Neue Zürcher Zeitung - 06.03.2020

(Jacob Rumans) #1

SPORTSFreitag, 6. März 2020 Freitag, 6. März 2020 PORT


MARIUS MÜLLER, FC LUZERN

Keine


Riesenwelle


abb.· Marius Müller hat
es in der Zeitung gelesen
am Donnerstagmorgen:
Dem FC Luzern ginge bei
Meisterschaftsabbruch das
Geldaus. Und der Goalie
Müller macht sich manch-
mal auch Gedanken rund um den Klub,
in dem er spielt, und die Schlagzeile in
der Zeitung klang gar nicht gut. «Aber
das hörte sich schlimmer an, als es ist»,
sagt Müller. Tatsächlich würden dem FC
Luzern pro Heimspiel rund 150000
Franken anTicketeinnahmen entgehen.
Fänden diePartien ohne Zuschauer
statt, verlöre der Klub zudem pro Heim-
spiel100000 Franken, weil er trotzdem
Dinge wie Licht,Rasenpflegeoderauch
Stadionmitarbeiter bezahlen müsste.
Der FCL hofft, dass man die Spiele
irgendwie verschieben kann.Andern-
falls müssten die Aktionäre einspringen.
Sie decken so oder so ein allfälliges jähr-
liches Defizit; sollte dieses wegen des
Coronavirus anwachsen,würden die
Aktionäre es trotzdem übernehmen –
das haben sie dem Klub zugesichert.
Das Virus sei natürlich einThema in
der Kabine, sagtMüller, «aber wirkön-
nen ja eh nichts machen». Der Klub habe
Hygienemassnahmen ergriffen, neben
jederTüre steht jetzt ein Fläschchen
mit Desinfektionsmittel. «Sonst geht das
Training ganz normal weiter», sagt Mül-
ler, «wir machen dakeine Riesenwelle
draus.»Vor dem Meisterschaftsunter-
bruch war der FCL ideal in dieRück-
runde gestartet: vier Siege, ein Remis.
Müller war mehrmals mit starkenPara-
den aufgefallen. Er sagt, die Mannschaft
versuche, die Spannung so gut wie mög-
lich hoch zu halten. Statt Meisterschafts-
spiele absolviert sieTestspiele. Noch
seien nicht alle Gegner bekannt, «aber
der Trainer hat uns versprochen, dass es
starke Mannschaften sind», sagt Müller,
«keineTeams aus der dritten oder vier-
ten Schweizer Liga».

MARCO PADALINO, FC LUGANO

Der Papst


als Referenz


cov.· Der Sportkoordina-
tor des FC Lugano braucht
einen Begriff, der sich kaum
übersetzen lässt und für die
Fussballkultur Italiens
steht. Sich undKollegen be-
zeichnet MarcoPadalino
nicht bloss als «Fussballer», sondern quasi
als eigene Spezies – als «Uomini di Cal-
cio», Menschen desFussballs. Und dieser
besonderen Gattung wird der wichtigste
Teil entzogen: derWettkampf. Sinn und
Ziel derTrainings verändern sich.«Wir le-
ben die Tage ohne dieKonzentration aufs
Spiel», sagt der ehemalige Schweizer
Internationale, «das ist surreal und gefällt
uns nicht.» EineWoche ohne Match?Wie
ein Tag ohne Nacht.
Dieser fast natürliche Zyklus wurde
in Padalinos 36Jahren nur einmal unter-
brochen.Damals, als derPapst starb. Der
Flügel verbrachte zehnJahre seiner Kar-
riere in Italien. Im April 2005 hätte er
mit Catania inBari antreten sollen, doch
der Tod JohannesPauls II. versetztedas
Land in denAusnahmezustand. Einen
weitaus grösseren erlebt Italien nun
wegen des Coronavirus. Und auch das
Tessin. Dieangrenzende Lombardei war
derAusgangspunkt der Krankheit in
Europa, über1800 Fälle sind dortregis-
triert.Padalino musste in Sitzungen der
ersten Mannschaft und der U 21 die
Spieler dazu anhalten, nicht nach Italien
zu gehen. «Es war nicht schön, das sagen
zu müssen», findetPadalino. Denn Ita-
lienundMailand sind für ihn ein wichti-
ger Bezugspunkt.«Wir fahren oft hin, in
der Freizeit, zum Shoppen, mit den Kin-
dern.» Und viele seinerFreunde leben
dort, ber ichten vom finanziellen Scha-
den, von der Enttäuschung gegenüber
der italienischenRegierung. Padalino
ist mit dem Bundesrat zufrieden, Sor-
gen bereitet ihm dasVirus nicht. Belas-
tend sei hingegen die Ungewissheit. Nie-
mand wisse, wann und wie die Meister-
schaft wieder aufgenommen werde.

