Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

D


ass es deutschen Ingenieuren nicht
gelingen will, einen Tesla zu bauen,
zählt zu den Peinlichkeiten der jün-
geren Automobilentwicklung. Das kalifor-
nische Unternehmen führt den Weltmarkt
der Elektroautos einsam an. Fast 370 000
Neuwagen verkaufte es weltweit im vergan-
genen Jahr. 2020 sollen es eine halbe Million
werden.
Was die heimischen Autokonzerne
dem entgegenzusetzen haben, ist noch
dürftig: Audi probt mit seiner Strombau-
reihe e-tron den ewigen Fehlstart. Nach
pannenreicher Findungsphase begann die
Produktion 2018 in Brüssel, doch es gibt
unentwegt Probleme mit Lieferanten und
eigenen Unzulänglichkeiten. Im Januar
wurde Kurzarbeit verordnet.
Mercedes setzte von seinem EQC,
einem wuchtigen und teuren Elektro-SUV,
seit der Einführung im Mai in Deutschland
keine 600 Stück ab, musste die wenigen
Kunden aber schon zum Rückruf bitten.
Ein Defekt im Antriebsstrang könnte die
Vorderräder blockieren lassen.


Einzig BMW ging früh und weitgehend
pannenfrei in den Strommarkt – allerdings
mit einem irritierenden Design. Das baye-
rische E-Mobil i3 sieht aus wie eine Bas-
telarbeit und blieb weit hinter Teslas Erfolg
zurück.
Nun könnte ausgerechnet einem schwe-
disch-chinesischen Unternehmen glücken,
was den Ingenieuren im Autoerfinderland
so nachhaltig misslingt: Im Juni kommt
die Elektrolimousine Polestar 2 auf den
deutschen Markt, ein Auto in stimmiger
Form und mit überzeugenden technischen
Eckdaten: Die Reichweite soll bei knapp
500 Kilometern im genormten Fahrzyklus
liegen, also nah am Tesla-Niveau. Und
auch der Preis wird zwar hoch, aber kon-
kurrenzfähig sein: ab 57 900 Euro.
Polestar ist ein Gemeinschaftsunterneh-
men im Besitz von Volvo und dessen chi-
nesischem Eigentümer Geely. Die Wagen
werden weitgehend in Schweden mit Vol-
vo-Know-how entwickelt und in China
produziert. Es könnte der nächste Schritt
in einer respektablen Erfolgsgeschichte
werden.
Geely-Gründer Li Shufu fiel erstmals in
der Autobranche auf, als er ein ziemlich
plumpes Rolls-Royce-Plagiat präsentierte
und der Hersteller des Originals nicht
recht wusste, ob er sich jetzt empören oder
einfach nur lachen sollte.
Inzwischen lacht niemand mehr. Li Shu-
fu ist Großaktionär bei Daimler, hat aus
dem nostalgisch vor sich hin gammelnden
London Taxi wieder ein modernes Trans-
portgerät gemacht – und Volvo gekauft.
Der unter Ford-Regie verkommene Her-
steller aus Göteborg erlebte nach dem Ein-
stieg des chinesischen Unternehmers eine

Art Wiedergeburt. Eine der Schlüsselfigu-
ren dabei war Chefdesigner Thomas In-
genlath, der zum Markenchef von Polestar
wurde.
Den Autos ist anzusehen, dass
hier ein talentierter Formenschöpfer das
Sagen hat, und auch die technische Sub-
stanz erscheint solide. Polestar lud kürz-
lich internationale Autotester auf das
Volvo-Gelände bei Göteborg, um Vor -
serienautos auszuprobieren. Leiter der
Fahrwerks entwicklung ist der Ingenieur
und Rallyefahrer Joakim Rydholm. Er
gab auf der Werksstrecke eine eindrucks-
volle Vorführung des allradgetriebenen
E-Mobils.
Rydholms Entwicklungs- und Erpro-
bungsarbeit galt auch einem Ausstattungs-
paket, das Polestar zu einem Aufpreis
von 6000 Euro anbietet. Es nennt sich
»Performance« und enthält stärkere Brem-
sen, größere Räder sowie einstellbare
Spezialstoßdämpfer der in Sportfahrer-
kreisen geschätzten Marke Öhlins. Alle
Modelle mit diesem Extra tragen Sicher-
heitsgurte in goldgelb, der Erkennungs -
farbe des Stockholmer Dämpferproduzen-
ten – Insignien, die indes ein wenig gestrig
erscheinen in einem Auto, das in die ben-
zinlose Zukunft strebt.
Wer den Fortschritt im digitalen Erleb-
nisfeld sucht, wird im Android-Infotain-
mentsystem des Polestar einen Spielplatz
finden. Es bietet die Klaviatur der Google-
Welt mit ihren virtuellen Assistenten. Die
Stimmerkennung folgt auf das Komman-
do-Codewort »Hey Google« und knipst
dann die Navigation oder das Licht in der
heimischen Garage an.
»Wir sind eine elektrische Hochleis-
tungsmarke, entschlossen, die Gesellschaft,
in der wir leben, zu verbessern«, steht als
Glaubensbekenntnis in der Eingangshalle
der Göteborger Firmenzentrale. Chefent-
wickler Hans Pehrson spricht akzentfrei
das sektenhafte Idiom, in dem auch Tesla
kommuniziert: »Ich glaube an die Elektri-
fizierung – voll und ganz«, sagt er.
Dass Polestar im Namen der Nachhal-
tigkeit unterwegs ist, soll unter anderem
ein »veganes Interieur« dokumentieren.
Der Wagen lässt sich komplett mit Mate-
rialien möblieren, für die kein Tier sterben
musste.
Nun sind es weniger die Sitzbezüge als
die Batteriezellen, die die Herstellung
solcher Autos zum akuten Ökoproblem
werden lassen. Das weiß auch der Chef -
ingenieur. Seltene Rohstoffe und reichlich
Energie fließen in die Produktion der
Stromspeicher – und in China ist das noch
vorwiegend Energie aus Kohle. »Wir wis-
sen um diese Probleme und müssen uns
diesen Fragen stellen«, sagt Pehrson.
Noch hat er keine guten Antworten.
Christian Wüst

104 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020


Wissen

Die


Tesla-Jäger


VerkehrWährend Deutschlands
Autokonzerne den Wandel
verschusseln, bauen Chinesen
und Schweden jetzt ein
konkurrenzfähiges E-Mobil.

STEFAN ISAKSSON
Designer Ingenlath bei Polestar-2-Weltpremiere 2019: Google knipst das Garagenlicht an
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