammengewürfel-
ten Bewegung wird häufig vorge-
worfen, keine klare ideologische
Ausrichtung zu haben und damit
ein unberechenbarer Faktor in der
slowakischen Politik zu sein.
Doch nach dem Schock über
den Mord am Enthüllungsjourna-
listen Ján Kuciak und seiner Ver-
lobten Martina Kušnírová vor
zwei Jahren sowie den anschlie-
ßenden Enthüllungen über einen
Filz aus Politik und Geschäftema-


cherei, der bis in höchste Regie-
rungskreise reichte, war offenbar
genau dies das richtige Rezept.
Die bisherigen Regierungs-
parteien hingegen erlitten ein De-
bakel.DielangeJahretonangeben-
de linkspopulistische Smer von
Ex-Premier Robert Fico stürzte auf
18,3 Prozent und Platz zwei ab. Im
Vergleich zur letzten Wahl vor
vier Jahren ist das ein Minus von
mehr als zehn Prozentpunkten.

Ruf nach Veränderung
Ebenfalls wenig erfreulich ist
das Ergebnis für die Koalitions-
partner der Smer, die Slowakische
Nationalpartei (SNS) und die libe-
rale Most-Híd, die auch um Stim-
men der ungarischen Minderheit
gebuhlt hatte. Die Wählerinnen
und Wähler haben auch sie abge-
straft,beidehabendenWiederein-
zug ins Parlament klar verfehlt.
Der Ruf nach Veränderung war
bereits unmittelbar nach dem

den Einzug ins Parlament zum
Verhängnis. Einzelparteien brau-
chen dazu mindestens fünf Pro-
zent, Wahlkoalitionen aber sie-
ben. PS/Spolu landeten bei ledig-
lich bei 6,97 Prozent.

Kiskas Alleingang
Geschafft hat es hingegen der li-
berale Ex-Präsident Andrej Kiska
mit seiner Partei Zaľudí (Für die
Menschen). Er erzielte 5,8 Pro-
zent, was für den Einzug ins Par-
lament knapp reicht. Besonders
bitter für PS/Spolu, die ein ähnli-
ches Wählersegment ansprechen
wie er: Beobachter hatten erwar-
tet, dass beide bei einem gemein-
samen Antreten im Rennen um
Platz eins hätten mitmischen kön-
nen. Immerhin kam die PS bei der
EU-Wahl 2019 auf Platz eins, die
von ihr unterstützte Zuzana
Čaputová hatte zuvor die Präsi-
dentschaftswahl gewonnen. Kiska
aber entschied sich für einen

Alleingang, was PS/Spolu ent-
scheidende Stimmen kostete.
An dritter Stelle nach Ol’ano
und Smer konnte sich die populis-
tische Sme rodina (Wir sind Fami-
lie) positionieren. Sie gilt als so-
zialkonservativ, migrationsfeind-
lich und EU-skeptisch und kommt
auf 8,2 Prozent. Die rechtsradika-
le Volkspartei Unsere Slowakei
(ĽSNS), mit der aber niemand ko-
alieren will,wurde mit acht Pro-
zent Dritte. Auch die libertäre
Freiheit und Solidarität (SaS, 6,
Prozent) kommt ins Parlament.
In Anspielung auf die für slowa-
kische Verhältnisse hohe Wahlbe-
teiligung von fast 66 Prozent hat-
te Igor Matovičstolz verkündet, er
habe den „schlafenden Drachen
geweckt“–den Nichtwähler. Mit
den im Parlament verbliebenen
Parteien der Ablehnungsfront
gegen Fico eine Koalition zu zim-
mern wird aber auch für ihn nicht
leicht sein. Kopfdes TagesSeite

Wahlsieger Igor Matovič konnte die meisten Proteststimmen auf seine Partei vereinen.

Foto: Reuters

/D

avid

WC

erny

Slowakenwagen das Gewöhnliche


Gerald Schubert

gesamt
150

Vorläufiges Ergebnis,Stimmenanteile in Prozent


Sitze im Parlament,Prognose


Wahlbeteiligung 2020 65,8 %[2016: 59,8 %]

Smer-SD(sozialdemokratisch)

Oľano(Protestpartei)

Rest

ĽSNS(rechtsextrem)

PS/Spolu(liberal)

Za ľudí(bürgerlich-liberal)

Sme rodina(rechtspopulistisch)

SaS(EU-kritisch, liberal)

Smer-SD 38

Oľ ano 53

17 ĽSNS

Za ľudí 12

17 Smerodina

13 SaS

KDH(christdemokratisch)

25,

18 ,

14,

8,

8,

6,97*

6,

5,
4,

Most-Híd(liberal/konservativ) 2

*Sperrklausel für Wahlbündnisbeträgt7%(für Einzelparteien nur5%)

Parlamentswahl in der Slowakei


Quelle: APA|DERSTANDARD
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