Neue Zürcher Zeitung - 06.03.2020

(Jacob Rumans) #1

Freitag, 6. März 2020 INTERNATIONAL 5


Michael Bloombergverkündetam Mittwoch seinen Anhängern, dass er seineKandidatur zurückzieht. KEVIN LAMARQUE / REUTERS


Bloomberg scheitert mit


seiner De-luxe-Wahlkampagne


Geld kaschiert die Schwäche des New Yorker Ex-Bürgermeisters nicht


Millionen Dollar gab Mike


Bloomberg in drei Monaten aus.


Das katapultierte ihn ins


Spitzenfeld der Demokraten,


konnte aber nicht über die


fundamentalenFehler seiner


Kandidatur hinwegtäuschen.


MARIE-ASTRID LANGER,SAN FRANCISCO


Auf den ersten Blick wirkt es wie die
schlechteste Investition aller Zeiten:
620 Millionen Dollar hat Mike Bloom-
berg in den vergangenen drei Monaten
inFernseh-,Radio- und Printwerbung
und Anzeigen in den sozialen Netzwer-
ken gesteckt, um die Amerikaner da-
von zu überzeugen, dasser der demo-
kratische Präsidentschaftskandidat wer-
den sollte. ImGegenzug bekam er am
«SuperTuesday» ein paarDutzend De-
legierte und vermochte einzig in Ameri-
can Samoa zu siegen.
Die wohldekadentesteWahlkampf-
kampagne, die Amerika je erlebt hat,
endete am Mittwochvormittag. Wenige
Stunden zuvor hatten seine Bera-
ter imWahlkampfbüro an der Upper
East Side in NewYork, wo auch seine
Stiftung angesiedelt ist, dem 78-Jähri-
gen klargemacht, dass erkeine Chan-
cen mehr auf einen Sieg hatte. Darauf-
hin griff Bloomberglaut Medienberich-
ten zumTelefonhörer, telefonierte mit
Joe Biden und veröffentlichte kurz dar-
auf eine Stellungnahme:«Trump zu be-
siegen, beginnt damit, sich geschlossen
hinter den Kandidaten zu stellen, der
die besten Chancen dafür hat. Nach den
Wahlen gestern ist es klar, dassdas mein
Freund und der grossartige Amerikaner
Joe Biden ist.»


Lachs undWein


Bidennahm Bloombergs Unterstützung
mit offenen Armen entgegen; im Gegen-
satz zu Bernie Sanders, der schon zuvor
hatte durchblicken lassen, dass er jede
Hilfe des Milliardärs ablehnen würde.
«DiesesRennen ist grösser als einzelne
Anwärter und grösser alsPolitik», ant-
wortete Biden dem früheren NewYor-
ker Bürgermeister aufTwitter.
Bloombergs Bewerbung war nicht
nur die teuerste je gesehene, sondern
auch eine der kürzesten: Erst Ende
November hatte der frühere Repu-
blikaner überraschend seinen Hut ins
Rennen um die demokratische Präsi-
dentschaftsnomination geworfen. Da-


mals befand sich ElizabethWarren im
Aufwind der Umfragen. In denAugen
des Multimilliardärs, der seitJahren ein
grosszügiger Spender für die Demo-
kraten ist, stehtWarren jedoch zu weit
links, um gegenTr ump eine Chance zu
haben. Und Biden als einstigerFavo-
rit der Moderaten lag in Umfragen zu
einem hypothetischen Schlagabtausch
mitTr ump quasi gleichauf. Bloomberg
sah sich gefordert, selbst insRennen ein-
zusteigen; «Mike wird es richten», wurde
seinWahlkampfmotto.
Er sparte an nichts. 200Wahlkampf-
büros eröffnete er im ganzenLand und
stellteTausende Mitarbeiter ein, denen
er vielfach mehr als das Doppelte der
sonst üblichen Gehälter zahlte. An sei-
nenVeranstaltungen beschenkte er die
Wähler mitWerbeartikeln,es gab gra-
tis Bier, Wein und geräuchertenLachs
mit Kapern, wie die Plattform «Eater»
schwärmte. In derRegel haben Prä-
sidentschaftskandidaten nicht einmal
genug Mittel, um auch nur Cola gratis an
Veranstaltungen auszuschenken. Bloom-
berg führte einen De-luxe-Wahlkampf.

