Die Welt - 22.02.2020

(Barré) #1
(8,5 Prozent) haben im Verlauf des
WWWahlkampfs nachgegeben. Die AfD sta-ahlkampfs nachgegeben. Die AfD sta-
gniert bei sechs Prozent, was ziemlich
exakt der Wert ist, mit dem die Partei
vor fünf Jahren erstmals in die Ham-
burger Bürgerschaft eingezogen ist.
WWWenn es schlecht läuft für die an der El-enn es schlecht läuft für die an der El-
be eher moderat agierende Partei, wird
auch sie am Sonntag noch um den Wie-
dereinzug ins Rathaus der Hansestadt
bangen müssen.
Profitiert hat von der kollektiven
Schwäche der Hamburger Opposition
zuletzt vor allem die SPD mit ihrem

Spitzenkandidaten Peter Tschentscher.
Die Sozialdemokraten kratzen in der
jüngsten, am Donnerstagabend von der
Forschungsgruppe Wahlen veröffent-
lichten Meinungsumfrage an der 40-
Prozent-Marke. Innerhalb weniger Wo-
chen haben sie um zehn Prozentpunkte
zugelegt und damit auch ihren Regie-
rungspartner, die Grünen (24 Prozent)
abgehängt. Dabei lagen die beiden Par-
teien Anfang des Jahres mit jeweils 29
Prozent kurzfristig sogar gleichauf. Die
Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Ka-
tharina Fegebank träumten zu diesem
Zeitpunkt noch davon, erstmals als
stärkste Partei in die Bürgerschaft ein-
zuziehen und der Stadt so zur ersten
Ersten Bürgermeisterin in der Ge-
schichte zu verhelfen.

„Wir setzen auf Sieg, nicht auf Platz“,
hatte Fegebank damals ihren Partei-
freunden zugerufen. Die Wette wird sie
wohl verlieren, auch wenn die Grünen
ihr Ergebnis von 2015 mit damals 12,
Prozent an diesem Sonntag vermutlich
verdoppeln können. Der grüne Traum,
künftig neben Winfried Kretschmann
auch eine Regierungschefin zu stellen,
wird sich absehbar nicht erfüllen.
Hamburgs Bürgermeister, der auch
seinen Parteifreunden zunächst wie ein
noch etwas stillerer Widergänger des
nach Berlin gewechselten Olaf Scholz

vorkam, hat den strategischen Kurs sei-
nes Vorgängers deutlich entschlossener
korrigiert als viele Sozialdemokraten
das für möglich gehalten hatten. Wie
Markus Söder die CSU in Bayern hat
Tschentscher die Elb-SPD kurzerhand
grün angestrichen.
WWWährend Olaf Scholz den bisherigenährend Olaf Scholz den bisherigen
Koalitionspartner lange Zeit als niedli-
chen, zuweilen auch lästigen „Anbau“
erachtet hatte, erkannte sein Nachfol-
ger in den Grünen frühzeitig den wich-
tigsten Konkurrenten für die an der El-
be über Jahrzehnte hinweg dominante
Sozialdemokratie – und entwendete ih-
nen deshalb die Themen. Klimaschutz,
VVVerkehrswende, Wissenschaft und For-erkehrswende, Wissenschaft und For-
schung – wo immer die Hamburger
Grünen Stärke zeigen wollten, setzte

E


s ist nicht so, dass Christian
Lindner sich keine Mühe ge-
geben hätte. Im Gegenteil.
Abend um Abend hat der
FDP-Vorsitzende in den
vergangenen Wochen in Hamburg ver-
bracht. Rede um Rede hat er hier gehal-
ten. Sehr lange Ansprachen waren das
zum Teil, in denen Lindner alle ihm ver-
fügbaren Register gezogen und viel Ap-
plaus von den Anhängern der hiesigen
Liberalen bekommen hat.
Lindner hat den „rot-grünen Main-
stream“ attackiert und die „Belastun-
gen der Leistungsträger“ gegeißelt. Er
hat den Hamburger Dauerstau kritisiert
und sich für die Erfurter Ministerpräsi-
dentenwahl entschuldigt. Er hat sich
deutlich von der AfD abgegrenzt und
zugleich versucht, deren Themen zu be-
setzen. Er hat für Steuersenkungen plä-
diert und sich über Saskia Esken lustig
gemacht. Auch mal über Jens Spahn, das
ging dann fast schon unter die Gürtelli-
nie. Selbst an diesem Sonnabend will er
noch unterwegs sein zwischen Alster
und Elbe. Lindner kämpft wie kaum ein
zweiter Bundespolitiker in diesem
Hamburger Bürgerschaftswahlkampf.
Und das ist ja auch bitter nötig.

