Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

durchaus selbst gewaltbereit. Möglicher-
weise befürwortet es sogar einen blutigen
Umsturz. Im Film hört man das Beuteltier
jedenfalls seinem politisch oft dösigen
Mitbewohner Marc-Uwe (»Ich bin Anar-
chist«) einmal damit drohen, nach der Re-
volution werde es mit der Freundschaft
schnell vorbei sein.
Im Film geht es grundsätzlich turbulent
und manchmal sogar krawallig zu. Der
Regisseur Dani Levy lässt die Helden
nach einem heiteren Kennenlern-Geplän-
kel gegen einen von Henry Hübchen ge-
spielten Berliner Großspekulanten antre-
ten. Der Schurke plant den Abriss des
idyllisch vergammelten und günstigen
Kreuzberger Mietshauses, in dem Marc-
Uwe, das Känguru und ihre ebenso schö-
ne wie smarte Nachbarin Maria (Rosalie
Thomass) wohnen. Also schleichen sich
die WG-Genossen auf eine Party des Spe-
kulanten ein und versenken dessen roten
Porsche in einem Swimmingpool, wozu
das Känguru schreit: »Schweinesystem,
wir kommen!«
Marc-Uwe Kling sagt: »Ich glaube, wir
haben es geschafft, dass der Geist der Bü-
cher erhalten bleibt. Aber natürlich kann
man in einem Film bestimmte politische
Fragen weniger tief erörtern als in einem
Buch.« Im Grunde funktioniere die Figur
des Kängurus wie ein »Verfremdungs -
effekt im brechtschen Sinne«: Wenn ein
Känguru in Berlin-Kreuzberg auftauche,
werde das Selbstverständliche auf einmal
hinterfragenswert. Insofern gehorcht die
Komik des Films »Die Känguru-Chro -
niken« ähnlichen Regeln wie die des
Kinoklassikers »Und täglich grüßt das
Murmeltier« – wer von der surrealen
Grundidee nicht hingerissen ist, der sieht
nur Klamauk auf der Leinwand. Und hat
eher keinen Blick für die Ausgefeiltheit
der Komödienkonstruktion.
Auf den Regisseur Dani Levy und
die in Berlin beheimatete Firma X-Filme
hat sich Kling erst nach gründlicher
Prüfung festgelegt. Genauer: Kling hat
sich mit Abgesandten von allen der ins -
gesamt 13 verschiedenen Filmfirmen ge-
troffen, die den »Känguru«-Stoff haben
wollten.
Auch den Marc-Uwe-Darsteller im Film
hat Kling mit ausgesucht. Dimitrij Schaad
ist bisher vor allem im Theater ein Star.
Im Berliner Gorki Theater ist er in vielen
Rollen zu sehen, eine grandiose One-Man-
Show, egal welches Stück er gerade spielt.
Der Autor Kling hat Schaad in einer Pro-
duktion über Migrationserfahrungen be-
gutachtet, in der der Schauspieler auch
von seiner eigenen Biografie erzählt. »Für
mich war das ein magischer Moment, als
ich ihn auf der Bühne sah. Man hat sofort
gespürt: Der hat Witz, der hat Gespür, der
ist ein Typ, der sein Publikum im richtigen
Moment immer kriegt.«


Der Entertainer Kling ist 38 Jahre alt und
stand selbst zum ersten Mal als 20-Jähriger
auf der Bühne. Er trug Prosatexte und
manchmal auch Gedichte vor. Wenige Jahre
später brachte er es zur deutschen Meister-
schaft im Poetry-Slam, zweimal nacheinan-
der. »Für humoristische Texte gibt es kein
besseres Lektorat als die Bühne«, sagt er.
Kling ist in Stuttgart aufgewachsen und
hat inzwischen sein halbes Leben als
Bewohner von Berlin-Kreuzberg zuge-
bracht. Es macht den sehr berlinerischen
Charme seiner Helden aus, dass sie zwar
oft neunmalklug auftrumpfen und derb ze-
tern, aber sich auch überraschend verzagte
und anlehnungsbedürftige Momente erlau-
ben. Im »Känguru«-Film macht der Kling-
Darsteller Schaad eine wunderbare Num-
mer aus dem heillosen Schmachten und
der stotternden Verklemmtheit seiner Figur
angesichts der stolzen Nachbarin Maria.
Und natürlich ist die fortwährende Tollpat-
schigkeit dieses Stadtneurotikers nicht nur
zum Lachen, sondern auch von anrühren-
der Traurigkeit.
Vermutlich ist Marc-Uwe Kling derzeit
Deutschlands populärster Kulturlinker. Er
wirkt nicht so, als jagte ihm diese Rolle ir-
gendwie Angst ein. Aber er setzt sich nicht
in Talkshows, er beschäftigt sich nicht
selbst mit seinem Auftritt in den sozialen
Medien, er versucht, keine Kritiken zu le-
sen. Über den »Känguru«-Film sagt Kling:
»Es wird Leute geben, die nichts damit an-
fangen können. Ich fände es nicht schlimm,
wenn er nicht so vielen Menschen gefällt.

