Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 19


Titel

J


eden Tag zu Prozessbeginn führt
eine Spezialeinheit von 16 Justiz-
wachtmeistern mit schusssicheren
Westen die acht Angeklagten in den
Saal. Die Beamten bleiben dann neben
den Männern stehen, erst kurz bevor die
Richter eintreten, lösen sie die Fesseln an
den Händen der Beschuldigten. Eine Glas-
scheibe trennt die Prozessbeteiligten von
den Zuschauern. Weitere Justizwachtmeis-
ter sitzen im Publikum, sie sollen dort für
Ordnung sorgen. Für das Verfahren vor
dem Oberlandesgericht Dresden gilt die
höchste Sicherheitsstufe. In jeder Pause
werden die Beschuldigten wieder gefesselt
und aus dem Raum gebracht.
Angeklagt sind acht Männer, zwischen
22 und 32 Jahre alt, allesamt bekennende
Nationalsozialisten. Für die Bundesanwälte
sind es Rechtsterroristen, die versucht ha-
ben, den Umsturz der politischen Ordnung
Deutschlands herbeizuführen. Die Vorwür-
fe ähneln denen, die der Generalbundesan-
walt gegen jene zwölf Männer erhebt, die
vergangenes Wochenende wegen Terror-
verdacht in Untersuchungshaft kamen.
Die Angeklagten in Dresden fanden
nach den Krawallen von Chemnitz zuei-
nander, Ende August 2018, nachdem Asyl-
bewerber mutmaßlich einen Deutsch-Kuba -
ner erstochen hatten. Damals mobilisierte


die rechte Szene blitzschnell unterschiedli-
che, auch gewaltbereite Gruppen. Die Poli -
zei hatte die Situation in der sächsischen
Stadt kaum noch im Griff.
Alle acht Männer waren bei den De-
monstrationen in Chemnitz dabei. Alle
überzeugt, das schlimme Problem sei die
»Überfremdung« durch Asylbewerber, die
die Staatsmacht nicht im Griff habe. Der
mutmaßliche Rädelsführer Christian K.
soll im September 2018 eine Chatgruppe
beim Messenger-Dienst Telegram einge-
richtet haben, die er »Planung zur Revo-
lution« nannte. Darin heißt es: »Es ist an
der Zeit nicht nur Worte sprechen zu las-
sen, sondern auch Taten.« Das erinnert an
das Motto des »Nationalsozialistischen
Untergrunds« (NSU): »Taten statt Worte«.
Christian K. bezeichnet das Terrortrio, das
zehn Menschen ermordete, als »Kinder-
garten-Vorschulgruppe« im Vergleich zu
der Revolte, die sie im Sinn hätten.
In Sprachnachrichten und Chat-Einträ-
gen, die dem Gericht vorgespielt werden,
spricht K. von »Bürgerkrieg« und einem
»Wendepunkt der Geschichte«. Einmal
schreibt er: »Ich könnte Wetten abschlie-
ßen, sollte ein zweites Hamburg wie
zum G 20 entstehen, sind die Bullen zu
88,88 Prozent auf unserer Seite.« Oder:
»Hier geht’s nicht um eine Scheißkneipen-

schlägerei oder ein kleines Feuerchen im
Asylheim.«
Die mutmaßlichen Mitglieder der »Re-
volution Chemnitz« wollten Anschläge
verüben und Menschen töten, um ihre
»rechtsextremistische und bisweilen offen
nationalsozialistische Gesinnung« und
»ihre Vorstellungen von einem danach aus-
gerichteten Staats- und Gesellschaftssys-
tem« durchzusetzen, so steht es in der An-
klage. Die Polizei griff zu, als die Männer
versuchten, sich halbautomatische Schuss-
waffen zu besorgen. Damit wollten sie am


  1. Oktober 2018 in Berlin, dem Tag der
    Deutschen Einheit, die »Systemwende«
    anstoßen, gegen alle »Merkel-Zombies«
    und »Linksparasiten«. Dieser Tag sollte in
    der Fantasie der Gruppe offenbar der Auf-
    takt sein zu einer Reihe gewalttätiger Ak-
    tionen, um den Rechtsstaat abzuschaffen.
    Dass die acht jetzt als Rechtsterroristen
    angeklagt sind, zeigt, dass Generalbundes-
    anwalt Peter Frank härter gegen solche
    Gruppen vorgeht. Bereits 2017 wurden
    Mitglieder der Gruppe »Oldschool Socie-
    ty«, die sich im Chat organisierten und
    Brandanschläge verüben wollten, als Ter-
    roristen verurteilt.
    Die acht Männer vor dem Dresdner
    Oberlandesgericht gehören keinen weite-
    ren rechtsextremistischen Gruppen an. Der


Hakenkreuz im Partykeller


JustizAcht Neonazis stehen als mutmaßliche Rechtsterroristen vor Gericht. Der Prozess gegen


die Mitglieder von »Revolution Chemnitz« gewährt Einblick in ein verrohtes Milieu.


»Pro Chemnitz«-Demonstranten im August 2018
THOMAS VICTOR / AGENTUR FOCUS
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