Frankfurter Allgemeine Zeitung - 16.03.2020

(coco) #1

SEITE 20·MONTAG,16. MÄRZ 2020·NR. 64 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


E


inKrankheitserreger, wieerviel-
leicht nur einmal im Jahrhun-
dertauftaucht .Mitdiesendrama-
tischen Worten beschrieb Bill
Gates unlängstdas neuartigeCoronavi-
rus. Gates, Mitgründer des Softwarekon-
zernsMicrosoftund einer der reichsten
Menschen derWelt, warntschon seit Jah-
renvor einer solchenPandemie und will
nun bei deren Bekämpfung mithelfen. Die
wohltätigeStiftung, die er zusammen mit
seinerFrau Melinda betreibt, hat dafür bis
zu 100 Millionen Dollarversprochen. Das
Geld soll unter anderem in die Entwick-
lung vonImpfstoffen zum SchutzvorIn-
fektionen undvonArzneimitteln zur Be-
handlungvonErkranktenfließen. Beides
fehlt im Moment.
Neben den beidenNamensgebernist
MarkSuzman alsVorstandsvorsitzender
die drittezentraleFigur derStiftung, und
auchersieht in demViruseine Bedro-
hung,wiesienurseltenvorkommt.ImGe-
spräch mit derF.A.Z. sagt er,vieles deute
darauf hin, dassdies die schwersteglobale
Gesundheitskrise seit der Spanischen
Grippe im Jahr 1918 sei, also einerPande-
mie,dieSchätzungenzufolgebiszu50Mil-
lionenTodesopferforderte. Suzman will
keine Prognose abgeben, wie viele Men-
schen sichletztlichmit dem Coronavirus
infizieren odergardaran sterben werden.
Aber er hofft,dassErfolgebei der vonsei-
ner Stiftung unterstützten Suche nach
Impf stoffenund Arzneimitteln die Bilanz
verbessernkönnen.Undinder Zwischen-
zeit hält er es für „unabdingbar“, radikale
Schrittezue rgreifen, um dieAusgangspo-
sition imKampfgegen den Erregerzuver-
bessern. Alsoetwa Veranstaltungen abzu-
sagen, um Menschen aufAbstand vonein-
ander zu halten, so wie das derzeit reihen-
weise aufderganzen Welt geschieht. Oder
vonzuHause aus zu arbeiten, wie er und
alle anderen Beschäftigten der in Seattle
beheimateten Gates-Stiftung das schon
seit knapp zweiWochen tun.
SonüchternSuzmanaufdieCorona-Kri-
se bli ckt: Er folgtauchder Philosophievon
Billund Melinda Gates, die sich gerneals
„ungeduldig eOptimisten“ beschreiben.
Soll heißen, sieglaube ndaran ,dassselbst
monumentaleHerausforderungenwieeine
Pandemi einden Grif fzubekommen sind,
auch wenn es ihnen dabeinichtschnellge-
nuggehenkann.IneinemGesundheitsnot-
stand wie jetzt sieht es Suzman als den
„Heili genGral“, einenImpfstoffzu finden.
DaranarbeitetzumBeispieldievonderGa-
tes-StiftungvordreiJahrenmitgegründete
CoalitionforEpidemic PreparednessInno-

