Frankfurter Allgemeine Zeitung - 16.03.2020

(coco) #1

SEITE 10·MONTAG,16. MÄRZ 2020·NR. 64 Hörbuch FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


E


sgibt Leser,die um dieBerühmt-
heit desAutor swissen undtrotz-
demeinsanftesGähnennichtun-
terdrückenkönnen ,wennesan
die Lektüregeht.Auchin„AgentRunning
inThe Field“ (in der deutschen Ausgabe
„Federball“überschrieben), demfünfund-
zwanzigstenRoman JohnleCarrés–der
Achtundachtzigjährigeist längsteiner der
klassischenAutorendes Spionageromans
–, geht es wiedersehrgesitt et undmanier-
lich zu.Man spricht sichnochimmer mit
„alter Knabe“an. DieWelt derDiens te
wirktauf de nerstenBlick imme rnoch, als
könntendie wesentlichen Spionagege-
schä ftevoneinemClubi nChelseaausmit-
erledigt werden,auf de nzweiten Blick
aber sieht esnichtmehrsorosig aus.
Daszeigtsichauchdaran, dass anstelle
vonPolo oderCricket in derFreizei tBad-
mint on gespielt wird–im Athleticus Club
in Bat tersea,auf de rSüdsei te der Themse.
Dortist zu Beginn desRomans dernach
langenAuslandsjahren zurückgekehrte
AgentNat dabei, seinenStatus al sVereins-
meis terabzusi chern. Derdurchtrainierte
Endvierzigerbekommtesmiteinemzwan-
zigJahrejüngerenBrexit-und Trump-Has-
ser namens Ed zu tun,der zwar reichli ch
quer im Lebensteht, aberkein anderes
Ziel verfolgt, alsNat zu schlagen.Fast
scho nein wenig aufdringlich.
Natselbst wird vom„Dienst“ aufeinen
„ziemlichöden“ Austragspos teninNord-
londo ngesetzt,der si ch „Oase “nennt und
derwiederum derAbteilun g„Groß raum
London“unter steht. Das Postengeschiebe
seine rVorgesetzten lässtnicht wirklich er-
kennen, obma nihnlieber fürimmerlosha-
benmöch te.Seineebensokluge wiesouve-
räne Gattin,die Menschenrechtsanwältin
Prue ,ist ohnehin längstdafür,dassNat
sich insPrivatlebe nzurückzieht.Dortlau-
ertfreilich TochterSteff,deren früher Ein-
tritt in diePubertätein „ziemlicherAlb-
traum“gewesenwar.
Nunstudier tsie im zweiten Semester
PhilosophieundReineMathematik.Beiei-
nem Skiurlaublegt NatimSchlepplif tsei-
neBei chte ab, womiters ichinden vergan-
genJahrzehntenberufli ch beschäftigthat,
auch um zuklären,dassernichtder erfolg-
lose Botschaftsmitarbeiter is t, fürden ihn

