Frankfurter Allgemeine Zeitung - 16.03.2020

(coco) #1

SEITE 24·MONTAG,16. MÄRZ 2020·NR. 64 Sport FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Vom Geschäftsführereines Fußballver-
eins innerhalbkürzester Zeit zumKri-
senmanager aufzusteigen: Wie fühltsich
das gerade an?

Icherlebe gerade anstrengende Momen-
te.Man muss ständig abwägenund sich
Wissen aneignen. Ichmusseigene Inter-
essen und Gesamtinteressen ab wägen.
Wirstimmenuns innerhalbder Ge-
schäftsführung des VfLWolfsbu rg mit
Hilfe vonviel Kommunikationgut ab,
um mitgesundem Menschenverstand ei-
neneigenenWegzufinden.Aber wenn
es um die Auswirkungen desCoronavi-
rusgeht, bin ichkein Experte. Wirbewe-
genuns alle auf unsicheremTerrain.Ich
nehme Dingewahr,versuche sie zu be-
werten und bindavon abhängig,was Vi-
rologen empfehlen.


Fitness in Eigenregie odertotaler Trai-
ningsstopp: Was tun dieSpieler des VfL
Wolfsburginden nächstenTagen?

Wirhaben ganze viele Mitarbeiter in das
Homeoffice geschickt.UnsereNach-
wuchsakademie istseit Freitag geschlos-
sen. DenTrainingsbetrieb der Profis set-
zen wir in dieserWoche aus–mit klaren
Reiseauflagen. Am 23. Märzwollen wir
wieder mit demTraining beginnen.


Könnten Sie verstehen, dass den Spie-
lern möglicherweisedie Motivationab-
handenkommt?

Das is tgenau der Grund,warumwir die-
se Wochetrainingsfrei gestalten. Ich
weiß, dassandereVereine damit anders
umgehen.Wasindieser Hinsichtrichtig
oder falschist,wird man nie herausfin-
den. Aber werals Sportler die Sinnhaftig-
keit einesTrainings inFragestellt, wird
seine Motivation aus völlig verständli-
chen Gründenverlieren.


Der Zweitligaverein Hannover96veröf-
fentlicht in diesen Tagen Interviews von
seinenSpielern, die unterQuarantäne
stehen. Ist dassinnvoll und notwendig?
Odersollteman dasgesamte Hamster-
rad ganz bewusst anhalten?

Ernsthaft? Dasfinde ic hnicht richtig. Es
wäre gut, das Hamsterrad einfachmal
ganz anzuhalten.Zumal dieWeisheiten,
die der Sporthervorbringt, nicht immer
der Weisheit letzter Schlusssind.


Streng genommen,sind Profispieler
Wertgegenstände. Was möchte der VfL
Wolfsburg, wie sich seine Mannschaft
mit Blick auf die Epidemie verhält?

In er ster Linie sind unsereSpieler Men-
schen wie du und ich.Undnatürlichha-
ben sie auchBedürfnisse.Wirversuchen,
die Dingesohinzubekommen, dasssich
die Spieler einigermaßen frei bewegen
können. Andererseits müssen sie auf be-
stimmteDingeRücksicht nehmen. Sie
können sichinnerhalbvonDeutschland
frei bewegen, sollen dabei aber soziale
Kontakt esoweit wie möglicheindäm-
men. Mir istwichtig:Wirachten darauf,
dassunsereSpieler allesWesentlichevon
uns aus erster Hand erfahren und nicht
durch so manchen Blödsinn, der im öf-
fentlichenUmlauf is t.


Beim Abwägen zwischen Weiterspielen,
Geisterspielenund Spieltagabsagen: Ist
der bezahlteFußballvon der schnellen
Entwicklung rechtsund links überholt
worden?

Es ging alles unglaublichschnell. Aber
ganz ehrlich: Der Profifußball hat ein
paar Dingeeinfac hersteinmal ignoriert
oder sie nichtwahrhabenwollen.


Die Entscheidungswege waren für eine
temporeiche Sportart schon sehr lang-
sam ...

Es heißt ja immer so schön :Der Fußball
istdie schönsteNebensache derWelt.
AmEndeist jedereinzelneVereinim Pro-
figeschäf tein Wirtschaftsunternehmen.
Wirlebennicht im luftleeren Raum, son-
dernesgeht umWirtschaftlichkeit.Und
natürlich kann eine solche Epidemie,
wie wirsie gerade erleben, für so man-


chen Verein existenzbedrohendsein. Ja,
der Fußball hat insgesamtsehr langsam
reagiert.Aber es gibtinsolchaußerge-
wöhnlichen Momentenauch keinenMas-
terplan,den man aus der Schubladezie-
henkann. Akte 12, Strich B–das gibt es
einfac hnicht.

