Frankfurter Allgemeine Zeitung - 16.03.2020

(coco) #1

SEITE 2·MONTAG, 16.MÄRZ2020·NR.64 FPM Politik FRANKFURTERALLGEMEINE ZEITUNG


rso./sat.STUTTGART/WASHINGTON.
Noch am Freitagmittag hatteder ba-
den-württembergische Gesundheitsmi-
nisterManfredLucha(Grüne) nachder
Sondersitzung derLandesregierungaus-
drücklichdarauf hingewiesen, dasses
im SüdwestenherausragendeForscher
gebe, die an Impfstoffenund antivira-
len Medikamenten zur Bekämpfung
des Coronavirusforschen würden. Der
Hinweis dientedazu, denverunsicher-
tenBürgern in der angespannten Situa-
tion zumindestetwas Hoffnung zu ma-
chen. Eines derUnternehmen, dasLu-
chaimBlickhatte, wardie Tübinger
Biotech-Firma„Curevac“.AmWochen-
ende meldetendie Zeitung „Welt am
Sonntag“ und zahlreiche Online-Me-
dien dann,dassder amerikanische Prä-
sident DonaldTrump dasUnterneh-
men kaufen wolle, damit eskünftig nur
noch fürdenamerikanischenMarktfor-
schen sowie produzierenkönne.
Am Sonntagmorgen telefonierte Lu-
chamit Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) über die aktuelle
Lageinder Corona-Krise.Luc ha bat
ihn, alles zu tun, umTrumps feindliche
Übernahmenachallen Kräftenzuver-
hindern.Eine ähnliche Bitteäußerte
auchMinisterpräsident Winfried
Kretschmann (Grüne) amWochenen-
de. „Das istnatürlicheine Bundesange-
legenheit, aber wir sind natürlichder
Auffassung, dassalles getanwerden
muss, damit dieFirmaweiterhin für
den deutschen und europäischen Markt
forschen und produzierenkann“, sagte
der Sprecher dergrün-schwarzen Lan-
desregierung.Auchdiebaden-württem-
bergis cheWissenschaftsministerinThe-
resia Bauer(Grüne) forderte am Sonn-
tagdie Bundesregierung auf, alles zu
tun, um dasUnternehmen inTübingen
zu halten.„AnfehlendenRessourcen
für dieForschung mangelt es bestimmt
nicht .Eswäreein Drama,wenndieFir-
ma tatsächlichabwandernwürde, denn
das Unternehmen forschtnicht nur
über Impfstoffe,esist auchinder Lage,
ingroßemUmfan gImpfstoffezuprodu-
zieren“, sagteBauer dieserZeitung.
ObdieseAppellenochnotwendigwa-
ren, ließ sichamSonntag nicht abse-
hen, sicherwaraber,dassdie Firma
mittlerweile Spekulationen zurückge-
wiesenhat, dasssie verkauftwerde
oder Technologie nverkaufen wolle.
Auch der über eineStiftung an Curevac
beteiligteSAP-Gründer Dietmar Hopp
sollsichgegen einenVerkaufausgespro-
chen haben.

Weltweit führend in derForschung
Der Sprecher des Bundesforschungsmi-
nisteriums in Berlin bemühtesich am
Sonntag, die Gemüter zu beruhigen. Er
teilteüber Twitter mit:„Die Impfstoff-
Entwicklunggegen das #Coronavirus
wirdauchinDeutschlandvorangetrie-
ben. Über die Impfstoff-Allianz CEPI ist
hierzulande die deutscheFirma#Cure-
Vacdamit beauftragt.Die Bundesregie-
rungstehtmitCureVacineinemintensi-
venKontakt.“Vonder internationalen
Impf stoffkooperation CEPI erhielt die
TübingerFirmaerstkürzlic heineFörde-
rung in Höhevon7,5 Millionen Euro. In
diesenTagenwähle ndie TübingerFor-
scher Probanden für eine ersteklinische
Studie zumTest ihres neu entwickelten
Corona-Impfstoffesaus.