Steffall die Jahrehaltenmusste. Wirwer-
den Zeugen einer Seite des Agentenle-
bens,die im Thriller bisher unterbelichtet
ist–der Spionals Familienmensch.Von
zwei starkenFrauen i ndie Mangelgenom-
men,aufbrausen dvon de rTochter ,subtiler
vonder Gattin, hatNatumhäusliche Ge-
ländegewinne hartzuk ämp fen. Unddann
legt sichSteff einen muslimischenZoolo-
genausIndienzu,densieheiratenwill.Da-
gegenwirkendie Verwicklungen, in die
Natals Chef der„Oase“hineinschlittert,
bein ahegemächlich.Schließlic hist er ein
mitallenWasserngewaschenerDienersei-
ner M ajestät.
Man kann sic hdiesegeschli ffen erzählte
Geschichte ,die du rchaus Längenhat, von
einemVorleser erzählen lassen, der profes-
sionell dieFiguren lebendigwerden lä sst.
Achim Buch, 1963geborener Schauspieler
mitumfangreiche rBühnenerfahrungunter
ande reminMannheim,Frankfurt und
Hamburg,hatalsSynchronsprecherundte-
levisionärerDarsteller viel Erfahrun gmit
demGenre.ZuletzthaterKriminal romane
vonSimone Buchholz, Arne Dahl undJo
Nesbø als Hörbuchgelesen .Ersei wegen
seiner „sonorenStimme“ beliebt,verkün-
detdas gewohnt dü rftige Begleitblatt.Wer
dieStimme nicht präsenthat, denke an ei-
nenWerbespot,derbehauptet,es gäbe„sie-
benunddreißig Artenvon Kopfschmerzen,
dieSie selbstbehandelnkönnen“.
DenIch-ErzählerNat spricht Buch
durchgehend so, wie es sichfür einen di-
stinguie rten Charmeurgehört, derauch
eingesetzt wird,umDoppelagentenzufüh-
ren. Der leichtnäselnd eTonder britischen
Bildungselitekommtangemessenselbstiro-
nischund dis tanzier tdaher,kaumjeaus
der Fassunggeratend. Aber Bu ch kann
auchanders,gifti gund wütend, falsch-
freundlichund kalt, sc hmei chelnd und
stumpf. Niemalswirk tdas überzogen, stets
fein dosiert, demFatalismusder Storyeine
Grundierung verleihend.
Denn Natist wie vielen seinerKollegen
das Hauptmotiv seinesAgentseins abhan-
dengekommen,seitderKalteKriegvorbei
ist. Jetztsteckt sein Land im Brexit-Schla-
massel, undfür John le Carrégibt es –
wiefür seine Hauptfigur–keinen Zwei-
fel, wi egrundstürzend unglücklichdiese
Lage ist. Um das zu illustrieren, lässt der
AutorNat nachdiverse nUmwegen in
denStrude leiner Geheimoperation stol-
pern.AmerikanerundBritenwollen ge-
meinsam sozialdemokratische Institutio-
neninder Europäischen Union mitFake
News destabilisieren.Das Schielennach
der Gunstdes großen Brudersbedeutet
fürdasVereinigteKönigreich,fürkünftige
bilaterale Handelsabkommen denResteu-
ropäernindie Suppe zu spucken. Nurein
einsamer Idealiststemmt sichdurch Ge-
heimnisverratdagegen–auchaus Liebe
zu Deutschland. HANNESHINTERMEIER

GenauzwanzigJahre nach seinerAn-
kunftinDeutschland legt der Schrift-
stellerAbbasKhiderjetztseinenfünf-
tenRomanvor: „Palas tder Misera-
blen“ist sein bislangbestesBuch.An-
dersals im „Brief in dieAuberginen-
republik“, einer Fluchtgeschichte
ums Mittelmeer,oder in der Innen-
sicht aufverwickelteAsylverfahren
im Roman „Ohrfeige“, führtKhider
diesmal in seine Heimat Bagdad zur
Zeit zwischen dem Ersten und Zwei-
tenIrak-Krieg.Nach derIn vasion Ku-
weits 1990 und der Bombardierung
durch alliierte Truppenflieht dieFa-
milie des erzählenden Jungen Shams
Hussein aus einem schiitischen Dorf
im Südirak in ein „Blechviertel“ nahe
der Hauptstadt.Dortherrschen
Schmutz,ArmutundJugendbanden,
das Embargo derWelt is tüberall zu
spüren.
Der Vaterarbeitet als Lastenträger
im Basar und baut eine primitiveBe-
hausung aus sandgefüllten Blechdo-
sen und anderen Utensilien. Seine
Frau geht er st putzen, dann beginnt
sie sichals Wahrsagerin einenNa-
men zu machen.UndShams sucht
auf dengroßen Müllbergenringsum,
wassichnoch verkaufen lässt,erhan-
delt mitWasser und Plastiktüten im
Basar,später kann er als Busfahrer-
helfer oder auf dem Bauetwa sGeld
verdienen.