vations (CEPI). Siewurde imNachgang
derschweren Ebola-Epidemievoreinigen
Jahren inWestafrik ains Lebengerufen
undwirdnichtnurvonStiftungen, sondern
auch vonRegierungen finanziert.Bundes-
kanzlerin AngelaMerkel hob die Initiative
in derverg angenen Wocheini hrer Rede
zurCorona-Krise hervorund sagte,sie
habe persönlic hfür de renUnterstützung
geworben.Sie verkündete dabei auch,dass
DeutschlandCEPIweiter e140 Millionen
Euro zurVerfügungstellen wolle.Suzman
lobt das als„sehrgroßzügig“ undsagt,da-
mit se iDeutschland der wichtigste Geldge-
ber. Er hofft,weiter eRegierungen gewin-
nenzukönnen.Gegen wärtig wir ddas Pro-
jektauch vonLände rnwieGroßbritannien
undNorwegenunter stützt ,nicht abervon
denVereinigtenStaaten.
WieSuzman sagt, istes unter anderem
der Anschubhilfevon CEPI zuverdanken,
dasseineReihe vonUnternehmenanKan-
didaten für Impfstoffe arbeiten.Aber nach
seiner Einschätzung wirdesauchfür die
aussichtsreichstenvonihnen annähernd
18 Monatedauern, bis sieverfügbar sein
werden, denn an einergründlichen Prü-
fung vonWirksamkeit und Sicherheit füh-
re trotz desgewaltigen Handlungsdrucks
kein Wegvorbei: „Man muss auchineiner
Krisevorsichtig sein.“ Etwas schneller
könne es im bestenFall mit der Entwick-
lung eines Medikaments zur Behandlung
der vomCoronavirusverursachten Atem-
wegserkrankung Covid-19gehen. Suzman
verweistdarauf, dassesjetzt schon einige
Hoffnungsträger gibt,etwa ein Mittel, das
der amerikanische PharmakonzernGile-
adScienceseinstimKampfgegendasEbo-

la-Virusentwickelthatunddasnu nfürCo-
vid-19getes tetwird. Auchdie Gates-Stif-
tung will bei der Suche nachMedikamen-
tenmithelfen und haterst vorwenigenTa-
genmitPartnernwieder wohltätigenbriti-
schen Wellcome-Gruppe eine entspre-
chende Initiativeangekündigt. Ziel istes
dabei, den Entwicklungsprozesszube-
schleunigen, zum Beispiel indem beste-
hende Bibliotheken mitTausendenvon
chemischenVerbindungen, die schon auf
Sicherheitgeprüftworden sind, in einem
Schnellverfahren aufetwaigeWirksam-
keit für Covid-19 untersuchtwerden.

S


uzman setzt darauf, dasssichda-
mit drei oder vier Substanzen fin-
den lassen, die dann umgehend
an Tieren und Menschengetestet
werden können.„Wir könnten damit viel
Zeit gewinnen.“ Selbstwenn auf diese
Weise ein wirksames Medikamentgefun-
den wird, würde aber nachseiner Ein-
schätzung ein Jahrvergehen, bis es auf
breiter Front eingesetzt werden kann.
Undesmüssten auchProduktionskapazi-
tät en bereitgestellt werden, um es ingro-
ßen Mengenfertigen zukönnen. ImRah-
menderInitiativewilldie Stiftungauchsi-
cherstellen, dassein etwa iges Arzneimit-
telauchMenschen in ärmeren Ländern
zur Verfügunggestellt wird,wo die Stif-
tung einen Schwerpunkt ihrer Arbeit hat.
„Es gibt immer das Risiko, dassreiche
LänderZugang zu frühen Behandlungs-
methoden dominieren.“ In jedem Fall
hofft Suzman, für das Projekt auchPart-
ner aus der Pharmaindustriezugewin-
nen. Er sagt, er habe auchschon mit eini-