Nach Darstellung derFirmasowie
nachAuffassung führender Wissen-
schaftlergehörtCurevaczuden Unte r-
nehmen,dieinderKrebs-undImpfstoff-
forschung weltweit führend sind. Das
vorzwanzig Jahrengegründete Unter-
nehmen isteine Ausgründung aus der
UniversitätsklinikTübingen,Standorte
hat Curevac heuteauchinFrankfurt
und Boston. Die Impfstoffentwicklung
vonCurevacberuhtaufdermRNA-Tech-
nologie,imFalle des Coronavirus soll
das Immunsystem darauf trainiertwer-
den, das Hüllprotein des Coronavirus
als Eindringling zu erkennen, um so
eine Immunreaktion auszulösen.
Die Firma beschäftigt 460 Mitarbei-
ter, kooperiertmit den Pharmaunter-
nehmen Boehringer Ingelheim, Eli Lil-
ly undist finanziellvondemSAP-Grün-
der Dietmar Hopp sowie der „Bill-Ga-
tes-Stiftung“geförd ertworden. Beiden
Mäzenen ging es vorallem um die
Krebsforschung und die Entwicklung
vonImpfstoffen für arme Länder.

Trumpsteht unter Druck
Die amerikanischeRegierungversucht
nun offenbar,das Unternehmen zu ei-
ner Verlegung seines Sitzes in dieVerei-
nigtenStaaten zu bewegenund auchZu-
griffauf einigePatent ezubekommen.
FürDonaldTrumppasst der Wettlauf
um einen Impfstoffgenerell zu seiner
„America-first“-Strategie.DerPräsident
machtkein Geheimnis aus seinerWelt-
anschauung ,nachderjedesLandzualler-
erst seine nationalenInteressenverfol-
genmüsse. WiewenigTrumpangesichts
der Pandemievonder Kooperationmit
Bündnispartnernhält, hatteerzudem in
der vergangenen Wochedeutlich ge-
macht, als er ohnevorherige Konsulta-
tionen mit Brüssel einen Einreisestopp
für die Schengenstaaten verhängte.
Hinzukommt:Das Rennen um einen
Impf stoffist für Trumpaucheine Presti-
gefrage. Innenpolitischsteht er unter
enormen Druck. Nicht nurweil er die
GefahrdesCoronaviruslange kleingere-
dethatte, sondernauchweil er später in
Aussicht stell te,dasssein Land schon
bald über einen Impfstoffverfügenwer-
de. Nachdem der Präsident Anfang
Märzdie Vorstandvorsitzendengroßer
Pharmakonzerne undseinen Krisenstab
an seinemKabinettstischversammelt
hatte, sagteer, er habevernommen,
dassesschnell gehen könne mit einem
Impf stoff. Hoffnung hatteTrump
Stéphane Bancelgemacht, der den Bio-
tech -Konzern„Moderna Therapeutics“
leitet.Sein in CambridgeinMassachu-
setts ansässigesUnte rnehmenverfüge
über einen möglichen Impfstoff, der
schon bald auf seineWirksamkeitgetes-
tetwerden könne, sagteBancel.
Trumps BeraterAnthony Fauci, der
LeiterdesInstitutsfür Infektionserkran-
kungen, mussteden Präsidenten aber
umgehend auf den Boden derTatsa-
chen zurückholen. Er müsse eine Sache
richtigstellen: Ein Stoff, dergetestet
werde, sei nochkein Impfstoff, der
schon zum Einsatz kommenkönne.
Trumpwolltewissen, wie langeeine
Testphase dauernkönne.Fauci entgeg-
nete ungeduldig:„Wie ic hIhnen schon
gesagt habe: ein bis eineinhalb Jahre.“
Der Präsident entgegnete,für ihn klän-
genzweiMonateviel besser.