112 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020


Kultur

»Es wird Leute geben, de-
nen der Film nicht gefällt.
Schlimm wäre es, meine
Ideale zu verraten.«

Känguru-Fieber
Hörbücher von Marc-Uwe Kling

1 Mio.
verkaufte
DIE KÄNGURU- Hörbücher
CHRONIKEN Band 1

1

3 DIE KÄNGURU-APOKRYPHEN Band 4

4 DAS KÄNGURU-MANIFEST Band 2

5 QUALITYLAND Science-Fiction-Roman

DIE KÄNGURU-OFFENBARUNG
Band 3

7

Platz

Jahresbestseller
für Erwachsene 2019

Quelle: Buchreport

...

...

Schlimm wäre nur, wenn ich das Gefühl
hätte, dass ich meine Ideale verraten habe,
damit der Film vielen gefällt, und es dann
trotzdem nicht klappt.«
Obwohl Kling ein so begabter »Lese -
dünen«-Performer ist und sein Erfolg auf
der Bühne begann, sagt er, dass er sich am
Schreibtisch am wohlsten fühle. Vor zwei
Jahren hat er den spektakulär zeitkriti-
schen und hochkomischen Science-Fic tion-
Roman »Qualityland« veröffentlicht, die
Fortsetzung ist fertig und wird im Herbst
als zweiter Teil einer Trilogie erscheinen,
wie der Autor verrät. In »Qualityland«
malt Kling die Vision einer nahen Zukunft
aus, in der Algorithmen das Leben der
Menschen regeln, nicht bloß ihre Arbeit,
sondern auch ihr Sexleben und die Politik.
Der Romanheld Peter Arbeitsloser nagt
trotz systemisch verordnetem Gefühlsver-
bot am Liebeskummer und erweist sich
als störrischer Widerständler gegen die
perfekt durchdigitalisierte Gruselexistenz.
Auch »Qualityland« ist ein Bestseller,
zur Verblüffung aller Leute, die Kling kei-
nen Bucherfolg jenseits des Känguru-Uni-
versums zutrauten. Eine echte Sensation
in der deutschsprachigen Bücherwelt ist
»Qualityland« aber, weil der amerikani-
sche Fernsehkonzern HBO die Rechte an
dem Roman erworben hat und auf der
Grundlage des Buchs eine Serie entwi-
ckeln lässt. Der Autor Kling ist bei der in
den USA berühmten Agentur William
Morrison unter Vertrag.
Als die HBO-Serienschreiber im Herbst
mit ihrer Arbeit im sogenannten Writer’s
Room anfingen, war Kling eine Woche
lang zu Besuch in Kalifornien. Er wurde
über die Details der Welt, in der »Quality-
land« spielt, gründlich ausgefragt. Seither
bekommt er ab und zu Drehbuchentwürfe
zugeschickt. In den Verträgen, die er in
Hollywood unterschrieben hat, steht, dass
sie für »throughout the universe« gelten.
Der Autor sagt: »Kleiner geht es in Holly-
wood nicht.«
Natürlich spricht da Marc-Uwe Kling,
der Freund des Kleinen in der Kunst. Steckt
hinter seiner bis heute begeisterten Selbst-
charakterisierung als Kleinkünstler letzt-
lich nicht doch der Vorwurf, dass manche
Menschen seine Arbeit nicht hoch genug
schätzen? Die Beschreibung des Selbst-
zweifels, der an vielen Humoristen, ob mit
oder ohne aufklärerischem Ehrgeiz, nagt?
Oder benutzen die Figuren in den »Kän-
guru«-Büchern das Wort auch deshalb so
ausgiebig, weil sich Kling darüber freut,
dass er selbst dem Metier der Kleinkünstler
durch seinen Erfolg entkommen ist?
»Für mich ist das überhaupt kein nega-
tives Wort, sondern ein lustiges«, sagt er.
»Es klingt einfach gut: Kleinkunst wie
Kleinkrimineller, Kleinkunst wie Klein-
gärtner.« Wolfgang Höbel
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