Neue Zürcher Zeitung - 06.03.2020

(Jacob Rumans) #1

12 MEINUNG & DEBATTE Freitag, 6. März 2020


DieserFasnächtler vor demBasler Rathaus hat sich gegen vielerleigewappnet. G. KEFALAS / KEYSTONE

Jetzt einen


kühlen Ko pf


bewahren


Das Coronavirus beunruhigt die Gesellschaft und stellt Firmen


vor schwierige Fragen. Es brem st die Wirtschaft vorübergehend.


Staatliche Konjunkturprogramme würden daran nichts ändern


und wären später kontraproduktiv.Von Peter A. Fischer


Ökonomen nennen das, was jetzt derWirtschaft
passiert, einen Schock. Dierasche Verbreitung des
Coronavirus ist allerdings primär ein medizinischer
Schock, der unsallen die Unsicherheit und die Un-
wägbarkeiten des Lebens und dessen Endlichkeit
plötzlich beunruhigend vorAugen führt.
Dank denVorkehrungen des 2016 in Kraft ge-
tretenen, damals vor allem wegen eines möglichen
Impfzwangs umstrittenen neuen Epidemiegeset-
zes trifft der medizinische Coronavirus-Schock
die Schweiz nicht unvorb ereitet. Es gilt, dieAus-
breitung desVirus wenn nicht zu stoppen, so doch
möglichst so zu verlangsamen,dass besonders Ge-
fährdete geschützt werdenkönnen und Erkrankten
wirksamgeholfen werden kann.Weil jeder Betrof-
fene schnell mehrere ansteckt, die wiederum meh-
rere andere anstecken, kann ein beherztes Ein-
greifen am Anfang den künftigen Schaden deut-
lich reduzieren. Theoretisch am wirksamsten wäre
es, die Grenzen dichtzumachen, alle Menschen für
gut zweiWochen zu Hause einzusperren und da-
nach nurGesunde wieder herauszulassen.Doch das
wäre so wenig praktikabel wie sinnvoll. Es gilt jetzt,
ruhig Blut zu bewahren und die wirtschaftlichen
Folgen imAuge zu behalten.
In China verbessert sich dieLage – wohl auch
dank den dort ergriffenen rigorosen Massnahmen



  • bereits wieder. Das lässt hoffen, dass sich die
    Coronavirus-Epidemie «nur» als eine besonders
    ansteckende und aggressive Grippewelle und damit
    als ein temporärer Schock erweist, der abgefedert
    werden kann und innert nützlicherFrist wieder ab-
    ebbt. Sollte es sich dabei zeigen, dass die Schwei-
    zer Gesundheitsversorgung damit überlastet ist und
    temporär zusätzliche Mittel braucht, gilt es diese
    unbürokratisch bereitzustellen und daraus Lehren
    und Vorkehrungen für die nächsteWelle zu ziehen.