CHRISTIAN CONSTANTIN, FC SION

Sauerkraut


im Sommer


ram.· Sauerkraut essen in
derJuni-Hitze?«Was soll
ich machen?», fragt Chris-
tian Constantin zurück.
Natürlich ist der Präsident
des FC Sionunglücklich,
dass er seine traditionelle
Gala, die rund eine MillionFranken ein-
bringt, verschieben muss. Derneue Ter-
min steht, aber ob am 13.Juni, wenn das
SchweizerNationalt eam daserste EM-
Spiel austragen soll, die Gala tatsächlich
über die Bühne gehen wird, weiss nicht
einmal Constantin.
Auch wie viel Geld er verliert wegen
der Zwangspause, mag Constantin nicht
ausrechnen.Das grosse Ganze aber hat
er sehr genau imBlick. «Ich mussbei der
Liga anspruchsvolle Garantien abgeben,
um an der Meisterschaft teilnehmen zu
können.Wenn die Liga den Betrieb
nicht mehr gewährleistet, wird derVer-
trag nicht eingehalten», sagt Constantin.
Er könne nicht verstehen, dass die Liga
keine Versicherung für den Betriebsaus-
fall abgeschlossen habe. «Jetzt ist es zu
spät,aber vor zwei Jahren wäre das mög-
lich gewesen», sagt Constantin. Es brau-
che nicht viel, bis den Klubs das Geld
ausgehe, die Spieler arbeitslos würden.
Es drohe die Annullation der Meister-
schaft, der LigaderKonkurs. «Es ist
Spekulation, aber weil niemand zurzeit
weiss, wie und wann es weitergeht, kann
die Lage rasch ausserKontrolle gera-
ten», sagt Constantin.
Von seiner Mannschaft und dem Staff
erwartet Constantin «hundertprozen-
tige Bereitschaft» trotz der ungewohn-
ten Pause. Gerade jetzt. Die Leistungen
seiner Angestellten waren jüngst uner-
freulich. Er werde früh genug sehen, wie
sie den Unterbruch genutzt hätten.Da-
mit der Rhythmus nicht verloren geht,
plant auch der FC SionTestspiele. Weil
deren Organisationkompliziert ist, will
Constantin Gegner und Spielort nicht
bekanntgeben.

ANDRES GERBER, FC THUN

Das Tröstende


in allem


bsn.· Bei kaum einem
anderen Klub geht es so
oft um Existenzfragen wie
beim FCThun. Die Berner
Oberländer sind Über-
lebenskünstler, im Kampf
geg en den Abstieg, auf der
Suche nach Geld.Am Mittwoch erzählte
plötzlich jemand, weil das Derby-Heim-
spiel vom Samstag gegen YB nicht statt-
finde, werdeThun Mühe haben,die
Märzlöhne zu bezahlen. Doch davon
weiss der Sportchef Andres Gerber
nichts. Von Unruhekeine Spur.
Am Mittwochnachmittag war er im
Zoo, er schätzt es, etwas durchzuatmen,
nach Monaten, die «teilweise sehr müh-
sam» waren, wie Gerber sagt. DieThu-
ner hatten in der Hinrunde bloss zwei
Spiele gewonnen, sie überwinterten mit
fünf PunktenRückstand auf denBar-
rage-Platz, es herrschten Anspannung
und Druck, nonstop. Doch nach fünf
Runden im neuenJahr liegen sie bereits
wieder gleichauf mit dem neuntklassier-
ten Team von Xamax. Ohne diese erste
Aufholjagd wäre diePause bis Anfang
April schwierig geworden, meint Ger-
ber, aber nun nähmen siekeine Zweifel
mit, sonderngute Gefühle undFreude,
«und diese Eindrückekonservieren wir».
Gerberredet nichts schön, aber er ge-
winnt dem Unterbruch einfach gute Sei-
ten ab. «Wir sindkein Schönwetter-Kon-
strukt», sagt er, sprich: Die Thuner haben
Erfahrung im Umgang mitschwierigen
Situationen. Neben dem Derby daheim
gegen YB stünde auch noch das Heim-
spiel gegen denFC Basel an – fänden
di esePartien vor leerenRängen statt,
ginge viel Geld verloren, «ich kann
nicht sagen, ob wir es verdauenkönn-
ten». Aber schlaflose Nächte hat er noch
nicht deswegen, «wir wärenja nicht
allein in dieser Situation», sagt Gerber,
und diese Erkenntnis habe auch etwas
Tröstendes. So funktioniert es also, posi-
tives Denken.

