Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

DAVID PINZER / SKD
Besucherin vor Rembrandt-Gemälde »Ganymed in den Fängen des Adlers«, 1635


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Kultur


Lernen aus


dem Kunstraub


MuseenIn Dresden wird
die Gemäldegalerie vollständig
wiedereröffnet.

 Vom letzten Februarwochenende an wird
die berühmte Gemäldegalerie der Staatlichen
Kunstsammlungen Dresden endlich wieder
vollständig zugänglich sein – seit 2013 war sie
in Etappen mit großem Aufwand und viel
Liebe zum Detail renoviert worden. Raffaels
»Sixtinische Madonna« oder Vermeers
»Briefleserin« kommen noch besser zur Gel-
tung. Die Kulturstadt an der Elbe glänzt an
dieser Stelle also bald wie früher. Noch ge-
schlossen bleibt dagegen das Grüne Gewölbe,
das zu den Kunstsammlungen gehört. Einbre-
cher hatten daraus im vergangenen Novem-
ber historischen Schmuck gestohlen. Bis heu-
te laufen die Ermittlungen, die Polizei geht
nach der Auswertung von Videomaterial von
mindestens vier Tätern aus. Der Deutsche
Museumsbund lädt im März in Berlin zu einer
»Sicherheits tagung« ein. Man reagiere auf
»spektakuläre Raubüberfälle auf einzelne
Museen«, die in jüngster Zeit für Aufsehen
gesorgt hätten, heißt es in der Ankündigung.
Geklärt werden soll vor allem eine Frage:
Hat sich die kriminelle Szene schneller pro-
fessionalisiert als die Sicherheitsvorkeh -
rungen in den Museen? Dieser Termin klingt
weniger feierlich, aber durchaus aufregend.
Und auch auf dieser Tagung werden alle über
Dresden reden.UK

Literatur
Kontinent der

Staatsstreiche


 Sie ist die wohl wichtigste
Vermittlerin lateinamerika -
nischer Literatur im deutschen
Sprachraum. Die Autorin und
Übersetzerin Michi Strausfeld
präsentiert in ihrem Buch
»Gelbe Schmetterlinge und die
Herren Diktatoren. Latein -
amerika erzählt seine Geschich-
te« ein markantes Panorama
des Kontinents. So berichtet sie
unter anderem von der Grund-

idee eines realen Horrorromans:
Die beiden berühmten Schrift-
steller Mario Vargas Llosa und
Carlos Fuentes forderten im
Jahr 1967 befreundete Kollegen
in Lateinamerika auf, jeweils
einen Roman über ihren natio-
nalen Diktator zu schreiben.
Zwischen Argentinien und
Venezuela, zwischen Brasilien
und Chile, Kuba und Haiti, so
der grimmige Plan, fände sich
überreiches Material an Staats-
streichen, an Ausbeutung und
politischem Mord. Das poly-
phone Gesamtwerk sollte »Los
padres de la patria« heißen,

wurde aber im Ganzen nie rea -
lisiert. Immerhin haben Schrift-
steller wie Isabel Allende, Ga -
briel García Márquez und Juan
Carlos Onetti in ihren eigenen
Büchern die Schreckensge-
schichte ihrer Länder seziert.
In Lateinamerika, wo die Pres-
se in der Regel drangsaliert
wird und Journalisten auch
heute vielfach gefährdet sind,
sind Autoren jene, denen man
glaubt – und selbst der soge-
nannte magische Realismus ist
oft näher an der Realität als
das offizielle politische Wort.
Strausfeld porträtiert einen

Kontinent, dessen Zukunft
offen ist. Nachdem die USA
ihre desaströsen Interventionen
eingeschränkt haben, schwingt
sich nun China zum ökono -
mischen Eroberer auf. Kulturell
hingegen war Lateinamerika
immer an Europa orientiert –
Strausfelds erstaunliches Buch
will die gegenseitige Neugier,
nach einer Phase des zuletzt auf
europäischer Seite erlahmten
Interesses, neu beleben.ES

Michi Strausfeld: »Gelbe Schmetter -
linge und die Herren Diktatoren.
Lateinamerika erzählt seine Geschich-
te«. S. Fischer; 576 Seiten; 26 Euro.
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