Langehatte MichaelMüller inSachenCo-
ronavirusgezögert, klareEntscheidungen
zu treffen. DerRegierende Bürgermeister
vonBerlin hattesichdafür harsche Kritik
vonMedizinern, aus der Bundespolitik
und vonden Medien eingehandelt.Am
Samstag schwenkteder SPD-Politikerun-
terdem Druckder Verhältnisseumund
legtedas öf fentliche Leben in der Haupt-
stadtweitgehendstill.DerSenatbeschloss
am frühen Samstagabend einschneidende
Maßnahmen, um dieVerbreitung des Co-
ronavirus zu bremsen. Mit sofortigerWir-
kungwurdenalleöffentlichenundnichtöf-
fentlichenVeranstaltungen mit mehr als
50 Personen untersagt.Kneipen und
Clubs mussten schließen, diePolizei war
mit zwei Hundertschaftenund Zivilbeam-
teninder Stadt unterwegs, um dasVerbot
durchzusetzen.SietrafnacheigenenAnga-
ben überwiegend aufVerständnis bei Be-
treibernund Besuchern.
Das Öffnungsverbotgilt auc hfür Spiel-
banken,WettannahmestellenundBordel-
le. Auch das Kulturleben istbetroffen, Ki-
nos, Theater,Museen undAusstellungen
müssen in Berlin zubleiben.FürVeran-
staltungen mit bis zu 50Personen müssen
Anwesenheitslistengeführtwerden, die
Name,AnschriftundTelefonnummerent-
halten und vierWochen aufbewahrtwer-
den müssen.Ausnahmengelten fürRe-
staurants und Imbisse,Raucher gaststät-
tendürfenaber nichtgeöffne twerden.
Auch Sportanlagen, Schwimmbäder und

Fitnessstudios müssen dichtmachen, der
BerlinerHalbmarathonmit37 000gemel-
detenTeilnehmern istfür daskommende
Wochenende abgesagt.InKrankenhäu-
serndürfenPatientenkeinen Besuch
mehr empfangen,Ausnahmengelten nur
für krankeKinder und Jugendliche unter
16 Jahren, die einmalamTag für eine
Stunde Besucherhalten dürfen. Be woh-
ner vonPflegeheimen dürfeneinmal am
Tagfür eineStunde Besuchempfangen,
aber nichtvonPersonen unter 16 Jahren
undsolchen mitAtemwegserkrankungen.
Der Regierende Bürgermeistersagte
am Samstagabend, die Maßnahmen wür-
den „jedenvonuns in unserem Alltag
massiv beeinträchtigen“. Sie seien aber
„dringend nötig“, um dieVerbreitung des
Coronavirus zuverlangsamen. Müllerrief
die Be wohner der Hauptstadt auf, solida-
rischmiteinander zu sein und zu helfen,
wo Hilfebenötigtwerde. DerRegierende
Bürgermeisterwar zuvor massiv kritisiert
worden, weil die Clubs und Barsder
Hauptstadt er st in derkommendenWo-
cheabDienstagschließen sollten. Amts-
ärzt ehatteMüller dagegen protestier t.
Der Leiter des Gesundheitsamtes Berlin-
Reinickendorf,Patric kLarscheid, hatte
voneiner „unverständlichen Verzöge-
rung“ gesprochen, die zurFolgehaben
könnte, dasssichamWochenende „noch
unnötig vieleneueInfektionenereignen“.
ZuvorhattesichMüller schon denUn-
mut der Bundesregierung zugezogen,

weiler ,andersals dieanderen Bundeslän-
der,zunächstkeine Schließung der Berli-
ner Schulen anordnete und mit demWort
vom„Flickenteppich“ dem Bund die
Schuld für unterschiedlicheRegelungen
der Länderzuwies. Bundeskanzlerin An-
gela Merkel(CDU) hattemit Blickauf
das BerlinerRote Rathaus gesagt: „Föde-
ralismus istnicht dafür da, dassman Ver-
antwortungwegschiebt,sondernFödera-
lismus istdafür da, dassjeder an seiner
Stelle Verantwortungwahrnimmt.“
Die Schulen in Berlin schließennun
am Montag und Dienstag, am Montag zu-
nächs tdie Berufsschulen, am Dienstag
alle weiteren. Der zusätzliche Schultag
am Montag sollgenutzt werden, um die
Schüler mit Material für Hausaufgaben
auszustatten und,wenn vorhanden,Un-
terricht über digitale Plattformen zu ver-
einbaren. Abiturprüfungen und andere
Abschlussprüfungen sollen aberstattfin-
den.AlleMaßnahmengeltenzunächstbis


