Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

wie 2018 zu vermeiden. Denn was bringt
es, sich auf einen Kandidaten der Partei-
spitze zu einigen, wenn Röttgen in jedem
Fall auf eigene Faust antritt? Auch Merz
hat schon verkündet, er scheue eine
Kampfkandidatur im Zweifel nicht. Und
so beugt man sich im Konrad-Adenauer-
Haus bereits wieder über das Modell aus
dem vorvergangenen Jahr, bei dem die
CDU den Bewerbern eine Tour durch die
Landesverbände organisierte.
Das Problem der CDU besteht auch da-
rin, dass es den einen, natürlichen Anwär-
ter auf die Kanzlerkandidatur nicht gibt.
Zu offensichtlich sind die Schwächen, die
jeder der derzeitigen Aspiranten hat – und
die noch deutlicher werden, wenn man sie
mit Söder vergleicht.
Es fängt damit an, dass Söder schon mal
eine Wahl als Spitzenkandidat gewonnen
hat. Mag er auch damals die absolute Mehr-
heit verloren haben, wurde die CSU im-
merhin stärkste Kraft und stellte den Re-
gierungschef in Bayern. Aus dem Kreis der
CDU-Bewerber kann nur der nordrhein-
westfälische Ministerpräsident Laschet
einen vergleichbaren Erfolg vorweisen.
Merz’ Schwäche: Er polarisiert. Zwar
liegen seine Umfragewerte über jenen von
Söder, aber mit Merz als Kandidat liefe
die Union Gefahr, unter moderaten Wäh-
lern mehr zu verlieren, als sie im rechts-
konservativen Spektrum gewänne. Söder
dagegen hat sich vom Scharfmacher zum
Konsenspolitiker gewandelt. Wie nachhal-
tig das ist, muss sich noch zeigen, aber bis-
lang hat er sich ziemlich gut im Griff.
Spahn, 39, fehlt aus Sicht vieler Partei-
freunde das Format. Söder, 53, spricht
niemand mehr ab, ein politisches Schwer-
gewicht zu sein.


Laschet gilt vielen als zu weich, zu zö-
gerlich, zu wenig ehrgeizig. An Söders
Härte hat es nie einen Zweifel gegeben,
Ehrgeiz hat er eher zu viel.
Und Röttgen? Von dessen verunglück-
tem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen
2012 bleibt in Erinnerung, dass er bei
Berührung mit dem Wahlvolk zuweilen
fremdelte.
Söder hingegen wirkte schon vor seiner
Wahl zum Ministerpräsidenten wie je-
mand, der jedem Menschen in Bayern ein-
mal die Hand geschüttelt haben will.

Wäre nicht also eigentlich Markus Sö-
der der ideale Kanzlerkandidat?
Es gibt manche, nicht nur in der CSU,
die das so sehen, trotz seiner Schwächen,
trotz der Tatsache, dass Söder außerhalb
Bayerns noch immer gegen den Ruf des
Polemisierers kämpfen muss. Der CSU-
Chef, so scheint es, bringt eine Kombina-
tion mit, die den meisten CDU-Aspiranten
fehlt: Macht, Zielstrebigkeit, Popularität.
Und ein stabiles und loyales Umfeld.
Warum also greift Söder nicht zu oder
meldet zumindest Ansprüche an?
Die Deutschen, bekommt man in der
CSU zu hören, wollten nun mal keinen
Bayern als Kanzler – das hätte sich end-
gültig 2002 gezeigt, als Edmund Stoiber
gegen Gerhard Schröder verlor. Aber ers-
tens verlor Stoiber damals sehr knapp, und

zweitens verlor er gegen Gerhard Schrö-
der, noch immer das Maß aller Dinge für
jeden Wahlkämpfer. So richtig zieht das
Argument also nicht.
Schwerer wiegt da das Kräfteverhältnis
von CDU und CSU. In der Unionsfamilie
sehen sich die 140 000 bayerischen Partei-
freunde einer dreimal so großen, bundes-
weit verankerten CDU gegenüber.
Von seinem Mentor Edmund Stoiber
dürfte Söder wissen, dass die Christdemo-
kraten einem CSU-Kandidaten nur in Aus-
nahmefällen das Feld überlassen, etwa
wenn dieser schon mehrere Wahlerfolge
vorweisen kann – wie einst Stoiber. Söder
hat bislang nur einmal gewonnen, und das
auch nur gerade so.
Oder der Bayer könnte zum Zuge kom-
men, wenn in der CDU kein einziger, halb-
wegs geeigneter Kandidat bereitstünde.
Wenn ein geschwächter CDU-Vorsitzen-
der – so wie Angela Merkel 2002 – einem
CSU-Chef freiwillig die Kandidatur antrü-
ge. Aktuell ist die Situation gerade umge-
kehrt: Das Chaos und die Instabilität der
CDU entstehen nicht durch zu wenige,
sondern durch zu viele Kandidaten, von
denen leider keiner so richtig zu passen
scheint.
Diese unübersichtliche Lage in der CDU
sei auch ein Grund dafür, dass Söder vor
der Kandidatur zurückschrecke, so hört
man in Bayern: Die CDU sei am Ende der
Ära Merkel komplett neben der Spur,
mehr Lazarett als Kampfeinheit – wie woll-
te sich ein CSUler auf solche Wahlkampf-
helfer verlassen?
Die Kandidatenfrage ist nur die bedeut-
samste von vielen komplizierten Fragen,
die es im fragilen Verhältnis der beiden
Schwesterparteien zu lösen gilt. Alle CSU-
Größen haben ihre Kämpfe mit der CDU
ausgefochten. CSU-Übervater Franz Josef
Strauß war CDU-Chef Helmut Kohl über
viele Jahre in inniger Feindschaft verbun-
den. Strauß führte 1976 sogar einen Be-
schluss zur Trennung der Fraktionsgemein-
schaft mit der CDU herbei, der allerdings
nicht umgesetzt wurde. Er nannte Kohl
öffentlich »total unfähig« und sprach ihm
die »charakterlichen, die geistigen und
die politischen Voraussetzungen« für die
Kanzlerschaft ab.
Verglichen damit ist Söder ein Waisen-
knabe, aber auch er hat seine Geschichte
mit der CDU. Am letzten großen Krach, der
beinahe zum Bruch geführt hätte, war Sö-
der im Sommer 2018 maßgeblich beteiligt.
Er zündelte ebenso wie Landesgruppenchef
Alexander Dobrindt ordentlich mit, als der
damalige CSU-Chef Horst Seehofer den
Streit über die Zurückweisung von Migran-
ten an der deutschen Grenze auf die Spitze
trieb – auch in der Hoffnung, der AfD damit
das Wasser abgraben zu können.
Söder sieht das inzwischen als Fehler,
überhaupt hat er, was die AfD angeht, eine

30 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020


STEFAN BONESS / IPON
CDU-Kandidat Röttgen: Die Strategie der Parteispitze implodiert

Söder wandelt
sich – er hat auch in
Sachen AfD eine
Kehrtwende vollzogen.
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