Frankfurter Allgemeine Zeitung - 16.03.2020

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SEITE 12·MONTAG,16. MÄRZ 2020·NR. 64 Feuilleton FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


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I


nTitisee beiFreiburgmusstegera-
de ein Andenkenladen nachhefti-
genProtesten vonFrauenbeauftrag-
teneinen unlustigen Scherzartikel
aus dem Programmnehmen:Der „Erzie-
hungsprügelfür dieDre ssur derFrau“
(„Wenn sie zu vielspricht–ein Schlag
aufsSprachzentrum.Wenn sie mal wie-
der,Kopfweh‘hat–schlagen, bissiewirk-
lichKopfwehhat“) istheute nicht mehr
vermittelbar. DieMythologie derShrew,
des keifenden Weibsteufels, istunver-
wüstlich, ob wohl Shawschon 1897be-
fand,ein GentlemanvonAnsta nd und
Geschmack könne heuteunmöglich
nochinGesellschaftvon DamenShake-
speares„Taming of theShrew“anschau-
en, ohne peinlichberührtzuwerden.
Eine vierhundertJahrealteMacho-Kla-
mott eeinfac hals Emanzipationsdrama zu
überschreiben istalso vielleichtkeine so
guteIdee. Die Idee der polnischenRegis-
seurin Ewelina Marciniak und ihres Au-
tors Jan Czaplinski, die OpfervonShake-
speares „beleidigendem, frauenfeindli-
chem Text“ endlichzuWortkommen zu
lassen, istein Schlag mit dem hölzernen
Erziehungsprügel.
DieBühne istpracht volles Dekor.In
denGefängnismauerneinesRenaissance-
palastssteht dieStatue des Barberini-
schen Fauns,des Prunkstücksder Münch-
ner Glyptothek,seit Jahrhundertenein
Marmorstein desAnstoßes. Der ge-
schwänzte Satyr mit denvon Bernini
höchstselbstausgebesserten Gliedern ist
ein Meisterwerk antike rBildhauerei–
undeine Provokation. Breitbeinigundbe-
trunken, mitdemvon Vergewaltigungen
unddionysischenPartys wohlig erschlaff-
tenPhallusfläzt sich derKerl auf sein
Pantherfell, einBildnis scham-und sorg-
loser Gelassenheit.Soungefährstellt
man sichdie Kulturwüstlingevon Don
Giovannibis Ha rvey Weinstein vor: eitle
Gockel, halbwildeTiere, vonkeinerlei
Zweifel oder MeToo-Bewegungen ange-
krän kelt.ImHinter grundhörtman pas-
send dazuLöwengebrüll, grunzdebileAf-
fenlaute, Sylvia-Plath-Gedichteundfemi-
nistische Manifeste.
Natürlichist Shakespeares misogyne
Komödie heute kaum mehr spielbar.Pe-
truchio, deralteFrauendompteur,dres-
siert die störrische Katharina nach allen
Regeln der Kunst,bis das „perfekte Käth-
chen“ am Ende freudig das Lobliedweib-
licher Unterwerfung anstimmt .Einst
machte manausdiesemStoffKiss-me-
Kate-Musicals undEhekriegsepenmit

ElizabethTaylor un dRicha rd Burton.
Heute istKateallen fallsnochals su bver-
siveEhetherapeutin oder,wie zuletzt bei
Tina LanikinMünchen,als Domina er-
träglich.
Auch in Freiburgschleifen starke Fr au-
endieMännerandenHaarenherum.Mar-
ciniak malt die männliche Niedertracht
breit undbuntaus.ThießBrammersaufge-
kratzterPetruchio und seinFreundLucen-
cio haben als bekennende Theaterveräch-
termehr Lust auf scharfe Weiber als auf
den heuteüblichen „Performancescheiß“,
aber ihreHoffnung erfüllt sichnicht. Mar-
ciniak und Czaplinskiverbitten sichalles
Lachen, das ja laut Programmheftnur
„traurig, beschämend, klagend falsch

