Frankfurter Allgemeine Zeitung - 16.03.2020

(coco) #1
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Sport MONTAG,16. MÄRZ 2020·NR.64·SEITE 23

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Die Eishockeyprofis sind hart


getrof fen. Vielen bleibt bald nur


der Gang zum Arbeitsamt.


Eine Allgäuer Bergwachtlerin


über denRettungsdienstund


darüber,wie anderevon ihr lernen.


Der Ruder-Weltmeister


Max Planer hat die Meditation


für sic hentdeckt.


An MartinFourcade hat sichdie


Biathlon-Konkurrenz die Zähne


ausgebissen.Nunist Schluss.


„GESCHOCKT UND RATLOS“ JUGEND SCHREIBT DIE MASCHINE SEID ACHTSAM!

E

sgibt viele, die ihn nicht mö-
gen. Die seine Artzucoachen
abstoßendfinden, die ihn für
völlig überschätzt alsTrainer hielten,
angesichts seines Erfolges in Liver-
poolaber gerade umdenken–oderda-
vonüberzeugtsind, dass dieskein
Kunststücksei, bei alldemGeld.Jür-
genKlopp, und das muss man ihm –
egal, wie man zu ihmsteht –zugute-
halten,ist weit davon entfernt, sich für
unantastbar zu halten. Undwenn man
mit ihm spricht, bekommt man eine
Ahnung,warumerein Team führen
und mitreißenkann. Er hat dieFähig-
keit, imrichtigen Moment das Richti-
ge zu sagen–auf derWebsitedes FC
Liverpoolhat er einen Briefveröffent-
licht, dessenTonartsichviele vonden
Führungsfiguren der Verbände ge-
wünschthätten. Die nungefährdete
Meistersch aftdes FC Liverpool und
auchdie vieldiskutierte Frage, ob in
der Premier League erst im Herbst
wiedergespieltwerden kann, spielen
darinkeine Rolle. (pep.)
Der Brief imWortlaut:
„Ichdenkenicht, dassdies ein Mo-
ment ist, in dem die Gedanken eines
Fußballmanagerswichtig sein sollten.
Aberic hverstehe,dassunsereFanset-
wasvon der Mannschafthören wol-
len,unddemwerdeichnachkommen.
In er ster Linie müssen wir alle–in
der Gesellschaftmeine ich–alles da-
für tun, um unsgegenseitig zu schüt-
zen. Das sollteimLeben immer der
Fallsein,aberindiesemMoment, den-
ke ich, is tdas wichtiger denn je. Ich
habe bereitsgesagt, dassFußball im-
merdiewichtigstederunwichtigenSa-
chen zu sein scheint.Heutesind der
Fußball undFußballspieleüberhaupt
nicht wichtig.Natürlic hwollen wir
nicht vorleerenStadien spielen und
wir wollennicht, dassSpiele oder
Wettbewerbe ausgesetzt werden.
Aber wenn dies einem Einzelnen
hilft, gesundzub leiben–nureinem –,
werden wires ohnenachzufragen tun.

Wenn es eine Entscheidungzwischen
Fußball und demWohl der Gesell-
schaf tist,ist das keine Frage. Wirk-
lichnicht.
Die heutige Entscheidung undVer-
kündung wirdmit dem Zielgetroffen,
die Sicherheitder Menschen zuge-
währleisten. Deswegen unterstützen
wir dieskomplett. Wirhaben gese-
hen, wie Mitgliedervon Teams, gegen
die wir antreten, krank geworden
sind.Dieses Virushat gezeigt, dasses
keineImmunität bietet, Teil des Fuß-
ballszus ein. An allemit uns rivalisie-
rendenKlubsundEinzelne,diebetrof-
fensind oder es nochsein werden:
,IhrseidinunserenGedankenundGe-
beten‘. In diesem Momentweiß kei-
ner vonuns, wie das Endergebnisaus-
sehenwird, aber alsTeam müssen wir
überzeugt davonsein, dassdie autori-
sierten Behörden ihreEntscheidun-
genauf der Basisvonfundiertem Ur-
teilsvermögen und Moral treffen.
Ja, ic hbin der Manager dieses
Teams und Klubs und tragedeshalb
eine Verantwortungfür unsereZu-
kunftauf dem Platz.Aber ic hdenke
in diesemMoment, bei so vielen Leu-
teninunsererStadt, derRegion, dem
Land und auf derWelt, die Angst ha-
ben und Unsicherheit verspüren,
wäre es falsch, über mehr zureden als
darüber,den Ratschlä gender Exper-
tenzufolgen und sichumsichselbst
undumandere zukümmern.Indieser
Nachrichtdes Teams an unsere An-
hängergeht es nur um euerWohlbe-
finden.Setzt eur eGesundheitaners-
te Stelle. Geht keine Risikenein.
Denktan die Verletzlichen in unserer
Gesellschaftund handelt,wo mög-
lich, mit Mitgefühl für sie.Passtbitte
auf euchauf und achtetaufeinander.
You’ll ne verwalk alone,
Jürgen“

