Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

A


m letzten Abend der Münchner
Sicherheitskonferenz, nachdem
schon Frank-Walter Steinmeier,
Emmanuel Macron und der ame-
rikanische Außenminister Mike Pompeo
ihre Ansichten zum Bedeutungsverlust des
Westens kundgetan haben, äußert sich
auch der bayerische Ministerpräsident
zum Thema. »Ich bin überzeugt, dass der
Westen eine große Zukunft hat, aber nur
dann, wenn er der Westen bleibt und sich
neu definiert«, sagt also Markus Söder.
Söder steht vor einem Pult im Kaiser-
saal der Residenz, Symbolbilder für Herr-
schaft, Weisheit und Ruhm über seinem
Kopf an der Decke, ein Zyklus des flämi-
schen Malers Peter Candid aus dem



  1. Jahrhundert. Vor Söder sitzen gut
    500 Gäste des Galadiners, darunter »fünf
    Staatspräsidenten, acht Premierminister«,
    wie der Gastgeber selbst aufzählt. Söder
    blickt auf die Welt, die Welt blickt auf ihn.
    Herrliche Zeiten.
    Bayerns Regierungschef auf internatio-
    nalem Parkett, die Rolle spielt er an diesem
    Wochenende mit Genuss. Söder trifft sich
    mit dem ukrainischen Präsidenten Wolo-
    dymyr Selenskyj, diskutiert mit Emmanuel
    Macron eine gute halbe Stunde über Klima -
    schutz. Am Abend gibt sich Söder dann,
    als hätte er nie etwas anderes gemacht als
    Außenpolitik. »Geschäfte machen können
    alle«, sagt er im Kaisersaal. »Freiheit und
    Demokratie gehören zum Westen. Des-
    halb müssen wir unsere Freundschaft im-
    mer wieder erneuern.«
    Applaus, dann kommen die Vorspeisen.
    Noch keine zwei Jahre ist es her, dass
    Söder Ministerpräsident wurde, vor einem
    Jahr übernahm er von Horst Seehofer
    auch den CSU-Vorsitz. Vorausgegangen
    war ein Abnutzungskampf zwischen den
    beiden, der die Partei zu spalten drohte.
    Doch das ist so gut wie vergessen, die
    Bayern blicken mitleidig auf die Turbulen-
    zen in der CDU.
    Während dort um das Erbe Angela Mer-
    kels gerungen wird und die Noch-Vorsitzen-
    de Annegret Kramp-Karrenbauer fast ver-
    zweifelt versucht, die Kontrolle über das
    Auswahlverfahren für ihren Nachfolger zu
    behalten, wirkt die Schwesterpartei aus Bay-
    ern plötzlich stabil wie lange nicht. Offiziell
    will man sich in die Personaldiskussion der
    CDU zwar nicht einmischen, schließlich
    geht es die Christsozialen formal nichts an,
    wen die Christdemokraten zum Chef wäh-
    len. Doch es geht um mehr als den Partei-
    vorsitz: Der nächste CDU-Chef dürfte mit
    einiger Wahrscheinlichkeit Kanzlerkandidat
    der Union werden – und da wollen die CSU
    und ihr Vorsitzender mitreden. Markus Sö-
    der, 53, ist zu einem entscheidenden Spieler
    im Machtpoker der Union geworden. Wenn
    nicht sogar zu dem entscheidenden.
    Bevor er Ministerpräsident wurde, galt
    er als Ehrgeizling mit charakterlichen


Schwächen. Mittlerweile versucht er, den
alten Söder so gut es geht zu verstecken.
Er gefällt sich in der Rolle des Landes -
vaters, der nicht mehr poltert, sondern den
Ausgleich sucht, der seine Politik grün an-
streicht und auf neue Milieus zielt. Söder
ist der vielleicht biegsamste Politiker der
Republik, aber weil er wenige Fehler
macht und sein neuer Kompass in die Zeit
zu passen scheint, gilt er vielen plötzlich
als Mann, der so ziemlich alle Eigenschaf-
ten aufweist, die ein Kanzlerkandidat der
Union brauchte. So schnell kann es gehen.
Söder hat mehrfach betont, dass er als
Kanzlerkandidat nicht zur Verfügung ste-
he. Aber wie lang gilt das noch? Könnte
er doch noch umschwenken, könnte gar
eine Lage entstehen, in der er antreten
muss? Und wäre die Union bereit für den
dritten Anlauf eines CSU-Kanzlerkandi-
daten, nach den gescheiterten Versuchen
von Franz Josef Strauß 1980 und Edmund

