Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
Dezember 2019 Januar 2020









































































Mutter

Eine gesunde Familie aus Shenzhen
besucht eine infizierte Familie in
Wuhan.

Die Familie ist zurück in Shenzhen.

Vater

Tochter

Mutter des Schwiegersohns

nicht mit nach Wuhan gereist:

Schwieger-
sohn

Enkel 1

Enkel 2

erste Symptome Krankenhaus

Verhängnisvolle Reise Eine Familie aus Shenzhen infiziert sich bei Verwandten in Wuhan


Quelle: »Lancet«

ger von Angehörigen zu Hause gepflegt
werden. Jeder ist aufgefordert, verdächtige
Fälle zu melden. Funktionäre sollen gezielt
all jene aufsuchen, die in den vergangenen
Wochen Medikamente gegen Husten oder
Fieber gekauft haben.
Ganz China ist inzwischen von einem
Geflecht von Vorschriften und Verordnun-
gen überzogen, die in eifriger Pflicht -
erfüllung auf allen Verwaltungsebenen er-
lassen werden. Wenn eines alle eint, dann
ist es Angst: Ende Januar drohte Staats-
chef Xi, dass jeder, der seiner Pflicht im
Kampf gegen die Epidemie nicht nach -
komme, bestraft werde. Andererseits, so
mahnte er, dürfe die Wirtschaft nicht
länger leiden.
Den offiziellen Zahlen zufolge zeigt die
Mischung aus Angst, Aufopferung, Bespit-
zelung und rigoroser Quarantäne Wir-
kung. Und auch das wochenlang eingefro-
rene öffentliche Leben Chinas kommt all-
mählich wieder in Gang. Nutzer tun in den
sozialen Medien ihre Freude darüber
kund, dass sie in ihren Städten endlich wie-
der Verkehrsstaus sehen.
Die Pekinger Führung legt unterdessen
wachsendes Selbstbewusstsein an den Tag.
Am vergangenen Wochenende druckte
das Parteiorgan »Qiushi« eine Rede ab, in
der Xi sich seiner Führungsrolle im Kampf
gegen das Coronavirus rühmt. 13-mal


Taipeh, Seoul, Tokio und Singapur. Frank-
furt am Main, die erste deutsche Stadt,
folgt mit großem Abstand auf Platz 28.
Tatsächlich richtet sich die größte Sorge
der Experten derzeit auf die Länder Ost-
asiens. Offenbar zu Recht. So wurde am
Donnerstag bekannt, dass es in einer Kir-
che im südkoreanischen Daegu, drei Stun-
den südlich der Hauptstadt Seoul, zu mehr
als hundert Infektionen gekommen ist.
»Wir befinden uns in einer beispiellosen
Krise«, klagte der Bürgermeister der 2,5-
Millionen-Stadt. Die Straßen sind verlas-
sen, ein 28-jähriger Einwohner sagte der
Nachrichtenagentur Reuters, es sehe in der
Stadt aus wie nach einer »Zombie-Apoka-
lypse«, als hätte jemand »eine Bombe im
Stadtzentrum gezündet«.
In Japan sprach der Gesundheitsminis-
ter davon, das Land trete in eine »neue
Phase« des Ausbruchs ein. Erstmals waren
dort Infizierte aufgetaucht, bei denen die
Behörden nicht rekonstruieren konnten,
wo sie sich angesteckt haben.
Unter Seuchenmedizinern gilt dies als
Schlüsselmoment: Wenn sich die Route
des Virus nicht mehr verfolgen lässt, sind
wirksame Maßnahmen zu seiner Eindäm-
mung nicht länger möglich.
Dann aber, so fürchten die Experten,
dauert es nicht mehr lange, bis der Erreger
den Weg in Länder finden wird, deren Ge-
sundheitssystem für eine Epidemie nicht
gerüstet ist. Mit Entsetzen wurden deshalb
Meldungen aus Iran aufge nommen, wo
am Mittwoch in der Stadt Ghom zwei
Menschen Covid-19 erlagen. Keiner der
beiden war in jüngerer Zeit im Ausland ge-
wesen, auch ein Kontakt zu chinesischen
Touristen ließ sich nicht nachweisen.
Zwei Todesfälle, ohne dass der Infek -
tionsweg bekannt wäre – das kann nur
bedeuten, dass es in Iran in Dutzenden,
vielleicht Hunderten noch unbekannten
Fällen zu Ansteckungen gekommen ist. Es
tut sich damit genau jenes Szenario auf,
vor dem sich Michel Yao so fürchtet.
Im Operationszentrum der Weltgesund-
heitsbehörde in der kongolesischen Haupt-
stadt Brazzaville ist er zuständig für die
Notfallkoordination in der Weltregion, die
viele als Achillesferse der Seuchenvorbeu-
gung betrachten: in 47 Ländern Afrikas.
Seine Aufgabe ist es, Strategien zu entwi-
ckeln, um Epidemien in Afrika verhindern
oder eindämmen zu können.
»Das Coronavirus kann hier zur massi-
ven Herausforderung werden«, sagt Yao.
Die Gesundheitssysteme seien schwach,
sie könnten sehr leicht überrannt werden.
Schon 100 plötzlich auftretende Infek -
tionsfälle reichten, und die Schlacht sei
verloren.
Am Vortag traf bei der WHO ein Alarm
aus Sierra Leone ein. 29 Reisende aus Chi-
na saßen dort am Flughafen fest. Zwei von
ihnen hatten Fieber. Andere Verdachtsfälle

100 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020


kommt darin das Wort »ich« vor – ein
Signal dafür, dass Xi optimistisch ist und
sich nun nicht mehr fürchtet, die persön -
liche Verantwortung für das Seuchen -
geschehen zu übernehmen.
Gerade das schürt in der internationalen
Expertengemeinde das Misstrauen. Denn
es erscheint fraglich, ob ein Landesvater,
der sich als Retter der Nation inszeniert,
noch bereit ist, Hiobsbotschaften von der
Seuchenfront nach außen dringen zu lassen.

Weil aber Daten aus China nicht zu
trauen ist, bleibt den Experten nur, darauf
zu warten, wo das Virus als Nächstes auf-
taucht. Besonders gefährdet seien die Me-
tropolen Ost- und Südostasiens, meint An-
drew Tatem von der englischen Universi-
tät Southampton. Zusammen mit Kollegen
hat er auf der Grundlage internationaler
Verkehrsströme eine Rangliste von Städ-
ten erstellt, in denen das Risiko eines Aus-
bruchs von Coronaviren am höchsten ist.
Ganz oben stehen Bangkok, Hongkong,

Wissen

Entsetzen löste die Nach-
richt aus, dass die Lungen -
seuche auch in Iran
zwei Opfer gefunden hat.
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