Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
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tert. Am Anfang habe ich direkt wieder
Bewerbungen geschrieben.«
Irgendwann dämmerte ihm, dass man
den lokalen Namen nicht als Makel, son-
dern als Marke begreifen müsse – und
Pfalztheater den Anspruch beinhaltet, in
die ganze Region abzustrahlen.
Jetzt sitzt Bronkalla bei einer Limonade
im Spinnrädl, der ältesten Gaststätte von
Kaiserslautern. Innenstadt, Fachwerk, But-
zenfenster. »Es ist hier schon anders als in
einer Stadt wie Regensburg«, sagt er: »Das
bildungsbürgerliche Publikum dort weiß
im Zweifel genau, wie ein ›Rigoletto‹ in-
szeniert sein sollte.« In Kaiserslautern sei
die Mittelschicht dünn, das Publikum we-
niger verwöhnt.
Wer den Abschluss hat, zieht fort? Der
Schriftsteller Tijan Sila (»Die Fahne der
Wünsche«), 38, erfährt das anders. Als Be-
rufsschullehrer hat er beobachtet, dass die
meisten seiner Schützlinge gar nicht weg-
wollten: »Obwohl das hier Hinterland ist,
ab vom Schuss. Die Pfälzer ziehen genau
daraus ihr Selbstvertrauen.« Ein Provinz-
nest, ja. Aber immerhin ein Nest.
Sila selbst kommt nicht von hier, ihn hat
es hierhin geweht. Gerade hat er ein Haus
gebaut, am Betzenberg. »Man kann hier
leben und das auch bezahlen.« Mit 14 Jah-
ren kam er aus Sarajevo in die Pfalz. Du
darfst hier alles sein, Flüchtling, sogar ein
Tagedieb. Nur kein Snob.«
Als Beamter fühle er sich »eingebettet«.
Als Schriftsteller erntet Tijan Sila oft Hohn,
wenn er auswärts seine Heimatstadt er-
wähnt. Er lässt ihn abprallen: »Kaiserslau-
tern ist für mich Heimat, auch wenn das
ein toxischer Begriff ist. Mir geht das Herz
auf, wenn ich Pfälzisch höre.« Schon
Grundschülern wird die Liebe zum Hin-
terland mit einem Gedicht gelehrt, in dem
das Zentrum der Welt südlich von Kaisers-
lautern vermutet wird. In der Pfalz, »do
werd die Weltachs ingeschmeert unn uff-
gebasst, dass nix passeert«.
Wäre nicht so viel Wald im Weg und die
Weltachse kein Produkt der Fantasie, man
müsste sie vom TwentyOne aus sehen kön-
nen. Das Lokal liegt am höchsten Punkt
der Stadt, im 21. Stock des Rathauses. Von
hier ist das Weichbild der Stadt beinahe
komplett zu überblicken, hingelagert in
ihre Senke am Saum des Pfälzerwalds.
Spröde Prinzessin der Peripherie.
Christian Baron sieht die Probleme, will
aber die Chancen sichtbar machen: »Kai-
serslautern ist ein Beispiel für Mittelstädte,
die kaum vorkommen in der Literatur, im
Journalismus oder der Bundespolitik.«
Ganz egal ob die Menschen bleiben und
gestalten. Vielleicht geht es darum, sich
über die Straßen und Klötzchen der Häuser
zu beugen – und den Staub wegzupusten.
Vielleicht fängt es an, wenn die Aufstei-
ger von ihrer Herkunft erzählen.Arno Frank


