Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

gibt es in Burkina Faso, in Kenia und in
Äquatorialguinea. »Wir erwarten jeden
Tag den ersten Fall«, sagt Yao.
Viele Experten gehen davon aus, dass
das Virus den Weg ins mittlere und süd -
liche Afrika längst gefunden hat. Yao will
das nicht ausschließen: »Es ist ein neues
Virus, wir wissen noch nicht, wie es sich
hier verhält.«
Dann muss er los, er muss sich um an-
dere Notfälle kümmern: Auch Lassafieber,
Masern und Ebola stehen auf seinem
Wochenplan.


*

Gut 6000 Kilometer weiter nördlich sitzt
Christian Drosten, ein dünner 1,93-Meter-
Mann mit dunklen Locken, an seinem rie-
sigen von Zetteln bedeckten Schreibtisch
und trinkt Kräutertee. Der Direktor des
Instituts für Virologie der Berliner Charité
hat an diesem Freitag alle Termine weg -
geschaufelt, weil er endlich einen wissen-
schaftlichen Artikel schreiben will, auf den
die Welt seit Tagen wartet. Es geht darum,
wie lange Covid-19-Patienten ansteckend
sind und wann sie gefahrlos aus dem Kran-
kenhaus entlassen werden können.
Virusmessungen in Auswurf und Stuhl
liefern Drosten die entscheidenden Hin-


weise. Daraus könne er klare Kriterien für
die Krankenhäuser definieren, sagt er. Für
die klinische Praxis sei das von enormer
Bedeutung: »Falls sich das Virus weltweit
ausbreitet, müssen wir die Betten, so
schnell es geht, wieder frei kriegen.«
Drosten wuchs auf einem Bauernhof im
Emsland auf, über den Zivildienst kam er
zur Medizin. Doch die Erfahrungen auf
der Intensivstation fand er »ernüchternd«.
Stattdessen entschied er sich für die Labor -
arbeit als Virologe.
Dass er 2003 schneller als die US-ame-
rikanische Seuchenschutzbehörde das
Sars-Virus identifizierte, machte ihn über
Nacht berühmt. Inzwischen ist er einer
der führenden Coronavirus-Experten und
Testspezialisten der Welt, ein Spitzen-
mann unter den Seuchendetektiven.
Konzentriert schaut er nun auf einen
der zwei Monitore auf seinem Schreibtisch.
Dort sind die Daten der Patienten zu se-
hen, auf die er seine Argumente gründet.
»Eine ständige Ablenkung sind leider die
E-Mails«, sagt er. Derzeit erreichten ihn
etwa 300 pro Tag. »Und 100 davon muss
ich eigentlich am selben Tag beantworten.«
Seit im Januar bekannt wurde, dass die
rätselhaften Lungenentzündungen in Wu-
han von einem Coronavirus verursacht

wurden, schafft Drosten es gerade noch,
morgens seinen Sohn in die Kita zu brin-
gen – danach wird durchgearbeitet.
Sein Ziel ist es, den elektronenmikro-
skopisch kleinen Erreger möglichst genau
zu studieren – und zwar ehe der den Zug
rund um die Welt antritt. Denn nur wenn
die Ärzte ihren Gegner kennen, werden
sie ihm mit den richtigen Mitteln begegnen
können.
Eines der nächsten Projekte, die Dros-
ten angehen will, ist die Entwicklung eines
Virentests, mit dessen Hilfe man, ähnlich
wie bei einem Schwangerschaftsnachweis,
auf den ersten Blick erkennen kann: posi-
tiv oder negativ. Denn da die Infektions-
krankheit auch sehr mild verlaufen kann,
haben die Ärzte ohne einen unkomplizier-
ten Test kaum eine Chance, die genaue
Ausbreitung des Virus zu verfolgen. »So
ein Test könnte zum Beispiel in ländlichen
Regionen Afrikas eingesetzt werden«, sagt
Drosten. »Aber auch in normalen Haus-
arztpraxen und Notaufnahmen.«
Jedes Virus habe seinen eigenen Stil, er-
klärt Drosten – und den des Covid-19-
Erregers hätten er und viele andere Wis-
senschaftler weltweit anfangs falsch ein -
geschätzt. »Mein Denkmuster war ganz
klar: Sars.« Das neuartige Virus und der

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EUGENE HOSHIKO / DPA
Abtransport australischer Passagiere von der »Diamond Princess« in Yokohama: Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen?
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