Berichtet wirddiese Coming-of-
Age-Geschichteaus dem Gefängnis.
Shams erlebt eine Höllenhaftinei-
nem diktatorischenStaat.Der Tod
Saddam Husseins istseine einzige
Hoffnung, deren Erfüllung die inter-
nationalenWaffeninspektionen und
die erneuten Angriffeder Alliierten
vorbereiten. Die Erinnerungsge-
schichte, die durch Szenen aus dem
qualvollen Haftalltag unterbrochen
wird, liestder Frankfurter Schauspie-
ler TorstenFlassig mitgroßem Enga-
gement, mal neugierig überrascht,
manchmal auchinschnoddrigem
oder wütendemTon. Dazugeben vie-
le der in sechzehnKapiteln erzählten
Lebensfacetten Anlass.
Literatur bildetden rote nFaden in
diesem Buch. In der Pubertät fallen
Shams auf dem Basar erotische Ge-
schichtenvonAlberto Moravia in die
Hände. Plötzlich entwickelt sic heine
ungeheureLeselustbei dem Jungen,
der zu Hause nur denKoranvorfin-
det.DieEntdeckung,dassdurchSpra-
chedie „intimstenMomente,Sorgen,
Ängste und Nöte“von Figuren dar-
stellbar sind, istvon ungeheurerWir-
kung. „IchwollteMoravia sein. Le-
sen und Schreiben wurden zu einem
Beruhigungsmittel für mich.“ Shams
gerätinliterarische Kreise, in den
„Palas tder Miserablen“. Darin scha-
rensichBuchhändler,Kritiker ,Auto-
ren, Dozenten um den blindenKa-
mal, der nicht nur ungeheuer belesen
ist, sondernsogarinLiteraturpromo-
vieren will. Sokommen freitags im
Haus des Blinden acht Literaturbe-
geistertezugeheimenTreffenzusam-
men,umüberBücher,Theaterauffüh-
rungenundeigeneTextezusprechen.
Als der Buchhändler Hisham sich
nachJordanien absetzt,kann Shams
dessenStand auf dem Basar überneh-
men. Bald erliegt er derVerlockung,
auchmit Verbotenem aus einemge-
heimenLager zu handeln–„vonpoli-
tischenTexten über Exilliteratur bis
hin zureligiösemFirlefanz“. Shams
unterschätzt, dassdahinter zumTeil
die radikale schiitische Bewegung
des Geistlichen Muqtada al Sadr
steckt .Auchden Warnungenvordem
langen Armdes allmächtigen Sad-
dam Hussein schenkt er zuwenig Ge-
hör.Sogeräter alsVerkäufer verbote-
ner Schriftenindie Fängeder Dikta-
tur.SelbstironischePerspektiven und
Scherze über die arabischeKultur,
die in der „Ohrfeige“ fast zum Über-
mut tendieren, sind aus Khidersneu-
em Buchnicht verschwunden.Aber
der Tonist härterund nüchternerge-
worden.
In kurzen, präzisen Sätzen be-
schreibt er eineWelt voninnen, die
inderdeutschen oderenglischenLite-
ratur nochweniger bekannt ist. Das
gilt besondersfür das verstörende
letzt eKapitel „Zeit der Bouteille“,
dasentsetzliche Verhöreundschreck-
licheFoltermaßnahmen enthält.Ab-
bas Khider spricht aus eigener Erfah-
rung während seiner Haftund Folte-
rung in Bagdad.Seiner Flucht über
Jordanien und Libyen1996 bis zum
AsylinDeutschlandverdanken wir
dieses Buch. Eskönntedringlicher
und aktuellerkaum sein. Shams’letz-
terSatz aus derZelle wirkt wie eine
Geste verzweifeltenÜberlebenswil-
lens: „Ichhebe meine Hand, mache
eine Faustund schlagegegen die
Tür.“ ALEXANDERKOŠENINA

Es geht immer ums Ganze, undesgeht
immerums Leben.Fürwen wäre dieDefi-
nition der Philosophie, die Dieter Hen-
rich gibt,nichtunmittelbarattraktiv?Phi-
losoph istfür Henrich zunächstjeder.
Das Leben ist,geistig wiekörperlich, ein
AufenthaltimUnendlichen,und jeder,
der sichindiesem Gefüge bewusst be-
wegt,lebt philosophisch.Natürli ch kann
man seinLebenauchganz unphiloso-
phisc hverbringen,das tun diemeisten,
aberjederkann in Situationengeraten,
die ihn,zumindestzeitweilig,zum Philo-
sophen machen.