genTopmanagernder Branchegespro-
chen, diesichoffenfür eineZusammenar-
beit gezeigt hätten.
StiftungenvonSuperreichen wie Bill
Gatessindgerade injüngsterZeit of tkriti-
siertworden.IhnenwirdzumBeispielvor-
geworfen, sichauf Gebieten Einflusszu
verschaffen, die eigentlichAufgabe der
Politik wären, und das oftmit Mitteln, die
sie derVermeidungvonSteuernzuver-
danken haben. Suzmankontert, Philan-
thropiekomme eine wichtigeRolle zu,
unddaskönne sie auchinder gegenwärti-
genCorona-Krisedemonstrieren.Erbe-
schreibt Organisationen wie die Gates-
Stiftung als „Brückenbauer“, dieweder
Regierungen nochUnternehmen erset-
zen wollen, aber eineLück efüllen.Stif-
tungenhättenzumBeispielmehrRessour-
cen alsRegierungen, um Risiken einzuge-
hen, sowie eineglobalestatt nationale
Perspektive.Siekönnten außerdemmitfi-
nanzieller Anschubhilfeund anderen An-
reizen die Pharmaindustrie dazu bringen,
nichtnurin„dasnächsteViagra“zuinves-
tieren,sondernauchinGebiete,dieweni-
gerlukrativ erscheinen, aber im öffentli-
chen Interesse liegen. Siekönnten also in
Fällen eines „Marktversagens“ einsprin-
gen. „Und mankann argumentieren, dass
es auf dem Gebietder Pandemiebereit-
schaf tmassives Marktversagen gibt.“ Die
Bill &MelindaGates Foundation istdie
größtePrivatstiftung derWelt.Sie be-
schäftigtfast 1500 Mitarbeiter,verfügt
über einVermögen vonmehr als 45 Milli-
arden Dollarund hat zuletztrund fünf
Milliarden Dollar im Jahr fürwohltätige
Zweckeausgegeben. Ihre Projektezielen
in er ster Linie auf Entwicklungsländer
ab, wo sie zum Beispielversucht, Krank-
heiten wie Malaria oderPolio einzudäm-
men oder Bauernzubesseren Ernten zu
verhelfen. Gegründetwurde sie 2000, im
gleichen Jahr,als Bill Gates denVor-
standsvorsitzvonMicrosoftabgabund an-
fing, in demUnternehmenkürzerzutre-
ten. Seit 2008konzentriertsichGates
zum größtenTeil auf seinewohltätigeAr-
beit, und erst am Freitag kündigteeran,
seinen Sitz imVerwaltungsrat und damit
seine letzteoffizielleFunktion bei Micro-
softaufzugeben.Auch sein anderesVer-
waltungsratsmandat in dervomInvestor
Warren Buffett geführtenHolding Berk-
shireHathawaylegt er nieder.Buffettist
ein guterFreund vonGates und auchin
derStiftungaktiv,derermehrals20Milli-
arden Dollaraus seinemVermögen ge-
spendethat. Um ihre Ziele zuverfolgen,
istdieSti ftungof taufdie Kooperationsbe-
reitschaftder Politik angewiesen.Undso
istGates, der früher alsrauhbeinigerUn-
ternehmer bekanntwar, in seiner Arbeit
als Wohltäter vielstaatsmännischer und
diplomatischer geworden. Er hält sich
auchmit allzuscharferKritikamamerika-
nischen Präsidenten DonaldTrumpzu-
rück, auchwenn dessen politischerKurs
bisweilen schwervereinbar mit der Philo-
sophie derStiftung erscheint,etwa auf
Gebietenwie dem Klimawandel. Auch
Suzman gibt sichvorsichtig beiFragen
nachTrumps Regierung, dervorgeworfen
wurde, die Bedrohung durch dasCorona-
virus heruntergespielt undverspätet ge-
handeltzuhaben.Er gibtzwarzu,es habe
indenvergangenenWocheneine„Lücke“
beim Testen vonAmerikanernauf dasVi-
rusgegeben, hebtaberhervor,mittlerwei-
le werdeentschlossengehandelt.Und die
Stiftung habe erst vorwenigenTagenmit
Vertretern der Regierunggesprochen.

