Der Standard - 02.03.2020

(coco) #1

8 |MONTAG,2.MÄRZ2020DBildung ER STANDARD


Europa im

Diskurs.

Eine Kooperation des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen(IWM), der ERSTE Stiftung, des Burgtheaters unddesSTANDARD.

8.März 2020, 11.00 Uhr
Burgtheater, Universitätsring 2, 1010 Wien

Karten-Info:www.burgtheater.at
Tel.:01 513 15-
in deutscher Sprache
Eintritt:EUR 7,–
mitAbovorteil:EUR 5,–
derStandard.at/Events

Paul Zulehner
Theologe und
Religionssoziologe

Foto: F.-J. Rupprecht

Kenan Güngör
Soziologe und
Politikberater,
think difference

Foto: privat

Maria Windhager
Juristin, mit
Schwerpunkt
Medienrecht

Foto: Röggla Foto: Cremer

Kathrin Röggla
Schriftstellerin

Moderation:
Petra Stuiber
DERSTANDARD

Foto: Cremer

Warum wir am Frauentag auch über Männer reden sollten ...

ABO

VORTEIL

Schulen sollten das Smartphone lieber aktivindenUnterricht einbinden, anstatteszuverdammen,findet
dieMedienpädagogin IrenSchulz. Gefordert seien auch die Eltern, die allzu oft selbstauf den Bildschirm glotzten.

E

sbeschäftigt Lehrkräfte wie
Eltern–und vor allem na-
türlich die Kinder: das
Smartphone. Die einen sehen es
als wertvolle Bereicherung zur
Wissensvermittlung, die anderen
als Unterrichtszerstörer. Auch
die Lehrergewerkschaft greift das
Thema auf und fordert zumindest
„handyfreie Zonen“ in den Schu-
len. Die deutsche Medienpäda-
gogin Iren Schulz plädiert für
einen entspannteren Umgang mit
den Handys und klare Regeln.


STANDARD: Bei unserem letzten
Interview haben Sie gesagt, ein
Handyverbot in Schulen sei rück-
schrittlich, weil diese Technologien
Bestandteil der Gesellschaft seien.
Bleiben Sie sechs Jahre später
immer noch dabei?

Schulz:Heutemehr denn je, weil
digitale Medien ein wichtiger Teil
unseres Alltags sind. Ein Verbot
kann nie zu einem kompetenten
Umgang führen. Die Schulesoll
aufs Lebenvorbereiten, ein Handy-
verbot zielt am Leben vorbei.


STANDARD: In Frankreich ver-
sucht man es dennoch damit.

Schulz:Stimmt, langfristig ist das
kein guter Weg. Das soll aber im
Umkehrschluss jetzt nicht bedeu-
ten: Feuer frei! Macht doch, was
ihr wollt! Unsere Gesellschaft
muss sich dringend transparente
Regeln für die Nutzung dieser
Technologien aushandeln: Wie,
wann und in welchem Ausmaß
finden Handys und Tablets an der
Schule ihren Platz?


STANDARD: WiesolldasinderPra-
xis laufen? Viele Lehrkräfte sehen
eher einen „Unterrichtszerstörer“.

Schulz:Lehrer sind verunsichert,
weil sie mit diesen digitalen
Technologien nicht aufgewach-
sen sind. Auch in ihrer Ausbil-
dung haben sie nicht gelernt, wie
das Handy in den Unterricht ein-
gebunden werden kann. Dabei
gibt es viele mögliche Einsatzbe-
reiche: von Mathematik über den
Kunstunterricht bis hin zum Fach
Deutsch. Irgendwann werden sich
alle Schulen damit konstruktiv
auseinandersetzen müssen.


STANDARD: Es macht doch einen
Unterschied, ob ich sage: Kinder,
wir schauen uns den Aufbau der
DNA mittels einer App an. Oder ob
ein Kind ständig aufs Handy starrt
oder es ständig irgendwo vibriert.

Schulz:Erst einmal muss der be-
wusste Umgang überhaupt ermög-
licht werden. Viele lassen das ja
gar nicht zu. An welchen Schulen,
die ein Handyverbot haben, wur-
dedasversucht?Ichdenke,ankei-
ner. Das Verbot kam vor der kon-
struktiven Auseinandersetzung.


Standard: Eine Studie der Lon-
don School of Economics aus dem
Jahr 2015 hat Schulleistungen vor
und nach einem Handybann ge-
messen: Die Testresultate haben
sich um 6,4 Prozent gesteigert.
Schulz:Ich könnte Ihnen auch 20
Studien vorlegen, die belegen,
dass mit dem Einsatz von digitaler
Technologie die Leistungen lang-
fristig nach oben gehen.

STANDARD: Wenn die Lehrerge-
werkschaft also handyfreie Zonen
fordert, ist das ein Zeichen von
Hilflosigkeit?
Schulz:Das ist etwas anderes als
ein generelles Verbot! Natürlich
kann ich zum Beispiel sagen: In
den Hofpausen bleiben die Han-
dys weg. Das muss dann aber auch
für die Lehrkräfte gelten. Diese
Vorbildrolle von uns Erwachse-
nen ist uns nur selten bewusst.

