Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

dest theoretisch in Asien mit Covid-19-Er-
krankten in Kontakt gekommen sein könn-
ten. Da scheint es unausweichlich, dass ir-
gendwann einer von ihnen den Erreger
einschleppen wird.
Seit vergangener Woche müssen des-
halb alle Passagiere aus Risikoregionen
einen Fragebogen ausfüllen. Wer darin
angibt, dass er Kontakt zu Erkrankten
hatte, wird im Flugzeug isoliert und nach
der Landung in Frankfurt von einem Arzt
untersucht. Sollte dieser den Verdacht
einer Erkrankung begründet finden, wird
der Passagier im Universitätsklinikum
getestet. Dass eine solche Maßnahme
zuverlässigen Schutz bieten könne, glaubt
indes kaum jemand. Bei der Lufthansa hat
bisher niemand »Ja« angekreuzt. Andere
Airlines berichten, dies sei bereits pas-
siert – allerdings, so stellte sich heraus,
weil Passagiere die Fragen falsch verstan-
den hatten.
Dass der Flughafen für den Notfall ge-
rüstet ist, zeigte sich Mitte Januar, als die
knapp 130 aus Wuhan evakuierten Bun-
desbürger ankamen: Im Handumdrehen
war es gelungen, im Flughafen ein medizi-
nisches Lagezentrum einzurichten, in dem
die potenziell Befallenen untersucht wer-
den konnten. Zwei von ihnen erwiesen
sich als infiziert. Doch verlief die Krank-
heit glimpflich, einer der beiden zeigte gar
keine Symptome.
Mit dem aggressiven Sars-Erreger sei
das neue Virus glücklicherweise nicht ver-
gleichbar, sagt der Infektiologe Antoni
Walczok vom Frankfurter Gesundheits-
amt. Was den zu erwartenden Krankheits-
verlauf betrifft, fühle er sich eher an den
Erreger der sogenannten Schweinegrippe
des Jahres 2009 erinnert.
Viele der damals ausgearbeiteten Not-
fallpläne liegen auch jetzt bereit: Absa -
gen von öffentlichen Veranstaltungen,
Schulschließungen, Einschränkungen des
Bus- und Bahnverkehrs. Allerdings, sagt
Walczok, habe es seinerzeit monatelang
gedauert, bis aus sporadischen Einzelfällen
ein großer Ausbruch wurde.
Er rechne aber nicht damit, dass es zu
solchen Maßnahmen kommen werde,
meint Walczok. Schulen und Kindergärten
zum Beispiel könnten wohl geöffnet blei-
ben – junge Menschen erkrankten bis -
herigen Erkenntnissen zufolge selten an
Covid-19.
Niemand in Deutschland hat bisher so
viel klinische Erfahrung mit dem neuen
Virus wie die Bayern. Dort hatten sich
Ende Januar 14 Menschen im Umfeld des
Stockdorfer Autozulieferers Webasto mit
Sars-CoV-2 infiziert. Und auch hier stim-
men die Erfahrungen eher optimistisch.
»Der Verlauf war sehr mild«, sagt Cle-
mens Wendtner, der als behandelnder
Chefarzt an der Klinik Schwabing neun
der Patienten betreute. Wendtner und


sein Team beobachteten
grippeähnliche Symptome
und trockenen Husten, ge-
legentlich berichteten die
Patienten über Riech- und
Geschmacksstörungen.
Die Strategie, Infizierte
stationär aufzunehmen und
ihre Kontaktpersonen häus-
lich zu isolieren, habe funk-
tioniert, sagt der Infektio -
loge: »Es wurden kaum
Ansteckungen importiert.«
Und die Betroffenen hätten
in Deutschland kaum wei-
tere Menschen angesteckt;
die Sonderisolierstation,
über die seine Klinik verfü-
ge, habe er nicht einmal ge-
braucht. »Ich gehe derzeit
nicht von einer größeren
Coronawelle hierzulande
aus«, sagt Wendtner.
Vielleicht tragen Entwar-
nungen wie diese dazu bei,
dass man auch bei den Vorkehrungen
in Nordrhein-Westfalen drakonische
Schritte vermeidet. Dort werden derzeit
vier Menschen als »Kontaktpersonen
der Kategorie I« überwacht. Sie zählen
zu den 57 Deutschen, die auf dem
Kreuzfahrtschiff »Westerdam« Urlaub
gemacht haben. In Kambodscha hatten
Passagiere das Schiff verlassen dürfen,
nachdem die Reederei Covid-19-Ent -
warnung gegeben hatte. Erst als viele
bereits von Deck gegangen waren, wurde
das positive Virentestergebnis einer 83-
jährigen Amerikanerin, die an Bord war,
publik.
Vier der Kreuzfahrer sind inzwischen
daheim in Nordrhein-Westfalen angekom-