STEFAN MESSERLI, XAMAX

Als wartete ein


grosser Gegner


ram.· Stefan Messerli ist
bei Xamax zuständig für
die physischeVerfassung
der Spieler. Athletik-
Coach heisst das auf Neu-
deutsch, dasaltmodische
«Konditionstrainer» ist
dem 38-Jährigen aber auchrecht als Be-
zeichnung für seineAufgabe. Hat die
ZwangspauseAuswirkungen auf die
Steuerung desTrainings? «Grundsätz-
lich nicht», sagt Messerli. In Bezug auf
die Arbeit an der physischenVerfas-
sung gelte es weiterhin, die Belastung
hoch zu halten und den Rhythmus im
Training so zu gestalten, als würde
Xamax amWochenende gegen den FC
Basel um Punkte gegen den Abstieg
spielen.Weil das aber nicht derFall sein
wird, ist die mentale Beanspruchung
anders. «DieAusgangslage ist für alle
neu», sagt Messerli, «Meisterschafts-
spiele vor Publikum lassen sich nicht
simulieren.»
Neu ist auch, dass sich Messerli Ge-
danken übereineVerdichtung des Spiel-
plans machen muss oder über englische
Wochen.«Der FCBasel oder dieYoung
Boys spielenregelmässig im Europacup,
uns fehlt diese Erfahrung», sagt er. Die
Dosierung von Erholung und Belas-
tung ist anders, wenn man statt einmal
pro Woche alle drei oder vierTage eine
Partie austrägt.
Nun wird Messerli dasTraining so ge-
stalten, dass die Xamax-Spieler in allfäl-
ligenenglischen Wochen physisch ihr
bestes Niveau erreichen. DieseAus-
gangslage ist neu, aber Messerli ist weit
davon entfernt, sich zubeklagen.«Im
Fussball haben wir die Möglichkeit, die
Spiele zu verschieben.In anderen Be-
reichen des Lebens gibt es diese Mög-
lichkeit nicht.» Er habe deshalb die un-
gewohnte Situation im Klub und bei der
Arbeit«gelassen wahrgenommen».
«Meisterschaftsspielelassen sich nicht simulieren», heisst es aus Neuenburg– und doch wird hier und daversucht, vor leeren Rängen etwasNormalität zu leben. JEAN-CHRISTOPHE BOTT/ KEYSTONE

Der Schweizer Meister
hat sich in den letzten
Jahren finanzielle
Reserven geschaffen.
Aber früher oder
später würde sich alles
auswirken, ob Geister-
spiele oder abgesagte
Firmenanlässe.

SKI ALPIN
Ochsner überrascht imTraining
Kvitfjell (NOR). ErstesTrainingzur Weltcup-Abfahrt
der Männer vom Samstag:1. Kilde (NOR) 1:48,87.


  1. Ochsner (SUI) 0,87 zurück. 3. Raffort (FRA) 0,94.

  2. Jansrud (NOR) 1,04. 5. Janka (SUI) 1,25. 6. Allegre
    (FRA) 1,27. – 10. Mauro Caviezel (SUI) 1,47. 17. Feuz
    (SUI) 1,81. 20. Pinturault (FRA) 1,87. 31. Rösti (SUI)
    2,31. 44. Rogentin (SUI) 2,83. 52. Roulin (SUI) 3,34.

  3. Kryenbühl (SUI) 3,47. 55. Dressen (GER)3,71. 60.
    Odermatt (SUI) 4,28. – Ausgeschieden u. a.: Hintermann
    (SUI). – Der 21-jährige Cedric Ochsner aus Hausen am
    Albis startete mit der Nummer 56. Er steht in Kvitfjell vor
    seinem Debüt imWeltcup.