sein“ kann, undverfolgen stattdessen eine
theatrale Doppelstrategie.
VonShakespearebis aufsBlut ge-
quält undgedemütigt,rächen sichdie
„Fickmäuschen“ Bianca undKate auf
der Metaebene an ihrenFolterern. Drei-
ßig Jahrenachihrer Doppelhochzeit
tref fensichdie Schwestern,umWun-
den zu leckenund Bilanz zu ziehen (war-
um sie das überweiteStrec kenauf Pol-
nischund Englischtun, erschließt sich
nicht auf Anhieb). Bianca, die einstja,
yesund si zu Männergewalt sagte, hat
sich, vonihrem Lucen cio verlassen, zur
verbittertenEmanze gemausert.Die
alteKatherina trauertihrem–angeb-
lichaneinem Herzinfarktgestorbenen
–Petruchio länger nach; immerhinwar
er ja auch ein sympathischunkon ventio-
neller Spaßvogel. So beneiden die alten
Schwestern die jungen um ihreJugend
und Naivität, trösteneinander und ha-
cken gemeinsam auf den Männernher-
um. Vorallem auf dem, der allesUnheil
lostrat:„Papa hat allesverkackt.“

So zieht sich derAbend mit prächtigen
Bildern,Tanztheater undTrockennebel
weitgehend überraschungsfreidahin.
ZurHochzeittaucht Petruchio alsTranse
auf,aberweiter werdendie Geschlechter-
rollennicht gelockert.Männe rsind und
bleiben Schweineund Faune,die Frauen
geprügelteHunde, die die Schuhsohlen
ihrer Herrenleckenund do ch keine Op-
fersein wollen. Manchmal liebensie si ch
nacktwie AdamundEva,aberdas Para-
diesbleibtimPatriar chat ein Intermez-
zo. Katharin aprobiertelisabethanische
Fashion,kocht, ohn emit der Wimper zu
zucken, blutigeFleischbatzen undnennt
alsBarbiepuppe mitblutigem Lippenstift-
mund dieSonne Mond, aber ihr Herrund
Gebieterlohnt es ih rnicht .Jungund ver-
liebt seinist so schön, und später,beim
RückblickimZorn, bleibtimmernochge-
nugZeit,allesrichtigzustellen undheim-
zuzahlen.
Marciniaksbaroc kerFreiburger„Som-
mernachtstraum“ 2018war ein eOffenba-
rung, ihre„Bartholomäusnacht“ letztes

Jahrschön kostümier terGeschichtsunter-
richtunter besondererBerücksichtigung
derRolleder Frauin Religionskrieg,Thron-
folgeund anderem Männerquatsch.Ihre
„Widerspenstige“ jetztist dasSatyrspielzur
Macho-Komödie.GeknechteteFrauenbe-
freiensichaus ShakespearesWorten und
Werten; so wirddasselbe Theater,das sie
diskriminiertund un terd rückt, zu mHebel
ihrer Emanzipation. Am Endetanzen und
singen die altenund jungen Schwestern
selbviert„RebelGirl“ vonBikini Kill.
Da macht es sichMarciniak dann doch
zu einfach. Die Premiereihrer „Wider-
spenstigen“rutschte als letzteAufführung
des FreiburgerTheater svor den Corona-
Ferienso ebennochdurch,wennauchnur
als Geisterspiel ohne Öffentlichkeit. Im
Fußball zeigt sichgerade, dassSpiele
ohne Publikumwenig Spaß machen, und
das gilt auchauf der Bühne. InZeiten, in
denen es umexistentielleFragen geht,
nehmen sichGender-und Geisterspiele
mit dem altfeministischen Erziehungsprü-
geleher hohl aus. MARTIN HALTER

