Frankfurter Allgemeine Zeitung - 04.03.2020

(Darren Dugan) #1

E


sist eine heile Welt, in der
George ClooneyseinenKaffee
schlürft.Seit 14 Jahren wirbt
der amerikanische Schauspieler
für Nespresso. Mit den zahllosen Spots,
dieindieserZeit rund um denGlobus aus-
gestrahlt wurden, istClooneyzum Ge-
sicht dieserteuren Espresso-Kapselge-
worden, die denPortionskaffe in dieWelt
brachteund dem MutterhausNestlé bis
heuteeine prächtigeRenditebeschert.
Dochnun hängt ein Schatten über dieser
für beide Seiten lukrativenVerbindung.
Nacheinem Bericht des britischenFern-
sehsendersChannel4ist es aufKaffee-
plantagen in Guatemala, die auchNespres-
so mit Bohnen beliefern, zu Kinderarbeit
gekommen.IndemFilmbeitragwerden
12 und 13 JahrealteJungsgezeigt, dieKaf-
feebohnenpflückenund Kaffeesäcke
schleppen.Sie tun diesangeblich auf Plan-
tagen, dievonder RainforestAlliance zer-
tifiziertworden sind. Folglic hdürften
dortsolche Missstände nichtvorkommen.
Ein Bauer wirdmit denWorten zitiert,
dassdie Kontrolleurevon Nespressonur
einmal im Jahrvorbeikämen. Jenevon
Starbucks ,das in dem am Montagabend
ausgestrahltenFilm ebenfalls alsAbneh-
mer dieser Plantagengenannt wird, schau-
tennur alle zwei bis vier Jahrevorbei.

George Clooneyist seincharmantes
Leinwandlächeln ob dieserVorwürfe ver-
gangen. Derfür seinökologisches Engage-
ment bekannteHollywood-Starzeigte
sich„überrascht und traurig“ über dieVor-
würfe.InseinerRolle als Mitglied eines
Gremiums, das Nespresso in Sachen
Nachhaltigkeit berät,stellteClooneyfest,
dassdie Firma noch viel Arbeitvorsich
habe. „Und diese Arbeit wirdgetanwer-
den.“ Nespresso-Chef Guillaume de
Cunffnimmt die Anschuldigungen ernst
undzeigtesichbesorgt.Man habe nullTo-
leranzgegenüber Kinderarbeit undwerde
denVorwürfenmittels eigenerUntersu-
chungen nachgehen, erkärtedeCunffin
einerVideobotschaft. Unabhängig davon
habe Nespresso jegliche Kaffeebezüge
vonden Farmen aus der betreffendenRe-
gion unverzüglichgestoppt. Zudemwerde
man dieZahl der dorteingesetztenAgrar-
fachleuteverdoppeln und dieFarmen un-
angekündigt besuchen. Mit letzterem
PunktgreiftNespresso einenVorwurfaus
demFernsehbeitrag auf,wonachdas Un-
ternehmen seineKontrolleurestets mit
Vorankündigung zu den Plantagen schi-
cke. ImÜbrigenverpflichtetsichNespres-
so auch weiterhin dazu, beachtliche Prä-
mien fürKaffeebohnen zu zahlen, die im
Zuge eines speziellenNachhaltigkeitspro-
gramms aufgezogen undgeernt et wer-
den. Denn diesverbesseredie wi rtschaftli-
che Situation derKaffeebauern.
Auch Starbucks nimmt für sichinAn-
spruch, nullToleranzgegenüber Kinderar-
beit in der Lieferkettewalten zu lassen,
und nimmt dieVorwürfe daher nacheige-
nem Bekunden sehr ernst. In der jüngsten
Erntesaison habe manvonden imFern-
sehbericht gezeigten Plantagen keinen
Kaffee bezogen,teiltedie amerikanische
Kaffeehauskette mit.
Guatemalas PräsidentAlejandroGiam-
mattei betonte in einer Pressekonferenz,
sein Land habegroße Fortschritteim
Kampfgegen die Kinderarbeitgemacht.
DieVorwürfe gefährdeten die Existenz
der rund 500 000 Guatemalteken, dievom
Kaffee lebten. EineKommission unter
Mitwirkung des Außen- undWirtschafts-