Stoiber 2002? Von den Antworten hängt
nicht nur für Söder persönlich einiges ab.
Auch das stets komplizierte Verhältnis zwi-
schen den Schwesterparteien dürfte in den
nächsten Wochen wieder einmal auf die
Probe gestellt werden.
Noch einmal zurück zum vergangenen
Wochenende, an dem Söder in München
Hof hielt und die Größen der Weltpolitik
kamen. Irgendwann zwischendurch muss
er an diesem Wochenende die Zeit für ein
Gespräch mit Kramp-Karrenbauer über
das weitere Verfahren gefunden haben, so
jedenfalls wird es erzählt. Nicht alles mein-
te Söder zuletzt mit der CDU-Kollegin ab-
stimmen zu müssen. In diesen Tagen ist
das anders.
Söder hat ein Ziel: Er will der Noch-
Chefin Kramp-Karrenbauer vermitteln,
dass ohne seine Partei nichts geht. Er weiß,
dass er über den mächtigsten Posten der
Schwesterpartei nicht mitbestimmen kann,
aber er will jenen Automatismus aufbre-
chen, den Kramp-Karrenbauer etabliert

hat, als sie ihren Rückzug ankündigte: dass
CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur ver-
knüpft sein sollen. Damit wollte die schei-
dende Parteichefin ihren Nachfolger von
Anfang an mit einer Autorität ausstatten,
über die sie selbst nie verfügte: alles in
einer Hand.
Söder musste diese Ansage als Affront
begreifen: In Sachen Kanzlerkandidatur
würde seine CSU nach dieser Logik keine
prägende Rolle spielen. Also beharrt er
auf seinem Mitspracherecht. Am Telefon,
so heißt es, verabredeten er und Kramp-
Karrenbauer am vergangenen Wochen -
ende, bald eine gemeinsame Sitzung der
Präsidien von CDU und CSU zu organisieren.
Wir reden mit, das ist die Botschaft der
Bayern.
Die Trennung von Vorsitz und Kanzler-
kandidatur birgt für Söder auch Risiken.
Es beginnt damit, dass die CDU schwer ir-
ritiert über die Ansagen aus München ist.
Was maße sich Söder an, heißt es, den Zeit-
plan der CDU bestimmen zu wollen?
»Wann und in welchem Verfahren die
CDU die Parteivorsitzfrage klärt, ist allein
Sache der CDU«, sagt Parteivize Thomas
Strobl. »Das gilt auch für gut gemeinte
Hinweise aus München. Wir in der CDU
trödeln nicht rum – wir lassen uns aber
auch von niemandem treiben.«
Noch dazu erhöht der CSU-Chef so
auch den Druck auf sich selbst. Warum,
so muss er sich fragen lassen, treibt er ei-
nen solchen Aufwand, wenn er angeblich
nicht bereit ist, selbst zu springen? Wozu
die Planungen der CDU aufbrechen, um
am Ende doch nur deren Kanzlerkandida-
ten abzunicken? Dann sähe die CSU erst
recht aus wie eine Provinzpartei, und der
Ministerpräsident wirkte wie der alte Mar-
kus Söder, wie ein Egoist, der aus Prinzip
dazwischenfunkt, anstatt der Union stra-
tegisch den Weg zu weisen.
Seine markigen Auftritte kann sich Sö-
der vor allem leisten, weil Kramp-Karren-
bauer der Prozess um ihre eigene Nach-
folge mittlerweile entglitten ist. Nichts von
dem, was sie anfangs vorhatte, scheint
noch möglich: nicht der Vorschlag, die Per-
sonalfrage noch monatelang offenzuhal-
ten, auch nicht die Verknüpfung zwischen
Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur. Ak-
tuell ist völlig ungewiss, nach welchen
Regeln die CDU beide Positionen zu be-
setzen gedenkt. Am Montag will Kramp-
Karrenbauer dazu in den Parteigremien
referieren. Auf Fragen, was da zu erwarten
sei, zucken auch für gewöhnlich Einge -
weihte nur hilflos mit den Schultern.
Seit der Außenpolitiker Norbert Rött-
gen am Dienstag seine Bewerbung für den
Vorsitz anmeldete, wackelt auch noch
Kramp-Karrenbauers Plan, die Personal-
frage zwischen Friedrich Merz, Jens Spahn
und Armin Laschet einvernehmlich zu klä-
ren und eine offene Auseinandersetzung

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 29


Deutschland

Kanzlerfrage
»Wäre dieser CDU/CSU-Politiker ein guter
Kanzlerkandidat der Union?«

wäre
ein guter
Kandidat

Veränderung
in Prozentpunkten
zu November

Markus Söder

Armin Laschet

Jens Spahn

Friedrich Merz –2 40 %


+2 31 %


+7 30 %


–3 24 %


Infratest dimap für ARD-Deutschlandtrend vom 11. bis 13. Februar;
1007 Befragte; Schwankungsbreite bei einem Anteilswert
von 30 Prozent rund +/– 2,8 Prozentpunkte
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