Einengewaltigen Hammer hat sichBer-
telThorvaldsen in dierechte Handge-
legt, als er 1838 das Gipsmodell zu sei-
nemSelbstporträt als Ganzkörperstatue
schuf .Esz eigt ihn bei der Arbeit an der
Statue derHoffnung.Aber es zeigt ihn
auch in derTracht desantiken Gottes
Vulcanus,wie ihn Thorvaldsen exakt im
selben Jahr,241 Zentime ter hoch, in
Gips modelliert hat. Vulcanus istder
Gott desFeuers, derBronzegießer,aber
auch derMünzschläger.
Eine pikanteLiaison istdas Erhabene
hier mit dem Ironischen eingegangen,
denn für denKenner der Symbolever-
göttlicht sichder Bildhauerdamit nicht
nur selbst, er spielt auchdarauf an, dass
er seineKunstinklingende Münze zu
verwandelnverstand. Thorvaldsen, der
in seinerrömischen Werkstatt die Be-
rühmtheiten ausKunstund Adel ganz
Europas porträtierte,brachte es zu mär-
chenhaftem Reichtum durch diese Auf-
tragsarbeiten.Zugleichaber istder Ham-
mer auchSymbol desgermanischenGot-
tesThor,den Thorvaldsen, der Sohn des
isländischen HolzbildhauersGotskalk
Thorvaldsen, im Nachnamen trug. Da-
mit kommen nicht nur Gott und Geld,
sondernauchNordund Süd zusammen
–ein weiterer Belegdafür,wie an der
Wende vomachtzehnten zum neunzehn-
tenJahrhundertder Ostseeraumkultu-
rell die Nachfolgeder alten Mittelmeer-
Hegemonie antrat.
WieBeetho ven, Hölderlin undHegel
kamThorvaldsen1770 zurWelt,und
zwar inKopenhagen,wo jetzt dasThor-
valdsen-Museum biszum 18.Oktober
mitder Ausstellung„Von Angesicht zu
Angesicht“ an den 250. Geburtstagdes
Künstler serinnert .InZusammenarbeit
mitder Glyptothek inMünchen und der
dortigen Ludwig-Maximilians-Universi-
tät legt maninKopenhagen einSchwer-
gewicht auf diePorträtkunst Thorvald-
sens, der im Auftrag des Bayernkönigs
Ludwig I. zahlreiche Bildnisbüstenschuf.

Der Kunstrang desPorträtswarda-
mals umstritten. Thorvaldsen meißelte
Metternichund Napoleon in Marmor,
ZarAlexanderI.u nd denpolnischenFrei-
heitskämpfer Józef Antoni Poniatowski,
LordByron undWilhelmvonHumboldt.
Esgibt Anzeichen,dasserdasPorträttat-
sächlichnicht vordringlic hals Kunstgat-
tung, sondernals Geldquelle begriff.
Dochreflektierte er den Zwiespaltvon
Ähnlichkeitund Idealisierung, auchSym-
bolisierung sehrgenau. Als dieWitwe
des polnischen Adligen Włodzimierz Po-
tock idessen TotenmaskezuT horvaldsen
brachte, damitdieser derenZügefür eine
Ganzkörperstatueverwenden könne,
zeigte derKünstlerkaum Interes se dar-
an. Lieberstudierteerden antiken Dio-
medes-Torsoaus der Sammlung derWit-
telsbacher in München,der im Gegen-

satzzuden beiden Exemplaren inRom
und NewYorknocheinenKopf trägt.
Das Bildeines Helden,zudem er Potocki
überhöhen wollte,solltedas Gesicht des
Überzeitlichen,nicht desZeitlichen tra-
gen.
Alshumor volleIrritation setztdieAus-
stellung dasPorträtvon Ba rack Obama
ans Ende,wie es 2014 am Smithsonian
Institute als 3D-Ausdruck in weißem
Kunsts toff entstand: einreintechnisches
Fabrikatvonmessbarer Ähnlichkeit mit
dem realen Vorbild, vondiesemselbstin
Anspielungauf dieklassizistischePorträt-
tradition inWeiß gewählt.Ist das noch
Kunst? Vom19. November an, dem 250.
GeburtstagThorvaldsens, wird eine ähn-
liche Ausstellung,dann mit z ahlreichen
Leihgaben aus Dänemark, in München
zu sehen sein. JAN BRACHMANN

Undewiglocktder Faun


Jung undverl iebt sein istso
schön: Alona Szostakals gereifte
RächerinKatharina erobert
das männliche Ungeheuer.
Foto Birgit Hupfeld