Von zwei Seiten unter Druck


Pandemiepläne sollten fürFirmen eigentlich seit
längerem zum Risikomanagement gehören.Kluge
haben sichrechtzeitig versichert. Doch ähnlich wie
beimFranken-Schock wirkte das Risiko für viele
allzu theoretisch. Nun trifft sie das Coronavirus
gleich doppelt.Auf der Angebotsseite fallen Zu-
lieferungen aus und zeigen sich die Schwächen der
auf Kosteneffizienz getrimmtenJust-in-time-Pro-
duktion. Und angesichts der Gefahr, dass sich ein
Mitarbeiter ansteckt und ganzeTeams unter Qua-
rantäne gestellt werden müssen, verbieten Krisen-
stäbe inFirmen nun sorgenvoll Dienstreisen,Kon-
ferenzen und Meetings. Manche fordern inTeams
die Hälfte auf, zu Hause zu bleiben, damit nicht
gleich das ganzeTeam unter Quarantäne gestellt
werden muss, sollte einerinfiziert werden.Die Pro-
duktion gerät ins Stocken.
Gleichzeitig trifft der Schock auch die Nach-
frage. Firmen stornieren ihreWerbeanzeigen, weil
sie ausbleibende Einnahmen kurzfristig mitKos-
teneinsparungenkompensieren wollen.Airlines las-
sen ihre Flugzeuge am Boden,weilsich dasFliegen
mangelsPassagieren nicht mehr lohnt.Veranstal-
tungen werden verboten, Menschen bleiben vor-
sichtshalber lieber zu Hause, statt in dieFerien zu
fahren, insRestaurant oder ins Kino zu gehen. Der
Präsident desBasler Gastgewerbeverbands schätzt,
dass die Absage derFasnacht und der Uhrenmesse
«Baselworld» dieBasler Restaurants und Hotels
drei Viertel ihres normalen Umsatzeskostet und
manche in ernsthafte Nöte bringt.
All das wird nicht ohneFolgen bleiben. Den-
noch besteht wirtschaftlich gesehen weniger Grund
zu Alarmismus, als dies auf den ersten Blick er-
scheinen mag. Entscheidend für den weiterenVer-
lauf wird sein, wie lange dieVorsichtsmassnahmen
die Wirtschaft bremsen, wie schnell sich die Un-
sicherheit legt und wann und wie wieder zu einem
einigermassen normalen (Geschäfts-)Leben zu-
rückgekehrt werden kann. Dann kann einiges auf-
geho lt undkönnen geleerteLager wieder aufge-
füllt werden.Auch auf der Nachfrageseite ist zu er-
warten, dass viele den verpasstenKonsum nach-
holen werden.
Bis dahin gilt es Krisenmanagement zu betrei-
ben. In einer Marktwirtschaft liegt dieVerantwor-
tung dafür primär bei den privatenFirmen selbst.
Diesesind das in der Schweiz schon vonder Infek-
tionskrankheitSars,derFinanzkriseoderdemFran-
ken-Schock gewohnt.Wichtig ist allerdings, dass ein
Schock nicht so plötzlich und intensiv wirkt,dass er
eigentlich solvente und wettbewerbsfähigeFirmen
in denAbgrundreisst.Um dies zu verhindern,kön-
nen staatliche Institutionen versuchen, den Schock
abzufedern.
In derFinanzkrise haben das vor allem die Zen-
tralbanken mit Zinssenkungen und dem Fluten der
Märkte mit billigem Geld getan. Prompt fordert
nun nicht nur der amerikanische Präsident Donald
Trump, sondern auch der Präsident des Schweizeri-
schenGewerkschaftsbundes, Pierre-Yves Maillard,
erneut eineRettung derKonjunktur mit Geldern
der Nationalbank.Dass dasFed dieseWoche be-
reits reagiert und seinen Leitzins um 0,5 Prozent-
punkte gesenkt hat,ist schwer nachzuvollziehen.
Denn wenn Firmen mangels Zulieferungen und
Personal nicht produzierenkönnen und Menschen
aus Angst vor Infektionen das Haus nicht verlas-
sen,vermögen auch um einen halben Prozentpunkt
günstigere Kredite daran nichts zu ändern.


In der Schweiz hatWirtschaftsminister GuyPar-
melin einen rundenTisch einberufen, an dem am
Donnerstag Sozialpartner undWirtschaftsvertreter
ihre Sicht der Dinge artikulierten.Tatsache ist,dass
mit der Kurza rbeitsentschädigung schon ein zen-
trales Instrument zurDämpfung der Krise bereit-
steht. Dieses will Arbeitsplätze erhalten, indem die
Entschädigung unverschuldete, temporäre Beschäf-
tigungseinbrüche überbrückt.Dabei gilt es aller-
dings zu verhindern, dass sich «Zombie-Firmen»
auf Kosten der Steuerzahler überWasser halten.
Wenn sieKurzarbeitsentschädigungen beantragen,
müssen Arbeitgeber deshalb den Bedarf nachwei-
sen undsich an denKosten beteiligen.Das Instru-
ment eignet sich gut für die gegenwärtige Corona-
virus-Situation. Gegebenenfallskönnte die Bean-
tragung etwas vereinfacht und dieDauer der Be-
zugsberechtigung – derzeit sind es maximal zwölf
Monate – verlängert werden.