Schlecht vorbereitet


Immer lauter wurden die Stimmen, die
befürchteten, dass dieWahl im Novem-
ber zum Kräftemessen zweier NewYor-
ker Milliardäre verkommenkönnte, die
früher zusammen Golf gespielt haben.
Insbesondere die linken Anwärter San-
ders undWarren sahen in Bloombergs
wachsendem Erfolg in Umfragen einen
Beleg dafür, dass sich Amerikas Milliar-
däre politische Ämter erkaufenkönnen.
Tatsächlich zeigt derFall Bloomberg
jedoch, dass man sich in den USA zwar
Bekanntheit erkaufen kann – so war
Bloomberg innert kürzester Zeit auf den
dritten Platz der landesweiten Umfra-
gen vorgestossen. Doch auch Hunderte
Millionen Dollarkönnen nicht funda-
mentale Schwachstellen einesKandida-
ten kaschieren. Diese wurden vor allem
während der zwei Fernsehdebatten
EndeFebruar offenbar, in denen sich
der aalglatte «Mike» aus derFernseh-
werbung erstmals vor einem Millionen-
publikum präsentierte.
Bloomberg wirkte distanziert, arro-
gant und verblüffend schlecht vorbe-
reitet – etwa als erkeine überzeugende
Antwort darauf hatte, warum ihm meh-
rerefrühere Mitarbeiterinnen sexuelle
Belästigung amArbeitsplatzvorgewor-
fen hatten.«Vielleicht habe ich einen
Witz gemacht, den sie nicht mochten»,
sagte er schulterzuckend. Solche Kapi-

talfehler kann auch eine Flut von An-
zeigen nicht wettmachen. Gleichzeitig
gelang seinem Rivalen Biden in South
Carolina wenigeTage später ein über-
raschendes Comeback.Damit schmolz
auch Bloombergs Prämisse, sich als
moderate Alternative zum früheren
Vizepräsidenten zu präsentieren, dahin.

Kritik anTrump


Bei genauerem Hinsehen dürfte Bloom-
bergs Investition aberkeinekolossale
Fehlinvestition gewesen sein, wie Präsi-
dentTr ump sich am Mittwoch aufTwit-
ter freute – schon gar nicht aus Sicht der
DemokratischenPartei. So hat Bloom-
berg nicht nur 2400 fachkundigeWahl-
kämpfer angeworben, sondern diesen
vielfach auch eine Beschäftigungsgaran-
tie bis November gegeben. Diese Mit-
arbeiter kann er nun entweder Bidens
Team übergeben, oder er kann sie an-
weisen, Strategien für denWahlkampf
gegenTr ump auszuarbeiten.
Bloomberg werde seine Ressour-
cen «im weitestmöglichen Sinne Bidens
Kandidatur zur Verfügung stellen»,
sagteTim O’Brien, ein wichtiger Bera-
ter Bloombergs, der«WashingtonPost».
«Wir haben langfristige Mietverträge
und Abkommen mit unseren Mitarbei-
tern,und das Ziel war immer, mit die-
ser grossen Maschinerie denjenigen zu
unterstützen, der am Ende der Nomi-
nierte sein wird.»
Zudem schossen viele von Bloom-
bergsWerbeanzeigen nicht gegen an-
dere Demokraten, sondern gegen
Tr ump. Vielebehandelten auchThe-
men, die den Demokraten generell
wichtig sind, wie den Klimawandel
und das Gesundheitswesen. Damit
hat Bloomberg denWahlkampf gegen
Tr ump bereits eingeläutet.Wie erfolg-
reich er mit diesen Seitenhieben war,
zeigt sich daran, dassTr ump in den ver-
gangenen Monaten mehr als 20 Mal
inTweets über «Mini Mike» gelästert
hat. Am Mittwoch antwortete Bloom-
berg aufTr umps jüngste Gehässigkeit
nur mit denWorten:«Wir sehen uns
bald, Donald», und setzte darunter eine
Kampfszene aus «StarWars».
Die Lektion, die man aus Bloombergs
Wahlkampf ziehenkönne, wie derame-
rikanischePolitikexperte undFernseh-
journalistJeff Greenfield im «Politico»-
Magazin schrieb, laute: «Wenn du nicht
alles dafür gibst, dich selbst zu Beginn
eines schwierigen politischen Kampfes
zu definieren, kann selbst eine halbe Mil-
liarde Dollar das nicht wettmachen.»

