Neue Zürcher Zeitung - 06.03.2020

(Jacob Rumans) #1

44 SPORT Freitag, 6. März 2020


Es kursieren verrückte Geschichten: Wie die Schweizer


Fussba llklubs mit der Ligapause umgehenSEITE 42, 43


Der frühere Weltfussballer Ronaldinho ist nun


Tourismusdirektor – und reist mit gefälschtem PassSEITE 43


Prinzip Schadensbegrenzung

Das Coronavirus stellt Fussball und Eishockey vorzäheVerhandlungen mit ihren TV-Partnern


DANIEL GERMANN


Das Coronavirus stürzt dieWelt in eine
globale Krise. Doch der Sport versucht,
die Normalität zu wahren. EinAuszug
aus den Medienmitteilungen vom Don-
nerstag: Der HC Lugano kommuni-
ziert zweiTestspiele in derkommenden
Woche im Hinblick auf den Play-off-
Start. Die Uefa eröffnet denTicketver-
kauf für den Champions-League-Final
vom 30. Mai in Istanbul. Die Schweizer
Post gibt die Herausgabe zweier Son-
dermarken im Hinblick auf die Eis-
hockey-WM vom8. bis 24.Maiin Zürich
undLausanne bekannt.
Wer will es dem HC Lugano, der
Uefa, der Schweizer Post verübeln:
Man hängt im luftleerenRaum. Nie-
mand weiss, wie die Situation morgen
sein wird. Bemerkenswert war in diesem
Kontext allenfalls dieAussage des IOK-
PräsidentenThomasBach, der am Mitt-
wochabend nach der Exekutivsitzung
in Lausanne an einer Medienkonferenz
sagte:«Weder dasWort ‹Absage› noch
‹Verschiebung› sind an unserer Sitzung
auch nur erwähnt worden.»
Die Herren der Ringe waren schon
immer Meister im Beschönigen und
Ausblenden. Doch sollteBachs Aussage
in ihrer Absolutheit stimmen, muss man
um die Zurechnungsfähigkeit der IOK-
Exekutive bangen, weil es doch genau
ihreAufgabe wäre, sich mit allen mög-
lichen Szenarien und Gefahren rund
um die Olympischen Spiele zu befassen.
Stattdessen versuchtBach, die Sponso-
ren nicht zu erschrecken.
Ähnlich verstörend war das State-
ment der Olympia-Ministerin Seiko
Hashimoto, die vor dem japanischen
Parlament sagte, eine Absage der Spiele
sei für die Athleten unzumutbar. Sie be-


reiteten sich zumTeil seitJahren vor.
Hashimotohatals Eisschnellläuferin
und Bahnradfahrerin sieben Mal an
Olympia teilgenommen.Das mag den
Tunnelblick erklären. Doch mit allem
Respekt vor all dem Schweiss, der in un-
gezählteTrainingsstunden geflossen ist:
Welche Bedeutung hat die Befindlich-
keit von 10000 Athleten imVergleich
zur globalen gesundheitlichen Gefähr-
dung, die noch nicht abschliessend be-
urteilbar ist?


Fragenach demkleineren Übel


Eine weitereVerbreitung des Corona-
virus ist nicht möglich, sondern wahr-
scheinlich – zumal in einem dicht be-
siedeltenLand wieJapan.Bach und
HashimotosAussagen fielen mit dem
Tag zusammen, an dem die japanische
Regierung eineRekordzahl von Neu-
infiziertenkommunizieren musste. Der
olympischeRugby-Testwettbewerb vom
April wurde deshalb abgesagt.
Ob die beiden Grossanlässe deskom-
menden Sommers, eben diese Olympi-
schen Spiele und dieFussball-Europa-
meisterschaft, stattfinden, ist fraglicher
denn je. Zumindest die Uefa hat ihren
Partnern signalisiert, dass sie dieVer-
schiebung des Anlasses um einJahr
prüfe. Offiziell ist das natürlich nicht.
Auch in Nyon will man niemanden er-
schrecken. Noch bleibt Zeit, auch wenn
die gegen die Anlässe läuft.
Bei der Eishockey-Weltmeisterschaft
in der Schweiz ist derRahmen enger.
Der internationaleVerband will spätes-
tens Ende Monat entscheiden, ob das
Turnier wie geplant durchgeführt wer-
den kann. DieVorbereitung wird ge-