DieterHenrich, der heute zu den Grö-
ßenderPhilosophie zählt,hatteseineBe-
rufung schon im AltervonzweiJahren.
Er erinnertsichnochwach, wieermit ei-
ner schweren Krankheitins Hospital
kam. Er fühltesichschwach und ausge-
setzt undbemerkte, wieerineine Starre
hinabsank. Eswardie er steErfahrung
des Nihilismus, derBrüchigkeit allerVer-
hältnisse,wohl nicht so klar reflektiert
vomdamaligenKind wievomheutigen
Philosophen,aber sie lebt in Henrich bis
heute als Traumaund Inspirationfort.
Immer wiederkommtHenrich in den
philosophischen Lebenserinnerungen,
die AlexandruBulucz und KlausSander
mit ihm aufgenommenhaben, aufdieses
Ereignis zuspre chen, als sei es einFatum
und er ein Gezeichneter, derseine Sen-
dung dankbar annahm.Dankbar des-
halb, weil ihn die unbedingteLiebe sei-
nerElternausseinerVerzweiflung befrei-
te.Darauserwuchs Henricheine Perspek-
tivefürsLebenund für seinDenken. Seit-
herpendelt seine Philosophie zwischen
zwei Polen: der Anfechtungdes Nihilis-
mus undder Gegenkraftder liebenden
Hingabe. Oder,auf zwei Namenge-
bracht:Beckett un dHölderlin, der, wieer

mitnachdrücklichemLächeln sagt,obsie-
gende.
Anders als viele Fachphilosophen
trennt HenrichnichtscharfzwischenPhi-
losophie und Leben. Das nimmtseinen
Reflexionenden Seminarton,macht sie
nahba rund geschmeidig. Im akademi-
sche nSinn heißt Philosophie für ihn ein
Netz auszuwerfen, welches das Lebenim
Horizont seiner Erfahrungsmöglichkei-
tenerfasst,also in seinerStellung imKos-
mos, undeszueinergroßen Architektur
auszubilden. Als Kind hatteHenric hein
eigentümliches Interesse an Stra ßen-
bahnlinien,dem ruhigen Fließeneines
Zugs auf einbestimmtes Ziel hin, derKo-
ordinationder Einzelbewegungen.Aber
derfachli cheZugan gbleibtfür ihn un-
vollständig,wenn erdiekonkreteLebens-
erfahrung nicht aufnimmt.
Das Leben,das imkosmischen Gan-
zensonichtig erscheint, hatein irdisches
Ziel. Es muss sichrecht fertigen. Mate-
riell istdas aussichtslos,aber i nder be-
grifflichnie ganz zufassenden Sphäre
derWerte wächst jedemeine philosophi-
sche Lebensaufgabezu: dieAusbildung
einerSubjektivität,die sichinderErinne-
rung alskonstant er weist. Henrich nennt
dafü rdenBegriffSammlung. DerNihilis-
mus liegtstets auf derLauer ,aber wenn
esgelingt,dankbar aufsein Leben zurück-
zubli cken, dannhält Henri ch dieAufga-
be fü rbewältigt.
Werdas Leben nicht nurals Flu cht
nach vorne, sondernauchals dankbare
Rückschau versteht,erlebt da sAlter tr otz
allerGebreche nals Zeit derReife, in
demDenkmotive, die insUnendlicherei-
chen, weiter ausgefaltet werden können
undvom Tod„nur“ unterbrochenwer-
den. Dieter Henrich istheute dreiund-
neunzig Jahrealt.Erist wach und beweg-
lich,gibt Seminare und denkt seine Moti-
ve weiter .Erhandelt nicht in dem Drang,
etwasabschließen zu müssen. „Ichlebe
gerne“, sagt er inwarmem, verbindli-
chem Ton. Ma nhörtihm gernzu, in dem
ruhigen Gefühl,dasshier ein Lebeneine
Form gefunden hat. THOMASTHIEL

