Frankfurter Allgemeine Zeitung - 04.03.2020

(Darren Dugan) #1

SEITEN4·MITTWOCH,4.MÄRZ 2020·NR.54 Forschung und Lehre FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


1856 kamder jungebritische Chemiker
William HenryPerkin am LondonerRoy-
al CollegeofChemistrybeimVersuch,
Chinin synthetischherzustellen, auf den
Farbstoff„Mauveïn“. Sein Zufallsfund,
umgehend patentiertund in einer eige-
nen Firma vermarkt et,wurde für den spä-
terenPräsidenten derRoyalSociety zum
Auftakt einer fulminantenWissenschaft-
ler-und Industriellen-Karriere. DieTrou-
vaille selbst, ein schmeichelndesViolett,
avanciertezur er sten synthetischen Mode-
farbe. SogarKöniginVictoria trug bald
darauf ein Samtkleid in der neuenFarbe
zur Hochzeit ihrerTochter Vicky. Mau-
veïn, entstanden ausTeer,einemAbfall-
produkt derSteinkohleförderung, wurde
zur Initialzündung für die Anilinfarben-
Industrie, in der Deutschland führend
wurde.
In einer Gründungswellevonindus-
triellen Farbenherstellernentstanden
hierFirmen wie Meister, Lucius&Brü-
ning,späterFarbwerkeHoechstbei Frank-
furtamMain (1863),Friedr.Bayer &Co
in Barmen (1863) und die Badische Ani-
lin &SodaFabrikLudwigshafenBASF
(1865). Die industrielle Produktion syn-
thetischerFarbstoffeindiesenUnterneh-
men senktedie Kosten so beträchtlich,
dassbuntgefärbte Kleidung auchvon der
breiteren Bevölkerunggekauftwerden
konnte. EineVielzahlvon Farbtönen, die

zuvorgarnicht oder nur durch aufwendi-
ge Mehrfachfärbungen erreicht wurden,
ließ sichnun einfacher herstellen, dazu
Farbprozessestandardisieren. Maschini-
sierung und Elektrifizierung schufen zu-
sammen mitweiteren Entdeckungen und
Verbesserungen die Voraussetzung für
massenhafte Farbherstellung. Bereits im
Jahr 1920wardie deutscheFarbstoffin-
dustrieinder Lage, zehntausendverschie-
deneFarbstoffezuliefern.
Im Zuge dieser Entwicklunggestaltete
sichdie modischeWelt schon um 1900
sichtlich farbenfreudiger:Immer mehr
rote,violette,gelbe, blaue undgrüne Klei-
dung lockertedas gängigeSchwarz im All-
tagdes Kaiserreichs auf, nachdem Anilin-
Farben zunehmendgünstiger verfügbar
wurden. Bisdahin hatte man mitteuren,
meistimportiertenPflanzenfarbstoffen
Textiliengefärbt, die sichnur wohlhaben-
de Kreise leistenkonnten. Die neuen bun-
tenStoffeauf der Grundlage vonsyntheti-
sche nFarben setzten mit der industrie llen
zugleicheine gesellschaftliche und auch
eine modischeRevolution in Gang. Die
Lust am Farbenrauschführte nämlichzu
raschveränderlichenTrends undStilen.
Denn in immerkürzerenAbständenwur-
den zusätzliche Textilfarben entwickelt
undgleichzeitigdie Modeindustrie ange-
trieben, immer schnellerwechselndeFar-
ben auf den Markt zuwerfen. Der beschleu-

nigte Wandel und die deutlichkostengüns-
tigere Produktion machte nKleidung bun-
ter, begehrenswerter,erschwinglicher und
damit demokratischer als je zuvor.
Mit der Ausstellung „Zeitkolorit –
Mode und Chemie im Farbenrausch“
zeigt dasTextilmuseum Krefeld bis zum


