Neue Zürcher Zeitung - 06.03.2020

(Jacob Rumans) #1

Freitag, 6. März 2020 WIRTSCHAFT 25


Stadler Rail tut sich schwer mit neuer Rolle


Der Schienenfahrzeughersteller hat die Entwicklung des Geschäftsgangs übersc hätzt und Aktionäre enttäuscht


DOMINIK FELDGES, BUSSNANG


Der Schienenfahrzeughersteller Stadler
Rail ist im vergangenenJahr zunächst
mit Bravour an der Börse gestartet.
Doch scheint sich derKonzern mit sei-
ner neuenRolle al s kotierte Gesellschaft
nochschwerzutun. Vor allem die Steue-
rung der Erwartungen an denFinanz-
märkten ist Stadler bis anhin nicht nach
Wunsch geglückt.An der Bilanzmedien-
konferenz zum vergangenen Geschäfts-
jahr sorgte das Management einmal
mehr für Enttäuschung.


Vorsichtigere Prognose


Aus den «rund4 Mrd.Fr. Umsatz», wel-
che dieThurgauer Industriefirma Mitte
März 2019 im Vorfeld des Börsengangs
für 2020 inAussicht gestellt hatte, wird
wohl nichts. Jedenfalls nennt die Unter-
nehmensführung dieses Ziel nicht mehr
explizit, sondern sprichtvage von einem
«zweistelligenWachstum». Minimal ge-
rechnet, also bei einer Steigerung von
10% gegenüber dem letztjährigenKon-
zernerlös von 3,2 Mrd.Fr., würde sich
der Umsatz damit auf rund 3,5 Mrd.Fr.
beschränken.
Auch was die Profitabilität anbelangt,
sieht sich das Management ausserstande,
seine vor einemJahr gemachte Pro-
gnose zu erfüllen.Damals hatte es er-
klärt, es strebe 2020 auf Stufe Betriebs-
ergebnis (Ebit) eine Umsatzrendite im
Rahmen der mittelfristigen Zielplanung
von 8 bis 9% an. Nun ist nur noch von
«mindestens 6%» bzw. «einem mit 20 19
vergleichbaren Niveau» dieRede. Im
vergangenenJahr hatte sich die Ebit-
Marge, wie derKonzern bereits Ende
Januar 2019 im Rahmen einer Gewinn-
warnung bekanntgeben musste, abrupt
um 1,4 Prozentpunkte auf 6,1% ver-
schlechtert. Bei der Präsentation des
Semesterausweises Anfang September
2019 war dieseKennziffer vom Manage-
ment noch auf 7% beziffert worden.
Die Aktien des Eisenbahnausrüsters
reagierten am Donnerstag mit einem
Kursverlust von 3,43% auf die jüngs-
ten enttäuschenden Prognosewerte zum
Geschäftsgang. Auf dem nun erreich-
ten Niveau von 45Fr. notieren sie zwar
noch immer gut18% über dem Emis-
sionspreis von 38Fr. vom vergangenen
April, doch haben sie gegenüber dem
bisherigen Höchst vonFr. 50.35 knapp
11% eingebüsst.
Zur Stimmungsaufhellung unter den
Investoren trug auch nicht die Bestä-
tigung derFirma bei, der Generalver-
sammlung eine Dividende vonFr. 1.20
pro Aktie zu beantragen. Diese Infor-
mation ist schon seit EndeJanuar be-
kannt. Die Generalversammlung ist für
den 30.April terminiert.Laut der bis-
herigen Planung soll sie in den Olma-
Hallen in St. Gallen stattfinden. Dies


deutet darauf hin, dass das Unterneh-
men bis anhin mit einem grossen Publi-
kumsaufmarsch gerechnet hat. In der
jüngsten Medienmitteilung zumJah-
resabschluss unterstreicht Stadler ein-
mal mehr, über zahlreiche Kleinaktio-
näre zu verfügen.Rund 20% der 30 000
Anteilseigner würden nicht mehr als 50
Aktien besitzen.
Ob dieFirma am geplantenAustra-
gungszeitpunkt angesichts der Corona-
virus-Epidemie und des vom Bundesrat
vorläufig ausgesprochenenVerbots von
Veranstaltungen mit mehr als 1000Teil-
nehmern festhalten kann, ist noch offen.
Laut einer Unternehmenssprecherin
gibt es bis jetztkein Verschiebungs-
datum. Covid-19 dürfte dieFirma wie