Wassergläser fehlen nochund auchsonst
sieht es in den frischbezogenenRäumen
vonAlice Mertons undPaul Grauwinkels
neuerUnte rnehmenszentrale einwenig
provisorisc haus.DerFlurhängt aberauch
früh im Jahr schonvoll mit Auszeichnun-
gen, verliehen für Mertons Debütalbum
„Mint“ undvorallem „NoRoots“. Das
Lied, veröffentlichtam2.Dezember 2016,
bildetdie Grundlage für den Erfolg der
beiden und hat die Musikerin inWindes-
eile bekanntgemacht. Gut ein Jahr später
spieltesie in der amerikanischen„Tonight
Show“vonJimmyFallon, 2019folgte ein
Auftri tt auf dem legendären Coachella-

Festival inKalifornien.Keine Selbstver-
ständli chkeit,er strechtnichtfüreinedeut-
sche Künstlerin, die im Sommer 2016 mit
ihrem bestenFreund kurzerhand ein eige-
nes Labelgegründethat,weil sie zuvor bei
großen Plattenfirmen abgeblitztwaren.
„Wir hatten allesfertig, vonder Musik
bis zu den Pressefotos“, erinnertsichPaul
Grauwinkel an dieTreffenmit Universal
Music und Co. Dochdie Lieder überzeug-
tendie Label-Manager nichtrestlos, Mer-
tonund Grauwinkel wiederumweiger ten
sichdie Aufnahmen zuverändern. „Mein
Ziel wares, direkt nachdem Studium ei-
nen Plattenvertragzuunterschreiben“,
sagt Merton. Diesen Ehrgeiz haben viele
der Künstler ,die es an diePop-Akademie
inMannheimzieht.DieAussichtaufeinei-
genes Unternehmen und Amerika-Touren
dürfteMertonund Grauwinkel allerdings
dochrecht kühn vorgekommen sein, als

sie sic h2013 im Studentenwohnheimken-
nenlernten. Mertonhatte einen Platz im
Bachelor-Studiengang Pop-Musikdesign
ergattert, Grauwinkelwarfür Musik-Busi-
nesseingeschrieben. „Ichhabe zehn Jahre
GitarregespieltundauchMusik-Abiturge-
macht“, sagt Grauwinkel.Aber spätestens
an der Akademie habe ergemerkt, dasses
deutlichbessereGitarristengebe.AlsMer-
tonimLaufedes Studiums kleineAuftri t-
te hatte,kümmerte sichGrauwinkel um
den Ton. Mit den ersten Vertragsverhand-
lungen intensiviertensie ihr eZusammen-
arbeit.Dabei erwies sichauchdas Umfeld
in Mannheim alsvorteilhaft. Viele Vorle-
sungen an derPop-Akademiewerden von
Vertretern aus der Musikbranche gehal-
ten. Wersichcleveranstellt, kann so
schon frühKontakt ezuLabels,Verlagen
oder Vertrieben knüpfen. „DasNetzwerk
istein sehrgroßer Mehrwert“, sagt Grau-
winkel und natürlichsei auc hdas erlernte
Wissenfü rdieLabel-Gründungwichtigge-
wesen. Mertonhat der weil an der Akade-
mie nicht nur ihreheutigeBand gefunden,
sondernüberhaupterstgelernt für eine
Ban dzuschreiben.„Bisdahinhabeichim-
me rnur für mich selbst auf der Gitarre ge-
schrieben“, sagt die heute26Jahrealte
Musikerin. Alice Mertonist in Frankfurt
geboren, zog mit derFamilie aber schon
früh erst nachAmerika, dann nachKana-
da.Mit13kamdieFamilienachMünchen.
Viele Stationen inkurzer Zeit.
Di eBeziehung zurUniinMannheim ist
aber weiter eng. ImRahmen des Bache-
lor-Abschlusskonzerts spielteMertonim
Sommer 2016 das ersteMal den späteren
Hit „NoRoots“. Eine goldene Schallplatte
für mehr als 200 000verkaufte Einheiten

