Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

Verfassungsschutz zählt sie zum »unstruk -
turierten, extremistischen Personenpoten -
zial«. Diese Menschen gelten als gewalt -
tätig, aber nicht in festen Strukturen orga-
nisiert. Das macht sie für Behörden schwer
greifbar und deshalb brandgefährlich. Sie
lassen sich trotzdem in kürzester Zeit mo-
bilisieren. Von den 2800 Rechtsextremisten
in Sachsen ordnet der Verfassungsschutz
dieser Gruppe 1300 Personen zu.
Alle Mitglieder der »Revolution Chem-
nitz« sind vorbestraft, die meisten saßen
im Gefängnis, einige lernten sich während
der Haft kennen. In ihren Strafregistern
häufen sich Einträge wegen gefährlicher
Körperverletzung, Volksverhetzung, Ver-
wendung verfassungsfeindlicher Symbole,
Haus- und Landfriedensbruch.
Auf ihrem Körper stellen sie ihre Über-
zeugung zur Schau. Den rechten Unterarm
hat Christopher W. tätowiert mit dem
Schriftzug »A-N-A-B« (»All Niggers are
Bastards«), auf dem linken Unterarm
prangt eine Triskele als Abart des Haken-
kreuzes, Symbol des Neonazi-Netzwerks
»Blood & Honour«.
Tom W. hat auf einer Hand eine SS-
Rune, auf einer Schulter eine Acht (für den
Buchstaben H wie Hitler oder Heil). Auf
seinem rasierten Schädel ist das Wort »Skin-
head« tätowiert. W. war Anführer der 2007
verbotenen rechtsextremistischen Kame-
radschaft »Sturm 34« aus Mittweida in Mit-
telsachsen. Sie wollte laut Verbotsbescheid


ken: Sobald sich mehr als zwei Personen
zusammentun, um über längere Dauer
staatsgefährdende Ziele zu verfolgen, kann
der Tatbestand erfüllt sein. Nur sagt das
Gesetz nicht, was als »längere Dauer« gilt,
und wie konkret eventuelle Tatpläne sein
müssen.
Und so versuchen in Dresden 16 Anwäl-
te, die Absichten ihrer Mandanten für den
großen Umsturz zu verharmlosen. Auch
die Angeklagten mühen sich. Er habe nicht
vorgehabt, Menschen zu töten, beteuert
der Angeklagte Tom W. gleich mehrfach.
Und ein Terrorist sei er auch nicht.
Sten E. will nur Mitglied der Telegram-
Gruppe geworden sein, weil er wohl K.,
dem mutmaßlichen Initiator der Chatgrup-
pe, bei Kirmes-Prügeleien imponiert habe.
Als es um die Beschaffung von Gewehren
und Pistolen gegangen sei, habe er die
Gruppe auf stumm geschaltet. »Das war
mir zu kriminell wegen der Waffen.«
Ein Verteidiger beschreibt die Gruppe
so: »Das sind kleingeistige Schlägertypen,
die lediglich Spaß daran haben, Ausländer
zu verprügeln. Für größere Aktionen fehlt
allen der notwendige Grips.« Und sein Kol-
lege ergänzt: Nur mit einem Mann wie
dem NSU-Terroristen Uwe Mundlos an
der Spitze hätte die Gruppe »etwas anrich-
ten können«.
Nach 28 Verhandlungstagen im Ober-
landesgericht steht fest, dass die Angeklag-
ten die angestrebte politische Wende wohl
nicht zustande gebracht hätten. Organisa-
tionen wie »Pro Chemnitz« oder die
»Identitäre Bewegung« stellen laut Verfas-
sungsschutz strategische Überlegungen an,
auf welchem Wege man auch nicht extre-
mistische Kreise für ihre Anliegen gewin-
nen könne. Solche Überlegungen fehlen
der »Revolution Chemnitz«. Die Mitglie-
der handelten stattdessen spontan, impul-
siv und dilettantisch.
Das macht sie nicht weniger gefährlich.
Am 14. September 2018 soll der Haupt-
angeklagte K. nach einer Demonstration
von »Pro Chemnitz« mit vier Mitgliedern
der Gruppe und zehn weiteren Männern
zur Schlossteichinsel gegangen sein, um
dort Ausländer und Linke anzugreifen.
Ein Iraner wurde dabei am Kopf verletzt.
Die Bundesanwaltschaft wertet die Ak -
tion als Probelauf für die Umsturzpläne
in Berlin. Sten E. sagt, es habe nur ein
»gewöhnliches Kanakenjagen« werden
sollen.
Bei diesem Überfall gebe es keine Zwei-
fel an der Schuld aller, sagt Rechtsanwalt
Daniel Sprafke. Er vertritt Martin H., den
jüngsten Angeklagten, der zum Zeitpunkt
der Tat 20 Jahre alt war und damit Heran-
wachsender. Sprafke glaubt nicht, dass sein
Mandant wegen Mitgliedschaft in einer ter-
roristischen Vereinigung verurteilt werde.
Dieser habe sich im Chat zurückgehalten
und hätte womöglich nicht einmal das Geld

20 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020

MATTHIAS RIETSCHEL / DER SPIEGEL

UmsturzpläneDie Mitglieder von
»Revolution Chemnitz« stehen vor dem
Dresdner Oberlandesgericht, ihnen
wird Rechtsterrorismus vorgeworfen.
Die Gruppe fand nach den Demons -
trationen von Chemnitz in einem Chat
zusammen. Im Keller eines der
Beschuldigten fanden Ermittler ein
raumhohes Hakenkreuz.

das Land von Ausländern »säubern« und
eine »national befreite Zone« schaffen. Da-
mals war W. 18 Jahre alt.
Die Biografien der Angeklagten ähneln
sich. Einige beschreiben sich in dürren
Worten selbst. Früh fanden sie Anschluss
in der Szene der Skinheads, Hooligans und
Neonazis im Raum Chemnitz. Oft waren
es ältere Geschwister, die sie an diese
Gruppen heranführten. Die rechten Freun-
de prägten ihre Gesinnung.
Die acht Beschuldigten leben keinesfalls
isoliert. Viele haben engen Kontakt zu ih-
ren Eltern und Geschwistern. Die meisten
von ihnen haben Kinder oder leben mit
den Kindern ihrer Partnerinnen in einem
Haushalt.
In diesen Familienwohnungen fanden
Polizisten Baseballschläger und mit Quarz-
sand verstärkte Handschuhe, die schwere
Schlagverletzungen verursachen können.
Als die Ermittler den Partykeller von Tom
W. durchsuchten, sahen sie an der Wand
ein Hakenkreuz, das vom Boden bis zur
Decke reichte. Der Gefängnispsychologe
berichtete als Zeuge im Gericht, dass W.
nur gesagt habe: »Ich habe meine Einstel-
lung, und die ist nun mal so.«
Der Staatsschutz hat versucht herauszu-
finden, wie ernst die Pläne der mutmaß -
lichen Terrorgruppe waren und wie gewalt-
bereit die Mitglieder sind. Beim Paragrafen
129a, Bildung einer terroristischen Vereini -
gung, beginnt die Straftat schon beim Den-
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