Neue Zürcher Zeitung - 06.03.2020

(Jacob Rumans) #1

2 INTERNATIONAL Freitag, 6. März 2020


MichelBarnier erläutertin Brüssel denVerlauf der Gespräche mit Grossbritannien. AP

Barnier sieht viele ernste Differe nzen


(dpa/Reuters)· Zahlreiche Gegensätze
haben die Nach-Brexit-Verhandlungen
zwischen der EU und Grossbritannien
aus EU-Sicht bestimmt. Es gebe «viele,
sehr ernste Differenzen», sagte EU-
Chefunterhändler MichelBarnier am
Donnerstag in Brüssel nach Abschluss
der erstenVerhandlungsrunde mit Lon-
don.Dabei gehe es etwa um die Aner-
kennung von EU-Standards, dieRolle
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
und ein Abkommen zurFischerei. Bar-
nier betonte, ein Abkommen sei aus sei-
ner Sicht aber möglich, «auch wennes
schwierig ist». Grossbritannien war am


  1. Januar aus der EU ausgetreten.In
    einer Übergangsphase bisJa hresende
    bleibt dasLand noch im EU-Binnen-


markt und in der Zollunion. In dieser
Zeit wollen beide SeitenVereinbarun-
gen zu ihren künftigen Beziehungen
schliessen und insbesondereein Han-
delsabkommen abschliessen. An der
erstenVerhandlungsrunde nahmen laut
Barnier auf jeder Seite etwa 110 bis 120
Experten teil. Allein von der EU seien
Fachleute aus 22 Generaldirektionen
der EU-Kommission dabei gewesen.
Die Gespräche seienineinem «freund-
lichen undkonstruktiven Geist» verlau-
fen. Die Briten hätten dabei immer wie-
der auf ihre Unabhängigkeitverwiesen
— diestelle in der EU aber niemand in-
frage, betonteBarnier auf einer Medien-
konferenz ohne Beteiligung des briti-
schen ChefunterhändlersDavidFrost.

Mattarella


appelliert an


denGemeinsinn


awy. Rom· Die Bedrohung durch das
Coronavirus löse verständliche Sorgen
aus, aber «wir müssen Zustände unbe-
gründeter Angst unbedingt vermeiden»


  • so hat Italiens Präsident Sergio Matta-
    rella am Donnerstagabend in einerFern-
    sehansprache erklärt. Er appellierte an
    dasVerantwortungsbewusstsein seiner
    Landsleute. DieRegierung habe Anwei-
    sungen zumVerhalten im Alltag erlas-
    sen, sie seien einfach und wichtig, es gehe
    darum, eineAusweitung der Epidemie
    zu vermeiden. Man solle sie genau be-
    folgen, auch wenn man einige Gewohn-
    heiten für einige Zeit aufgeben müsse.
    So werde ein jeder seinen Beitrag leis-
    ten, die Notlage zu überwinden.
    Mattarella stellte klar, dass in der jet-
    zigenLage allein dieRegierung inRom
    Regie führe.Zuwiderlaufende Anord-
    nungen von Regional- oder Lokal-
    behörden dürfe es nicht geben. Es brau-
    che Einigkeit, um dasVirus zu besiegen.
    Das gelte für die Institutionen, diePoli-
    tik, im Alltagsleben und für die Medien.
    Dies war eineAufforderung des Präsi-
    denten an alle Akteure, öffentlich ausge-
    tragenesGezänk sofort einzustellen und
    sich auf dasWesentliche, auf die Abwehr
    desVirus eben, zukonzentrieren.
    Beschwörend sagte der Präsident:
    «Wir sind ein grosses, modernesLand mit
    einem guten Gesundheitswesen.» Man
    werde die Zustände dieserTage über-
    winden, dank der unermüdlichen Arbeit
    der Ärzte und des Pflegepersonals. Am
    Donnerstagabend wurden offiziell 3858
    Fälle von Coronavirus-Infizierten gemel-
    det, das waren 769 mehr als amVortag.