des Liedessteht heuteimBürodes Künst-
lerischen Leitersder Pop-Akademie, Udo
Dahmen. Musiker mit eigenen Labels gibt
es einige. DerWegvon Grauwinkel und
Mertonist dennochbeachtlich. Anfangs
sei esvorallem darumgegangen, eine
Partner-Strukturrund um Paper PlaneRe-
cords aufzubauen, so Grauwinkel. „Du
brauchstPromoter ,einen Vertrieb und na-
türlic hmussdie Finanzierungstehen“,
sagt er.Gestar tetsind sie mitetwa 20 000
Euro, im Herbst2016 folgteder Umzug
nachBerlin. IhrFokuslag zunächstauf
dem deutschsprachigen Markt.„Da Alice
Muttersprachlerin ist,warklar,dassesda-

bei nicht bleiben soll“, sagt Grauwinkel.
Dochohne eingewachsenes Team sei das
utopisch. Mit „NoRoots“ lief es allerdings
schnell so gut, dasssie schon Anfang 2017
mehr Mittel brauchten. „Viele denken,
wenn es einmal läuft,kommen die Dinge
vonallein“,sagt Grauwinkel, dabei müsse
man gerade dannweiter in vestieren. An-
fangs sei es schon sehrstressiggewesen,
so Merton. Zwar hatten sie ihrePartner,
wie etwa den Digitalvertrieb RecordJet,
dochvieles erledigtendie beiden selbst–
auchdas Verschickenvon CDs. Seine ers-
te Mitarbeiterinstell te dasDuo dann im
September 2017 ein.

Heutegehören drei Leutefestzum
Team vonPaper PlaneRecords ,neben di-
versen Freiberuflernfür Marketing oder
einer Social-Media-Fachfrau, die Merton
etwa an geplante Beiträgeerinnert. Im
vergangenenJahrstandeinUmsatz imho-
hen sechsstelligen BereichzuBuche. Die
Aufgabenteilung istklar geregelt:Merton
macht die Musik,während Grauwinkel
auf dergeschäftlichen Seitedie Fäden in
der Hand hält.„Die großen Entscheidun-
gentreffen wirgemeinsam, aber beimTa-
gesgeschäfthalteich michzurück“, sagt
Merton. In derZentrale wirddie Budget-
planung sowie dieKoordination der Pro-
mo-Aktionen oder dieVorarbeit fürKon-
zerte erledigt.Mertonkommt hier nicht
täglic hvorbei.Sieistvielunterwegsfürdi-
verseAuftritt eund Musik lässt sichauch
zu Hause oder imStudio schreiben. Meist
arbeitet siedafür mit NicolasRebscherzu-
sammen,der ihr Anfang 2019 erschiene-
nes Debütalbum „Mint“ produzierthat.
Dasseiihrlieber, alsLiedervonpr ofessio-
nellen Songwriterneinzusingen.Auch als
potentielle Instagram-Influencerin sieht
siesic hnicht :„BeimirgehtesnurumMu-
sik“,soMerton.DasEngagementalsJuro-
rininder Pro-Sieben-Sendung„The Voice
of Germany“ habe sie dagern zugesagt.
IhreehemaligenKommilitonenaus der
BandbezahltsieheutefürProbe-undTour-
tage.„Früher haben wir einfachMusikge-
macht,jetztbinichsozusagenAuftraggebe-
rinund wi rhabendementsprechend auch
eineVerantwortunggegenüber unserem
Team“, sagtMerton. Tourneen sindeine
der wichtigstenEinnahmequellen .Auch
weil gerade hier neben allerleiFanartikeln
weiterhi nCDs un dSchallplattenverkauft