FUSSBALL
Mögliche Cup-Halbfinals ausgelost
Schweiz.Auslosung der Cup-Halbfinals:Lausanne/
Basel - Winterthur/Bavois, Luzern/YB - Rapperswil-Jona/
Sitten. –Wann diese Halbfinals stattfinden, ist ebenso
unklar wie die Austragungstermine der Viertelfinals.
Die Viertelfinals wären für den 4. und 5. März geplant
gewesen, sind infolge des Coronavirus und desVerbot s
für Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen aber
verschoben worden.
Basken-Derby imFinal
England. Cup-Achtelfinal:Derby County - Manchester
United 0:3.
Spanien. Cup-Halbfinals, Rückspiel:Granada - Athletic
Bilbao 2:1, Hinspiel: 0:1. – Bilbao trifft im Final auf Real
Sociedad San Sebastian.

Mit gefälschtem


Pass unterwegs


Der ehemalige Weltfussballer
Ronaldinho in Paraguay verhört

ANDREASBABST

AlsRonaldinho vor zweiJahren seine
Fussballkarriere endgültig beendete,
sandte ihm der FCBarcelona einen
Gruss hinterher, der Klub nannteRonal-
dinho «Camp Nous immer lächelnden
Magier». Ronaldinho zauberte mit den
Füssen, erkonnte mit ihnen und dem
Ball fabelhafte Dinge anstellen, die Geg-
ner stolpern lassen und alle anderen stau-
nen. Ronaldinho spielte inBarcelona, für
die ACMilan, fürParis Saint-Germain.
Es gab eine Zeit Anfang der nullerJahre,
da war er der wohl besteFussballer der
Welt, er war zweimalWeltfussballer, 2002
wurde er mit BrasilienWeltmeister.
Jetzt wurdeRonaldinho inParaguay
festgenommen. Er war miteinem ge-
fälschtenPass unterwegs. Am Donners-
tag veröffentlichten die paraguayischen
Behörden Fotos des Dokumentes.
Auf demPass steht,Ronaldo de Assis
Moreira, so heisstRonaldinho bürger-
lich, sei BürgerParaguays. Nur stimmt
das nicht. Schon am Flughafen soll die
Polizei aufRonaldinho und seinen Bru-
der aufmerksam geworden sein. Spä-
ter befragtenPolizisten die Brüder in
ihrem Hotelzimmer – auch von diesem
Verhör finden sich Bilderin den sozia-
len Netzwerken.
Ronaldinhos Bruder ist darauf eben-
falls zu sehen.Roberto Assis istRonal-
dinhos Berater, er hat in den neunzi-
gerJahren für den FC Sion gespielt.
Die Brüderreisten für eineWohltätig-
keitsveranstaltung nach Asunción, in die
HauptstadtParaguays. Sie durften nach
demVerhör im Hotel bleiben, wurden
also nicht verhaftet. Ein dritter Mann,
der die Brüder begleitet hatte, wurde
von derPolizei hingegen festgenommen.
Er soll für die gefälschtenPässe verant-
wortlich sein.Ronaldinho undRoberto
Assisbeteuern ihre Unschuld, sie seien
vom Geschäftsmann getäuscht worden.
Ronaldinho war jüngst mit seiner
Nähe zum brasilianischen Präsidenten
Jair Bolsonaro aufgefallen. Er unter-
stützte denRechtspopulisten schon im
Wahlkampf zusammen mit anderen
prominenten Ex-Fussballern, was in
Europa einigeVerwunderungauslöste.
Bolsonarorevanchierte sich: Seit kur-
zem istRonaldinho Brasiliens offiziel-
ler Tourismusdirektor.
Es ist nicht das erste Mal, dassRonal-
dinho Scherereien mit seinemPass hat.
2018 wurde sowohl sein spanischer als
auch sein brasilianischerPass konfis-
ziert, Grund war eine nicht bezahlte
Busse –Ronaldinho und sein Bruder
hatten verbotenerweise in einem Natur-
schutzgebiet gebaut. DiePässe erhiel-
ten die zwei allerdings einJahr später
wieder, kurz nachdemRonaldinho zum
Tourismusdirektor ernannt worden war.

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