mäss dem OK-MediensprecherJanos
Kick «momentan normal und weiter-
hin mit Hochdruck vorangetrieben», so-
weit das angesichts der Umstände mög-
lich sei. Bereits hatRussland angeboten,
mit Sotschials Veranstaltungsort einzu-
springen. Doch das ist ein Szenario, mit
dem sich in der Schweiz niemand aus-
einandersetzen will.
Noch bleibt ein wenig Zeit, noch
bleibt Hoffnung. Unmittelbarer betrof-
fen von derAusnahmesituation sind
die Fussball- und Eishockeyliga in der
Schweiz. Seit der Bundesrat einVerbot
von Grossereignissen mit mehr als 10 00
Zuschauern verhängt hat,ruht ihr Meis-
terschaftsbetrieb. Seit Mittwoch sind
nachVerfügung des Bundes Anlässe mit
mehr als150 Besuchern bewilligungs-
pflichtig. DieVerschärfung schliesst
praktisch aus, dass dasVeranstaltungs-
verbot bis zum15. März gelockert oder
sogar aufgehoben wird.
Die beiden Ligen suchen mit Hoch-
druck eine Antwort auf dieFrage, was
das kleinere Übel ist: die Meisterschaft
mit sogenannten Geisterspielen fortzu-
setzen und damit die Bedürfnisseihrer
Fernsehpartner zu befriedigen – oder
sie abzubrechenund allfälligeAusfälle
aus denVerträgen hinzunehmen.Fuss-
ball und Eishockey erhalten pro Sai-
son rund 35 MillionenFranken aus der
Vermarktung der medialenRechte. Im
Eishockey sind bis heute 300 der rund
350 Partien gespielt. Doch die Play-offs
haben für dieTV-Anbieter einen höhe-
ren Wert als Qualifikationsspiele. Des-
halbrechnen Branchenkenner damit,
dass die Absage der Play-offs alle zwölf
Klubs je 600 000 Franken der 1,8 Millio-
nenFrankenkostenkönnten.
Ein Match ohne Zuschauerkostet
sie zwischen150 000und 300 000 Fran-
ken. Gemessen daran scheint derAus-
fall einesTeils derTV-Gelder das klei-
nere Übel. Doch dasThema ist deshalb
sensibel, weil sowohl dieSwiss Foot-
ball League wie auch der Eishockey-
verband beabsichtigen,in diesemJahr
die medialenRechte neu auszuschrei-
ben. Niemand will in dieser Situation
einenPartner brüskieren – zumal sich
der Markt ohnehin gegen die Sportver-
bände zu drehen scheint.
Die beiden grossen Player scheinen
mit dem Status quo zufrieden:Fuss-
ball auf demTeleclub, Eishockey auf

My Sports. Teleclub hat im Dezember
die Rechte an derFussball-Champions-
League von 2021 bis 2024 erworben und
gemäss dem Branchendienst «Sport
Business Media» 27 MillionenFranken
pro Saison dafür bezahlt.Das ist eine
Stei gerung von 40 Prozent gegenüber
dem letztenVertrag. Die Champions
League bringt dem Sender die höheren
Quoten als die Super League.
Niemand sucht im Moment dieKon-
frontation. Doch klar ist auch, dass sich
die Muttergesellschaften UPC (My
Sports) und Cinetrade (Teleclub) für all-
fälligeVerhandlungen inPosition brin-
gen. Matthias Krieb, der dieRechte der
UPC wahrnimmt, sagt: «Die Situation
ist äusserst schwierig. Wir diskutieren
derzeit mit der Liga und demVerband.
DieFrage ist, welches die bessere von