  1. April in einemFeuerwerk vonFarben,
    Formen, Stoffenund Chemiekunde die
    Entwicklung der Mode zwischen 1850
    und 1930. Die Schau macht deutlich, wie
    untrennbarder Wegzum „schneller, bun-
    ter, massenhafter“ mit dem historischen
    Aufstieg der synthetischenFarbstoffever-
    bundenwar. Die Ausstellung istdas Resul-
    tatdes Forschungsprojektes„Weltbunt“,
    geförd ertvom Bundesministerium für Bil-
    dung undForschung. Eskümmerte sich
    von2016 bis 2020umdie hi storis cheFarb-
    stoffsammlung der Hochschule Nieder-
    rhein Krefeld mit Blickauf die Anwen-
    dung synthetischerFarben in der Mode.
    DieVorläuferinstitution dieser Hochschu-
    le hatteim19. Jahrhundert oftimIndus-
    trie- Auftrag Testfä rbungen durchgeführt,
    deren Ergebnisse dieWeiterentwicklung
    wie auchdas Verwerfenvon Produkten
    beeinflussten. Die Hochschule Nieder-
    rhein koordinierte nun das daran orien-
    tierte Forschungsprojekt, bei dem auch
    das Textilmuseum Krefeld, das Textil
    Technikum Mönchengladbach, dieTech-
    nische HochschuleKöln und dieTechni-


scheUniversität Dresden mitarbeiteten.
Das Vorhaben kombinierte chemische
Forschungsansätze mit Frages tellungen
aus Wirtschafts- und Kunstgeschichte,
Kostümforschung, Textilwissenschaften
und Restaurierung.
Auch vorden Schattenseiten der histo-
rischen Entwicklung zur schönen neuen
Welt synthetischgefärbter bunter Kleider
machten dieForscher dabei nicht halt.
Ohne Schönfärberei thematisieren sie als
Begleiterscheinung giftigeGase, ver-
seuchteFlüsse, saureStoffeund kranke
Menschen. Denn der Einzug der syntheti-
schenFarbenwelt in den Alltaggestaltete
nicht nur die Mode und das Leben an sich
bunter und bescherte Handel und Indus-
trie bis heuteviel Geld. Er brachteauch
beträchtlicheNachteile fürNatur,Um-
welt und die Arbeitsbedingungen von
Menschenvorallem in derFarbindustrie.
Giftstoffeaus anilingefärbter Kleidung,
Heimtextilien und häuslichen Gegenstän-
den gefährde tendazu langeZeit die Ge-
sundheitvon Konsumenten.
Gänzlichausgestanden scheintdas bis
heutenicht .Esbleibt die Hoffnung, dass
umweltbewussteres, nachhaltigeresKauf-
verhaltenkünftig dafür sorgt, dasssich
Farb- undTextilindustrie um mehr Entgif-
tung undTransparenz bemühen. Nicht
nur demokratischere, auchgiftfreie Klei-
dungkönntedamit zur Selbstverständlich-
keit werden. ULLAFÖLSING

Im kommendenWintersemester können
Sinologiestudenten derFreien Universi-
tät (FU) Berlinerstmalsein Modul na-
mens„Sp racheund GesellschaftChinas“
auswählen. FU-Vizepräsidentin Verena
Blechinger-Talcott sagt,esgehe darum,
Chinesischlehrerselbstauszubilden.
„Wir hatten bisherkeineFachdidaktik“,
sagt sie. Mittlerweilehat die FU mitdem
Sinologen Andreas Guder jedoch einen
entsprechendenFachmann berufen.
Die Notwendigkeit dieses Lehrange-
bots wirdauchvon David Missal nicht be-
stritten. Problematischfindetder Alum-
nus derSoziologie allerdings, dassdie Pro-
fessur vonder chinesischenKulturorgani-
sation Hanban bezahlt wird. Sie istder
Zentralen Propagandaabteil ung derKom-
munistischen Partei Chinas unterstellt,
wie die Bundesregierung imNovember
auf eine Anfrageder FDP-Bundestags-
fraktion hin bestätigte.FürGudersProfes-
sur hat die FU mit Hanban einenVertrag
abgeschlossen,der eineAnsch ubfinanzie-
rung für fünf Jahresicherstellt.FU-Vize-
präsidentin Blechinger-Talcott sagt, es
gehe um einen Betragvonetwa500 000
Euro.
Jetzt macht allerdings die BerlinerWis-
senschaftsverwaltung einenStrich durch
die Rechnung.Wie vergangeneWochebe-
kanntwurde,verlangt die Senatskanzlei
die Nachverhandlungdes Vertrages. Zu-
vorhatten Missal und dreizehnweitere
Absolventen einen offenen Brief an die
FU geschrieben.Senatskanzlei-Sprecher
MatthiasKuder zufolgedarfdie Koopera-
tion nicht, wie derVertrag vorsieht, auf
GrundlagechinesischenRechtsstehen.
Im Konfliktfall dürfe kein chinesisches
Schiedsgericht entscheiden. „Diskriminie-
rend“ sei zudem diegeplanteBeschrän-
kung des Studiengangs auf deutsche
Staatsbürgerund EU-Bürger.

