Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
AGATA SZYMANSKA-MEDINA / DER SPIEGEL

FOTOS:

Grütters hätte erreichen müssen, die Be-
auftragte der Bundesregierung für Kultur
und Medien. Was da im Europäischen Par-
lament beschlossen worden war, schien ihr
Haus nicht erreicht zu haben. Noch im Mai
2018 berichtete es auf seiner Internetseite
über die erfolgreich verlaufene Stickstoff-
behandlung eines 16 Meter langen histori-
schen Bootes aus der Südsee.
Der Bericht war der Sache der deut-
schen Museen nicht dienlich, denn so si-
ckerte durch, dass dort gegen EU-Recht
verstoßen worden war. Eine österrei-
chische Firma, die mit Hitze gegen Unge-
ziefer vorgeht, klagte und bekam Recht:
Das Landgericht Dortmund untersagte den
verklagten Stickstoffnutzern im Oktober
2018 unter Androhung eines Ordnungs-
gelds in Höhe von bis zu 250 000 Euro,
weiterhin mit dem Gas zu arbeiten.
Nach dem Prozess sprach sich in der
Museumsbranche dann doch noch herum,
dass man sich den Betrieb von Stickstoff-
anlagen genehmigen lassen muss. In Berlin
indes hinkte man immer noch hinterher
und schaffte erst im Frühjahr 2019 eine
neue Anlage für etwa 150 000 Euro an.
Vielerorts wurde der Betrieb aber einge-
stellt, so auch am Niedersächsischen Lan-
desmuseum Hannover.
Die dortige Direktorin Katja Lembke
will zeigen, was das für ihr Haus bedeutet.
In einer Lagerhalle außerhalb des Stadt-
zentrums liegt das Depot des Museums
für die ethnologische Sammlung. Etwa
24 000 Sammlungsstücke sind hier ver-
staut, darunter viele, die besonders anfäl-
lig für Schädlinge sind: ausgestopfte Tiere,
Holzmasken, Federschmuck – Köstlich -
keiten für die Larven des Wollkrautblüten-
käfers und anderer Krabbeltierchen.
Lembke hat sich mit Jan Hoffmann ver-
abredet, dem Restaurator der ethnologi-
schen Sammlung. Der Kollege wartet
schon vor den beiden stillgelegten Stick-
stoffcontainern und sagt, er sei »ziemlich
ratlos und wütend«. Wie in Berlin müssten

eigentlich alle Exponate, die ins Depot
sollen, diese Schleuse durchlaufen. Jetzt
herrscht ein Stau vor den Kammern, weil
ständig neue Kartons und Kisten angelie-
fert werden.
Bei den Exponaten, die sich darin be-
finden, handelt es sich unter anderem um
Sammlungsstücke, die für Sonderausstel-
lungen an andere Museen verliehen wor-
den waren, darunter sind ein ausgestopfter
Gepard und Schlitztrommeln aus Papua-
Neuguinea. Außerdem warten Feder-
schmuck, Masken und andere Urlaubsmit-
bringsel auf Einlagerung. Sie wurden vom
Zoll am Flughafen beschlagnahmt und
müssen laut Vorschrift vom Museum über-
nommen werden – ob sie mit Getier ver-
seucht sind oder nicht.
»Unheimlich« findet Hoffmann auch die
Schenkungen von Privatsammlern. Die
seien zwar oft von hoher Qualität, beinhal -
teten aber immer wieder auch Objekte,
die jahrzehntelang in feuchten Kellern
oder anderen »eher gammeligen Orten«
verwahrt worden seien. »So was kann ich
nicht unbehandelt ins Depot lassen«, sagt
Hoffmann, »dann müssten wir zuschauen,
wie unsere Sammlungen ganz langsam
weggefressen werden.«
Genauso wie seine Kollegen in anderen
Häusern hat der Restaurator festgestellt,
dass die Zahl der Schädlinge, die es doch
irgendwie ins Museum schaffen, in den
vergangenen Jahren »eher gestiegen« sei.
Das liegt in erster Linie am weltweiten
Leihverkehr der Museen: Der bringt Käfer
und andere Viecher ins Haus, die dort frü-
her nicht vorgekommen sind.
Weil »die Gefahr« auf Dauer nicht hin-
zunehmen sei, schrieb Lembke an die

Europäische Kommission und forderte sie
dazu auf, dem Museumsbetrieb eine Aus-
nahmeregelung zu gewähren. Die Antwort
fiel enttäuschend aus: Man erkenne zwar
an, wie wichtig die Erhaltung des kulturel-
len Erbes sei. Allerdings sei die Arbeit mit
Stickstoffgeneratoren alles andere als al-
ternativlos. Die Kommission wisse von ei-
nigen Firmen, die behilflich sein könnten.
Darunter befindet sich der Service riese
Rentokil Initial, der mit etwa 36 000 Mit-
arbeitern auch einer der größten Kammer-
jäger der Welt ist. Darüber, was in Brüssel
entschieden wird, scheint die britische
Firma besser informiert zu sein als der
deutsche Kulturbetrieb; zumindest ver-
säumte sie es nicht, einen Antrag auf Ge-
nehmigung einer ganz eigenen Stickstoff-
technik zu stellen, bei der das Gas aus
speziellen Flaschen in Zelte oder Contai-
ner geleitet wird.
Theoretisch könnten Simon und
Lembke nun die Dienste von Rentokil in
Anspruch nehmen, aber dafür fehlen
Geld – und Verständnis. Sie hoffen darauf,
dass Brüssel in den nächsten Monaten ein-
lenkt, und haben gemeinsam mit knapp
1500 anderen Mitarbeitern der Museums-
und Archivbranche an einer öffentlichen
Anhörung mit Deadline im Januar teil -
genommen.
Rückenwind von der Bundesregierung
gibt es, aber der weht eher lau: Sie »prüft«
zurzeit »eine Ausnahmemöglichkeit vom
Stickstoffverbot zum Schutz des kulturel-
len Erbes zu erwirken«, teilt die Presse-
stelle von Monika Grütters mit. Das in
Österreich zuständige Ministerium wagte
sich deutlich weiter vor: Es signalisierte
den betroffenen Museen und anderen Ein-
richtungen volle Unterstützung und er-
laubte ihnen, »aus Gründen der Verhält-
nismäßigkeit« Stickstoffkammern und
-generatoren weiterzubetreiben. Egal, was
Brüssel darüber denkt.
Guido Kleinhubbert

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Stickstoffgenerator, Exponate im
Ethnologischen Museum Berlin,
Kapuzenkugelkäfer, Teppichkäferlarven
»Als würde man Putzleuten
das Wasser verbieten«

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