zwei schlechten Alternativen ist.» Steffi
Buchli hat als Programmleiterin von My
Sports die Frage in der Sendung «Club»
des SchweizerFernsehens am Dienstag-
abend indirekt beantwortet. Sie sagte:
«Ich verstehe die Optik der Klubs, die
ihren Sport im besten Licht präsentie-
ren wollen.Da gehören die Zuschauer
dazu. Es gibt aber auch unsere Sicht:Wir
haben einenVertrag, der uns garantiert,
Spiele übertragen zukönnen. Ob das
ein Geisterspiel ist oder nicht, ist letzt-
lich nicht entscheidend.»
Ähnlich äusserte sich die Cinetrade
als Halter derFussballrechte. In ihrer
Stellungnahme nach derAussetzung der
Meisterschaft bis Ende Monat schrieb
sie: «Die getroffenen Massnahmen sind
für uns vor dem Hintergrund der der-
zeitigen Situation zwar durchaus nach-
vollziehbar. Zugleich sind wir aber auch
der dezidierten Meinung, dass es oberste
Priorität haben sollte, die laufende Sai-
son möglichst zu einem geregelten Ende

zu führen und alle verbleibenden Spiele
des ordentlichen Spielplans stattfinden
zu lassen, falls aus gesundheitspolizei-
lichen Gründen notwendig gegebenen-
falls auch ohne Publikum.»

Das Imagenimmt Schaden


Der Eishockey-Ligadirektor DenisVau-
cher sagt, es müsse darum gehen, eine
ganzheitliche Lösung zu finden.«Wich-
tig ist, dass wir möglichstraschKlar-
heit schaffen.» Die National League be-
findet sich inAustausch mit demFuss-
ball. Man prüft auch,auf welchemWeg
es möglich wäre, allenfalls zu finanziel-
len Entschädigungen zukommen. Be-
reits hat Claudius Schäfer, der CEO der
Football League, nach staatlicherUnter-
stützung gerufen.
Unabhängig davon, ob die Meister-
schaft nun abgebrochen oder ohne Zu-
schauer fortgesetzt wird: In beidenFäl-
len drohen den Klubs zumTeil beträcht-
liche finanzielle Einbussen.DanielVil-
lard, der CEO des EHC Biel, sagt, die
Situation gefährde seinen Klub nicht
grundsätzlich, habe aberAuswirkungen
auf das Kader derkommenden Saison:
«Es ist im Moment schwer abschätzbar,
was es für uns bedeuten würde, die Play-
offs ohne Zuschauereinnahmen zu spie-
len. Doch es geht schnell um sechsstel-
lige Beträge. Wir müssen Spielern Prä-
mien zahlen.Darüber hinaus stellt sich
die Frage, was es für uns imagemässig
bedeutet, ohne Zuschauer zu spielen.
LeereRänge schaden dem Produkt.»
Zumindest im Schweizer Eishockey
ist dieTendenzoffensichtlich: Der wirt-
schaftliche Schaden ist kleiner, wenn
man die Meisterschaft abbricht und ge-
wisse Zugeständnisse bei denFernseh-
geldern machen muss. Verkürzte Play-
offs sind nur im Kampf um denTi-
tel, nicht aber gegen den Abstieg eine
Opt ion. Hier geht es um die Existenz
einesKlubs. Eine Modusänderung so
kurz vor der entscheidenden Meister-
schaftsphase würde zivilrechtlichen Kla-
gen dieTüre öffnen.
Spielen ist erlaubt, zuschauen nicht.
Das bringt die Ligenin Zugzwang. Nie-
mand sagt es offen, alle denken es im
Stillen:Am besten wäre, wenn der Bund
Grossveranstaltungen grundsätzlich
aussetzen würde. Das würde wenigstens
die rechtliche Situation klären.

Es ist schwierig, den Überblickzu wahren –was wäre besser: Saisonabbruch? Oder Spielenur vor TV-Kameras?GAËTAN BALLY / KEYSTONE

Zumindest im Eis-
hockey ist dieTendenz
offensichtlich: Der wirt-
schaftliche Schaden ist
kleiner, wenn man die
Meisterschaft abbricht.