Die Verfasser des offenen Briefswei-
sen darüber hinaus auf eine imVertrag
enthaltene Klausel hin, nachder Hanban
bei Unzufriedenheitvorzeitig aus dem
Vertrag aussteigenkann. „Das istein
Druckmittel“, sagtMissal .Ersieht dieGe-
fahr der Selbstzensur in politisch sensi-
blenFragen. Missal, der 2018wegenei-
ner kritischenRecherche aus China ausge-
wiesen wurde, sprichtvonStudien,wo-
nachfünfzig Prozentder China-Forscher
schon einmalvorsorglichProjektbeschrei-
bungengeänderthaben. Die FUkündigt

an, den „klarenAuftrag“ der Wissen-
schaftsverwaltung umzusetzen.„Wir wer-
den mit derchinesischen Seitedas Ge-
sprächsuchen“, sagt Blechinger-Talcott.
Sie gibt jedochzubedenken, dassHanban
in denVerhandlungen zum 2017 abge-
schlossenenVertragswerknicht bereitge-
wesen sei,vonder Unterwerfung unter
chinesischesRechtabzuweichen. Blechin-
ger-Talcottweistzudem darauf hin, dass
der Vertrag vomehemaligen Präsidium
ausgehandelt wurde. In ihmwarbis 2018
der SinologeKlaus Mühlhahn für die in-

ternationalen Beziehungen zuständig.
Die Universitätkönne es sichleichtma-
chen und dieKooperationkündigen, sagt
die Vizepräsidentin im Hinblick auf die
mittlerweile deutlich vernehmbare Kritik.
Dochesgehe ihr um „dieAusbildungvon
Chinesischlehrern“. Die ModulePolitik
und Gesellschaftwürden nicht imRah-
men dervonHanbangestifteten Professur
unterrichtet. Die Berliner Senatskanzlei,
die zurNachverhandlung aufruft, nimmt
die FUteilweise in Schutz. SprecherKu-
der sagt, Hanban sei bei der Auswahl des
Professorsnicht beteiligt gewesen. Das
Verfahren sei nachden üblichenRegeln
abgelaufen. „Mankann nicht sagen, dass
China eine Professur besetzt hat.“
Brisantist allerdings,dass das Bundes-
ministeriumfür Bildung undForschung
(BMBF) die Berliner Senatsverwaltung
bereits imNovember 2018vorder Finan-
zierung desLehrstuhls durch chinesische
Regierungsmittelgewarnthatte. Ein sol-
ches Modellerachtedas Ministerium als
„unglücklich“, heißt es in einer E-Mail,
die dieserZeitungvorliegt.Das BMBF
habedeutlichgemacht, „dass vielmehr
eineFinanzierung des Lehrstuhls und
des Studiengangs aus Mittelndes Landes
Berlin begrüßt würde“.
FU-VizepräsidentinBlechinger-Tal-
cott sagt,sie habevorder jüngstenKon-
troverse nichtvonder Empfehlungge-
wusst.Senatskanzlei-Sprecher Kuder
gibtan, dasBundesministerium habe
sichersteingeschaltet,als das Berufungs-
verfahren schonlief.Zudem habe sich
das BMBFmit einer Erklärung zufrieden-
gegeben,wonacheseine Anschub-und
keine Dauerfinanzierung sei. Die Kriti-
kerdürftedas nicht zufriedenstellen,
denn in denkommenden Jahrenwäredie
FU denLaunenPekings sehrwohl ausge-
setzt. NIKLASZIMMERMANN

Farbdekor aus dem Chemielabor:Detail einesAbendmantels aus Seide und Celluloseregeneratfaser,entstanden um 1925 FotoDTM Krefeld