Auch Elizabeth Warren


gibt das Rennen auf


Senatorin zieht Konsequenzen aus dem «Super Tuesday»


PETER WINKLER,WASHINGTON

Sie war mit grossen Plänen angetreten,
sie wollte den Kapitalismusrevolutionie-
ren, das Grosskapital aus derPolitik ver-
bannen und den Bürgerinnen und Bür-
gern ein Leben in Anstand undWürde
ermöglichen. Doch am Donnerstag
musste die Senatorin ElizabethWarren
aus Massachusetts dieKonsequenzen
aus derTatsache ziehen, dass es für sie in
diesemJahrkeinenWeg insWeisse Haus
gibt. Sie wollte sich bei der Bekanntgabe
ihresRückzugs noch nicht festlegen, wen
sie nun unterstützen werde. Sie wolle
weiterkämpfen, unterstrich sie, aber sie
wolle das überlegt und effizient tun.
Beiallem Respekt vor der Kon-
gressabgeordnetenTulsi Gabbard aus
Hawaii, die unbeirrt, aber chancenlos
weitermacht: Mit dem Abgang der frü-
herenRechtsprofessorinWarren ist das
Rennen um die Nominierung zum offi-
ziellen Präsidentschaftskandidaten der
Demokraten zu einemDuell zwischen
Joe Biden (77) und Bernie Sanders (78)
geworden, zwischen zwei alten weissen
Männern, die beide einen neuen Al-
tersrekord setzen würden, sollten sie im
November gewählt werden.

Die Diversität istverpufft


Vor wenigen Monaten noch haderte
das Publikum mit den Demokraten,
weil auf der Bühne vonTV-Debatten
viel zu viele Bewerber einander auf die
Zehen traten. Nun ist es damit vorbei,
und es ist auch vorbei mit der Diversi-
tät, für die sich die Demokraten im letz-
tenJahr nochauf die Schulterngeklopft
hatten. Es ging offenbar dann doch um
etwas anderes, und zum Schluss ging es
auchrasend schnell. Am Sonntag zog
sich der erste offen homosexuelle Kan-
didat,Pete Buttigieg, zurück. Nur wenig
später folgte ihm Amy Klobuchar, die
letzteFrau aus dem gemässigtenLager.
Nach Bidens Überraschungserfolg am
«SuperTuesday» folgte der frühere Bür-
germeistervon New York, Mike Bloom-
berg. Und jetzt auchWarren.
Die Zeichen standen an derWand,
in derForm von nackten Zahlen, die
nur jenen Schluss zuliessen, den Eliza-
bethWarren nun bekanntgab. Sie schlit-
terte in den ersten vierVorwahlen un-
aufhaltsam bergab:vomdritten Platz in
Iowa zum vierten in New Hampshire
und Nevada undschliesslich zum fünf-
ten in South Carolina.Während Biden
zu einem Höhenflug ansetzte, wurde
der Abwärtssog fürWarren immer stär-
ker. Zuletzt scheiterte sie sogar in ihrem
Heimatstaat Massachusetts mit einem
blamablen drittenRang.
Warum erlosch dasFeuer dieserFrau,
die im Herbst als Hoffnungsträgerin des
linkenParteiflügels an der Spitze des Be-
werberfelds gewesen war, sorasch und
gründlich? Es gibt wohlkeinen einzel-
nen Grund, sondern vielmehr eine ganze
Reihe davon– und sicher auch ein Zu-
sammentreffen mit Umständen, die nicht
in ihrem Einflussbereich lagen.

VersteckterSexismus?


Haben esFrauen ganz generell immer
noch schwerer? DerVerdacht liegt nahe,
weilausserGabbard keine mehr im
Rennen ist. Er wird vom Umstand ge-
stärkt, dasseskeine einfache Erklärung
fürWarrens Scheitern gibt: Sie hatte
eine gute Organisation in denVorwahl-
staaten auf die Beine gestellt, verfügte
über genügend Geld und zog oftTau-
sende Interessierte an ihreVeranstal-
tungen. Sie ist schlagfertig, redegewandt
und überdurchschnittlich intelligent.
Es gab eine denkwürdigeKontro-
verse zwischen ihr und Sanders, die Licht
auf das heikleThema wirft. Sie warf dem
Senator ausVermont vor, dieser habe
im privaten Gespräch gesagt, eineFrau
könne die Präsidentenwahl nicht gewin-
nen. Er dementiert vehement. Es spielt
aber garkeineRolle, ob Sanders dies
sagte. Wichtiger ist, dass sich diese Hal-
tung in vielen Medienberichten aus dem
ganzenLand spiegelte, und sie wurde
durchaus auch vonFrauen geäussert.

