Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
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E


s dauert keine fünf Minuten, bis in der Amazon-Serie
»Hunters« die Worte »Heil, mein Führer! Sieg Heil!«
über eine mit Blut besprenkelte Wiese gellen; heiser,
irre, im Original mit deutlichem amerikanischem Akzent.
Der Zuschauer ahnt da noch nicht, wohin diese Serie sich
entwickeln wird, ist vielleicht ernsthaft schockiert von der
Wirkung der Worte und dem monströsen Blutbad, das sie
begleitet.
Am Ende der Pilotfolge, die immerhin Spielfilmlänge
hat, ist nicht klarer, was »Hunters« eigentlich will. Und da -
mit beginnt der Ärger, den diese Serie mit ihrer
Mischung aus Selbstjustizthriller und von
Comics inspiriertem Infantilismus bereitet.
Eines lässt sich nach 90 Minuten jedenfalls
festhal ten: Auf geschmacklosere Weise ist der
Holocaust noch nicht zu Unterhaltungsware
verwurstet worden. Und die nachfolgenden
Episoden mindern diesen Eindruck nicht, im
Gegenteil.
Dabei ist die Geschichte um eine Gruppe
Kämpfer, die im New York der Siebzigerjahre
gegen untergetauchte Nazis vorgehen, vor und
hinter der Kamera äußerst prominent besetzt.
Der Produzent Jordan Peele sorgte mit seinen
Horrorfilmen »Get Out« und »Us« für Furore.
Er war es auch, der diesen Kreativunfall bei
Amazon unterbrachte.
Eine Hauptrolle spielt Al Pacino, mit 79 Jah-
ren und nach seinem großen Auftritt als Jimmy
Hoffa in Martin Scorseses »The Irishman« der-
zeit mehr Schauspiellegende denn je, er wurde
für seine Rolle für den Oscar nominiert. Retten
kann er »Hunters« allerdings nicht, im Gegen-
teil: Pacino spielt seine Figur, einen betuchten
jüdischen Holocaust-Überlebenden, nahe an der Persiflage –
was die unangenehmen Effekte dieser an unangenehmen Ef-
fekten nicht eben armen Produktion noch beträchtlich
verstärkt.
Nun haben fiktionalisierte Nazi-Verbrecher schon in hin-
reichend vielen Spielfilmen Auftritte als dämonische Deppen
hingelegt. Die Palette reicht von Quentin Tarantinos »Inglou-
rious Basterds« bis zum Klamauk der Haudrauf-Satire »Iron
Sky«. Aber »Hunters« erreicht nie auch nur annähernd das
stilistische Niveau des ersten Beispiels und nimmt sich selbst
zu ernst, um die Harmlosigkeit des zweiten für sich in An-
spruch nehmen zu können.
Der Serienerfinder David Weil sagt, er sei von den Ge-
schichten seiner eigenen jüdischen Großmutter zu »Hunters«
inspiriert worden. Der Holocaust und der Zweite Weltkrieg
hätten sich in seinem Kopf mit den Gut-gegen-Böse-Geschich-
ten seiner Lieblingscomics verbunden. Unschwer ist Weil in
der Hauptfigur des Jonah Heidelbaum (Logan Lerman) zu
erkennen: ein Siebzigerjahre-Teenager, der mit seinen Nerd-


Freunden ausgiebig über den Film »Star Wars« fachsimpelt
und zum Zeugen wird, als seine Großmutter umgebracht
wird. In seinem Rachedurst gerät er an den von Al Pacino
gespielten Meyer Offerman, der eine geheime Kampftruppe
anführt. Die wird dringend gebraucht, denn, so will es das
Drehbuch, gut vernetzte Nazis haben die amerikanische
Politik infiltriert und planen, in den USA ein »Viertes Reich«
zu errichten.
Erzählt wird diese Geschichte mit kaum kaschierten
Stimmungsbrüchen. In »Hunters« stehen Szenen, die den
Schmerz von Überlebenden des Holocausts und ihren Ange-
hörigen spürbar machen, unvermittelt zwischen harmlosen
stilistischen Spielereien. Die Mitglieder von Offermans Team
paradieren ein wie Stars aus Trashfilmen, »Batman« und
andere Superhelden sind offensichtliche Reverenzen. Neben
einer comichaft übersteigerten Sequenz, in der ein ehemaliger
SS-Mann aus Buchenwald gefoltert und getötet wird, steht
eine wie angeklebt wirkende Reflexion über die Rechtmäßig -
keit von Selbstjustiz.
Am schwersten zu ertragen sind allerdings die Rückblen-
den nach Auschwitz oder Buchenwald, die zur Grundierung
der lustig-harmlosen Hatz der Erzählgegenwart herhalten
müssen. Als würde das Grauen des industriellen Massen -
mordes von Millionen Menschen nicht ausreichen, versuchen

die Macher sogar hier noch, das Geschehen mit Pulp-Fic tion-
Elementen aufzupimpen. In einer selten widerlichen Sequenz
zwingt ein sadistischer Lagerkommandant Häftlinge, als
lebendige Figuren eines Schachspiels zu agieren und sich
gegenseitig die Kehle durchzuschneiden.
Die Debatte darüber, ob der Holocaust und seine Folgen
darstellbar sind, ist alt und wird aus gutem Grund immer
wieder neu geführt, weil ihre Fragen abschließend ja nie be-
antwortbar sind. »Hunters« will gleichzeitig mit Zwinker-
zwinker-Gestus lustige Action-Anekdoten aneinanderreihen
und eine relevante Geschichte über Opfer erzählen, die ihre
Traumata überwinden, indem sie selbst zu Tätern werden.
Aber wer Trash-Ästhestik und den Holocaust zusammen -
führen will, muss schon sehr gute Argumente dafür vorbrin-
gen können. Die Macher von »Hunters« vermitteln nicht den
Eindruck, sich darüber große Gedanken gemacht zu haben.
Dieser lapidare Umgang der Serie mit einem der größten
Verbrechen der Menschheitsgeschichte ist fahrlässig.
Oliver Kaever

Batman und das


»Vierte Reich«


SerienkritikIn »Hunters« jagt eine
Gruppe jüdischer Kämpfer
Nazis im New York der Siebziger.

Kultur

CHRISTOPHER SAUNDERS / AMAZON PRIME
Szene aus »Hunters«: Mit Zwinkerzwinker-Gestus

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