VON ULRICH EXNER
AUS HAMBURG

Seit Anfang Februar, noch vor dem
Thüringer Kemmerich-Debakel, liegt die
FDP in den Umfragen für die Hamburg-
WWWahl an diesem Sonntag konstant beiahl an diesem Sonntag konstant bei
fffünf Prozent. Der Partei – an der Elbeünf Prozent. Der Partei – an der Elbe
seit den 70er-Jahren eine Art politischer
Fahrstuhl-Mannschaft, die das eine Mal
den Aufstieg ins Parlament schafft, das
andere Mal wieder nicht – droht nach
zzzwei erfolgreichen Wahlen in den Jah-wei erfolgreichen Wahlen in den Jah-
ren 2011 (6,7 Prozent) und 2015 (7,4 Pro-
zent) der erneute Abstieg in die außer-
parlamentarische Opposition. Das ei-
gentliche Ziel von Spitzenkandidatin
Anna von Treuenfels, die Partei in Ham-
burg erstmals in ihrer Geschichte zu ei-
nem zweistelligen Wahlergebnis zu füh-
ren, ist weiter entfernt als zu Beginn
dieses Wahlkampfs. Und die FDP ist
nicht allein mit diesem Negativtrend.
AAAuch die anderen drei in der Bürger-uch die anderen drei in der Bürger-
schaft vertretenen Oppositionspartei-
en haben in diesem Hamburger Winter-
wahlkampf keinen einzigen Punkt set-
zen können. Im Gegenteil. Auch die
Umfragewerte von CDU – zuletzt bei
zwölf Prozent, was einen Negativre-
kord bedeuten würde – und Linkspartei

Tschentscher mithilfe seines Bürger-
meister-Amtsbonus noch einen drauf.
„Grüner wird’s nicht“ war der griffi-
ge, den Bündnispartner fast schon vor-
ffführende Slogan, mit dem Tschent-ührende Slogan, mit dem Tschent-
scher in den Bürgerschaftswahlkampf
zog. Eine Masche, die er bis zuletzt
durchgehalten hat. Noch am Donners-
tag, drei Tage vor der Wahl, präsen-
tierte der Senatschef einen Plan zum
vorzeitigen Rückbau des Kohlekraft-
werks Moorburg. Ein Bauwerk, gegen
das die Grünen jahrelang gekämpft
hatten. Entsprechend sauer reagierten
sie auf Tschentschers späten Wahl-
kampf-Coup.
Eine zweite große Linie haben
Tschentschers Hamburger Sozialde-
mokraten in den vergangenen Monaten
konsequent durchgezogen. Sie mar-
kiert die maximale Distanz zum Bun-
desvorstand und damit zum negativen
Bundestrend ihrer Partei. Saskia Esken
und Norbert Walter-Borjans, die bei-
den SPD-Vorsitzenden, waren für die
Dauer des Wahlkampfs unerwünschte
Personen an der Elbe. Geladen als
WWWahlkampfhelfer wurden stattdessenahlkampfhelfer wurden stattdessen
gestandene Ministerpräsidenten wie
Malu Dreyer und Stephan Weil oder
Bundesminister wie Franziska Giffey
und Hubertus Heil. Und auch inhalt-
lich hielt Tschentscher größtmögli-
chen Abstand zum Linkskurs der neu-
en Parteispitze.
Eine Mietpreisbremse wie im rot-rot-
grün regierten Berlin sucht man im
Wahlprogramm der Elb-Sozialdemokra-
ten ebenso vergeblich wie den Versuch,
weitere staatliche Ausgaben durch Steu-
ererhöhungen zu erzielen. Jede klima-
politische, jede verkehrsberuhigende
Maßnahme, so Tschentschers Mantra,
dürfe nur mit, nicht gegen Unterneh-
men und Unternehmer ergriffen wer-
den. „Wir sind ein sehr eigenständiger
Landesverband und unterscheiden uns
in vielen Punkten von anderen Landes-
verbänden und der Bundes-SPD“, sagte
Tschentscher. „Wir sind zum Beispiel
besonders wirtschaftsfreundlich. Wir
sind handlungsorientiert und kompe-
tent in der Regierungsarbeit.“
Letzteres wird Tschentscher wohl
auch nach diesem Wahlsonntag nach-
weisen dürfen. Vermutlich wie bisher in
einem Bündnis mit den Grünen, das er
selbst durchgehend als „nahe liegend“
bezeichnet hat. Der rechnerisch ver-
mutlich auch mögliche Wechsel zur
CDU dürfte ihm die Verhandlungen so-
gar noch etwas leichter machen.