  1. April,wenn die Osterferien enden.
    Bei rund 150 000 KinderninBerlin zwi-
    schen einem und 16 Jahren arbeiten bei-
    de Elternoder aber das alleinerziehende
    Elternteil, bei 178 000 Schülernarbeitet
    mindestens ein Erziehungsberechtigter
    nicht .Das geht aus Angaben desStatisti-
    schenBundesamts ausdemJahr2018her-
    vor. Für dieKindervonEltern,diein„sys-
    temrele vanten“ Berufen arbeiten, soll es
    eine Notfallbetreuung in Berliner Kinder-
    tagesstätten geben. Zu den „systemrele-


vanten“ Berufengehörenetwa medizini-
sches Personal und Pflegepersonal,Poli-
zei, Feuerwehr,Mitarbeiter der Energie-
und Wasserversorgung und wichtige
Funktionsträger in den Behörden von
Bund und Ländern.
Busse und Bahnenfahreninder Haupt-
stadt so langewie möglichweiter .Zuvor
hatteMüllerangekündigt,dassder öf fentli-
cheNahver kehr erheblichreduziertwür-
de. DerVerkeh rssenat entschied aber am
Freitagabend, dasserbis auf weiteres wie
gewohnt aufrechterhalten bleibe, weil
Krankenhäuser,Sicherheitsbehörden und
auchLebensmittelmärktemöglichstgut
und schnell erreichbar sein müssten.
Die PolizeiverteilteamSamstagabend
die Verordnung in der Innenstadt, bei ih-
renKontrollen konzentrierte siesichzu-
nächs tauf die Clubsund Kneipen der
Stadt. Vieleder bekannten Berliner Clubs
hatten aber schon amFreitag vonsichaus
zugemacht.Dorthatten sichbesonders
vielePersonen angesteckt, so das sinBer-
lin die meisten Erkranktenzwischen 30
und 39 Jahren alt sind. Rund ein Sechstel
der Infizierten warzuvor in Clubsunter-
wegs gewesen. Nach Stand vomSamstag-
nachmittagwaren in Berlin 263 Infizierte
registriert, einenTagzuvor warenes
gewesen.Zur Behandlung in Krankenhäu-
sernbefandensich15Erkrankte, die an-
derenwarenzuHause in Quarantäne.
Rundzwan zig Erkrankte warenüber 60
Jahrealt.

W


ir sind das Land mit den
höchs tenBetreuungsquoten
in Kitas und Schulen“, so
entschuldigend begründete
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerprä-
sidentin Manuela Schwesig (SPD) am
Samstagden spätenEntschlussihres Lan-
des, vonMontag an bis zum 20. April
auchKitas und die Schulen zu schließen.
Esseinichtum einenÜberbietungswettbe-
werb der Länder mit schnellen Schließun-
gen,sondernumeinegutvorbereiteteEnt-
scheidunggegangen, sagte Schwesig. Der
Montag gilt alsÜbergangstag, an dem El-
tern,die vonder aktuellen Entwicklung
überrascht worden seien, ihreKinder
nochinKitas und allgemeinbildenden
Schulen (öffentliche und private) bis zur
sechs tenKlassenstufeabgebenkönnen,
um alternativeBetreuungsmöglichkeiten
zu or ganisieren. Es sollten daran sowenig
Kinder wie möglichteilnehmen, die Sozi-
alkontaktesolltenweitgehendreduziert
werden, hieß es in Schwerin.„Wir werden
in den nächstenWochen erleben, dass
Schulen undKitas imZentrum der Gesell-
schaf tstehen“, sagte Schwesig.
Auch in denkommendenWochen sei-
en die Lehrer im Dienst,kündigteBil-
dungsministerinBettina Martin (SPD)
an. Es handele sichnicht umFerien, son-
derndie Lehrer müssten die Schülerwei-
termit Unterrichtsmaterial versorgen.
Eine Notfallversorgung stehe auchinden
Kitas zurVerfügung–allerdings nur für
bestimmtefürda söffentlicheLeben wich-
tigeBeruf ewie Mediziner,Polizisten, Pfle-
gekräfte und andere.
Auch die Universitätenwerden schlie-
ßen. Nach einer Sondersitzung desKabi-
netts entschlosssichauchdie Schweriner
Landesregierung, den übrigen 15 Län-
dernzufolgen.„Wir werdenin den nächs-
tenWochen Entscheidungen treffenmüs-
sen,dieunser Landsonochnicht gesehen
hat“, sagteSchwesig, deren Landrelativ
wenig Infizierte (landesweitwarenes45)
aufweist. „Nur wenn sic hdas Viruslang-
sam verbreit et,können Menschenleben
gerettetwerden“, sagtedie Ministerpräsi-
dentin. Der besondersbetroffene Land-
kreis Ludwigslust-Parchim wirdauchsei-
ne Verwaltung bis aufweiteres schließen.
VonMontag an sind nun in allen Bun-
desländerndie Schulengeschlossen oder
werden mit einerkurzen Übergangsfrist
geschlossen. Baden-Württembergwird
am Montag noch einenTagUnter richt
halten und die Schüler mit Lernpaketen
versorgen. Sachsen setzt die Schulpflicht
am Montag zunächstaus, um Schülern
und LehrernZeit zugeben, sichauf die
Schließungvorzubereiten, Brandenburg
setzt denUnterricht er st vonMittwochan
aus. Der Schulbesuchist damitweiter
möglich, aber nicht mehrverpflichtend.
In Hessenfindetvon Montag ankein Un-
terricht mehrstatt, allerdings gibt es die
Möglichkeit,Unterrichtsmaterial aus den
Schulen zu holen.
Das bayerische Kultusministerium hat
in Partnerschaftmit dem Bayerischen