Ungarn droht Schlappe vor


Europäischem Gerichtshof


(dpa)· Im Streit über sein Hochschul-
gesetz droht Ungarn eine Nieder-
lage vor dem Europäischen Gerichts-
hof (EuGH).Das 20 17 geänderte Ge-
setz, das sich gegen die vom Milliardär
George Soros geförderte Central Euro-
pean University (CEU)richtete,ver-
stösst aus Sicht der zuständigen EuGH-
Gutachterin gegen EU-Recht. Der
Klage der EU-Kommission dagegen
sollestattgegeben werden, empfahl die
GutachterinJulianeKokottam Don-
nerstag. Ein Urteil der obersten EU-
Richter wird in einigenWochen erwar-
tet. Oft folgt der EuGH seinen Gutach-
tern. DerFall ist politisch brisant. Kri-
tiker unterstellten derrechtsnationalen
Regierung unter MinisterpräsidentVik-
tor Orban, mit dem Gesetz die CEU aus
Ungarn vertreiben zu wollen. Die von
Soros geförderte Hochschule verkün-


IN KÜRZE


Europarat rügtTschechien
wegenKorruption
(dpa)· Wegen Mängeln bei derKorrup-
tionsbekämpfung hat Tschechien Kritik
aus Strassburgerhalten. Die Staaten-
gruppe gegenKorruption des Europa-
rats (Greco) bezeichnete die Umsetzung
früherer Empfehlungen am Donnerstag
als «generell unbefriedigend». Von 14
Punkten seien 7 teilweise implementiert
worden und nur einer ganz. DieRegie-
rung in Prag habekeine Massnahmen ge-
troffen, um den Gesetzgebungsprozess
transparenter zu machen.Weder seien

Israel zerstört Häuservon
mutmasslichenAttentätern
(afp)· Israelische Soldaten haben am
Donnerstag die Häuser von zweiPaläs-
tinensern zerstört, die an einem Bom-
benanschlag imWestjordanland betei-
ligt gewesen sein sollen.Wie die israeli-
sche Armee mitteilte, wurden ein Haus
inRamallah und eines in Bir Zeit zer-
stört. ProtestierendePalästinenser hät-
ten Steine und Brandsätze auf die israe-
lischen Soldaten geworfen undReifen
in Brand gesteckt. Die Soldaten lösten
die Proteste mit nicht näher beschriebe-
nen Mitteln auf. Bei dem Anschlag im
vergangenenAugust war ein israelisches
Mädchengetötet worden.

USA schieben ehemaligen
KZ-Wachmann ab
(dpa)· Ein amerikanisches Gericht hat
die Abschiebung eines Deutschen an-
geordnet, weil dieser 1945 Wachmann
in einemKonzentrationslager war. Der
im US-Gliedstaat Tennessee ansäs-
sigeFriedrich KarlB.habe1945 «frei-
willig als bewaffneter Gefängniswäch-
ter in einemKonzentrationslager ge-
dient» und damit dasVorgehen des
Naziregimes unterstützt, erklärte Rich-
terinRebecca Holt. Er habe gestanden,
alsWachmann in einemAussenlager
des HamburgerKonzentrationslagers
Neuengamme nahe dem niedersächsi-

EU-Mitglieder uneinig
über Klimaziele für 20 30
(afp)· Die Mitgliedstaaten der EU sind
sich uneins, ob die Klimaziele der EU
bis 2030 rasch höhergesteckt werden
sollten.Vertreter einerReihe vonLän-
dern sprachen sich am Donnerstag bei
einemTr effen der Umweltminister in
Brüssel für höhere Ziele bei derReduk-
tion vonTr eibhausgasen aus. Das bis-
herigeVorhaben, dieTr eibhausgasemis-
sionen um 40 Prozent zu senken,reiche
nicht, um Europa bis Mitte desJahr-
hunderts klimaneutral zu machen, sagte
die deutsche UmweltministerinSvenja
Schulze.DerVorschlag der EU-Kom-
mission, bald auf 50 bis 55 Prozent zu
gehen, sei aus ihrer Sicht «sehr gut».
Ähnlich äusserten sich ihreKollegen aus
Frankreich, Spanien und Österreich. Die
Kommission hatte am Mittwoch ein Ge-
setzesvorhaben vorgelegt, mit dem erst-
mals das Ziel festgeschrieben werden
soll, Europa bis zumJahr 2050 klima-
neutral zu machen.Einneues Zwischen-
ziel für 2030 formulierte sie allerdings
vorerst nicht.

schen Meppen Gefangene bewacht zu
haben, erklärte das US-Justizministe-
rium am Donnerstag. B.beziehe eine
deutscheRente, unter anderem auch für
seinen «Kriegsdienst». Das Justizminis-
terium machtekeine Angaben zum Al-
ter des Mannes. Es blieb auch unklar,
seit wann er in den USA lebte.

dete dann Ende 20 18 tatsächlichden
Umzug von Budapest nachWien.Das
Gesetz schreibt vor, dass ausländische
Universitäten auch im Heimatland leh-
ren müssen und der Betrieb von Ungarn
vertraglich mit dem Heimatland verein-
bart sein muss. Aus Sicht von General-
anwältinKokottschränkt das Gesetz
dieFreiheit zur Gründung und zum Be-
trieb von Lehranstalten und dieWissen-
schaftsfreiheit ein.