Werden das Bündnis
vermutlich fortsetzen:
Peter Tschentscher
(SPD) und Katharina
Fegebank (Grüne)

ROT-


GRÜNER


OT-


RÜNER


OT-


WIRD’S NICHT


Mit einem Wahlkampf, der maximale


Distanz zur eigenen Bundespartei hält,


marschiert die SPD in Hamburg allen


anderen Parteien davon – das liegt auch


am fehlenden Profil der Opposition


DPA

/CHRISTIAN CHARISIUS

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22.02.20 Samstag, 22. Februar 2020DWBE-HP


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DIE WELT SAMSTAG,22.FEBRUAR2020* POLITIK 7


V


erkehrte WWWelt: Ungarn hat imelt: Ungarn hat im
vergangenen Jahr nur 60 Asylbe-
werber anerkannt, Deutschland
dagegen 70.329. Und Österreich hatte
im Jahr 2019 annähernd so viele Ab-
schiebungen und freiwillige Ausreisen
wie Asylanträge. Ganz anders hierzulan-
de – in Deutschland war die Zahl der
Asylanträge ungefähr dreimal höher als
die Zahl der Ausreisen. Wie kann das
sein? Gelten doch in allen drei EU-Län-
dern im Wesentlichen die gleichen euro-
päischen Rechtsgrundlagen, wie bei-
spielsweise die Asylverfahrensrichtlinie,
die Richtlinie über die Aufnahmebedin-
gggungen und die Anerkennungsrichtlinie.ungen und die Anerkennungsrichtlinie.

VON CHRISTOPH B. SCHILTZ
UND MARCEL LEUBECHER
AUS BRÜSSEL/BERLIN

Diese EU-Gesetze legen fest, welche
Rechte Bewerber während des Asylver-
fffahrens haben und welche Entschei-ahrens haben und welche Entschei-
dungskriterien für eine Anerkennung
oder Ablehnung relevant sind. Allerdings

lassen diese Gesetze für ein sogenanntes
Gemeinsames Europäisches Asylsystem
den Mitgliedstaaten relativ große Spiel-
räume. Darum arbeiten die Mitgliedstaa-
ten an einer Neufassung, die noch stär-
ker auf eine Vereinheitlichung setzt. Die
Regierungen können sich aber seit Jah-
ren nicht darüber einigen.
In Ungarn lag die Anerkennungsquo-
te bei Asylanträgen im vergangenen
Jahr nach Angaben der Landesgeneral-
direktion für fremdenpolizeiliche Ange-
legenheiten bei zwölf Prozent, nach
mehr als 50 Prozent im Jahr 2018 – in
Deutschland lag sie hingegen laut Bun-
desinnenministerium im vergangenen
Jahr bei 38 Prozent. In Ungarn wurden
im vergangenen Jahr nur 500 Schutzan-
träge bearbeitet, in Deutschland
184.000. Davon erhielten 45.053 Perso-
nen (24,5 Prozent) Flüchtlingsschutz,
weitere 19.419 Personen (10,6 Prozent)
einen sogenannten subsidiären, also
eingeschränkten Schutz. Für 5857 Per-
sonen, darunter viele Schwerkranke,
wurde ein Abschiebeverbot verhängt.