men. Strikte Quarantäne,
wie noch bei den Heimkeh-
rern aus Wuhan, wurde in
diesem Fall nicht angeord-
net. Den Gesundheitsäm-
tern scheint häusliche Iso-
lierung auszureichen. Die
Schiffsurlauber sind ange-
halten, zweimal am Tag
ihre Körpertemperatur zu
messen und in einem Tage-
buch Protokoll über ihr Be-
finden und mögliche Kon-
takte zu führen. Einkäufe
sollen sie vermeiden, Essen
kommt per Lieferdienst.
Die Welt ist in Warte -
stellung. Das Virus Sars-
CoV-2 schickt sich an, den
Erdball zu umrunden, und
noch immer sind viele Fra-
gen ungeklärt. Vielleicht zu
viele.
Das Unwissen, das über
Sars-CoV-2 noch immer
herrscht, ist im Moment der schlimmste
Feind. Solange die Seuchenjäger, die
Gesundheitsbehörden, die politischen
Entscheider nicht wissen, mit welchem
Erreger genau sie es zu tun haben, wer-
den sie weiter verhängnisvolle Fehler
machen.
Fehler wie auf der »Diamond Princess«.

*
Zwei Tage nachdem man Jerri Jorgen-
sen aus der gemeinsamen Kabine geführt
und in ein Krankenhaus in Fukushima ver-
legt hatte, wurde ihr Mann zusammen mit
allen anderen US-Bürgern von der »Dia-
mond Princess« evakuiert. Busse brachten
sie zum Flughafen Haneda, auf eilig mon-
tierten Sitzen im Rumpf eines Jumbo-
Frachtflugzeugs gelangte Mark Jorgensen
nach Kalifornien.
Dort verbringt er nun seine zweite Qua-
rantäne in einer Dreizimmerwohnung auf
der Travis Air Force Base. Er versucht, sich
seinen Humor zu bewahren, nennt es
sein »Junggesellenapartment«. Bislang
zeigt er keine Symptome. Bis jedoch die
14-tägige Inkubationszeit abgelaufen ist,
muss er weiter fürchten, das potenziell
tödliche Virus in sich zu tragen.
Bei seiner Frau, die nach wie vor in Fu-
kushima ist, sind die Symptome abgeklun-
gen. Sie klagt lediglich über das Essen und
darüber, dass sie kein Internet habe. Es
bleibt den beiden Jorgensens nur, täglich
mit einander zu telefonieren. Und: zu war-
ten. Es ist ein banges Warten.
Matthias Bartsch, Uwe Buse,
Lukas Eberle, Georg Fahrion,
Jan Friedmann, Johann Grolle,
Veronika Hackenbroch, Marc Hujer,
Martin U. Müller, Fritz Schaap

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 103


PAUL LOVIS WAGNER / DER SPIEGEL
Virologe Drosten
»Mein Denkmuster war ganz klar: Sars«


  1. Deutschland

  2. Montenegro,
    Marokko,
    Panama

  3. Tunesien


am besten vorbereitet

besser vorbereitet

am wenigsten vorbereitet

Gewappnet für
die Pandemie?
Weltweiter Gesund-
heits-Sicherheitsindex,
Ranking 2019

Quelle: ghsindex.org


  1. USA

  2. Großbritannien

  3. Niederlande

  4. Nordkorea

  5. Somalia

  6. Äquatorialguinea

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