I


nden vergangenenJahren erschie-
nen im BerlinerQuerverlag zwei
Sammelbände, die sichden Konse-
quenzenfeministischer Identitäts-
politik widmen.Verstandenwirddar-
unter eine mittlerweile diskursbestim-
mendeForm des Queerfeminismus, die
sichnicht angeschlechtlicher Individua-
lität, sondernanminoritären Gruppen-
identitäten ausrichtetund diese zu un-
hintergehbaren Charaktereigenschaften
hypost asiert. DieIdentitätskritik,die Ju-
dith Butler in „GenderTrouble“ (1990)
an einem aufweiblicheKollektiveigen-
schaftenvereidigtenFeminismus übte,
scheint hier ins Gegenteil umgeschla-
genzusein.
Damit hat sichimQueer feminismus
eineähnliche Entwicklung vollzogen
wie in den Critical-Whiteness-Studies.
Theoreme, die imPoststrukturalismus
der achtzigerJahrenochgegen ein Den-
kender Identität, der Substanz und des
Seinsgerichtetwaren, sindihrerseits zu
VersatzstückeneinerPolitikder Identi-
tätgeworden, diestatt imNamenvon
Freiheit und Gleichheit im Dienstder
Minderheiten, also derVerewigungvon
Ungleichheit,unter wegs ist.Während
die Berufung auf den bürgerlichenUni-
versalismus in denKulturwissenschaf-
tenimmerhäufiger alsAusdruckmänn-
licher oderweißer Dominanz gilt,wer-
den unter dem Alibi des Minderheiten-
schutzes Erscheinungsformen der Ge-
schlechterapartheid alskulturelleUnter-
schiede abgesegnet.Dasichdiese reak-
tionäreNeujustierung desFeminismus
auchauf die Integrationspolitik aus-
wirkt, istfeministische Identitätspolitik
für weibliche Migrantenaus islami-
schenLändernzueinem praktischen
Emanzipationshindernis geworden.
Auf denregressivenUmschlag des
Queerfeminismus antwortendie bei-
den Sammelbände ingegenläufigerWei-
se. Dervondem HistorikerVojin Saša
Vukadinović herausgegebene Band
„Freiheit istkeine Metapher“ beruft
sichauf denUniversalismus und be-
nennt imUntertitel mit„Antisemitis-
mus, Migration,Rassismus,Religions-
kritik“ den politischenRahmen, ange-
sichts dessen jenerUniversalismus heu-
te zu verteidigenwäre.Statt als Beitrag
zumfeministischen Selbstgesprächver-
steht er sichals „Dokumentation des
Verfalls des Denkens“, der diefeministi-
sche Linkeerfasst habe.
Der vonder PublizistinKoschk aLin-
kerhand herausgegebene Band „Femi-
nistischstreiten“stellt dagegen schon
im Titelklar,dassder Feminismus Ak-
teur,nicht Gegenstand der Diskussion
sein soll, und bekennt sichmit demUn-
tertitel „Texte zu Vernunftund Leiden-
schaftunterFrauen“ zu einem Befind-
lichkeitskult, der in der zweitenFrauen-
bewegungvorallemvonAlice Schwar-
zer und der Zeitschrift„Emma“ge-
pflegt wurde.

Das dekonstruierte Kollektiv

Trotzdem istdie wichtigste Referenz
der vonLinkerhandversammeltenAu-
torinnen–ein einziger Mann, dem „fe-
ministische Philosophie“ laut Selbstbe-
schreibung „das Lebengerettet“ hat,
wurde mitreingelassen–nicht Schwar-
zer,sonderndie 1976gegründete und
1987 eingestellteZeitschrift„Die
Schwarze Botin“, die in den Siebzigern
scharfe Kritik an SchwarzersKult um
weibliche Identität übte. Dieser imma-
nenteWiderspruchprägtden Band,
ohne dasserreflektiertwürde. Sover-
teidigtKatharinaLux, die sichinihrer
Dissertation mit der „Schwarzen Bo-
tin“ befasst hat, „Polemik in femi-
nistischen Auseinandersetzungen“,
schweigt aber darüber,dasssichdie Po-
lemik der „Schwarzen Botin“ zuvor-
derst gegendie Frauenbewegung selbst
richtete und ihreAutorinnen Emanzipa-
tion als Selbstaneignung derLustan
der Objektzerstörung praktizierten,
statt wieLuxzuklagen,Polemik laufe
Gefahr,„die KraftfreundlicherWorte
zu vergessen“.
Das ZielvonLinkerhands Band ist,
„dasfeministischeWir“ wiederherzu-
stellen, das dekonstruiertzuhaben im
Grunde der einzigeVorwurfist,den die
AutorinnenButler und dem Queerfemi-
nismus machen. Gerade das läuftaber
auf dieReanimierungvonMythologe-
men derFrauenbewegung heraus, als
deren Erbe der Queerfeminismus in
dem BandvonVukadinovićanalysiert
wird: die Verallgemeinerung des Be-
griffs der Rape Culturezum vermeintli-
chen Alltagsphänomenwestlicher Ge-
sellschaften; dieRationalisierung sexu-
ellerÜbergriffe wie in derKölner Silves-
ternacht 2015 als „sexualisierte Ge-
walt“ (Larissa Schober);vorallem aber