AUFGEFALLEN


Wieder amerikanische


Medienhilfe für Osteuropa


Andreas Ernst· Wiederholt sich die Geschichte?Wenn sie es
tut, sagt Marx, dannkehrt dieTr agödie alsFarce wieder:Ra-
dioFree Europe (RFE) ist zurück in Ostmitteleuropa und auf
demBalkan. DieRadiostation war1949 alsWaffe im Propa-
gandakrieg gegen die Sowjetunion gegründet worden.Finan-
ziert wurde und wird sie von den USA.Das Hauptquartier
stand damals in München und wurde1995 nach Prag disloziert.
Die Zielländer wurdenreduziert. Doch jetzt wird wieder aus-
gebaut: Mit Ungarn, Bulgarien undRumäniensind drei EU-
Staaten imVisier der amerikanischen Medienförderung.
Der CEO, Jamie Fly, beruhigt: Es gebe in diesenLändern
durchaus Medienpluralismus. Die schwierigeFragesei: «Be-
richten die Medien in objektiver und ausgewogenerWeise
auch über heikleThemen?» Natürlich sind dieRegierungen
nicht erfreut über die amerikanische Medienpräsenz.Fly ver-
steht das. Kein Europäer lasse sich gern von Amerikanern in
Sachen Medien belehren – zumal heutzutage. Doch kaum hät-
ten sie die Hürde der EU-Mitgliedschaft genommen, wichen
vieleRegierungen vom Pfad der Medienfreiheit wieder ab.
Das lässt sich in Ungarn beobachten. Das Portal «Politico»
zitiert Mitarbeiter des Staatsfernsehens. Es sei inzwischen
üblich, dass Beiträge über heikleThemen von oben bewilligt
werden müssten. Doch was heisst «von oben»? Genau das sei
unklar, berichten die Zeugen. DieJournalisten wüssten nicht,
ob es die Chefredaktion sei oder eine politische Instanz, wel-
chedie Beiträge durchwinkeoder abschiesse. Als bewilligungs-
pflichtiggelten unter anderem dieThemen Migration, Brüssel,
Terror und Kirche. Auf einer schwarzen Liste stehen Amnesty
International und Human RightsWatch.Wirdein Stück ge-
kippt, dann heisst es im Haus, es sei «in der Schlacht gefallen».
Dawirdmit ungleichen Spiessen gekämpft.
Der ungarischeAussenminister, Peter Szijjarto, ist jeden-
fallskein Heuchler. WährendRumänen und Bulgaren be-
haupten, die Präsenz von RFE seiAusdruck amerikanischer
Freundschaft, kündigt der Ungar kühl an, der Sender solle
blosskeinenrotenTeppich in Budapest erwarten.

einVerhaltenskodex fürParlamentarier
noch eineRegulierung der Lobbytätig-
keit beschlossen worden.Weitere Kritik-
punktebetreffen die tschechischeJustiz:
Demnach fehlt weiter einVerhaltensko-
dex für Richter. Richter hätten wie auch
Staatsanwältekeine Möglichkeit, gegen
Disziplinarmassnahmen ihrerVorgesetz-
ten gerichtlich vorzugehen.

NZZLITERARISCHESTERZETT


DiebestenBücherder Saison –


eine Literaturdebatte


Jede Saisonaufs Neue erscheinen unzähligelesenswerte Bücher. Um
Ihnen die Auswahl etwas zu erleichtern, stellen Ihnen unsere drei NZZ-
LiteraturredaktorenMartina Läubli, Thomas RibiundClaudia Mäder
gemeinsam mit demKulturjournalistenund LiteraturkritikerPaul Jandl
viervieldiskutierte Titel derSaisonvor.Eserwartet Sieeine leiden-
schaftlicheDebatt eüberlesenswerte Bücher und ungehobeneSchätze.

Dienstag,7.April 2020
19.00 bis 20.30 Uhr
LandesmuseumZürich

Tickets und Informationen
nzz.ch/live
044 258 13 83
Free download pdf