Ein Grund für den starken Rückgang
der Anerkennungsquoten in Ungarn
kann theoretisch sein, dass sich die Her-
kunftsstaaten der Asylbewerber geän-
dert oder sich die politischen Bedingun-
gen im Herkunftsland innerhalb eines
Jahres deutlich verbessert haben. Ex-
perten halten es jedoch für wahrschein-
lich, dass die Höhe der Anerkennungs-
quoten in Ungarn weitgehend politisch
motiviert ist und die Regierung unter
Ministerpräsident Viktor Orbándie
Zügel in 2019 gegenüber dem Vorjahr
angezogen hat.
Die Anerkennungsquote ist aber
nur eine Seite der Medaille. Mindes-
tens genauso interessant ist die Fra-
ge, warum in Ungarn deutlich weni-
ger Menschen einen Antrag auf Asyl
stellen als in Deutschland. Nun hat
Deutschland mehr als achtmal so vie-
le Einwohner wie Ungarn, aber das
kann nicht die Erklärung sein für die
großen Unterschiede. Der Grund ist
vielmehr, dass Ungarn mit einem Mix
aus Rechtsbrüchen, teilweise gewalt-

samen Zurückweisungen an der Gren-
ze zu Serbien und einer harten Gang-
art gegenüber Migranten die meisten
Schutzsuchenden von vornherein von
einem Asylantrag abhält: Sie machen
möglichst einen großen Bogen um das
Land.
So warf der Europarat Ungarns Re-
gierung in der Vergangenheit vor, mit

Stockschlägen, Tritten und Hundeatta-
cken gegen Migranten vorzugehen. Er
rief Ungarn auch auf, die Zurückweisun-
gen nach Serbien ohne Prüfung des
Asylantrags und unter zeitweiligem
Einsatz von Pfefferspray zu beenden.
Im vergangenen Jahr gab es Berichte,
dass Migranten in den Transitzentren
tagelang kein Essen erhalten hätten.
Außerdem ist es schwer für Asylbewer-
ber, mit Nichtregierungsorganisationen
in Kontakt zu treten.
Zudem können nur wenige Asylbe-
werber pro Tag überhaupt einen Antrag
stellen. Die EU-Kommission hat Un-
garn wegen Verstößen gegen die euro-
päische Asylgesetzgebung bereits mehr-
fach vor dem Europäischen Gerichtshof
(EuGH) verklagt. Trotzdem will die Re-
gierung Orbán möglichst keine Asylbe-
werber im Land haben. „Die ungarische
Regierung setzt den Kampf zur Durch-
setzung des Willens der ungarischen
Menschen fort“, kündigte Justiz-Staats-
sekretär Jano Völner im vergangenen
Herbst an.

Zwischen Österreich und Deutsch-
land zeigt sich mit Blick auf Abschiebun-
gen ebenfalls ein großes Gefälle. In
Deutschland gab es im vergangenen Jahr
insgesamt 165.938 Asylanträge, aber nur
2 2.097 Abschiebungen sowie rund
2 5.000 freiwillige Ausreisen. Die exakte
Zahl der freiwilligen Ausreisen wird da-
bei in Deutschland nicht erhoben. Die
Zahl der Abschiebungen ist in Deutsch-
land seit vier Jahren leicht und die Zahl
der freiwilligen Ausreisen stark rückläu-
fffig. In ig. In Österreich sieht die Abschie-
bungsbilanz anders aus: Laut Wiener In-
nenministerium gab es 12.511 Asylanträge
und 12.245 „Außerlandesbringungen“,
darunter 6677 Abschiebungen und 5568
fffreiwillige Ausreisen. Grund für die Un-reiwillige Ausreisen. Grund für die Un-
terschiede zum Nachbarland ist die
strengere Durchsetzung der Ausreise-
pflicht. Abgelehnte Asylbewerber erhal-
ten dort weniger leicht Duldungen für
den Arbeitsmarkt und andere Integrati-
onsmaßnahmen. Zudem wird etwa die
AAAbschiebehaft dort häufiger genutzt, umbschiebehaft dort häufiger genutzt, um
ein Untertauchen zu verhindern.

6 0 anerkannte Asylbewerber in Ungarn, in Deutschland 70.