DieseTatsache wiederum darf nicht
darüber hinwegtäuschen, dass es Ereig-
nisse inWarrensWahlkampfund un-
glücklicheKonstellationen im Kalender
derVorwahlen gab, dieauch Männer aus
derBahn geworfen hätten.Das heisst
nicht, dass darunter inWarrensFall nicht
ein versteckter Sexismus als Beschleuni-
ger oderVerstärker amWerk war.

Schwachim Duell mitTrump


Ende November, nachdem sie eben zu
einem eigenen Höhenflug angesetzt
hatte, veröffentlichte die «NewYork
Times» in Zusammenarbeit mit dem Mei-
nungsforschungsinstitutdes Siena Col-
lege eine Umfrage aus sechs Gliedstaa-
ten,die bei derWahl im November ver-
mutlicheine entscheidendeRolle spielen
werden.Darin zeigte sich, dassWarren
imVergleich zu Biden und Sanders im
direktenDuell mit PräsidentTr ump am
schlechtesten abschnitt.BeiBefragungen
von demokratischenWählern ist aber ge-
nau dieseFrage stetsentscheidend:Wer
kannTr ump am ehesten schlagen?
In denWochen zuvor war sie unter
grossen Druck geraten, weil siekeine
klare Antwort gebenkonnte, wie sie die
obligatorische staatliche Krankenver-
sicherung («Medicare for all») finanzie-
ren wolle. Sie musste aneinerTV-Debatte
im Oktober von sämtlichen gemässigten
Bewerberinnen und Bewerbern heftige
Kritik einstecken. Die vorher steil gestie-
genen Zustimmungsraten in den Umfra-
gen begannen abzustürzen.
Überhaupt hatte sie mit ihrem – erst
nach langem Zögern gefällten – Ent-
scheid für «Medicare for all» einen stra-
tegischenFehler gemacht. Sie hatte sich
damit auf dem linken Flügel positioniert,

wo bereits Sanders politisierte und über
ein Heer von eingefleischten Anhän-
gern verfügte. Warren hatte danachkei-
nen Manövrierraum mehr: Ohnevölli-
gen Gesichtsverlust war eineRückkehr
zu einer gemässigterenPosition in dieser
Frage nicht mehr möglich.
Den entscheidenden Schlag versetzte
Warren ihr überaus mässigesResul-
tat am 11. Februar in New Hampshire.
Neuengland kümmert sich im Normal-
fall um «seine Kinder», und als Bewer-
berin aus dem Nachbarstaat Massachu-
setts hätte sie theoretisch einen Heim-
vorteil gehabt – so wie Sanders. Doch sie
musste sich sogar Amy Klobuchar aus
dem fernen Minnesota deutlich geschla-
gen geben. Ihre Umfragewerte weisen in
dieser Zeit einen weiterenTaucher auf.
Man kann einwenden, auch Biden
habe in New Hampshireversagt.Tat-
sächlich zeigen die Zahlen für ihneinen
noch tieferen Absturz. Doch Bidens
Kampagne hatte sich stets auf dieVor-
wahl danachkonzentriert,aufjene in
South Carolina, in einer riskantenWette
gegen ungeschriebene Gesetze desWahl-
kampfs, von denen eines lautet, Iowa ver-
teile in seinen Caucuses nur dreiFahrkar-
ten für die weitereReise zur Präsident-
schaft. Biden war dortVierter geworden.
Zu den Zutaten für eine erfolgreiche
Bewerbung gehören im Urteil von
Experten gute Organisation und ausrei-
chendeFinanzierung. Beides hatteWar-
ren zur Genüge. Doch diesesJahr mel-
dete sich ein weiteres Element, das etwas
vernachlässigt worden war, mit aller
Kraft zurück: Schwung und derZeit-
punkt seinerAuslösung, oder wie es im
Jargon des amerikanischenWahlkampfs
heisst: «momentum» und «timing». Mit
seinem Erfolg in South Carolina fuhr
Biden mit prallen Segeln in den «Super
Tuesday». Warren hatte dem nichts ent-
gegenzusetzen,das den Abwärtstrend
noch hätte umkehrenkönnen.

ElizabethWarren
Senatorin aus
EPA Massachusetts
Free download pdf