Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

W


enn Bill Landsberger morgens
sein Labor betritt, hat er die
Widersacher direkt im Blick.
Sie stecken in transparenten
Plastikkästen mit Deckel und knabbern an
Holz, Hundekuchen und einem Zeug he-
rum, das dem Inhalt von Staubsaugerbeu-
teln ähnelt.
Zu den Tierarten, die der Insektenfor-
scher an seinem Arbeitsplatz beobachten
kann, zählen Teppichkäfer, Trockenholz-
termiten, Papierfischchen, Motten, teils
winzige Krabbler, kleiner als ein Reiskorn.
Sie können Papier zerbröseln, Textilien
anknabbern, Holz schreddern und Eier in
Ritzen ablegen, die so schmal sind wie ein
Bleistiftstrich.
In einem der Kästen wuseln Braune
Splintholzkäfer, deren Larven sich vor
einiger Zeit anschickten, das Parkett im
ehrwürdigen Berliner Bode-Museum mit
Fraßgängen zu ruinieren; nur knapp konn-
te dies abgewendet werden. Außerdem
Brotkäfer, die scharf sind auf altes Papier
und dem Augsburger Stadtarchiv einen
der größten Schäden seiner Geschichte
zugefügt haben. Landsberger hat den
Winzlingen, zu Forschungszwecken, vor
einiger Zeit ein Kirchengesangsbuch von
1844 serviert. Emsig mampfen die Larven
sich seitdem durch Hallelujah und Hei-
landsdank, das Buch sei bereits »sehr löch-
rig«, meint der Wissenschaftler vom Rath-
gen-Forschungslabor in Berlin.
Eigentlich soll Landsberger dafür sor-
gen, dass die Bestände der Stiftung Preu-
ßischer Kulturbesitz von Krabbel- und
Kriechzeug verschont bleiben. Bis vor


einiger Zeit durfte er gegen die Tiere eine
äußerst effektive Waffe einsetzen: einen
Stickstoffgenerator, der Insekten auf und
in befallenen Sammlungsstücken abtötet.
Außerdem ließen sich damit vorsorglich
Exponate behandeln, die neu in die Mu-
seen, Archive oder Depots der Stiftung
eingeliefert worden waren. Jetzt ist aller-
dings Schluss mit dieser Form der Präven-
tion, denn die EU erlaubt den Betrieb
der Anlagen und das mit ihnen betrie-
bene »Anoxia«-Verfahren derzeit nicht.
»Das nimmt uns eine alternativlose Ar-
beitsmethode, die für Exponate jeder Grö-
ße und jedes Material geeignet ist«, resü-
miert Landsberger. »Fast so, als würde
man Putzleuten das Wasser verbieten«,
sagt Cord Brune vom Verband der Restau-
ratoren.
»Vollkommen absurd«, findet das auch
Hildegard Heine vom Museumsverband
Thüringen. Nach dem sinnvollen Verbot
von Substanzen wie Arsen, DDT, Lindan
und anderen Giften zur Schädlings -
bekämpfung, müssten die Museen im Mo-
ment auf eine Variante verzichten, die
nicht nur effektiv, sondern auch noch um-
weltfreundlich sei – und für den Menschen
völlig ungefährlich. Jetzt sei man auf Maß-
nahmen angewiesen, die sich längst nicht
für alle Exponate eigneten, zum Beispiel
Wärme- und Kälteverfahren, die die
Schädlingsbekämpfung auch teurer ma-
chen könnten.
Die Verordnung, die in den Archiven,
Ausstellungshäusern und auch Kirchen der
EU gewaltige Schäden anrichten könnte,
geht auf das Jahr 2012 zurück. Damals

regelten die Mitgliedsländer den Umgang
mit Stickstoff in der Biozid-Verordnung.
Zwar ist das Gas ungiftig und mit einem
Anteil von 78 Prozent Bestandteil der Luft.
Aber es kann gefährlich werden: wenn es
in abgeschlossenen Räumen den Sauer-
stoff verdrängt. Tiere sterben darin dann
den Erstickungstod.
Unternehmen und Institutionen, die zum
Schutz von Kulturgut weiterhin mit Stick-
stoff arbeiten wollten, räumte die EU eine
Frist bis zum 1. September 2016 ein. Wer
bis dahin keinen Antrag auf weitere Nut-
zung seiner Generatoren, Absorber oder
anderen Geräte gestellt hatte, durfte noch
ein Jahr lang weitermachen, danach sollte
Schluss sein. Von den Museen, Denkmal-
pflegern und ihren angestammten Dienst-
leistern ging allerdings kein einziger An-
trag bei den Behörden ein. Die Verantwort-
lichen machten einfach weiter wie bisher.
Möglicherweise war die Informations-
politik der EU miserabel. Oder haben die
Museums- und anderen Kulturverbände
kollektiv geschlafen? Letzteres mag sich
Friederike Waentig vom ICOM Deutsch-
land, dem Nationalkomitee des Interna-
tionalen Museumsrates, nicht vorwerfen
lassen. »Warum«, fragt sie, »sollten Leute
aus dem Kunst- und Kulturbereich in der
EU-Biozid-Verordnung nachschauen, ob
darin der Umgang mit einem ungiftigen
Stoff geregelt ist?«
Landsbergers Chef Stefan Simon räumt
ein, dass Brüssel für seine Branche »unge-
fähr so fern wie der Mars« sei. Wahrschein-
lich müsse man zukünftig »besser hin-
schauen«. Ein Ratschlag, der auch Monika

106 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020


Löcher im Hallelujah


SchädlingeInsekten bedrohen kostbares Kulturgut in Museen und Archiven. Konservatoren töteten sie
bisher mit einem Stickstoffverfahren, doch die EU erlaubt die umweltfreundliche Methode nicht mehr.
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