cken errichtete die Stadt in den Fünfziger-
jahren mehrere Wohnblöcke in Schlicht-
bauweise. Weniger zum Wohnen, eher zur
Linderung der Obdachlosigkeit. Noch heu-
te sind viele Wohnungen schlecht isoliert,
voller Schimmel, mit Gemeinschaftstoilet-
ten und ohne Duschen. In den Hausfluren
stinkt es nach Urin.
Hier landet, wer wegen einer Räu-
mungsklage aus seiner Wohnung fliegt.
Von den Bewohnern kassiert die Stadt kei-
ne Miete, nur ein symbolisches Nutzungs-
entgelt. Es ist eine Endstation. Der harte
Boden unter dem sozialen Netz.
Eine 2006 eröffnete Kita in der Nach-
barschaft nimmt sich der Jüngsten an. Man-
che davon sollen mit drei Jahren noch nicht
laufen können. Anlaufstelle der Älteren ist
die Gaststätte Zum Ilse gleich gegenüber,
so etwas wie das Wohnzimmer des Viertels.
Vor der Tür parkt ein Müllwagen,drin-
nen trinkt der Fahrer schweigend einen
Kaffee. Die Leute sitzen um einen Tisch,
plaudern, rauchen Selbstgedrehte. Ein
Fernseher bringt Nachrichten über das Co-
ronavirus. 2015 lief auch hier die Vox-Do-
kumentation »Asternweg – Eine Straße
ohne Ausweg«. Wirtin Ilse Menke, 56,
schaute mit gemischten Gefühlen zu. Sie
kam selbst darin vor.
»Ich bin hier geboren«, sagt sie. Menke
habe hier ihre Söhne großgezogen und
nicht die Absicht, den Kalkofen zu verlas-
sen: »Mir wolle hier net weg!«
Geht es aufwärts? »Na ja, es geht. Muss
ja.« Um da nachzuhelfen, ist Familie Men-
ke im Asternweg e. V. engagiert. Der Ver-
ein hat die Stimme der »Barackler« auf
der politischen Ebene hörbar gemacht.
Die Stadt tut, was sie kann. Viel ist das
nicht. Allein für den Sozialbereich erwartet
Kaiserslautern für 2020 bereits ein Defizit
von mehr als 58 Millionen Euro. Mit einer
Arbeitslosenquote von 8,8 Prozent liegt Kai-
serslautern bundesweit etwa auf der Höhe
von Wuppertal oder Hamm, gerade noch
im unteren Mittelfeld. Was die Pro-Kopf-
Verschuldung angeht, ist die Stadt aber ein
Anwärter auf die deutsche Meisterschaft.
Ein Grund dafür ist ausgerechnet der
- FC Kaiserslautern. Ein Traditionsverein
aus einer Zeit, als Fußball noch als Frei-
zeitvergnügen der Unterschicht galt. Da
war der »Betze« eine Macht, die es mit
den wirklich mächtigen Vereinen aus Bay-
ern oder dem Ruhrpott aufnehmen konnte.
Christian Baron ist »froh, die Zeit noch
miterlebt zu haben«. In seinem Kinder -
zimmer hingen FCK-Poster, als vor dem
Underdog die Großen zittern mussten.
Wie überhaupt die Bundesliga einst der
Ort war, an dem die Provinz auf landes-
weiter Bühne glänzen konnte. Alemannia
Aachen, Kickers Offenbach, Hessen Kas-
sel. Alle verschwunden, abgestiegen in die
Unsichtbarkeit. Gegen Eintracht Braun-
schweig haben die »roten Teufel« zuletzt
0:2 verloren, der Verein dümpelt gerade
noch im unteren Mittelfeld der dritten
Liga. Geht es aufwärts? Eher nicht.