werden. Wieviel ein eTouramEndeein-
bringt, hängtvondiverse nFaktorenab.
Das beginnt schonbei de rGröße de rVer-
anstaltungsorte.„Wenn du ineinerStadt
vor2000Leutengespielt hast, istmeistens
dernächs te Schrit tauf 4000 zuverdop-
peln“,sagtGrauwinkel.Damüssemanvor-
ab sehrgenau planen, obsichsovieleKar-
tenwirkli ch verkaufenlassen.Schließlich
will neben derBandauchBühnenbild,
Tourmanager und derübrig eTross bezahlt
werden, abzüglichnatürlich des Anteilsfür
denVeran stalter. Fehlkal kulationenkön-
nendaschnellteuer werden. Festivalauf-
trit te seien vielentspannter, da do rt die
GageoftvorabfestgelegtwerdeunddasRi-
siko so überschauba rsei. Obendrein er-
reichtMertonhierMenschen,diees vorher
nie auf ein Einzelkonzert vonihr verschla-
genhätte. Festivals wirdMertondaher
auch im kommenden Sommer spielen,an-
sonsten aber macht sie sichrar.„Ichbrau-
cheZeit,umneueMusik zu schreiben“,
sagtsie. EinenErscheinungstermin für das
zweit eAlbumhaben sieund Grauwinkel
indes nochnicht im Blick–ebensowenig
wieandere Künstler aufihrem Labelunter
Vertragzunehmen. „Langfristig istdas ein
Ziel, aberersteinmal habeich mitmeiner
Karrieregenug zu tun“, sagtMerton. Da
sei zuwenigZeit, um andereKünstler zu
betreuen. Der Ärgerüberdie Abfuhr bei
den Plattenfirmen is tjedenf alls längstver-
flogen: „VielleichtwaresamEndenur gut
so, dassdie Maj or-Labelsunsdamals nicht
wollten“ ,sagtGrauwinkel. Mi teinem ar-
beitensie heutesogarzusammen.SonyMu-
sic kümmert sich in Deutschland, Öster-
reichund de rSchweiz um den Vertrieb des
kleinen Labels. BENJAMIN FISCHER

Seit zweiWochen im Homeoffice: MarkSuzman, Leiter der Gates-Stiftung FotoGetty

VonderUniindieCharts


AliceMertonist längsteinebekannte Musikerin.UnterVertragstehtsiebeiihremeigenenPlattenlabel,dassiegemeinsammiteinemFreund führt.


„WirbauenBrücken“


Großbritannien istbislang auf einem
Sonderweginder Corona-Krise.Wäh-
rend fast alle europäischen Länderwe-
gendes VirusGroßveranstaltungen ab-
gesagt haben und Schulen schließen, ei-
nigesogardasSozial-undWirtschaftsle-
benradikalaufEislegen,hatdieLondo-
ner Regierung bislang keine solchen
Schritteangeordnet.Fußballspiele oder
Konzerte finden auf der Inselweiterhin
statt, der Schulbetriebgeht weiter .Die
Regierung rätlediglichallen Menschen
mit Corona-Symptomen zur „Selbstiso-
lierung“. Das Sozial- undWirtschaftsle-
ben sollweitergehen. DochBoris John-
sons Regierungkommt zunehmend un-
terDruck,die Nervosität steigt. AmWo-
chenend edeutetesichangesi chtsde rim-
merschärferenKritik eine halbeWende
an: GrößereVeranstaltungen werden
wohlbalduntersagt,berich tete nZeitun-
gen. Aber Schulen und Kindergärten
bleiben offen.
Hinter der umstrittenen Corona-Poli-
tik stehen zwei Männer,auf die sichder
Premierministerber uft:derobersteWis-
senschaftsberater derRegierung, SirPa-
tric kVallance, und der Chefmediziner
des Landes, der Epidemiologie Chris
Whitty.Vallance erklärte inFernsehin-
terviews seine Position:Vorallem Älte-
reundandereGefährdetemüssenge-
schütztwerden; derVerlauf der Epide-
mie müssegestre ckt werden, um eine
ÜberlastungdesGesundheitssystemszu
verhindern.DieAbsagevonGroßveran-
staltungen habe aberkeinen großen Ef-
fekt,behauptete er,damitwürdederHö-
hepunkt der Ansteckungskrise nur um 5
Prozentverringert.
Besonderskontroversist seine An-
sicht, dassohnehin ein Großteil der Be-
völkerung–ersprichtvon60Prozent –
Infektionen erleben werdeund auch
müsse, damit es zu einer „Herdenimmu-
nität“komme. DieRegierungsberater
gehen davonaus, dassesnach der ers-
tenWellevonCorona-Infektionenzuei-
ner zweiten und drittenWelle kommen
könne, so wievorhundertJahren bei
der verheerenden Spanischen Grippe.
Wenn ein Großteil der Bevölkerung mit
dem VirusinBerührunggekommen sei,
entwickele sic heine „Herdenimmuni-
tät“. Vallances Theorie istallerdings