Wasist mi tder Vorbildfunktiondes Fuß-
balls? Wo warbeim zögerlichenEnt-
scheiden der Wille,die Gesundheit über
alleszustellen?
Ichglaube,dassdas er steAugenmerkdes
Fuß ball sdarau flag,möglichstwenigwirt-
schaftlichenSchadenzu nehmen.DieFra-
ge am Ende ist: Wird der wirtschaftliche
Schaden durch Spielausfällegrößer sein
oder derImageschaden? Richtigist:Iners-
terLiniegehörenviele unsererZuschauer
zurRisikog ruppe,erstinzweiterLinieun-
sere Spieler.Deshalb musstegehandelt
werden.

Ist die Sportart Fußball, diesteinreich
istund sich eben noch immungegen al-
lesglaubte, plötzlich verwundbar gewor-
den?
Natürlic hsind wir Profivereine nicht im-
mungegenalles. Daswirdjetzt jedemEin-
zelnennocheinmal deutlichvor Augen
geführt.Ja,wirhabendas GroßeundGan-
ze zu sehen.Und das istdie Gesundheit
der Bevölkerung. Auch der Profisport
mussalles dafür tun, dasssichdiese Epi-
demielangsamerodergarnicht weiter ver-
breit et.Das unterstreiche ichzu1 00 Pro-
zent.Aber wir tragen alsWirtschaftsun-
ternehmen auchVerantwortung.Wenn
sichsolche Dingegegenüberstehen, wer-
den bei der Entscheidungsfindung auch
Fehler gemacht.

Ist der bezahlte Fußballeiner derWirt-
schaftszweige, der staatlicheHilfe bean-
tragenmuss?
ZumjetzigenZeitpunktwürde ichdie
Vereine darumbitten,diesen Aspekt
nicht aufzugreifen .Das würde nämlich
zu nullVerständni sführen und einen
Imageschaden mit sich bringen, deraus
meine rSicht nicht mehrreparabel er-
scheint.Aber man muss auch festhalten:
DiedeutschenProfiklubshaben unheim-
lich hohe Einnahmen, die auch zu hohen
Ausgabe ngeführthaben. Dabeikonnten
sich die meisten Vereine nich twirkli ch
Spec kanfressen. Es gibt natürlichAus-
nahmen.Aber für vieleProfiklubsist der
Spielb etrieb am Endeein Nullsummen-
spiel. Unddas will einebreiteÖffentlich-
keit einfachnicht wahrhaben oderverste-
hen. Wirhaben Sponsoren. Wirhaben
Fernsehverträge, diewir einhalten müs-
sen. Hinter unssteht einriesiger Appa-
rat.Das wir dgerne vergessen.Undfalls
viel GeldvonVereine nzurückgefordert
wird,weil sie bei einemvorzeitigen Sai-
sonende nicht ihrevereinbartenLeistun-
genbringen können ,wirdsomancher
vorgroßenProblemenstehen.Dahilft
auch der Vorgriff auf künftigesTV-Geld
nicht.

Sie nehmenandiesem Montag an der
Mitgliederversammlung der Deutschen
Fußball-Liga (DFL) teil.Mit welchen
Fragen und Positionenbringen Sie sich
ein? Was wünschen Sie sich?
Ichkenne auchkein Allheilmittel.Aber
ichsehe dieVereine, die zusammenkom-
men, als eine Gemeinschaft. Wirwerden
gemeinsamversuchen müssen, einever-
nünftigeund sinnhafte Entscheidung zu
tref fen, die für alle tragbar und gut ist.

Dann wirdsich zeigen,obdie DFL als
Zusammenschlussvon Profivereinen
auch eine Solidargemeinschaft ist.
Diese Solidargemeinschaft,vonder im-
mer gesprochen wird, wirdimGroßen
und Ganzen auchgelebt.Das merkt
man vorallem in Krisensituationen. Es
kanndurchaus sein, dassesbald wich-
tig wird, dassdie reichenVereine den
wenigerreichenVereinen helfen müs-
sen. Aber es istwirklic hsehr schwierig,
die extrem unterschiedlichen Interes-

sen immer wieder zusammenzuführen.
Eskannsein,dasswir unsbaldGedanken
darübermachen müssen,wasimdeut-
schen Profifußball eigentlichinvorders-
terLinie steht.Ich kenne im Momentkei-
ne richtigeAntwor t.