ministers soll der Sache jetzt nachgehen.
Außerdem will Giammattei einen aus
dem Jahr 2014stammenden Gesetzent-
wurf, der unter anderem eine Erhöhung
des Mindestaltersfür Erwerbstätigkeit
von14auf 16 Jahrevorsieht, abermals im
Parlament einzubringen.
Ungeacht et eines Zwischenhochs zum
Jahreswechsel istder Kaffeepreis seit
2016 stetig gesunken. Dies istschön für
die Konsumenten, aber bitter für die
schätzungsweise 12 MillionenFamilien
in allerWelt, dievomKaffeeanbau leb-
ten. Viele derKaffeebauernleben unter-
halb dervonder Weltbank definiertenab-
soluten Armutsgrenze; sieverdienen also
weniger als 1,90 Dollar amTag. Weil ih-
nen das Geldfehlt, um erwachsene Helfer
einzustellen, lassen sie ihreKinder mitar-
beiten. Gemäß der InternationalenKaf-
feeorganisation istdie Zahl der arbeiten-
den Kinder infolgedes Preisverfalls zu-
letzt wieder gestiegen.Nach Einschät-
zungvonFriedel Hütz-AdamsvomSüd-
wind-Institut für Ökonomie und Ökume-
ne sollten dieRegierungen der Importlän-
der dieUnternehmengesetzlich dazuver-
pflichten, zumindestgrundlegende Men-
schenrechteinder Lieferkette zu beach-

tenund Preise für denKaffee zu bezah-
len, die einexistenzsicherndes Einkom-
men ermöglichen.
Auch im Kakaoanbaugrassiert die Kin-
derarbeit,weil die Einkommen der Bau-
ernoft viel zu niedrig sind.Dies giltinsbe-
sonderefür Ghana und die Elfenbeinküs-
te.Von dortkommen zwei Drittel aller
Kak aobohnen. Selbstein Unternehmen
wie Lindt&Sprüngli, das seit 13 Jahren
am Aufbau einer lückenlos nachhaltigen
Lieferkette undFertigung arbeitet,kann
nochnicht garantieren, dassdie eigenen
Schokoladenproduktevollkommen frei
vonKinderarbeitsind.Keinerinderge-
samten Branche seit dazu derzeit in der
Lage, sagteder Vorstandschef Dieter
Weisskopf auf der Jahrespressekonferenz
in Kilchbergbei Zürich.
Der Kak aoanbau in Ghana und an der
Elfenbeinküste iststaatlichstrengregu-
liert,wasden Durchblickverstellt und
den Durchgriffder Schokoladenhersteller
aufdie Kleinbauernerschwert.Die Regie-
rungen derbeidenwestafrikanischen Län-
der habenkartellartig angekündigt, den
Kakaopreis um 400 Dollar jeTonne zu er-
höhen. Dieswerdealle Schokoladenan-
bieterzuPreiserhöhungen zwingen, sagte
Weisskopf.

Sehnsucht


nach Süden


VomDonaudelta bisSizilien:


Sechs Ziele,die unsmagisch anziehen.


DasReise-Spezialab5.3.gratis in derZEIT


AuchKinder müssenran: DerKaffeeanbau in Guatemala schadetdem Imageder Nestlé-Marke Nespresso. FotoBloomberg