hochumstritten. Eine Sprecherin der
WeltgesundheitsbehördeWHO äußerte
sichskeptisch. Der Chefredakteur der
Medizinzeitschrift„The Lancet“warn-
te,die Regierung spiele „Russisches
Roulette“ mit der Bevölkerung. Am
Sonntag sagteschon Gesundheitsminis-
terMattHancock,alssic heinPR-Desas-
terankündigte, die „Herdenimmunität“
sei nieTeil der Strategiegewesen.
Doch werist Patric kVallance, derdie-
se gewagteStrategi eunter stützt? Der
Mediziner,der in dieserWoche60J ahre
alt wird, lehrte mehr als ein Jahrzehnt
alsProfessoramUniversity College Lon-
don,wo erzuletztdieMedizinfakultätlei-
tete.SeineeigeneForschungkonzentrier-
te sichauf Blutgefäße undden Blutkreis-
lauf, zudemhat er sich einen Namen als
klinis cher Pharmakologegemacht.Im
Jahr2006 ging Vallance in die Wirt-
schaf tund übernahmbeim britischen
PharmakonzernGlaxo Smit hKline Lei-
tungsaufgaben, im Jahr2012wurde er
Chef desBereic hs Forschungund Ent-
wicklung.IndieserZeit verantwor tete er
Milliardenbudgetsund triebzahlreiche
Medikamentenneuentwicklungen–ge-
genKrebs,Asthma bis hinzuHIV –vor-
an. Im Jahr2018 beriefdieRegierung
ihn zu mChief ScientificAdviser.
Andersals Vallance istChris Whitty,
derChiefMedicalOfficer, einaufEpide-
mien spezialisierterMediziner.Der in
Oxfor dausgebildete 53-Jährige, der erst
vorfünf Monaten das Amt übernahm
und zuvorverschiedene Ministeriums-
posteninnehatte,trittstetsruhigundbe-
sonnen auf. EinenTeil seiner Kindheit
hat er in Nigeriaverbracht,kennt also
auchLänder mit nurrudimentärem Ge-
sundheitssystem.
Nunist die Stunde ihrergrößten Be-
währungsprobegekommen.IneinemIn-
terviewsagteVallancekühl: „Mein Job
istes, die wissenschaftlicheWahrheit
der Macht (derRegierung) zu sagen.“
Am WochenendeversprachenVallance
und Whitty,ihreModelle offenzulegen.
Allerdings: Liegen sie falsch, wirdman
ihnen massenhafte Infektionen zur Last
legen.Falls dieKurveder Totenauf der
Inselschnellersteig talsin anderen Län-
dern, wirdJohnsonwohl schnell Sün-
denböcke suchen undfinden. ppl.

Eingespieltes Duo: Paul Grauwinkel und Alice Merton FotoMatthiasLüdecke

Die Gründer


DieWissenschaftlerhinter


JohnsonsCorona-Politik


Boris Johnson mit Chris Whitty (links) undPatric kVallance (rechts) FotoEPA

Die Stiftu ng vonBillund


Melinda Gatesengag iert


sichind er Co rona-Krise.


UndVorstandschef


Mark Suzmanist voll


desLobes für Angela


Merkel.


VonRoland Lindner,


NewYork


MENSCHENUND WIRTSCHAFT

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