Shiffrin denkt


ans Comeback


Die amerikanische Skifahrerin
in Åre womöglich amStart

(sda/apa)· Mikaela Shiffrin erwägt, am
übernächstenWochenende in den alpi-
nen Ski-Weltcup zurückzukehren. Die
Amerikanerin absolviert seit dem Un-
falltod ihresVatersJeff am 2.Februar
keine Rennen mehr. Der letzte Einsatz
datiert vom 26.Januar, als sie inBansko
den Super-G gewann.
«Ich bin an einem Punkt angelangt,
an dem ich es mir gegenüber nicht
mehrverantwortenkönnte, würde ich
nicht versuchen, wieder an den Start zu
gehen», hat Shiffrin in einem Interview
mit der «NewYork Times» gesagt.Des-
halb ist die zweifache Olympiasiegerin
am Donnerstag nach Skandinavien ge-
flogen, nachdem sie in den vergange-
nenWochen inVail und Aspen trainiert
hatte. Shiffrin bereitet sich auf dieRen-
nen in Åre vor, wo vom 12. bis14. März
ein Parallelslalom, ein Riesenslalom und
ein Slalom auf dem Programm stehen.
«Vielleicht ist es etwas, das mich dazu
bringt, mich meinemVater näher zu
fühlen», sagte Shiffrin zu der möglichen
Rückkehr in denWeltcup. Siekönne
aber nicht versprechen, dieRennen zu
fahren.
Shiffrin hat durch diePause die einst
klareFührung im Gesamtweltcup ver-
loren. NachBansko wies sie einenVor-
sprung von 370 Punkten vorFede-
rica Brignone auf, nun liegt sie um 153
Punkte hinter der Italienerin zurück
(1225:1378). Über solche Dinge mag
Shiffrin aber offensichtlich nicht nach-
denken. «Ichsetze mir momentankeine
Ziele», sagte Shiffrin, die bisher 66Welt-
cup-Rennen und zuletzt dreimal in Serie
den Gesamtweltcup gewonnen hat.

Riat wechselt


in die NHL


Der Stürmer verlässt den EHC Biel


nbr.· 15 Schweizer Eishockeyspieler sind
in d er laufenden Saison in der NHL zum
Einsatz gekommen – einRekord. Und
doch ist nicht alles positiv. Seit Nico
Hischier 2017 als Nummer 1 gedraftet
wurde, sind SchweizerTalente als Export-
güter weniger gefragt als auch schon; die
letzten Drafts fielen aus Schweizer Sicht
mageraus. Und bei einigen der arrivier-
ten NHL-Profis istdie Zukunft ungewiss,
bei Denis Malgin, Luca Sbisa und Mirco
Müller etwa, derenVerträge auslaufen.
Und auch beimTorhüter Gilles Senn,der
vornehmlich in derFarmteam-Liga AHL
zum Einsatz gelangt.
Nun bekommt die SchweizerKolonie
Nachschub. Am Donnerstag gaben die
Washington Capitals bekannt,dass sie
den23-jährigen AngreiferDamien Riat
ab nächstem Sommer für zweiJahre
unter Vertrag nehmen. Der Genfer
Riat war 2016 in der viertenRunde an


  1. Stelle gedraftet worden und hatte im
    Herbst bereitsVorbereitungsspiele mit
    Washington absolviert. Es gibt augen-
    fälligere NHL-Kandidaten in der Natio-
    nal League als Riat, den Liga-Topskorer
    Pius Suter von den ZSC Lions etwa. In
    74 Partien für Biel hat Riat in den letz-
    ten zweiJahren 47 Skorerpunkte pro-
    duziert. Es sindkeine ausserirdischen
    Werte, aber der Nationalspieler ist ein
    kompletter, taktisch bestens geschulter
    Flügelstürmer, der das Leistungsvolu-
    men nochnicht ausgeschöpft hat.Für
    die Capitals besteht Riats Attraktivität
    nicht zuletzt aus seinerKostengünstig-
    keit. 817 500 Dollar wird er verdienen,
    was für NHL-Verhältnisse sehr wenig ist



  • und für die Capitals entscheidend: Sie
    laufen Gefahr, die Salärobergrenze zu
    überschreiten. Riat bietet da Abhilfe–
    underhält diegrosse Chance, sich in der
    Glitzerwelt NHL durchzusetzen.


Ohne Publikum ist Profi-
sport eine Alibiübung
Kommentar auf Seite 11
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