Rundfunk schon am Sonntag ein speziel-
les Angebotfür „Schule daheim“ angebo-
ten, das SchülervonMontag an abrufen
können. Auch derBildungskanal ARD-al-
pha wirddann spezielle Lernformatesen-
den, zugleichkönnen Schüler mit der Me-
diathekdesSenderslernen.FürjedeJahr-
gangsstufeund jedeFächergruppe sind
Lernpaketekonfiguriert. Kultusminister
Michael Piazolo (Freie Wähler) sagte:
„Wichtig ist, dasswir unseren Schülerin-
nen und Schülernverschiedene Möglich-
keiten bieten, Unterrichtsinhaltevon zu
Hause aus zu bearbeiten. Mit denqualita-
tiv hochwertigen Bildungsmedien des
BayerischenRundfunkskönnen wir sie
hervorragend unterstützen.“
Unterdessen fragen sichMillionen El-
tern,wie die Betreuungüber fünfWo-
chen funktionieren soll und wie ihre
Kinder schulischamBall bleibenkön-
nen,wenn sie selbstarbeiten müssen.
Auch wenn viele Arbeitgeber großzügi-
ge Lösungenmit Arbeitenvomheimi-
schen Schreibtischaus angebotenha-
ben,sind berufstätige Elter nimöffentli-
chen Dienstdarauf angewiesen, eine
NotfallbetreuunginAnspruchzuneh-
men.Dochdiese Notfallbetreuung birgt
neue Risiken. Darauf hat der Direktor
des Instituts fürVirologieder Charité
Christian DrostenamWochenende hin-
gewiesen.Erhat die Länder dazuaufge-
fordert, dieNotbetreuungvom ersten
bis sechsten Schuljahr so gutwie mög-
lichzubegrenzen undkeinesfalls neue
Betreuungsgruppen zusammenzustel-
len,die neue Infektionsherde bilden
könnten,dadurch werdedie Infektion
unnötig „befeuert“, so DrostenamSams-
tag. Die Betreuungsoll nun in Berlin
„grundsätzlichinder vertrauten Kita
stattfinden“. Anspruch haben nur El-
tern,deren Berufeals „sy stemrelevant“
gelten. Dortmüssen die Elterneine
Selbsterklärung unterschreiben und be-
stätigen, dasssie einer der definierten
Berufsgr uppen angehören undkeine an-

der eBetreuungsmöglichkeitfür ihr
Kind einrichtenkönnen.AmSonntag
hat die Bildungsverwaltung eine Liste
veröffentlicht,welche Berufedazu zäh-
len: Es sind Polizei,Feuerwehr und
Hilfsorganisationen,Justizvollzug, Kri-
senstabspersonal derVerkehrsbetriebe,
der S-Bahn, der Müllabfuhr,sämtlicher
Unternehmender Ver- und Entsorgung,
der Energieversorgung, desGesund-
heitsbereichs. Eingeschlossen sind auch
das Pflegepersonal, medizinischeFach-
angestellte,Reinigungspersonal, sonsti-
gesPersonal in Krankenhäusern,Arzt-
praxen, Laboren, Beschaffungund Apo-
theken, abe rauchSchlüsselfunktionsträ-
gerund betriebsnotwendigesPersonal
in öf fentlicher undkommunalerVerwal-
tung, in Kitas und Schulen in der Notver-
sorgung Beschäftigte. ÄhnlicheRegelun-
gengelten in den meistenanderen Län-
dern, auchinHessen, Schleswig-Hol-
stein oderHamburg. Eltern, die eine
Notbetreuungnicht in Anspruchneh-
men dürfen, wissen, dassArbeitnehmer
nur fürwenigeTageohne Lohneinbu-
ßen ihrem Arbeitsplatzfernbleibenkön-
nen, um Kinder zu betreuen.