Ihre Einschätzung: Wie lange wirddie
Spielpause derBundesliga wirklich dau-
ern?
Niemandvonuns weiß, wi eesnachder
bis zum 2. April beschlossenen Spielpau-
se weiter geht.ZunächstzweiSpieltage
ganz abzusetzenwarunumgänglich.Und
mir erschein tdie derzeitbeschlossene
Spielpause zukurz,weil das soziale Mit-
einanderfast europaweit zu mErliegen
kommt.Vor diesem Hintergrund wares
garnicht möglich, den Spielbetrieb auf-
rechtzuerhalten–auchnicht mit Geister-
spielen.Ich gehe da vonaus, dassdie Uefa
am morgigen Dienstageine Verschiebung
der Europameisterschaftbeschließen
wird. Dasverschafftdem nationalenFuß-
ball ein bisschenLuft nachhinten.Die
Fragewirdsein, ob man diese neugewon-
nene Zeitspanne wirklichnutzen kann.

Bundesliga, europäische Wettbewerbe,
Europameisterschaft und Olympische
Spiele: Ist dasnicht alles erst einmalvöl-
lig egal?
Ja und nein.ImProfifußballkönnen wir
so manches eineWeile überbrücken. Vom
Profifußball leben aber auchviele Mitar-
beiter ,Dienstleister, Zulieferer,Journalis-
tenund TV-Anstalten, die genau das
nicht können.Das alles istein riesiger
Rattenschwanz. Am Ende desTagesliegt
das Brennglas aber immernurauf den so-
genanntenFußball-Millionären. Das ist
nicht richtig. In der Gesamtbetrachtung
hängen am Profifußball nochganz viele
Menschen und kleinereRädchen.

Halten Sie einenKulturwandel für denk-
bar? Dasszum Beispiel Spielerauf ei-
nenTeilihres Gehaltes verzichten,um
Vereinsmitarbeitern und ihrem Arbeitge-
ber zu helfen?
Das werden wir sehen.Ausder Sportwelt
erreichen unssolche Meldungen, dassrei-
cheSportler sehr viel Geld spenden oder
Unterstützung zusagen. Das istaus mei-
nerSicht,nurweilsi evielGeldhaben,kei-
ne Selbstverständlichkeit.Aber Krisen
führen oftdazu, dasseine Besinnung auf
das Wesentlichestattfindet.

ZumBeispiel, dass eine überhitzte Bran-
che zu mehr Vernunftzurückkehren
wird?Zuweniger Gier und Egoismus?
Washeißt denn überhitzt? Ichkann mich
nochgenau erinnern.Mittebis Endeder
neunziger Jahrewurde prognostiziert,
dassim bezahltenFußball derPeaker-
reichtsei.DasSystemsollteangebli ch zu-
sammenbrechen.Das is taber nicht pas-
siert. Danach hat es imFußballdurch die
Kirch-Krise einekleineDellegegeben.
Danachging de rWeg nu rnochsteil na ch
oben.Wasdie Vermarktungserlöse und
Fernsehverträgeangeht,haben diegan-
zenPessimistenein Vierteljahrhundert
lang falschgelegen.Über de ngesamten
wirtschaftlichenSchaden durch dieCoro-
na-Krisekannman sic herstdannunter-
halten,wenn er wirklichdaist.ImMo-
ment sind das alles nur Annahmen.

Das Gesprächführte Christian Otto.

Ichgehe davon


aus, dassdie


UefaamDienstageine


Verschiebung der EM


beschließen wird. Das


verschafft den


nationalenVerbänden


ein bisschen Luftnach


hinten.“


JörgSchmadtke

PaderborninQuarantäne
Nach derCorona-DiagnosebeiVertei-
diger Luca Kilian hat der SCPader-
borndie Schotten dichtgemacht. Als
Vorsichtsmaßnahme verhängteder
TabellenletzteamSamstag als erster
Fußball-Bundesligaklub eine 14-tägi-
ge häusliche Quarantäne fürTeile der
Mannschaft, führte 45Testsbei Spie-
lernund Mitarbeiterndurch,stellte
bis aufweiteres denTrainingsbetrieb
ein, schlossGeschäftsstelle undFan-
shop. MitTestergebnissenrechnetder
Klub erst im Verlauf derWoche. Kili-
ansei nachzweiTagen mitFieber und
Schüttelfrostauf demWegder Besse-
rung. Dietotale Abschottung istange-
sichts der zahlreichenUnwägbarkei-
tenunumgänglich.DiehäuslicheQua-
rantänebedeutetden Verbleibinder
Wohnung und die Einhaltung eines
MindestabstandesvonzweiMetern
zu anderenPersonen.Wieviele und
welche Spielergetestetwurden und
sichinQuarantäne befinden, teilte
der Verein mit Blickauf diePersön-
lichkeitsrechtenicht mit. Der Ver-
dacht beiTrainer SteffenBaumgart,
der typische Symptome aufgewiesen
hatteund amFreitag getestet wurde,
bestätigtesichnicht. Ebenfalls am
Donnerstag warUwe Hünemeier un-
tersucht worden, auchder Abwehr-
spielersollüberzueinerInfektionpas-
sende Symptome geklagt haben, der
Test fiel aber negativ aus. sid