umx. FRANKFURT. Wernachden
Worten seines Vorstandsvorsitzenden
ein „grandioses Jahr“ hinter sichhat wie
der Gabelstapler-und Lagerlogistik-
KonzernKion, der kann auchinunsiche-
renZeiten in die Offensivegehen.Und
so kündigteein hochzufriedener Gor-
don RiskeamDienstag amKonzernsitz
in Frankfurtan, dassKion groß investie-
renwird. Die neue Produktion inPolen
istnochnicht ganz fertig, da nimmt das
UnternehmenweitereMärkt eund Tech-
nologien insVisier:Inder ostchinesi-
schenStadt Jinan wirdKion eineweite-
re Produktion aufbauen, es istdie fünfte
im größten Einzelmarkt für sogenannte
Flurförderzeuge. Kion investiertrund
100 Millionen Euround baut bis zum
Jahr 2025 allesinallem 800 neue Ar-
beitsplätze auf. Mit demchinesischen
Kion-AnkeraktionärWeichaiPowerhat
der M-Dax-Konzerndafür eine neue Ge-
sellschaftgegründet, an der er 95 Pro-
zent hält.Zudem hat Kion das britische
Software-Unternehmen Digital Applica-
tions International Limited (DAI)ge-
kauft, das ihmrund 120 Millionen Euro
wert istund mit 240 Beschäftigten zu-
letzt 40 Millionen EuroJahresumsatz er-
zielt hat.Esist die größte Akquisition
vonKion seitfast vier Jahren.
DAIentwickelt Softwarefür den
Transport, die Lagerung und dieVertei-
lungvonWaren–jene Kernkompeten-
zen also, ohne die E-Commerce und das
KonzeptAmazon mitriesigen Lagerhäu-
sern,kurzen Bestell- und Lieferzeiten
bei gleichzeitigriesiger Produktvielfalt
nicht funktionieren würden. Kion be-
schäftigtrund 700 IT-Spezialisten, jetzt

kommt nochmal einestattlicheZahl
hinzu.Vorstandschef Riskesagt, dass
sichsein Unternehmen ohnehin mehr
und mehr „vom klassischen Maschinen-
bauer zum Softwarehaus“ entwickele.
Die gutenZahlen beschleunigen diesen
Prozess. 2019stieß Kion beimUmsatz
(10,1 Prozent Plus auf 8,8 Milliarden
Euro), Auftragse ingang (5,3 Prozent
Plus auf 9,1 Milliarden Euro) undKon-
zernergebnis (10,7 Prozent Plus auf 444
Millionen Euro) inRegionenvor, die In-
vestitionen ingroßemStil möglichma-
chen. EinNettog ewinn von5Prozent
sei in dieser Branche schon einzigartig,
schwärmte Riske.Für 2020rechneteral-
lerdings mit abgeschwächtem Wachs-
tum.
Die jüngstenRekordzahlenkommen
gerade recht, denn auf diegesamteBran-
chekommttechnologischeiniges zu.Ab-
zulesen istdas auchanden Fortschrit-
tenimMehrmarken-KonzernKion. Der
hat zum Beispiel einen ersten komplett
vernetzten Gabelstaplerentwickelt, des-
se nSoftwarevia Internetaktualisiert
werden kann. Daserinner eaneinenTes-
la, sagteRiske. DieZahl autonomer
Fahrzeugenehme ohnehinimmer mehr
zu. Undzur Organisation hochmoderne-
re Lagerhäuserwerden Virtual-Reality-
Brillen und 3D-Modelleverwendet, wie
sie auf dem Markt für Computerspiele
üblichsind.
Fürall das istSoftware-Kompetenz
unerlässlich.Umso erstaunlicher,dass
Kion seit Anfang des Jahres ohne Chief
Digital Officer dasteht.Nachdem Ab-
schied der Schwedin Susanna Schnee-
bergerkümmertsichRiskeimVorstand
jetzt selbstumdieses Schlüsselthema.