D

aher appellierte Arbeitsminis-
terHubertus Heil (SPD)am
Sonntag eindringlic handie
FirmenchefsundBehördenlei-
ter, mit ihren Mitarbeiterngroßzügige,
unbürokratische und einvernehmliche
Lösungen zufinden, die nicht zu Lohn-
einbußen führen. „In dieser Krise müs-
sen alle zusammenstehen.“ Arbeitneh-
merbater,wennnötig und möglichÜber-
stunden abzubauen oderkurzfristigUr-
laub zu nehmen. Alternativen seien auch
das ArbeitenzuHause oder „kreativeAr-
beitszeitmodelle“. Heil willgemeinsam
mit Bundeswirtschaftsminister Peter Alt-
maier(CDU)an diesem Mittwochdie So-
zialpartner–also Arbeitgeber und Ge-
werkschaf ten –einladen,„umzugemein-
samenLösungenzukommen“.Am Sams-
taghatteschon SPD-Generalsekretär

LarsKlingbeil solche Lösungen in Aus-
sichtgestellt.„Daranarbeitenwir.“Er ap-
pellierte an die Arbeitgeber,sich in die-
sen Krisenzeitenflexibel und entgegen-
kommend zu zeigen. „Eskann nicht sein,
dass Arbeitgeber dieseHerausforderung
nur den Beschäftigten überlassen.“
Deutschlandweit gibt es 2,8 Millionen
Grundschüler.In Kindertageseinrichtun-
genund Hortenwerden 3,7 Millionen
Kinder betreut.
Die meistenEltern habenVerständnis
für die einschneidende Entscheidung,
Schulenund Kitas zu schließen. Die El-
tern schulpflichtiger Kinder sorgensich
aber auchumdie Leistungen der Kinder.
Eine Berliner Mutter schlägt denVerzicht
auf Herbstferienvor. Die wochenlange
Aussetzung des Unterrichts alleinmit
selbständigem Lernen zu ersetzen,findet
sie unbefriedigend. Die Bundesschüler-
konferenz (BSK)befürchtetwegen der
Schulschließungen großeNach teile für
die Schüler.„Grundsätzlichempfinden
wir den Schritt alsrichtig, weil er aucher-
forderlic hist“, sagtVerbandssprecherTor-
ben Krauß.„Wir sehen aber erhebliche
Nach teile für die Schüler,besonders für
die Abiturienten.“
Nicht nur FDP-Bundestagsabgeordne-
te wie Katja Suding und der inzwischen
selbs tinfizierte ThomasSattelberger ha-
ben darauf hingewiesen, dasssichjetzt
die mangelhaftedigital eInfrastruktur
an Schulenrächt. Jedenfalls sind die
Schulen mit einemausgebauten Intra-
net, das allen Schülernzur Verfügung
steht, und vielen digitalenLernmateria-
lien imVorteil.Der VerbandBildung
und Erziehung (VBE)wies in einerEr-
klärung darauf hin,dassinLitauen,das
zu denVorreiter ndigitaler Bildunggehö-
re,insolcheiner Situationflächende-
ckenderUnter richt wohl möglichsei.
Dasselbe gilt für Estland.Wiegut hierzu-
lande einzelne Schulen ausgestattet
sind, hängt imWesentlichen mit dem En-
gagement der dortigen Schulleitung und
des Kollegiumsab.

Feindli cheÜbernahme


inZeiten vonCorona?