fast alle Unternehmen in der Schweiz
aber auch sonst in denkommenden
Wochen und möglicherweise sogar
noch über Monate beschäftigen.Wie
KonzernchefThomas Ahlburg vor den
Medien und Analytikern am Unterneh-
menssitz in Bussnang ausführte, halten
sich dieAuswirkungen auf die Tätigkeit
des Unternehmens zurzeit zwar noch in
engen Grenzen. Man profitiere davon,
über ein «starkes» Netz von Lieferan-
ten in Europa und namentlich in der
Schweizzu verfügen. Doch stehe man
in der Beurteilung der möglichenFol-
gen noch ganz am Anfang, sagte er.

Personalausbaubela stet


Die Unsicherheit im Zusammenhang
mit Beeinträchtigungen wegen der
Coronavirus-Krise ist laut Unterneh-
men auch in die Geschäftsprognosen
für 2020 eingeflossen. Mit deutlich ge-
ringeren negativenFolgen als im vergan-
genenJahr rechnet dieFirma hingegen
wegen des bis anhin gründlich verun-
glückten Grossprojekts in der engli-
schenRegion East Anglia. Mehrkosten
wegenVerzögerungen bei derAusliefe-
rung von Zügen waren ein wesentlicher
Grund für die letztjährige Belastung der
Profitabilität. Die Strafzahlung an den
Kunden in East Anglia dürfte sich nach
Einschätzungvon Firmenchef Ahlburg

auf einen niedrigen zweistelligen Millio-
nenbetrag beschränken.
Ausserordentliche Aufwendungen
dürften wie schon imVorjahr auch 2020
die Rekrutierung und Schulung von zu-
sätzlichen Beschäftigten verursachen.
Zwar sollte derPersonalausbau bei wei-
tem nichtmehrdasletztjährigeNiveauer-
reichen.MitBlickaufdenmarkantgestie-
genenAuftragsbestand wurden 2019 zu-
sätzliche2000Leuteeingestellt.Dennoch
befindet sich dieFirma noch immer auf
derSuchenachMitarbeiternfürdieMon-
tage undvor allem für Ingenieurtätigkei-
ten.TechnischesPersonalseinurmitgros-
sem Aufwand zu finden,sagte Ahlburg.
Was die imFebruar 2019 angekün-
digte Übernahme des kanadischen An-
bieters Bombardier Transportation
durch die französische Alstom-Gruppe
betri fft, übt sich das Management von
StadlerinGelassenheit.DiebeidenKon-
kurrenten seien dafür bekannt, sich auf
besondersgrosseAufträgeim Rollmate-
rialmarkt zukonzentrieren. Stadler pro-
du ziere kleinere Serien. Sollten Bom-
bardier und Alstom sich wie erwartet
aus kartellrechtlichen Gründen von ge-
wissen Aktivitäten in der Signaltechnik
trennen, will man sich diese in Bussnang
«genau» anschauen. Der entsprechende
Geschäftsbereich steckt bei Stadler, wie
die Konzernführung freimütig einräumt,
noch in den Kinderschuhen.

StadlerRail hat im vergangenenJahr zusätzliche 2000 Leute eingestellt. Blick in dieFertigung in Bussnang. GIAN EHRENZELLER / KEYSTONE

Harter Rückschlag für die internationale Luftfahrt


Der Br anchenverband Iata erwartet wegen des Co ronavirus Ertragsausfälle vonbis zu 113 Milliarden Dollar


WERNER ENZ


Seit Jahresbeginn sind die Aktienpreise
vonFluggesellschaftenumrund25%ein-
gebrochen, womit die in der Sars-Krise
2002/03 beobachtetenWerteinbussen
noch übertroffen wurden. Nun legt der
Branchenverband Iata (International
Air Transport Association) beunruhi-
gende Schätzungen über die erwarteten
Ertragsausfälle vor. Unter derAnnahme
einer Eindämmung des Coronavirus in
den bisher beobachteten Hotspots wür-
den die Mindereinnahmen ungefähr auf
63 Mrd.$ anschwellen. Das würde etwa
11% des von 200 internationalen Flug-
gesellschaften erzieltenJahresumsatzes
im Passagiergeschäft entsprechen.Noch
vor wenigenTagen war in einemkon-
servativen Szenario mit Ertragsausfäl-
len von 29,3 Mrd. $ kalkuliert worden.
Die Iata stützt sich bei ihren Berech-
nungen aufVerkehrsdaten ab, die ihr