Einfallstor für Lobbyisten


Wenn die Nachfrage plötzlich ausfällt und dieKos-
ten weiterlaufen, geratenFirmen womöglich in Li-
quiditätsengpässe. Ein vorsichtiges Liquiditäts-
management gehört zum normalen Risikomanage-
ment. Haben gesundeFirmen Liquiditätsprobleme,
sollten die Hausbanken ihr ersterAnsprechpartner
sein. Diesekennen ihreKunden und haben ein In-
teresse daran, sie nicht zu verlieren.In derFranken-
krise hat das vielenorts gut funktioniert.Für einen
staatlichen Liquiditätsfonds, wie er derzeit bereits
gefordert wird, sind die Bedingungen derzeit jeden-
falls nicht gegeben.Wen dieser wie unterstützen
sollte, würde mehrFragen aufwerfen als beantwor-
ten undTür undTor öffnen für Lobbyisten.Das
käme die Steuerzahler schnell teuer zu stehen.Wür-
den sich später die Liquiditätsengpässe auf breiter
Basis verschlimmern, sollten eher Kreditversiche-
rungen und die temporäre Stundung oder teilweise
Reduktion von Steuerforderungen geprüft werden.
Wenn privateVeranstalter und Lokale in eine
schwierigeSituationkommen,weilihnendieöffent-

liche Hand wochenlang dieDurchführung vonVer-
anstaltungen verbietet, kann ordnungspolitisch
argumentiert werden, dieskomme einer temporä-
ren Enteignung gleich und sei deshalb vom Staat
zu kompensieren. Allerdings würden sich dann
schnell schwierige Abgrenzungsfragen stellen.Das
vomVolkangenommeneEpidemiegesetzsiehtzwar
in besonderenFällen Entschädigungen für ander-
weitignichtgedecktebesondereAufwändevor,aber
explizitkeinespezifischeKompensationfürgesund-
heitspolitisch motivierte allgemeine Einschränkun-
gen. Das öffentliche Interesse geht hier vor.
Rufe nach grossen Konjunkturpaketen, wie
sie nun vereinzelt in der Schweiz und verstärkt in
Deutschland ertönen, zielen hingegen ins Leere.
Strassen bauen oder fürs Klima Heizungen sanie-
ren bringt weder Beschäftigte wieder an dieArbeit
noch unterbrochene Zulieferkett en in Gang. Staat-
licheKonjunkturpakete wirken immer nur mit
grosserVerzögerung und machen in der Erholung
privaten Projekten unnötigKonkurrenz. Erstrecht
absurd ist die Idee, die Nationalbank nun (Heli-
kopter-)Geld verteilen zu lassen. Das ist erstens
nicht dieAufgabe derWährungshüter, und zwei-
tens würde zusätzliches verfügbares Einkommen in
der jetzigen Situation wohl bloss gespart.
Sicher, das Co ronavirus stellt neben den Infizier-
ten auchFirmen und ihre Beschäftigten vor schwie-
rige Herausforderungen und wird an derWirtschaft
nicht spurlos vorübergehen.Es gilt jetzt einen küh-
len Kopf und die Proportionen zu bewahren. Die
Krise wird wahrscheinlich die Nutzung digitaler
Möglichkeiten wie Home-Office, Videokonferen-
zen oderkontaktloses Bezahlen beschleunigen
und zum Hinterfragen von allzu einseitigen Ab-
hängigkeiten führen. Gute Gründe für eine breite
staatliche Stützung derWirtschaft aufKosten der
Steuerzahler gibt es aber bis jetztkeine. Eine ge-
sundeWirtschaft braucht einen schlanken Staat,der
erst eingreift, wenn und wo es wirklich nötig ist.

Haben gesunde Firmen


Liquiditätsprobleme,


sollten die Hausbanken ihr


erster Ansprechpartner sein.

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