die Überzeugung, „Islamkritik“ müsse,
um progressiv zu sein, „feministisch“
und FeminismusTeil einer linksradika-
len Politik,also „materialistischerFemi-
nismus“ (Linkerhand), sein–als hätte
sichnicht auchdie sozialistischeFrau-
enbewegung positiv auf die bürgerliche
Gesellschaftbezogen, der sie die Nicht-
einlösung ihrer Prinzipienvorhielt.
So führtdie Absicht, eine Selbstver-
ständigungsfibel derfeministischen Lin-
kenvorzulegen, zurVerweigerung der
Solidarität mit allen, die sichnicht als
derenTeil verstehen–und damit zur
Verweigerung vonSolidarität über-
haupt, die ihrenNamen nurverdient,
wenn sie Menschen außerhalb der eige-
nen Gesinnungsgemeinschaftgilt.
Wenn VukadinovićsBand nachMaß-
gabe der GenderStudies sprechortge-
rechterals dervonLinkerhand ist–
Männer und Frauen mit türkischem,
russischem, irakischem Hintergrund
schreiben dort–,liegt das daran, dass
die Autorensichnicht in dem ähneln,
wasihnengemeinsam ist, sondernin
dem,wassie kritisieren. Deshalbfin-
den sichhier ProtokollevonMännern
über islamischen Beschneidungszwang
(Ali Utlu), über die Angst, das eigene
schwule Doppellebenkönne auffliegen
(MustaffaAldabbas), und über das isla-
mischeKopftuch (Emrah Erken). Auch
in der Kritik am Queerfeminismus ist
derBand präziser,indem er denZusam-
menhang zwischen queerfeministi-
schem Identitätsdenken, Antisemitis-
mus und ButlersApologie der Hizbul-
lah herausarbeitet (Marco Ebert, Ljilja-
na Radonić)oder den linken Hassauf
feministische Migranten (HannahKas-
simi) analysiert.
Lieblingssujets des linkenFeminis-
mus wie dieVerregelungvonKommuni-
kationund Sprache oder derZusammen-
hangvon Mode und Sexismus themati-
siert der Band nicht selbstzweckhaft,
sonderndort, wo mit ihrer Hilfeetwa
die Bagatellisierung migrantischer Män-
nergewalt (Veronica Szimpla) oder die
queertheoretischeVerherrlichung auto-
ritärerSubkulturen(Naida Pintul)ver-
anschaulichtwerdenkann.

Identität und Gemeinschaft
Dassdie Autoren im Sinneder Gender
Studies dabei oftdie „richtige“Her-
kunfthaben, istkeineKonzession an
den Ethnozentrismus,sondernbe-
zeugt, dasseine inweltbürgerlicherAb-
sichtgeübteKritik an der Selbstdemon-
tage des Feminismus nur durch Men-
schen möglichist,die statt durch Gesin-
nung durch geteilte Erkenntnisverbun-
den sind.
Eine solche Erkenntnis mussaber
auchdie Vorgeschichte des Queerfemi-
nismus in den Blicknehmen.Wenn Vu-
kadinović die Literaturwissenschaftle-
rinSilvia Bovenschen mit der Bemer-
kung zitiert, jede Bewegung bringeihre
eigeneKarikatur hervor, impliziertdas
zweierlei: Es mussander Bewegung
vonBeginn anetwasverkehrtgewesen
sein, das in derKarikatur zurKenntlich-
keit entstellt wird; und es mussein brei-
tesBedürfnisexistierthaben, über die
Bewegung hinauszugelangen.
Dassder Queerfeminismus massen-
wirksam wurde, hat damit zu tun, dass
beides auf ihn zuzutreffenscheint.Das
politische Flurschützertum, der pau-
schaleMännerhassund derWunsch,
dieAngstvor individueller Emanzipati-
on durch Identifikation mit identitären
Gefühlskollektiven aufzufangen, ver-
bindenweiteTeile der zweitenFrauen-
bewegung mit dem Queerfeminismus.
Dassaber Butlers„GenderTrouble“
zur Zeit seinerVeröffentlichung, lange
vorihrem Bekenntnis zum Antizionis-
mus, in derFrauenbewegungPopulari-
täterlangte,lag auchaneinem Missver-
ständnis: an derfalschen, aber nach-
vollziehbarenWahrnehmung, hier ma-
cheeine Feministin Schlussmit dem
weiblichen Gemeinschaftskult, dem be-
griffslosen Identitätskitschund der
Schwesterlichkeitweiter Teile derFrau-
enbewegung.
Dieserscheinbar identitätskritische
Impulswardie Motivationgerade auch
für Frauen aus demUmfeld der „Schwar-
zen Botin“, sichdem Poststrukturalis-
mus zu öffnen, der politischweniger
dogmatischund individualistischer wirk-
te als der Schwarzer-Feminismus.Dass
er es nichtwar, sondernandie Stelle
weiblicher Identität einfachnur ver-
meintlichsubversivePartikularidentitä-
tensetzte, istdas eine. Aufder anderen
Seitesteht die bei damaligen Protagonis-
tinnen derFrauenbewegung erwachte
Erkenntnis, dassweibliche Emanzipa-
tionnur dann wirklichwerdenkann,
wenn sie auchdie Emanzipationder
weiblichen IndividuenvomFeminismus
impliziert,der nur Mittel, nichtZweck
jener Emanzipation seinkann.
Diese Erkenntnis kann nur däm-
mern,wo Menschen den Mut haben,
politische PatronagejederCouleur,
auchfeministische, imNamen individu-
ellerFreiheit in die Schranken zuwei-
sen. DerUmgang mit frauenfeindli-
chen Aspekten des Islams istdie Nagel-
probe auf dieseErkenntnis.Werderen
Kritik dem politischenGruppenzusam-
menhalt unterordnet, entsolidarisiert
sichimNamenfeministischer Solidari-
tätmit dem weiblichen Teil der
Menschheit, deren Begriff er preisgege-
ben hat. MAGNUS KLAUE