Völligüberhöht –siehtihmähnlich


Kopenhagen zeigt BertelThorvaldsen zu dessen 250. Geburtstagals Porträtisten


Marianne Kesting lernteBertolt
Brechtkennen, als sie vierundzwan-
zig Jahrealt und Münchner Germa-
nistik studentinwarund erbeimBerli-
ner EnsembleRegie führte.Gespielt
wurde Brechts „KaukasischerKreide-
kreis“.Kesting warfasziniert. Tagfür
Tagfuhr sie durchsöde Ost-Berlin,
um ErnstBusch, der den Azdak spiel-
te,Helene Weigel, AngelikaHurwicz
und der jungenRegine Lutz zuzu-
schauen.Kesting bat Brecht um ein
Gespräch. Der empfing sie in seiner
Wohnung in der Chausseestraße 125,
undsiescheutenichtdenDissens.Sei-
nerBehauptung,jedebedeutende mo-
derneLiteraturseimarxistisch,wider-
sprac hsie ebenso wie seinem Bild
vonder heiteren Bevölkerung: „Die
Leutehier,umdasTheaterherum,
sind nicht heiter.Sie sind bedrückt.“
Aufsein „Das istnicht wahr“ antwor-
tete sie: „Ichhabe michmit den Leu-
tenunterhalten.“ Brechtwarbeein-
druckt.Erlud sie zum Essen ein.
1964veröffentlichteMarianneKes-
ting ihreBrecht-Biographie,vonder
in 37 Auflagen mehr als 370 000
Exemplareverkauftwurden.Auch im
nächs tenBuch, „Das epische Thea-
ter“ (1959), istder Stückeschreiber
die Hauptperson,währendihm im
dritten, „Panorama des zeitgenössi-
schen Theaters“ (1961), einesvon–
in der zweitenAuflage–58 literari-
schenPorträts gewidmet ist, dievon
Alfred Jarry bis zuPeterHandkerei-
chen. Dabei bewegt sic hdie Autorin
auf dem schmalen Grat zwischen Es-
sayund Kritik und lädt den Leser
zum „Gang durch die reiche Theater-
galerie unseres Jahrhunderts“ ein.
MarianneKesting kommt aus der
Theaterstadt Bochum. Als Hans
Schalla am Schauspielhausgleichin
seiner ersten Saison 1950, und das
warmutigdamals,Brechts„HerrPun-
tila und sein Knecht Matti“ aufführ-
te,machtesie Abitur.Mehrer eJahre
arbeitetesie beidhändig,imFeuille-
tonund an derUniversität.Ihre Be-
schäftigung mit dem Theater ver-
stand sie als „Stellungnahme“, um
„andereMeinungen zu provozieren“.
Nach Bochum zurückkehrte sie
1975, um nachZwischenstationen
beim HessischenRundfunk und der
HabilitationinKöln anderRuhr-Uni-
versitätden LehrstuhlfürAllgemeine
und VergleichendeLiteraturwissen-
schaf taufzubauen.
DasinDeutschlandnochwenigbe-
kannteFachnanntesie Komparatis-
tik,weil sie sichauchmit den Bezie-
hungen der Literatur zu anderen
Künstenbefas ste. So ging sie in ihrer
Abschiedsvorlesung 1995 über „Ge-
hen und Imagination“vonGiacomet-
ti sSkulptur „LHomme’ quimarche“
aus, um Mallarmés „Se promeneret
écrire“ durch die Literatur-und
Kunstgeschichtezufolgen. Als Ge-
hende in diesem Sinn übertrug Mari-
anne Kesting die Bewegung in die
Wahrnehmung. Heutewirdsie neun-
zig Jahrealt. ANDREASROSSMANN

Göttlicher Münzschläger:BertelThorvaldsen, wie er sichselbstsah FotoJan Brachmann

Brechts


Biographin


MarianneKesting


wirdneunzig Jahrealt


Femini stisches


Geis tertheaterin


Freiburg: DiePolin


EwelinaMarciniak


inszeniert„Der


Widerspen stigen


Zähmung“ als


Eman zipationsdrama.

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