aus den verschiedenenLändern zeit-
nah gemeldet werden.Im Szenario «be-
grenzte Ausbreitung», das einenV-för-
mig en Verlauf mit scharfem Einbruch
und rascher Erholung unterstellt, wer-
den Ertragsausfälle von 63 Mrd. $ her-
geleitet.Am schlimmstenerwischt esdie
Märkte China (–23%), Italien (–24%),
Iran (–16%) und Südkore a (– 14%).
Aber auch inJapan, weiteren asiatischen
Ländern oder auch Deutschland (–10%)
und Frankreich (–10%) werden zwei-
stelligeRaten beim Einbruch derVer-
kehrsnachfrage erwartet. Etwas besser
sollten sich der Nahe Osten (–7%) und
der amerikanische Binnenmarkt halten.
ZuAfrika undLateinamerika sindkeine
Prognosewerte publiziert worden.
Vom erwarteten Ertragsausfall von
63 Mrd. $ imkonservativen Szenario
müssen 22 Mrd. $ allein von chinesi-
schenFluggesellschaften und insgesamt
47 Mrd. $ von Airlines in Asien (inklu-

sive China) absorbiert werden. Die Iata
scheut sich nicht, ein Szenario «weitere
Ausbreitung des Coronavirus» durch-
zurechnen:Falls sich dieVirusepidemie
rund um den Globus ausweitet,könnte
es zu einem Einbruch derVerkehrsnach-
frage um19% und zu Ertragsausfällen
von 113 Mrd. $kommen.
Das würde einen sehr schmerzhaften
Rückschlag für die internationale Luft-
fahrtbedeuten,ungefährsostark,wiesie
ihnzuletztmitdemAusbruchderFinanz-
krise 2008/09 erlebt hat. In diesem pes-
simistischen Szenario würden europäi-
sche Fluggesellschaften mit einem Ein-
bru ch derVerkehrsnachfrage um 24%
und asiatische Airlines mit einem sol-
chen um 23%konfrontiert. Und die Er-
tragsausfälle würden alsFolge davon für
dieEuropäergerundet37 Mrd. $undfür
die Asiaten 50 Mrd. $ erreichen.
Zweifellos werden mehrereFlug-
gesellschaften einen derart kräftigen

Einbruch nicht überleben, aber es gibt
auch deneine n oder anderen Lichtblick.
Inzwischen ist der Erdölpreis um 13 $ je
Fass auf etwa 52 $ (Brent-Qualität) ge-
fallen, was entlastend wirken wird.
Aber es gibt auch noch eine wei-
tere Unbekannte. Wie stark die Luft-
fracht 2020 wegen derVirusepidemie
leiden wird, lässt sich nach den Iata-An-
gaben auch der groben Spur nach nicht
abschätzen.Der Iata-Generaldirektor
Alexandre deJuniac schlägt alarmisti-
sche Töne an: «Dies sindaussergewöhn-
liche Zeiten, und dieRegierungen soll-
ten überlegen, wie sie Fluggesellschaf-
ten helfenkönnten.» Es sei daran er-
innert, dassSingapur und Malaysia zu
den wenigen Staaten gehörten, die nach
dem Ausbruch von Sars die Flughafen-
taxen senkten und Steuererleichterun-
ge n einräumten, um einen noch stärke-
ren Rückschlag derVolkswirtschaft zu
bekämpfen.

Ein weiterer


Neuanfang


für Ascom


Das enttäusc hende Geschäftsjahr
2019 hatSpuren hinterlassen

GIORGIOV. MÜLLER

Die SchweizerTraditionsfirma Ascom
steht wieder einmal vor einem Neu-
beginn. Mit derVeräusserung mehre-
rer Sparten und derKonzentration auf
Kommunikationslösungen für das Ge-
sundheitswesen stellte sich das Unter-
nehmen 2016 als fokussierterNischen-
anbieter auf. Als diese Strategie nicht
den erhofften Erfolg brachte, sei im ver-
gangenen Sommer der «Reset-Knopf
gedrückt» worden, erklärte Valen-
tin Chapero an der Bilanzmedienkon-
ferenz. Der ehemalige Sonova-Chef
hat im November dasVerwaltungs-
ratspräsidium von Jeannine Pilloud
übernommen, die erst seit vergange-
nem April dieses Amt bekleidet hatte
und abAugust 2019 notfallmässig als
Konzernchefin eingesprungen ist. Der
bisherigeKonzernchef wie auch die
Finanzchefin mussten das Unterneh-
men verlassen.