Amerikawill eineTübinger Biotech-Firmakaufen


Berlinmachtzu


Nachlangem ZögernschwenktMüllerumund legt die Hauptstadt still / VonMarkusWehner,Berlin


Nurn ochdasSy stemrelevante


pca. BERLIN.Die Bundeswehrsteht
bereit,umsowohlregionalalsauchbun-
desweit in dergegenwärtigen Corona-
Lagezuhelfen. Das hatVerteidigungs-
ministerinKramp-Kar renbauer (CDU)
am Sonntag bekräftigt.Zugleic hver-
sucht dieTruppe, sichmit vielfältigen
Maßnahmen selbstgegen dasViruszu
verteidigen. Hierzu wurde am Samstag
diedeutscheTeilnahme am Großmanö-
verDefender 2020 abgesagt. Am Sonn-
tagteiltedie Streitkräftebasis der Bun-
deswehr mit, dassder Dienstbetrieb auf
das „unabweisbar Notwendige“redu-
ziertwerde,umimFalle desFalles genü-
gend Kräfte zur Verfügung zu haben. In
der Grundorganisation der Bundes-
wehr sind sowohl die Logistik als auch
der Heimatschutz, dasFeldjägerwesen
und die zivil-militärischeZusammenar-
beitorganisiert.Ein Großteildermögli-
chen Unterstützung,etwa für überfor-
derte Landkreise, im Extremfall aber
auchGroßstädte, würdevondieser Or-
ganisationkommen, die Generalleut-
nant Martin Schelleis führt.
Kramp-Karrenbauer sagte:„Wir pla-
nen auf allen Ebenen so, dasswir alle
kritischen Bereiche sicher abdecken
könnten, auch,wasanAmtshilfeauf
uns zukommt.“ Den Einsatz der Bun-
deswehr inKatastrophenfällenregelt
das Grundgesetz. Dortist in Artikel 35
festgeschrieben, dassBehörden des
Bundesund derLändersichgegenseitig
Rechts- und Amtshilfeleisten.
Der „Welt am Sonntag“ sagte
Kramp-Karrenbauer,esseiendieReser-
vistenaufgerufen, sichzu melden, um
indenBundeswehrkrankenhäusernmit-

zuhelfen.Aber ähnlich wie das Zivil-
leben, sind auchBundeswehrangehöri-
ge vonden bundesweiten Schließungen
vonSchulen und Kindergärten betrof-
fenund müssen die Betreuung ihrer
Kinder organisieren. Das Sanitätswe-
sen der Bundeswehrrief deshalb Kran-
kenpfleger ,Notfallsanitäter, Labor-As-
sistenten und pharmazeutisch-techni-
sche Assistenten in derReserve auf,
sichzumelden. Im Sanitätsdienstder
Bundeswehr arbeiten insgesamtrund
20 000 Menschen.
Bereits seit einigenWochen werden
über das Beschaffungsamt der Bundes-
wehr zusätzlicheAtemmasken, Schutz-
anzügeund Medikamentebeschafft.
Insgesamt, so istzuhören, wurden da-
fürbislang mehrals180 MillionenEuro
ausgegeben.Zudem trifft die Bundes-
wehr nebendem bereitsfürWuhan-Ver-
dachtsfälle ausgebautenStandortGer-
mersheim in der Südpfalz in mindes-
tensdreiweiteren KasernenVorkehrun-
genfür dieAufnahme HunderterPa-
tienten. In Germersheim hatten 122
Personen, die zuvorvonder Luftwaffe
ausChinaabgeholtword en waren,zwei
Wochen in Quarantäneverbracht.
Die Truppe selbstwar bisFreitag-
abend mit derzeit 18Fällen betroffen,
wie die Ministerinsagte. Der bayeri-
sche Ministerpräsident Markus Söder
(CSU) hatteamSamstageine stärkere
Einbindung der Bundeswehr in den
Kampfgegen die Corona-Pandemie an-
geregt.Sie solle mit Pflegepersonal,
Ärzten, Laboreinrichtungen undKapa-
zitäten in ihren Krankenhäusernmit-
helfen. Das sei „angesichts dieser Krise
unabdingbar.“

Als letztes Bundesland


schließt Mecklenburg-


Vorpommer nSchulen


und Kitas. Dochdie


Notbetreuungfür


Kinderkönnt enegative


Folge nhaben.


VonHeikeSchmoll,Berlin


Bundeswehrbietetüberforder ten


Land kreisenU nter stützungan


GroßmanöverDefender2020 abgesagt

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