Gibtesein richtigesLeben imfalschen?
Kommt darauf an.Keiko Furukura zeigt,
wieesfürsi eaussehenkönnte.Sieis teine
Romanfigur,der es anfast allemfehlt,
wasLiteratur aufregend macht: romanti-
sche Scharmützel,süffigesDrama, psy-
chologischeEntwicklung.Abgesehenvon
einemamourösen Scheingefecht undWe-
sens verände rungen ,diesic halsnu rimho-
möopathischenBereic hmessbar eMinia-
turkurswechsel offenbaren,vollziehtsich
ihr Alltaggewissermaßen auf demStand-
streifendesLebens.Fürallesichtbar,voll-
kommen unspektakulär –und dennoch,
oder gerade deshalb,mysteriös.
Sayaka Murata, Jahrgang 1979, hat
dieseseltsame, in jederHinsichtrand-
ständigeFigurzur Pr otagonistin ihres
Romans „DieLadenhüterin“gemacht.
Keikoarbeit et alsAushilf eineinem
Konbini–so die japanischeBezeich-
nungfüreinenConvenienceStore–,wo
siesichnicht nurwohl,sondernam ein-
zigrichtigen Platz fühlt.Vor neunzehn
Jahrenhat sie dieStelle angetreten,nun
istsie se chsunddreißig. In Gedanken
hält si esichmeistens bei denPflichten
ihres Job sauf, die sie,gleicheiner voll-
automatischen Service-Einheit, im
Schlaf erledigenkönnte. Selbst di eGe-
räus chedes Geschäfts sindfür siekein
Hintergrundradau, sondernInformati-
onspartikel, mi tdenensie ihr eUmge-
bung im Kopf gleichsam kartogra-
phier t. Ih rLebenbegan nimGemischt-
warenladen, ihrLeben istder Gemischt-
warenladen:„An dieZeit vormeiner
‚Geburt‘ als LadenhilfeimKonbini
kann ic hmichnur sehrvage erinnern.“
Aufder Suche nachder verlorenen
Zeit gräbt KeikoErinnerungen aus, die
sie inkeinem gutenLicht erscheinen
lassen .Als Kind hat sie ihrer Mutter
vorgeschlagen, einentotaufgefunde-
nen Vogelmit nac hHause zu nehmen
und zu braten. Ein anderesMal beob-
acht etesie, wie sichzweiJungen auf
dem Schulhof prügelten.Um die Aus-
einandersetzung zu beenden,holtesie
sicheine Schaufel aus dem Geräte-
schuppen und zog sieeinem derbeiden
über den Schädel.Inzwischen is tihre

Persönlichke it eineTabularasa, welche
sich allein durch die Kunstder Mimesis
mit Leben füllen lässt. Keikobeobach-
tetihreKollegen undkopiertderen Ver-
halten, Allüren und Diktion. Anschlie-
ßendtritt dieseFrau ohneEigenschaf-
tenals Doppelgängerin unterschiedli-
cher Vorbilder auf,wobei es ihrwich-
tigs tesZiel ist, nicht hervorzustechen:
„EinRädchen im Getriebe derWelt,
nur das machtemichzue inem norma-
lenMenschen.“
Murat abeherrschtdie Kunst, sichim-
mer wieder demKonbini zu nähern,
ohne redundant zuwerden. Malfängt
der Laden die lädierte Seele der Heldin
auf, dann wieder erscheint er als Sym-