Für alle EU-Mitglieder gelten die gleichen Richtlinien – eigentlich. Doch hierzulande ist die Anerkennungsquote viel höher als in Ungarn und Österreich


Gravierende Unterschiede

Quelle: eigene
Recherche

Anerkannte Asylbewerber ����

Deutschland
��.���

Österreich
����

Ungarn
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B


eim EU-Gipfel zum nächsten Sie-
ben-Jahres-Haushalt sind die
Fronten verhärtet. Friedrich Hei-
nemann, Experte für öffentliche Finanz-
wirtschaft am ZEW in Mannheim, erklärt
die Gründe.

WELT: Herr Professor Heinemann, in
Brüssel wird um den EU-Haushalts-
rahmen 2021 bis 2027 gerungen. Um
wwwie viel Geld geht es konkret?ie viel Geld geht es konkret?
FRIEDRICH HEINEMANN: Es geht jetzt
um den Finanzrahmen für diese sieben
Jahre. Das ist eine Größenordnung zwi-
schen einer Billion und 1,3 Billionen Euro.
Das hört sich viel an, heruntergerechnet
aaaufs Jahr bedeutet das aber, dass derufs Jahr bedeutet das aber, dass der
Haushalt heute eine Größenordnung von
111 50 Milliarden Euro für alle 27 EU-Staaten50 Milliarden Euro für alle 27 EU-Staaten
hat. Am Bundeshaushalt gemessen ist das
eine deutlich geringere Größenordnung.
Man kann das auch auf Kosten pro Kopf
herunterrechnen. Das ist etwa aus Sicht
eines Deutschen eine Größenordnung
von 250 bis 300 Euro pro Jahr. Wir reden
hier also im Monat von Ausgaben von
rund 25 Euro pro Kopf.

WWWas macht das so kompliziert?as macht das so kompliziert?
Es ist schwierig, weil der europäische
Haushalt eine große Umverteilungsma-
schinerie ist. Zwei Drittel des Geldes wird
üüüber Agrartransfers und die Mittel für ar-ber Agrartransfers und die Mittel für ar-
me Regionen ausgeschüttet. Die Regie-
rungen der Mitgliedsstaaten, aber auch
vvviele im Europäischen Parlament, wolleniele im Europäischen Parlament, wollen
fffür ihre heimischen Wahlkreise so viel he-ür ihre heimischen Wahlkreise so viel he-
rausholen wie möglich. Das ist einfach ein
heftiger Verteilungskampf, der sich da
jetzt abspielt.

AAAgrartransfers und Mittel für arme Re-grartransfers und Mittel für arme Re-
gionen – subventioniert die EU da hin-
ter Problemen her, die eigentlich
schon gelöst sind?
Die Schwerpunkte der EU sind Schwer-
punkte aus dem vergangenen Jahrhun-
dert. Das sind aber nicht die richtigen
AAAusgabeprioritäten im 21. Jahrhundert.usgabeprioritäten im 21. Jahrhundert.
Jetzt im Kommissionsvorschlag steht: In
den sieben nächsten sieben Jahren sollen
etwa 250 Milliarden Euro an Direktzah-
lungen an Bauern fließen. Das ist eigent-
lich eher irrwitzig. Diese Direktzahlungen
sind sehr problematisch, weil oft sie an
sehr wohlhabende Bauern gehen. Sie er-
reichen auch ihre ökologischen Ziele
nicht. Europa macht da genau das falsch.
AAAber die Tragödie ist, dass die Politikerber die Tragödie ist, dass die Politiker
eben diese Mittel haben wollen für ihre
heimatlichen Wahlkreise. Sie stellen nicht
die Frage: Wo kann man wirklich europäi-
schen Mehrwert erzielen?

WWWo wäre das Geld besser aufgehoben?o wäre das Geld besser aufgehoben?
Migrationssteuerung, Außengrenzen, Ver-
teidigung, Forschung, Innovation, Digita-
lisierung, Entwicklungshilfe: Diese Felder
haben zwar aus Sicht einer nationalen Re-
gierung nicht unbedingt den Reiz, dass
messbar Geld in das eigene Land fließt,
aaaber sie lösen europäische Probleme. Dieber sie lösen europäische Probleme. Die
Bürger hätten viel davon, das sind echte
europäische Aufgaben. Da umzusteuern
ist sehr schwer, weil es eben diese Ein-
stimmigkeit gibt – und kein Empfänger
aaauch nur einen Euro verlieren will.uch nur einen Euro verlieren will.