Rooneys scharfe Kritik
Der frühereenglischeFußball-Natio-
nalspielerWayne Rooneyhat scharfe
Kritik an derPolitikund denVerant-
wortlichen der englischenFußball-Li-
genfürderenUmgangmitderCorona-
virus-Pandemiegeübt.„Warumha-
ben wir bisFreitag gewartet?Warum
mussteerst(Arsenal-Trainer) Mikel
Arteta krankwerden, damit im engli-
schen Fußball das Richtigegetan
wird?“, fragteRooneyamSonntag in
einer Kolumne der britischenZeitung
„The Times“. Die Entscheidung, den
Spielbetrieb zu unterbrechen, sei viel
zuspä tgefallen,beklagteder34-Jähri-
ge,derSpieler-TrainerbeimZweitliga-
klub DerbyCounty ist. Rooneywarf
der britischenRegierung, demFuß-
ballverbandFA und der PremierLea-
gue fehlende Führungsqualität vor
und kritisierte auchPremierminister
Boris Johnson.„Was er zum Sportge-
sagt hat,war: ,Wir treffenspäter eine
Entscheidung‘“, schriebRooney. „Da
dacht eman:‚Er is tausgewichen, er
hat derFA und der Premier League
die Entscheidung überlassen.‘“ dpa

Österreich:Trainingsverbot
Der Österreichische Fußball-Bund
(ÖFB) hat für dasganze Land eine
Einstellung desTrainingsbetriebs an-
geordnet. Die Maßnahme sei „inAb-
stimmungmitderBundesligaundden
Landesverbänden“ erfolgt, teilte der
Verband mit.DieAusbreitungdesCo-
ronavirus habe zu „dramatischen Ent-
wicklungen“geführt. „Der Fußball ist
geford ert, seinen Beitrag zu leisten,
damit wir allegemeinsam diese Krise
meistern“, sagteÖFB-Präsident Leo
Windtner.UnterdessenwurdederPrä-
sident des SchweizerischenFußball-
verbands,Dominique Blanc, positiv
auf dasVirusgetestet.Der 70-Jährige
befindesichmitleichtenGrippesymp-
tomen in häuslicher Quarantäne, teil-
te der Verband am Sonntag mit. sid

Fotosdpa, firo

In Kürze


dpa. BERLIN. Die Entscheidung
über die Austragung der Olympi-
schen Sommerspiele 2020 inTokio
mussaus SichtvonDOSB-Chef Al-
fons Hörmann bis spätestens zwei
Monatevor dem Eröffnungstermin
am 24. Julifallen. „Es wirdnicht im
Laufeder nächstenTagemöglich
sein, endgültigeKlarheit zu haben“,
sagteder Präsident des Deutschen
Olympischen Sportbundes (DOSB)
angesichts derverheerendenAuswir-
kungen der Sars-CoV-2-Pandemie
am Sonntag in der ARD-Sportschau.
Vorallem stehe jetzt derzeit die Ge-
sundheit derWeltbevölkerung an ers-
terStelle“,dassportlicheEreignistre-
te in den Hintergrund, machteHör-
manndeutlich:„EsgehtumdasÜber-
leben der Menschheit, nicht um
Gold, Silberund Bronze.“ Hörmann
begrüßtedie Haltung des Internatio-
nalen OlympischenKomitees (IOC),
die Entscheidung über dieAustra-
gung der Spiele in die Hände der
Weltgesundheitsorganisation WHO
zu legen. Es sei „dieWeltgemein-
schaft, die den Daumen hebt oder
senkt“, sagteHörmann.
Unterdessen empfahl er den Sport-
verbändenund-vereineninDeutsch-
land, den Spiel- undTrainingsbetrieb
„im Idealfall“komplett einzustellen.
„Das tutweh, und das sind schmerz-
volle Eingriffeinu nseren Lebensall-
tag, doch es istwichtig, jetztverant-
wortungsvoll zu handeln“, schrieb
Hörmann auf der Homepagedes
DOSB.„Auchund gerade“ der Sport
müsse seinergesellschaftlichenVer-
antwortunggerechtwerden.

„Eswäregut,


dasH amst errad


malganz


anzuhalten“


’’


Hörmann:


Esgehtumdas


Überleben


JörgSchmadtke, der Geschäftsführer des


VfL Wolfsburg, über die Ignoranz des


Profifußballs angesichts der


Corona-Pandemie, sein


Krisenmanagement undwarum


Steuergeld keine Lösung ist.

Free download pdf