You’ll never


walk alone


VonJürgenKlopp

A


mFreitagnachmittag, als sich
die Deutsche Fußball Liga
(DFL) nachvielen Protesten
gezwungen sah,ihr Geschäft,
entgegender eigenenAnkündigungweni-
ge Stunden zuvor, doch sofor truhen zu
lassen, überblickteMesut Özil, dersich
mit seinenKollegenvonArsenalLondon
zu diesemZeitpunkt schoninQuaran-
tänebefand, diegesamt eLage. „Wäh-
rend wir durch diesesglobale Problemge-
hen,sollten wirandie Ärzte, Kranken-
schwestern und Wiss enschaftler welt-
weit denken,die un shelfen, die Ausbrei-
tungdes Virus zuverhindern.Sie stehen
in denkommendenWochen unter ho-
hem Druckund verdienenunseren Re-
spekt und unsereDankbarkeit.Fußball
spielt im Momentkeine Rolle. DieGe-
sundheit und dasWohlbefindenaller
sindweitaus wichtiger als alles andere.
Leute,trefftalle mögliche nVorsichts-
maßnahmen–seid aufmerksamund rück-
sichtsvollgegenüber allen, besondersge-
genüber denen, dieeinem hohen Risiko
ausgesetzt sind“,schrieb Özil aufTwitter.
Kurz darauf zeigtensichinAmerika
die GoldenStateWarriorsumNBA-Star
Stephen Curry mit ihren Klubangestell-
tensolidarischund spendeteneine Milli-
on Dollar,umihren Leutenwähren dder
Unterbrechungdes Spielbetrieb sfinan-
ziell zu helfen.„Als Spielerwollten wir
gemeinsam mit dem Besitzer und den
Trainer netwas tun, um denKummerin
dieserZeit zu lindern“,sagte Curry.Der
erstneunzehn Jahre alte Zion Wil-
liamsonvonden NewOrleans Pelicans
kündigtean,alleindieGehaltszahlungen
der Angestellten seinesTeams im Smoot-
hie King Centerfür diekommenden 30
Tage zu übernehmen,solange, wiedie
NBAzunächstpausieren will. „Erst diese
Leute machen unserSpielmöglich“,
schrieb Williamson.Auchinanderen
amerikanischenProfisportarten, ob im
Baseballoder Eishockey, versprachen
Starsund Klubs,für Mitarbeitereinzu-
springen.Undschon am Mittwochhat-
tenFußballfansaus Romund Bergamo
dieRückerstattungfür die abgesagtenEu-
ropapokalspieleihrer Klubs an Kranken-
häusergespendet.
Am Samstagwandtensich auchRonal-
do und Messi,die bestenFußballerdes
Plane ten, die auf ihren sozialen Plattfor-
men weit übe rhalbe Milliarde Menschen
erreichen, andie Welt.Ronaldo schrieb:
„Ichmeldemichnicht al sFußballer,son-
dernals Mensch. Es istwichtig, dasswir
den Anweisungen derBehördenFolge
leisten. DerSchutz vonMenschenleben
steht an oberster Stelle.MeineGedanken
sindbei all denen, die jemandenverloren
haben. MeineSolidarität gilt denen, die
gegendas Coronavirus ankämpfen,wie
meinTeamkollegeDaniele Rugani.“
Auc hJürgenKlopp nutzteamWochenen-
de seine enormePopularität undschrieb
in Liverpool an dieFußballfans (siehe
Kommentarauf dieser Seite). Er schließt
seinen Brief mitdenWorten: „Passt bitte
auf euchauf un dachtetaufeinander.“