bolgrenzenlosenKonsums,einEntfrem-
dungstempel wie ihn The Clash in dem
Lied „Lostinthe Supermarket“besin-
gen: „I came in herefor that special of-
fer–guaranteed personality.“ InKeiko
verhaken sichÖffentlichkeit und Privat-
heit so untrennbar ineinander,dasssie
als perfektes Produkt derrationalisier-
tenArbeitswelt erstrahlt –ein idealer
UntersuchungsgegenstandderAngestell-
tensoziologie. Sogar in denverborgens-
tenSchichten ihresUnterbewusstseins
lockt die Produktpalettedes Konbini:
„Häufigstand ic hauchinmeinen Träu-
mennochimVerkaufsraum, undGedan-
kenwie ‚Oh, die neuenKartoffelchips
sind nicht ausgepreist‘ oder ‚Wir haben
so viel heißenTeeverkauft, wir müssen
auffüllen‘ schreckten mich aus dem
Schlaf.“
Die Schauspielerin Bettina Storm
liestdenRomanimToneinergenauarti-
kuliertenBestandsaufnahme. Sie hält
sichnicht damit auf, dasgesamteReper-
toireihrer stimmlichen Möglichkeiten
zuentfalten, sondernmoduliertimKlei-
nen:hiereinbesondersweichgesproche-
nes „T“, dor tein „Sch“ ohneRauschun-
terdrückung.Daskommtdemschnörkel-
losen, durch und durch entschlackten
Plotentgegen–die Faszinationskraft
derGeschichteverdankt sichschließlich
ihrer Geradlinigkeit.Baroc ke Intonati-
onundlautliche Manierismenwärenge-
nausofehl am Platz wie eingemütlicher
Märchenonkelsound.
Auch die vielen Irritationsmomente
liestStormsouverän herunter:Eines Ta-
gesfängt ein neuerKollegeimKonbini
an. Er sieht aus wie ein „Kleiderbügel
aus Draht“,stinkt erbärmlichund be-
nimmt sichwie ein Stalker .Prompt bie-
tetihm Keiko, die bislang ohne Männer
über dieRunden geko mmen ist, einen
Platz in ihrerWohnung an. Dies jedoch
nicht ohnePerversionsspielraum: Der
neue Mitbewohner lebt in der Badewan-
ne seiner Gastgeberin und wirdvon ihr
versorgt wie ein Haustier:„Es wir dbald
Zeit für seinFutter.“ Istdies einrichti-
gesLeben imfalschen? Esregensich
Zweifel. KAI SP ANKE

John le Carré:
„Federball“.
Gelesenvon Achim Buch.
Hörbuch Hamburg
Verlag, Hamburg 2019.
8 CDs, 587 Min.,
24.– €.

Abbas Khider:„Pa-
lastder Miserablen“.
Gelesenvon
TorstenFlassig.
Hörbuch Hamburg
2020, 2MP3-CDs,
538 Min., 23,– €.

„Von sichselbst
wissen“.DieterHenrich
erzähltüber Erinnerung
und Dankbarkeit.
SupposéVerlag,
Berlin 2020,2CDs,
125 Min., 28,– €.

Sayaka Murata:
„Die Ladenhüterin“.
GelesenvonBettina
Storm. Verlag Aufbau
Audio, Berlin 2020.
1CD, 193 Min.,
16,99 €.

Age nt in eigener Sache: John le Carré,mittlerweile 88 Jahrealt undkein bisschen schreibmüde FotoCharlotte Hadden/Laif/TheNew York Times

VerlorenimGemischtwarenladen


Frau ohne Eigenschaften: Sa yakaMuratas Heldinistdie per fekteAnges tellte


Sayaka Murata FotoVerlag

EinIdealistmitDeutschland-Fieber


DenkenalsSchicksal


DieterHenrichs philosophische Lebenserinnerungen


London, wir haben


ein Problem:


John le Carré zeigt,


wie unvergnüglich


das Agentenleben


geworden is t.


Undwoheuteder


wahreFeind sitzt.


Überleben


inBagdad


AbbasKhidersneuer


Roman, gelesen von


TorstenFlassig

Free download pdf