Chinesisches Rechtsoll nicht entscheiden


Nach Senatsforderung: FU Berlin willvonChinafinanzierte Professur nachverhandeln


Dieneue Lust am Farbenrausch


Das Forschungsprojekt„Weltbunt“ zeigt im KrefelderTextilmuseum,wie die Chemie die Moderevolutionierte


Bankrottder


Solidarität


Das LandgerichtFrankfurthat in einem
bisher nochunveröf fentlichtenUrteil die
StellungvonRezensenten wissenschaftli-
cher Arbeitengestärkt .Zuletzt hatteesei-
nigeFälle gegeben, in denenAutoren mit
anwaltlicher Hilfegegen Besprechungen
ihrer Büchervorgegangenwaren(F.A.Z.
vom19. April 2017). Dabei wurde in ei-
nemFall auchdie Forderung nach Scha-
densersatz laut,daeine Autorin sowohl
eineRezensionals auchdie Berichterstat-
tung darüberfür den Misserfolg ihrer eige-
nen akademischen Karriereverantwort-
lichmachte. Das Landgericht wiesihre
Klage jedochinGänze ab: „DieAutorin
istmit ihrer wissenschaftlichen Arbeit in
die Öffentlichkeit getreten und musssich
mit dieserauchwissenschaftlicher Kritik
stellen. Eine solchestellt dieRezension ih-
rerArbeit dar.“ Dementsprechend durften
sowohl derRezensent als auchein Journa-

listhierüberunter namentlicherNennung
der Autorin berichten. Grundsätzlich kom-
me es beiRezensionenauf „den Gesamt-
kontext“ an. Solangenicht eine Diffamie-
rung der AutorinimVordergrundstehe,
seien Besprechung und Berichterstattung
zulässig.„Verfehlungen–auchkonkreter
Personen–aufzuzeigen,gehörtzuden le-
gitimenAufgaben der Medien.“ Schon im
Dezember hattedas Oberlandesgericht
Frankfurtentschieden, dassbei Plagiats-
vorwürfengegenüber einerWissenschaft-
lerin, die das Beamtenverhältnis inzwi-
schenverlassen hat, eine namentliche Be-
richterstattung zulässig ist: „Die Öffent-
lichkeit hat ein berechtigtes Interesse an
der Veröffentlichung desNamensder Au-
torindieser wissenschaftlichen Schriften,
weil gerade hierin ein besonderer zusätzli-
cher Informationswertliegt,der ohne die
namentlicheNennung nicht berücksich-
tigt würde.“Werk und Autorgehörtenzu-
sammen. In denVerfahren, deren Ent-
scheidungennochnicht rechtskräftig sind,
ging es im ersten Fall um schon erfolgte
und im zweiten umgeplanteBerichterstat-
tung in dieserZeitung. F.A.Z.

Aufder Suchenach


einem neuenKollektiv


verliertsichdie


queerfeministische


Geschlechterforschung


im endlosenStreit


derIdentitäten.


Gerichtstärkt


Rezensenten

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