Man musssichalso nur umschauen in
der Welt des Profisports:Überall gibt es
Zeichen vonSolidarität und echter Hilfe.
Viele Starsnehmen ihreVerantwortung
an.Nachaußen,gegenüberalldenjenigen,
dievomCoronavirusdirektbetroffenund
bedroht sind, und nach innen,gegenüber
denjenigen, die als einfache Angestellte
und Helfer diefinanziellen Folgen des
Shutdown im Sportspürenwerden, weil
ihreKonten nicht so prallgefüllt sind.
Auch derDeutscheFußball-Bund (DFB)
hatamFreitagerstmalseinZeichen derfi-
nanziellen Solidarität nachinnen gesetzt,
als er ein „Unterstützungsprogramm zur
Aufrechterhaltung der Liquidität“ für die


  1. Liga, dieFrauen-Bundesligaund Regio-
    nal- und Landesverbände inAussicht ge-
    stellt hat, falls derFußball längerruhen
    muss als bis zum 3. April, dem bishervon
    den Verbänden veranschlagtenTermin.
    Unddas wir dder Fall sein.
    Während also vieleStarsdes Spiels ihre
    weltweitgehörte Stimme nutzen, um die
    Menschen zu erreichen und der Krise zu
    begegnen,istvondengroßeninternationa-
    len FußballverbändenFifa und Uefavon
    Solidarität bisherwenig zuvernehmen.
    Die Fifa hat zwar dieAbstellungspflicht
    fürdiekommendeLänderspielperiodeauf-
    gehoben, darüber hinaus aber hat Präsi-
    dent Gianni Infantino auchkeine Aus-


künfte gegeben, wie es mit demFußball
weitergehen kann undwelche der zahlrei-
chenFifa-We ttbewerbezurDispositionge-
stellt werden könnten, um den nationalen
Ligen in dieser Krisewenigstens zeitli-
chen Spielraum zuverschaffen. Er zeigte
ineinemVideonur,wiemansichdieHän-
de wäscht.
Im Kontextder gelebtengesellschaft-
lichen und innersportlichen Solidarität
schauen die deutschenFußballanhänger
und die Öffentlichkeit an diesem Montag
auchnachFrankfurt,wo die DFL eine au-
ßerordentlicheMitgliederversammlung
einberufen hat, um mit den 36 Profiklubs
über denUmgang mit der Krise zu disku-
tieren und über denweiterenWegzuent-
scheiden. „Es istganz wichtig, dassman
sichmal Gedanken über denTellerrand
hinaus macht und schaut,wasauf der
Welt los ist“, mahnteUli Hoeneß, der Eh-
renpräsident des FC Bayern,amSonntag
in der Sendung „Doppelpass“ in wün-
schenswerterKlarheit. Die Sitzung der
DFL an diesem Montag halteerfür wich-
tig, „aber dakann man fastgar nichts be-
schließen.Wirmüssen derRealität end-
lichmal ins Auge schauen.Unddie Reali-
tät heißt:vier Wochen warten und alles
auf nullfahren, bis dieZahlen runter ge-
hen.“Vielleichtkönne manauchimOkto-
ber nochnicht wiederFußball spielen,
„das weiß doc hkein Mensch“.
Im Fokusder vergangenenTage hatten
im deutschen Profifußball bishervoral-
lem die drohenden und zumTeil un ver-
meidlichenfinanziellenVerluste gestan-
den, die durchSpielverlegungen, Geister-
spiele oderkomp lette Absagen drohen.
DerBlickricht et sich bishernuraufdenei-
genen Nabel. Der drohendefinanzielle
Verlust, wenn die Saisonkomp lett abge-
brochenwerden müsste, liegt dabei laut
DFL-Kreisen für Bundesligaund zweite
Ligabei rund 750 Millionen Euro(Siehe
Wirtschaft).
Die wirtschaftliche Krise,vorder der
Fußballnicht nur in Deutschlandsteht,
könnte in derTatumwälzend wirken. Es
spricht manches dafür,zumindestscheint
esangesichtsderheutenochunabsehba-
renFolgen nicht ausgeschlossen, dassdas
Coronavirus auchden Profifußball in sei-
ner jetzigenForm zerstören könnte, ihn
zumindestmassiv veränderndürfte. Das
fängt bei derUmverteilung der Gelder
zwischen armen undreichen Verbänden
und Klubs an und hörtbei der Debatte
um wild wucherndeWettbewerbe nicht
auf. DieFrage, welche Wettbewerbe in
dem vollgepackten internationalenTer-
minplan in der Krise nun Priorität haben,
dürfteamMontag bei der DFL-Sitzung
genauso wie einenTagspäter bei der
Uefa-Konferenz mitVertretern der natio-
nalenVerbände zentrales Themasein.Da-
bei hängt alles mit allem zusammen. Die
undenkbar gewordene Europameister-
schaft, die eigentlicham12. Juni inRom
beginnen sollte, begrenzt dabei den letz-
tenSpielraum,den sichdie nationalenLi-
geninEuropa nocherhoffen; auchder
DFB erwartet inzwischen eineVerschie-
bung. Hinzukommen die unterbroche-