Bruch mit derVergangenheit


An der Generalversammlung vom


  1. April in Zug erfolgt der nächste Säu-
    berungsschritt.AusserChaperoundJürg
    Fedier,demlangjährigenFinanzchefvon
    OC Oerlikon, wird sichkein Verwal-
    tungsrat mehr zurWiederwahl stellen.
    Harald Deutsch,Christina Stercken und
    AndreasUmbachscheidenaus.Neuwer-
    den NicoleBurthTschudi (CEOAdecco
    Schweiz),LaurentDubois (Ex-CEO GE
    HealthcarePartners), MichaelReiter-
    mann (ehemals Siemens Healthineers)
    undAndreasSchönenberger(CEOSani-
    tas-Krankenversicherung,Ex-Salt-Chef)
    fürs Gremium vorgeschlagen.
    Angesichtsder äusserst schlecht aus-
    gefallenen Geschäftszahlen 2019 (vgl.
    Tabelle)drängtsicheinNeubeginnschon


fastauf.DasNettoergebnisistnurdeshalb
knapp nichtrot ausgefallen, weil für 6,9
Mio. Fr. in Deutschland derTechnologie-
park Teningen verkauft werdenkonnte
(Buchgewinn 3,5 Mio. Fr.).Rein operativ
war das Berichtsjahr eine grosse Enttäu-
schung, die Bruttomarge schmälerte sich
um 6 Prozentpunkte, und die bereinigte
Ebit-Marge fiel von 8,3 auf –1,1%. Der
Umsatzlagorganischundwährungsberei-
nigt um 8,5% unter demVorjahr.
DemVernehmennachsollsichdieLage
imStartquartal2020stabilisierthaben.Für
das Gesamtjahr soll der Umsatz wieder
zunehmen(imtiefeneinstelligenBereich)
und die Ebitda-Marge im hohen einstel-
ligen Prozentbereich (2019: 3,9%) ausfal-
len. An der Strategie wird nichts Grund-
legendes verändert, hingegen wird die
operativeVerantwortung stärker in die
lokalen Organisationen delegiert.Vor
einem Monat ist eine verschlankte Orga-
nisation eingeführt worden.

Angeschlagene Bilanz


Der enttäuschende Geschäftsgang hat
in der Bilanz Spuren hinterlassen. Die
Eigenkapitalquote nahm um fast 10 Pro-
zentpunkte ab, und aus einer Nettoliqui-
di tät wurden 22 Mio. Fr. Schulden. Des-
halb kann sich Ascom auchkeine Divi-
dende mehr leisten. Der Generalver-
sammlung wird vorgeschlagen,auf eine
Ausschüttung zu verzichten. Am Don-
nerstag fiel der Aktienkurs um wei-
tere fast 10% auf ein Mehrjahretief
von Fr. 7. 33. Seit Anfang 2018 hat sich
der Unternehmenswert von Ascom um
mehr als einen Drittel auf noch 263 Mio.
Fr. verringert,also sogar weniger, als das
Unt ernehmen Umsatz erwirtschaftet.

Ascom in Zahlen
Geldwerte in Mio. Fr. (Swiss GAAP FER)
2018 2019 ± %
Umsatz 318,5 282,9 –11
Betriebsergebnis Ebit 26,6 –13,4 –
Ebit-Marge (%) 8,4 –4,7 –
Konzernergebnis 21,4 0,5 –99
Cashflow aus Geschäftstätigkeit 20,0 2,9 –86
Eigenkapitalquote (%) 38,1 29,5 –
Nettoliquidität 1,2 –21,8 –
Personalbestand 1246 1292 4

StadlerRail in Zahlen
Geldwerte in Mio. Fr. (Swiss GAAP FER)
2018 2019 ± %
Auftragseingang 4 389 5 117 17
Auftragsbestand 13 179 15 026 14
Umsatz 2 001 3 201 60
Betriebsergebnis Ebit 151 194 28
Ebit-Marge (%) 7,5 6,1 –
Konzernergebnis 119 129 8
Cashflow aus Geschäftstätigkeit –193 –187 32
Eigenkapitalquote (%) 27,9 22,3 –
Nettoliquidität 532 6– 99
Personalbestand 8 874 10 918 23
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