Belletristik Sachbuch

1 (1)Pascal Mercier
Das Gewicht der Worte Hanser; 26 Euro

2 (2)Delia Owens Der Gesang
der Flusskrebse Hanserblau; 22 Euro

3 (3)Lisa Taddeo
Three Women. Drei Frauen
Piper; 22 Euro

4 (4)Saša Stanišić
Herkunft Luchterhand; 22 Euro

5 (6)Sebastian Fitzek
Das Geschenk Droemer; 22,99 Euro

6 (7)Lucinda Riley
Die Sonnenschwester Goldmann; 22 Euro

7 (9)Monika Helfer
Die Bagage Hanser; 19 Euro

8 (8)George Saunders
Fuchs 8 Luchterhand; 12 Euro

9 (5)Susanne Fröhlich
Ausgemustert Knaur; 16,99 Euro

10 (13)Sigrid Nunez
Der Freund Aufbau; 20 Euro

11 (14)Jussi Adler-Olsen
Opfer 2117 dtv; 24 Euro

12 (11)Ildikó von Kürthy
Es wird Zeit Wunderlich; 20 Euro

13 (12)Dror Mishani
Drei Diogenes; 24 Euro

14 (17)Katja Oskamp
Marzahn, mon amour
Hanser Berlin; 16 Euro

15 (10)Bov Bjerg
Serpentinen Claassen; 22 Euro

16 (15)Matthias Brandt
Blackbird Kiepenheuer & Witsch; 22 Euro

17 (19)Christian Baron
Ein Mann seiner Klasse Claassen; 20 Euro

18 (16)Ingrid Noll
In Liebe Dein Karl Diogenes; 24 Euro

19 (18)Ian McEwan
Die Kakerlake Diogenes; 19 Euro

20 (–)Dörte Hansen
Mittagsstunde Penguin; 22 Euro

1 (2)Bas Kast Der Ernährungskompass
C. Bertelsmann; 20 Euro

2 (1)Jonathan Franzen
Wann hören wir auf, uns
etwas vorzumachen? Rowohlt; 8 Euro
3 (3)Stephen HawkingKurze Antworten
auf große Fragen Klett-Cotta; 20 Euro

4 (11)Umberto Eco
Der ewige Faschismus Hanser; 10 Euro
5 (6)Peter Wohlleben
Das geheime Band zwischen
Mensch und Natur Ludwig; 22 Euro

6 (8)Marc Friedrich / Matthias Weik
Der größte Crash aller Zeiten
Eichborn; 20 Euro
7 (5)Gerhard Wisnewski
verheimlicht – vertuscht –
vergessen 2020 Kopp; 14,99 Euro

8 (14)Kübra Gümüșay
Sprache und Sein Hanser Berlin; 18 Euro
9 (13)Edward Snowden
Permanent Record S. Fischer; 22 Euro

10 (10)Carol Leonnig / Philip Rucker
Trump gegen die Demokratie.
A Very Stable Genius S. Fischer; 22 Euro
11 (4)Peter Maffay
Hier und Jetzt
Lübbe; 20 Euro

12 (7)Ajahn Brahm
Der Elefant, der das Glück vergaß
Lotos; 16,99 Euro

13 (16)Doris Dörrie
Leben, schreiben, atmen Diogenes; 18 Euro
14 (9)Michelle Obama
Becoming Goldmann; 26 Euro

15 (18)Vincent Klink Ein Bauch lustwandelt
durch Wien Ullstein; 24 Euro
16 (–)Sinclair McKay
Die Nacht, als das Feuer kam
Goldmann; 22 Euro
17 (15)Margot Käßmann Freundschaft,
die uns im Leben trägt bene; 18,99 Euro

18 (–)Torsten SträterEs ist nie zu spät,
unpünktlich zu sein Ullstein; 16 Euro

19 (–)Jonathan Safran Foer
Wir sind das Klima!
Kiepenheuer & Witsch; 22 Euro

20 (–)Wolfgang Joop
Die einzig mögliche Zeit Kindler; 22 Euro

Im Auftrag des SPIEGELwöchentlich ermittelt vom Fachmagazin »buchreport« (Daten: media control);
nähere Informationen finden Sie online unter: spiegel.de/bestseller

Der populäre Deutsch -
rocker, der in Bayern einen
Biohof betreibt, schildert
seine Vorstellungen
von einer gesünderen und
harmonischen Welt.

In den USA gefeiertes
Porträt dreier sehr
ver schiedener Alltags -
heldinnen, das von
weib lichem Begehren
und trostloser
Männlichkeit erzählt.
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