Standard: Apropos Vorbild: Was
sollten Eltern bei Handy und Co
beachten?
Schulz:Das Wichtigste ist, Kinder
vonBeginnanzubegleitenundmit
ihnen gemeinsam diese gesamten
Dienste und Anwendungenzuer-
kunden. Undesbraucht klare und
transparente Regeln, die auch für
die Erwachsenen verbindlichsind.

Ich kann nichtvon meinemKind
verlangen, draußen im Waldzu
spielenoder kreativ zu basteln,
wenn ichselbst dauernd auf einen
Bildschirmglotze. Dieser Grund-
steinmuss früh gelegtwerden, da-
mit die Jugendlichen später genug
Kompetenz entwickelthaben. Bei
älteren Kindern braucheich näm-
lich nichtmeh rsagen:Dudarfst
nur eine halbe StundeamTag! Da
ist es schon zu spät.

Standard: Wie ist es mit dem
Umgang mit Apps, die für eine
Altersgruppe eigentlich gar nicht
empfohlen werden?
Schulz:Das hängt vom einzelnen
Kindab.Jeweiterentwickeltesist,
desto mehr geht. Ich hatte auch
schon den Fall von Zehnjährigen,
die von ihren Eltern Spiele für 18-
Jährige gekauft bekommen haben.
Dabrauchtesschon nochsehrviel
Aufklärung. Auf die medienbe-
zogene Elternarbeit darf auch in
der Schule nicht vergessen wer-
den. Ein Bildungskonzept kann
nur gelingen, wenn die Eltern mit
im Boot sind. Das gehört etwa auf
Elternabenden besprochen.

Standard: Da könnte gleich über
die ausufernden Whatsapp-Klas-
senchatgruppen gesprochen wer-

den: Wie können Kinder verstehen,
dass 80 Nachrichten in zwei Stun-
den vielleicht nicht so gut sind?
Schulz:Vielleicht braucht es eine
Ergänzung zur Hausordnung, wie
in diesen Chats miteinander um-
gegangen wird. Wir wissen ja
auch, dass wir uns grüßen oder
uns nicht schubsen. Es gibt schö-
ne Beispiele, wie etwa Benimm-
regeln in den Chat getragen wer-
den können. Sind die Kinder an
der Regelerstellung beteiligt, hal-
ten sie sich auch daran.

Standard: Laut Neurowissen-
schaft verändert sich das Gehirn
durch intensive Handynutzung.
Stichwort Konzentrationsfähigkeit.
Schulz:Deshalb sollen Kinder im
Volksschulalter auch nicht fünf
oder sechs Stunden vor dem Bild-
schirm sitzen. Der Überkonsum
ist auf jeden Fall problematisch.

Standard: Wann ist es zu viel?
Schulz:Ich will nicht gleich den
Suchtbegriff bemühen. Es gibt
Empfehlungen, die sich an der
WHO orientieren: bis fünf Jahre
maximal eine halbe Stunde Bild-
schirmzeit pro Tag. Für Sechs- bis
Neunjährige gilt höchstens eine
Stunde täglich. Zu viel wird es,
wenn das soziale Leben leidet,
die Leistungen schlechter werden
oder Hobbys egal sind. Aber das
muss schon über einen Zeitraum
von zehn bis zwölf Monaten lau-
fen. Wenn das so ist, handelt es
sich um eine hochproblematische
Nutzung. Da gehört gehandelt.

Standard: WennamTagnureine
Stunde anfallen soll: Die hätte
das Kind nach Ihrer Vorstellung ja
schon im Unterricht ausgeschöpft.
Schulz:Das sagen Eltern immer. Ist
das Handy für eine Hausübung
nötig,kommthalteinehalbeStun-
de drauf. Ist das Kind krank, das
Wetter grottenschlecht, kann es
doch auch einmal mehr sein.

Standard: Stei gt die Handynut-
zung eigentlich mit dem Alter?
Schulz:Mit Eintritt in die Schule
schnellt die Begeisterung in die
Höhe. Alle wollen ein Smart-
phone besitzen und natürlich des-
sen Möglichkeiten erkunden. Die
Hochphase ist in der Pubertät.
Aber das ist auch früher schon so
gewesen: schnell nach Hause und
stundenlang am Festnetz hängen.
JetztgibteseinfachnurmehrMög-
lichkeiten. Normalerweise wird
dassomit17,18pragmatischerge-
sehen und relativiert sich wieder.

IREN SCHULZ,geboren1977 in Elster-
werda, ist Kommunikationswissenschaf-
terin und Medienpädagogin. Sie ist Do-
zentin im Masterstudiengang Kinder-
und Jugendmedien an der Uni Erfurt.

„Ein HandyverbotzieltamLeben vorbei“


INTERVIEW: PeterMayr, Karin Riss

Natürlich kann
ichsagen: In den
Hofpausen bleiben
die Handysweg.
Das muss dann
aberauchfür die
Lehrkräftegelten.



Achtung,Handyschauer! Dierichtige Nutzungdes Smartphones istein gesellschaftspolitisches Dauerthema.
„Ein Verbotkannnie zu einemkompetenten Umgang führen“, sagtdie Forscherin Iren Schulz.

Fotos: Delf Zeh Pictures, APA/Schmidt
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