Der Glanz ist verblasst, der Stolz ist
geblieben. Bei manchen Auswärtsspielen
sind nicht selten die angereisten Fans aus
Kaiserslautern in der Überzahl. Zu Hause
aber kann der Verein die Pacht für das
völlig überdimensionierte Fritz-Walter-
Stadion längst nicht mehr aufbringen. Es
hängt der Stadt, Besitzerin der Liegen-
schaft, wie eine Kerkerkugel am Bein.
Weitere Unterstützung knüpft Oberbür-
germeister Klaus Weichel (SPD) daher an
finanzielle Kompensationen. Der Verein
möge der städtischen Stadiongesellschaft
doch Aktien übertragen, als Sicherheit. In
der entsprechenden Stadtratssitzung am
- Februar sei es »über Tisch und Bänke«
gegangen, wie Weichel sagt. Demnächst,
scherzt er, könne er den Betzenberg wohl
nur noch »mit einer Prätorianergarde«
besuchen.
Weichel, 64, sitzt in seinem Büro im zwölf-
ten Stock des Rathauses, Zimmer zwölf, mit
Blick über die ganze Stadt. Bei klarem Wet-
ter, behauptet er, könne er sogar das franzö-
sische Atomkraftwerk in Cattenom dampfen
sehen. Sein Pressesprecher souffliert sanft,
es könnte wohl eher das Steinkohlekraft-
werk im saarländischen Bexbach sein.
Weichel fremdelt nicht nur mit der Erd-
krümmung, auch mit dem Ball. Statt der
Fußballfolklore widmet er sich lieber den
Finanzen seiner Stadt. Deren Zukunft wol-
le er »nicht 22 Waden überlassen«, erklärt
er. Auf Auslandsreisen werde er »sogar in
China« auf den FCK angesprochen. Dann
nicke er freundlich – und bemühe sich
»spätestens im vierten Satz«, die anderen
Qualitäten der Stadt zu unterstreichen.
Mit dem ICE ist man in zweieinhalb
Stunden in Paris, meint er das?
Durchaus, »das auch, das auch«. Darüber
hinaus meint er das moribunde Opel-Werk
für Dieselmotoren, wo in Koope ration mit
den Franzosen demnächst ein großes Werk
für Batteriezellen entstehen wird. Er meint
den neuen Mobilfunkstandard 5G, für des-
sen bundesweiten Ausbau die Stadt als Mo-
dellregion dienen wird. Er meint die hohe
Dichte anderer Start-ups in der Stadt, meis-
tenteils Ausgründungen der Universität.
Er meint im Grunde immer die TU mit
ihren rund 15 000 Studierenden: »Ich will
aus einer Stadt mit Universität eine Uni-
versitätsstadt machen«, sagt der Oberbür-
germeister mit erhobener Stimme, weil ge-
rade heulend eine Frachtmaschine der US-
Luftwaffe dicht über das Rathaus gleitet.
Kaiserslautern liegt in der Einflugschneise
von Ramstein, einer militärischen Schat-
tenstadt mit 50 000 Menschen – ein wei-
terer Arbeitgeber am Ort.
In einer Mittelstadt wie Kaiserslautern
gebe es alles, »aber alles nur einmal«.
Einen Brennpunkt, einen Fußballverein,
eine Universität, ein Museum und mit dem
Pfalztheater sogar ein komplettes Drei-
spartenhaus für Musik, Schauspiel und
Tanz. Christian Baron hat dort als Jugend-
licher »Orpheus und Eurydike« gesehen.
Mit dem Namen Pfalztheater hat An-
dreas Bronkalla, 50, eine Weile gehadert:
»Am Anfang fragte ich mich, ob er nicht
provinziell klingt, nach Heimattheater.«
Der Chefdramaturg kam 2002 aus Regens-
burg nach Kaiserslautern – und wollte
schnell wieder weg: »Ich war sehr ernüch-
116 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020
Autor Baron: »Froh, die Zeit noch miterlebt zu haben«
»Du kannst in Kaisers-
lautern alles sein,
Flüchtling, Tagedieb.
Nur kein Snob.«