Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 109


Musik
Süße Luft

 Am besten wählt man eine
Art Ausschlussverfahren, um
die Klavierstücke Malakoff
Kowalskis zu beschreiben: Es
handelt sich weder um Jazz
noch um Pop noch um Avant-
garde noch um Loungemusik.
Da bleibt, zugegeben, nicht
mehr viel übrig, vielleicht
könnte man im Falle Kowalskis
von Superminimalismus spre-
chen. Der Mann mit der Prinz-
Heinrich-Mütze spielt stets nur
kleine, präzis komponierte
Splitter, nie schnell, nie laut,
nie dominant, und erzielt
dabei mit geringstem Aufwand
eine geradezu betörende Wir-
kung. Das hat der Berliner
Pianist mit iranischen Wurzeln
schon 2018 auf seiner ersten,
von der Kritik gelobten Solo-
Klavierplatte »My First Piano«

so gehalten. Und das macht er
nun auch auf seinem zweiten
Album »Onomatopoetika«.
Der Titel ist allerdings ein
wenig zu bescheiden, denn
Kowalskis Musik enthält viel
mehr als nur Lautmalerei.
Seine zaghaft tastenden Minia-
turen besitzen eine besondere,
abstrakte Schönheit. In den
meisten Stücken sind zudem
winzige Zitate aus Werken
Beethovens, Bachs oder Cho-
pins versteckt – so schnell,
wie sie kommen, so schnell
verschwinden diese Erinne-
rungsfetzen auch wieder. Mala-
koff Kowalskis Musik hat
vielleicht nicht den Witz der
Klavier stücke seines Freundes
Chilly Gonzales, dafür ist
sie zarter und leichtfüßiger.
Zuweilen erinnert sie ein wenig
an ein Baiser, an gezuckerten
Eischnee, der auf der Zunge zu
süßer Luft zerfällt. DY

Kino


Blutiger


Männerspaß


 Der neue Film des briti-
schen Regisseurs Guy Ritchie
funktioniert im Grunde wie
ein Montagnachmittag im
Baumarkt. Man sieht vielen
gut aufgelegten, knorrigen
Männern zu, die beherzt
Flüche ausstoßen, sich für
tech nische Finessen und
Autos begeistern und mit Bie-
nenfleiß an der Verbesserung
ihrer Lebensverhältnisse
werkeln. Zugegeben, die dro-
genbegeisterten Kerle, die
Matthew McConaughey, Char-


lie Hunnam und Tom Wu
in »The Gentlemen« spielen,
optimieren ihr Dasein mit
nicht immer legalen Metho-
den. Aber die handwerkliche
Begeisterung, mit der sie sich
dem unterirdischen Anbau
von Hanfpflanzen in Großbri-
tannien und dem Geschäft
der Totschlägerei widmen,
dürfte viele auf simple, gerad-
linige Unterhaltung erpichte
Kinozuschauer trotzdem ent-
zücken. König im Reich der
durchgeknallten, munter ihre
blutigen Wunden versorgen-
den Schicksalsschrauber ist
Hugh Grant in der Rolle eines
windigen und malerisch ver-
zottelten Reporters.HÖB

JULIJA GOYD
Kowalski

LEONINE
Szene aus »The Gentlemen«

Ausstellungen
Lausbub Adolf?

 Auch ein Notenblatt wird in
dieser Ausstellung zu sehen
sein, die Komposition darauf
stammt von Adolf Hitler. Zu
Hause in der Humboldtstraße
in Linz hatte der Schulabbre-
cher auf jenem Klavier geklim-
pert, das seine sonst so sparsa-
me Mutter auf seinen Wunsch
hin erworben hatte. Der Sohn
wollte im Stile Richard Wag-
ners eine Sage vertonen, und
weil er keine Noten beherrsch-
te, beschriftete ein Freund für
ihn das Papier. Nun zeigt man
es erstmals öffentlich, neben
Hunderten weiteren Expona-
ten – und das zieht hoffentlich
nicht das falsche Publikum an.
Am kommenden Wochenende
beginnt im Museum Nieder-
österreich in St. Pölten die in
dieser Hinsicht durchaus heik-
le Schau »Der junge Hitler.
Prägende Jahre eines Dikta-
tors«. Die Autoren des Begleit-
buchs schreiben, dass Hitler
im Grunde ein Diktator wie
jeder andere gewesen sei, nur
der Holocaust sei einzigartig,
deshalb müsse man »immer
wieder zu Hitler zurück, zu
seiner Person, zu seinem Um -
feld«. Allerdings liest sich die

Studie über seine Jugend dann
eher wie ein kitschiger Heimat-
roman. Lange lebte die Fami-
lie in der Provinz, Gasthäuser,
Gutshöfe und eine »bucklige«
Tante kommen vor. Der Vater,
der Zollbeamte Alois Hitler,
ist das »despotische Familien-
oberhaupt«, das von Frau und
Kindern »unbedingte Gefolg-
schaft« forderte. Die Mutter
wird als zu nachgiebig geschil-
dert. Nichts war gut in der Fa -
milie, »einzig Adolfs Einschu-
lung im Mai 1895 verläuft glatt«,

an der Hand seiner Halb-
schwester habe er die Schule
betreten. Nur wenige Jahre
später habe er auf einem Klas-
senfoto den Eindruck »anma-
ßender, beinahe majestätischer
Überheblichkeit« hinterlassen.
Begriffe wie »Lausbub«, »Fle-
gel« tauchen auf. Auch Hitler
selbst kommt zu Wort, immer
wieder wird aus seinem Buch
»Mein Kampf« zitiert. Das
alles ist möglicherweise dicht
an der Person Hitlers – und
erklärt dann doch nichts.UK REPRO: CHRISTOPH FUCHS
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