Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

Sars-Erreger gehörten schließlich zur
selben Virusart.
Dann machten Drosten und seine Mit-
arbeiter eine Entdeckung, die den Covid-
19-Erreger plötzlich in anderem Licht er-
scheinen ließ: Anders als der Sars-Erreger
ließ sich das neuartige Virus aus Rachen-
abstrichen der Infizierten isolieren, nicht
nur aus deren Lungen. Das könnte erklä-
ren, warum es deutlich ansteckender ist
als der Sars-Erreger – zugleich aber auch
weniger gefährlich.
Jetzt wollen Drosten und seine Mit -
arbeiter die beiden miteinander verwand-
ten Viren auch molekular vergleichen. Bei-
de lagern sie bei minus 80 Grad Celsius
im sogenannten S3-Labor der Berliner
Virologie. Höher sind die Sicherheits -
vorschriften nur für so gefährliche Erreger
wie das Ebolavirus.
Marcel Müller, der Leiter des Labors,
kontrolliert auf einer Anzeige kurz den
Unterdruck, der dafür sorgen soll, dass
Luft immer nur in das Labor hinein-, nie-
mals aber hinausgelangt. Dann öffnet er
eine schwere Tür mit großem Bullauge, die
in die enge Schleuse des Labors führt. Rou-
tiniert legt er die Schutzkleidung an: zwei
Paar blaue Handschuhe, die gelben Gum-
mistiefel, einen grünen Mikrofaserkittel,


wasserfeste Armstulpen und zum Schluss
eine graue Maske mit Visier, die den gan-
zen Kopf umschließt.
Müller will heute eine Zellkultur mit
Drostens altem Sars-Virus infizieren, da-
mit sich der Erreger darin vermehrt. Es
gilt, genug Virusmaterial für spätere Ex-
perimente bereitzustellen. Es sei erstaun-
lich, sagt Müller, wie schlecht man mit -
unter vom Genom eines Virus auf dessen
Verhalten rückschließen könne. Deshalb
sei es wichtig, nicht nur das Erbmaterial
des neuartigen Coronavirus mit dem des
Sars-Erregers zu vergleichen, sondern
auch die beiden Viren selbst.
Gerade ist im Fachmagazin »Science«
eine Untersuchung über das wichtigste
Oberflächenprotein des Covid-19-Erregers
erschienen. Es binde, so der Befund der
»Science«-Autoren, 10- bis 20-mal stärker
an menschliche Zellen als dasjenige des
Sars-Erregers – eine weitere mögliche Er-
klärung dafür, warum das neuartige Corona -
virus so viel ansteckender ist als Sars.
Müller und Drosten würden jetzt gern
herausfinden, warum sich Sars-CoV-2
anders als der alte Sars-Erreger auch im
Rachen der Infizierten vermehrt. Müller
pipettiert dazu Virusproben in eine Fla-
sche, in der eine Zellkultur in rötlicher

Nährlösung wächst. Dann legt er die Kul-
tur in den Brutschrank. In einigen Tagen
wird sich das Virus so stark vermehrt und
so viele Zellen zum Platzen gebracht ha-
ben, dass unter dem Mikroskop große Lö-
cher im Zellrasen zu erkennen sind.
An solchen Zellkulturen, sagt Müller,
würden nun auch Medikamente gegen das
neuartige Virus getestet. Gegen den Sars-
Erreger haben viele dieser Mittel bereits
eine gewisse Wirksamkeit gezeigt. Im
Falle einer Pandemie könnten solche
Wirkstoffe zur wichtigen Waffe der Ärzte
werden.

*
Lange kann es nicht mehr dauern, bis der
weltweite Covid-19-Alarm auch Deutsch-
land erreichen wird. In allen Bundeslän-
dern bereiten sich die Gesundheitsämter
derzeit darauf vor. Doch seltsamerweise
hat es hierzulande den Anschein, als wer-
de die Stimmung umso gelassener, je näher
der Ernstfall rückt.
Als besonders gefährdet gilt Frankfurt
am Main. Der internationale Flughafen
macht die Stadt zum Einfallstor für das Vi-
rus. Nach Einschätzung des zuständigen
Gesundheitsamts landen hier alltäglich
mehrere Tausend Passagiere, die zumin-

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XIAO YIJIU / DPA
Infizierte in Wuhan in einem provisorischen Krankenhaus: Wenn eines alle eint, dann ist es Angst

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