Mit dem Brexit schrumpft die EU, aber
Länder wie Deutschland sollen sogar
etwas mehr zahlen. Warum?
Das Vereinigte Königreich war einer der
berühmten Nettozahler. Es hat also mehr
in die Brüsseler Kasse gezahlt als es he-

rausbekommen hat. Daher kommen auf
ein Land wie Deutschland mehr Aufgaben
und Finanzierungserfordernisse zu. Das
betrifft aber auch eine Reihe weiterer
Staaten, Niederlande, Finnland oder
Schweden beispielsweise. Man muss aber
wirklich die Kirche im Dorf lassen. Wir
reden hier von der Größenordnung von
rund einem Prozent der europäischen
Wirtschaftsleistung. Das ist nicht das,
was Deutschland oder ein anderes Land
arm macht. Die entscheidende Frage ist
nicht, was uns das kostet, sondern, was
wir dafür bekommen. Wenn das Ergebnis
am Ende eine umfassende Digitalisie-
rungspolitik oder einen Einstieg in eine
umfassende europäische Klimapolitik ist,
dann ist das jeden Euro wert. Aber diese
Umsteuerung muss eben passieren.

Den Umstieg in der Klimapolitik hat
Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen mit ihrem „Green Deal“
vollmundig angekündigt. Zeigt sich
jetzt erst in den Haushaltsverhandlun-
gen, ob das tatsächlich klappt?
Ja, ich habe große Sorge, dass der „Green
Deal“ im Haushalt ein Alibi dafür sein
wird, weiterzumachen wie bisher. Darin
sind die Brüsseler sehr versiert. Viele wol-
len um die ganzen Zahlungen ein grünes
Label hängen, sodass sie sagen können:
Das sind zwar immer noch Direktzahlun-
gen an die Landwirte, aber in Zukunft
sind das klimapolitische Direktzahlungen
an die Landwirte. Schaut man aber genau
hin, sind damit überhaupt keine wirklich
bindenden Auflagen verbunden.

WWWoran erkennt man am Ende, ob dieoran erkennt man am Ende, ob die
VVVerhandlungen vernünftig waren? erhandlungen vernünftig waren?
Gerade das Europäische Parlament liefert
da leider ein etwas trauriges Bild. Da
heißt es, dass nur eine ganz großes auch
ein gutes Budget ist. Viele Abgeordnete
machen es sich sehr leicht und sagen: Wir
wollen alles wie bisher finanzieren, und
die neuen Ziele kommt dann noch dazu.
Das ist einfach kein verantwortungsvoller
Umgang mit dem Geld. Man kann den Er-
fffolg nicht daran festmachen, wie groß dasolg nicht daran festmachen, wie groß das
Budget ist.

Sondern?
Zum Beispiel muss es um die Frage ge-
hen, ob es nennenswerte Einschnitte et-
wa in der Kohäsionspolitik gibt. Also
wird Europa weiter diesen Wahnwitz be-
treiben, dass wir auch sehr viel Geld in
reiche Länder, in reiche Regionen schi-
cken. So stiftet man keinen echten Nut-
zen. Also wenn wir an den Stellen Ein-
schnitte kriegen, ist das ein gutes Zei-
chen. Provokativ gesagt würde ich so
weit gehen: Wenn es anschließend wirk-
lich massenhafte Proteste von Regionen,
von Bundesländern und von Bauern gibt,
dann ist das ein gutes Zeichen, dass Eu-
ropa endlich bereit ist, konfliktbereit an
den Haushalt heranzugehen.

TDas Interview führte der stellver-
tretende WELT-Chefredakteur Robin
Alexander (gekürzte Version). Es er-
schien ebenfalls in Auszügen in Gabor
Steingarts werktäglichem Newsletter
„Morning Briefing“ und als Gespräch
in „Morning Briefing: Der Podcast“.

„EU-Haushalt ist eine große


Umverteilungsmaschinerie“


FFFriedrichriedrich
Heinemann
ANNA LOGUE

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