cmu.HAMBURG. DerAufwandwar
riesig: Monatelang habenFachleutedes
Nivea-HerstellersBeiersdorfdie Haut
vonTausenden Frauenrund um die
Welt analysiertund ihre Ergebnisse mit
zwölf MillionenFotosineine Daten-
bank eingepflegt.Diese, so die Idee,
soll nun Basis für eine Appwerden, die
die Hautpflegerevolutioniert. Wersich
die Anwendung, die im zweiten Quar-
talonlinegeht, herunterlädt,kann mit
seinem Smartphonedas eigene Gesicht
abfotografieren und bekommt danach
auf den eigenen Hauttyp zugeschnitte-
ne Empfehlungen für Pflegeprodukte,
natürlichvon Beiersdorf. Für Vor-
standschefStefan De Loeckerist das
„ein entscheidender Schritt in der digi-
talen Hautdiagnostik“.
Die App, die aufKünstlicher Intelli-
genz basiert, istfür den Dax-Konzern
aus Hamburgeiner der erstenSchritte
für mehr individualisierte Dienste und
Produkte, einTrend, der in derKonsum-
güterbranche viel diskutiertwird. Noch
geht es meistumpersönlichgestaltete
VerpackungenoderumKaufberatung
für fertigePflegemittel. Dochschon
baldkönnten eigens zusammengerühr-
te ProdukteeinenTeil des Marktes er-
ober n. In der Beiersdorf AG arbeitet un-
teranderem die neugegründete Ein-
heit Oscar&Paul an entsprechenden
Ideen für die kleineren Marken. Auch
die Hauptkategorien wie Nivea, Euce-
rinoder La Prairiekönnten einsteigen.
Im vergangenen Jahr istBeiersdorf
vorallem dank dieser großen
Flaggschiffe gut vorangekommen, wie
der KonzernamDienstagmitteilte. Die
großen MarkenumNivea legten kräftig
zu, so dassder Umsatz organisch, also
ohne Zukäufeund Währungseffekte,
um 4,1 Prozent auf 7,65 Milliarden

Eurowuchs. Das bereinigteoperative
Ergebnis sank hingegen leicht aufrund
1,1 Milliarden Euro,wasunter ande-
remauf höhereInvestitionen durch die
Konzernstrategie Careplus zurückzu-
führen ist. Sie zielt wie dieVorstöße für
mehr Individualisierung auf neue Ge-
schäftsideen, aber auchmehr Effizienz,
um denKonzernfür verstärktenWett-
bewerb zu rüsten.
Für daslaufende Jahr hat sichDeLo-
eckerein Wachstum von3bis 5Prozent
vorgenommen. Allerdings beinhaltet
diese Prognose nochkeine wirtschaftli-
chen Folgen durch das Coronavirus,
das im Momentfast allenUnterneh-
men zu schaffenmacht .ImJanuarund
Februar seien die Geschäfte infolgeder
Krankheit hinter den Erwartungen zu-
rückgeblieben, sagteer. FürgenaueAus-
sagen zu denFolgen im Gesamtjahrsei
es aber nochzufrüh, da sichdie Lage
fast täglichändere. In einerTelefonkon-
ferenz gabersichzuversichtlich, dass
Beiersdorftrotz „verstärkten Gegen-
winds“ in der Spur bleibenwerde, auch
wegender Strategie Care plus.
Vorallem jeneTeile des Programms,
die auf mehr Digitalgeschäftzielen,
kommenunter Fachleutengut an. „Posi-
tiv zu bewerten sind dieweiterentwi-
ckelten, digitalen Geschäftsaktivitäten
wieetwadie Plazierung eines Nivea-
Stores auf Amazon“, sagteMartina Be-
cker vonder Managementberatung
Atreus derF.A.Z. Offene Fragen sieht
sie zurÜbernahme der Sonnenschutz-
marke Coppertone. Hier müsse die Inte-
gration in denKonzernschnell gehen.
„Andernfalls musssichder Vorstand
die Fragegefallen lassen, wieso die In-
vestitionsmittel nicht in die Expansion
der bestehenden MarkeNivea SunCare
geflossen sind.“ (Kommentar Seite22.)

Kaffee aus Kinderhand


Beiersdorfprüftdie Haut


mit dem Smartphone


Konzernsetzt auf individualisierte Pflegemit App


Nespresso undNestlé in


Erklärungsnot: Kames


zu Kinderarbeit auf


zertifiziertenPlantagen


in Guatemala?Auch im


Kakaoanbauist der


Missstand groß.


VonJohannes Ritter,


Zürich


Kiongeht in dieVollen


Investitionen undZukäufenacheinemRekordjahr


Auf und ab: Der Preis von Kakao und Kaffee

1,

1,

3500

2500

2000

3000

1500

1,

1,

1,

0,
2015201620172018 2.3.2020 20152016 2017 2018 3.3.
Quelle: Bloomberg F.A.Z.-GrafikKaiser

Kakao (DollarjeTonne) KaffeeArabica (Dollarje Pfund)

FRANKFURTER ALLGEMEINEZEITUNG Unternehmen MITTWOCH, 4.MÄRZ 2020·NR.54·SEITE

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