nenWettbewerbede rChampionsund Eu-
ropa League, die den Ligen bei Lösungs-
ansätzen zusätzlichzuschaffenmachen.
Eine Verschiebung der Europameister-
schaf tauf Ende des Jahres, angelehnt an
den Terminplan der WM 2022 in Qatar,
oder um ein Jahr auf Sommer 2021, wür-
de wiederum zurKollision mitFifa-Wett-
bewerben führen,etwa der Klub-WM, die
imübernächstenSommer eigentlichzuei-
nem Großevent mit 24Teams aufgepeppt
werden sollte. Auch frisc herfundene
Wettbewerbe wie dieNations League, mit
dersichdieUefadieKassen füllt,machen
die Sache nicht leichter.Der „Kicker“ hat
die Fußballfans daher aus aktuellem An-
lassgefragt,welche Prioritätensiesetzen,
wenn es umFußball-Verzicht geht:Fast
90 Prozentwollen, dassbei derAbwä-
gung dessen,wasimFußball wichtig ist,
den nationalen LigenVorrang bei der
Fortsetzung der Saisongegeben wird–
EM (6 Prozent),Europapokal(3) und na-
tionale Pokalwettbewerbe (2) haben
kaum Bedeutung.
In der Diskussion um Existenzgefähr-
dungenvonKlubs –die vonder DFL und
großen Klubs wie Bayern München und

Borussia Dortmund in den Mittelpunkt
gestellt wurden–entsteht jedochder Ein-
druc k, dasszahlreicheFußballfans einem
Ende der gigantischen Geldmaschinerie,
zu der sichder Profifußball mit seinen as-
tronomischenAblösesummenundGehäl-
tern sowie den immer neuen und aufge-
blähtenWettbewerbenentwickelthat, kei-
ne Träne nachweinen würden.Undklar
scheint auch, dassineinem Systemwie
der Bundesliga,von derenVier-Milliar-
den-Umsatzrund 40 Prozent inPersonal-
kosten fließen,eine Umverteilung ver-
mutlichunumgänglichsein wird. Die Ge-
halts kostenderKlubs,sosagteunder war-
tete es nicht nur der einstigeDFL-Ge-
schäftsführer Andreas Rettig, werden
künftigeingedampft. EntwederdurchGe-
halts- oderKaderverkleinerungen. Erst-
mals wirdsichdie deutsche Boombran-
cheProfifußball, die sogar in derFinanz-
krise nochwuchs, nicht um dieVertei-
lung vonZuwächsen streiten, sondern
sichüber Abstricheeinigen müssen.Und
einigeder kleineren Klubswerden drin-
gend Hilfebrauchen. So viel jedenfalls
scheint sicher:Ohne Solidarität, ein
Wort,das auc hdie nationalenVerbände
wie die DFL und der DFB bisher noch
nicht in den Mundgenommen haben,
wirdesnicht gehen. Jedenfalls in dieser
Hinsicht hat der Profifußball nochgroßes
Wachstumspotential.

Gänseblümchen sind angesagt –Fußballspiele sind abgesagt. FotoGES

Kommen auchfür ihn wieder bessereZeiten? FotoVisum

Die Angstvorder Fußballkrise
Für di eBundesligasteht in Corona-
Zeiten viel auf dem Spiel.
Die ganze Branche fürchtetumihre
Existenz. Seite18

DieWahrheit

liegtn icht

aufdemPlatz

Heuteinder Wirtschaft


Die Krisekönnteden Pr ofifußball in seiner


exzessiven Form massiv verände rn –


die wachsende Solidarität Einzelner istimmerhin


ein Anfang.


VonMichael Horeni, Berlin


„Setzt eureGesundheit
an er steStelle. Geht
keine Risiken ein.Passt
bitteauf euc hauf.“
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