Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
schauen Sie auf unsere Präsenz im Balti-
kum oder im Kosovo: Die USA stehen
zu ihren Verpflichtungen, mehr denn je.
Im Irak ist die Nato schon, und wir haben
zusammen entschieden, dort mehr zu ma-
chen. Wie viele Soldaten dafür nötig sind,
wissen wir noch nicht. Wir warten auf den
Rat unserer militärischen Berater.
SPIEGEL:Die Bundeswehr bildet derzeit
in Eigenregie Soldaten im kurdischen
Nordirak aus. Sollte sie auch bei der Nato-
Trainingsmission mitmachen?
Stoltenberg:Ich würde das sehr begrüßen,
aber das ist natürlich eine deutsche Ent-
scheidung. Deutschland ist in unserer mul-
tilateralen Mission willkommen, die der-
zeit von einem kanadischen und Ende des
Jahres von einem dänischen General ge-
leitet wird.
SPIEGEL:Die Frage ist in der Bundesregie -
rung äußerst umstritten. Fehlt Ihnen Berlin
als Impulsgeber für die Allianz?
Stoltenberg:Deutschland leistet einen he-
rausragenden Beitrag in der Nato. Es führt
die Battlegroup in Litauen an, ist in der
Ägäis und in Afghanistan engagiert. Aber
ich freue mich immer über Ideen.
SPIEGEL:Momentan ist Deutschland wie-
der einmal sehr mit sich selbst beschäftigt,
etwa mit der Suche nach einem CDU-Chef
und Kanzlerkandidaten.
Stoltenberg:Wir sind 29 Demokratien.
Koalitionen, Ministerwechsel und Regie-
rungskrisen gehören dazu, sonst wären es
keine Demokratien.
SPIEGEL:Sie haben auf der Münchner
Sicherheitskonferenz angedeutet, dass die
Nato die Zahl ihrer Soldaten – unter ihnen
auch deutsche – in Afghanistan dem-
nächst reduzieren könnte. Sollten wir das

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landgestützt

seegestützt

aus der Luft

Nukleares Ungleichgewicht?
Trägersysteme für taktische Atomwaffen

Flugabwehrraketen

Seeziel-
flugkörper

Torpedos

RUSSLAND USA

Quelle: U.S. Department of Defense

Fliegerbomben

U-Boot-Abwehrraketen

Wasserbomben

Marschflugkörper

Luft-Boden-Raketen

Kurzstreckenraketen

ballistische
Abfangraketen

Land wirklich erneut den Taliban über -
lassen?
Stoltenberg:Nein, und deshalb wird die
Nato die afghanischen Sicherheitskräfte
weiter unterstützen. Aber natürlich wer-
den wir weder im Irak noch in Afghanistan
ewig bleiben. Unser Ziel ist es ja, die Be-
dingungen für unseren Abzug zu schaffen.
Es geht darum, dass das Erreichte erhalten
bleibt, wenn wir gehen. In Afghanistan
denke ich dabei nicht zuletzt an die Fort-
schritte der Menschenrechtslage, gerade
auch für Frauen. Die USA und die Taliban
sind bei ihren Gesprächen einem Abkom-
men so nah wie nie zuvor. Wenn es dazu
kommt, sind wir bereit, unsere Truppen-
stärke anzupassen.
SPIEGEL:Was heißt »anpassen«? Noch
sind 16 000 Nato-Soldaten in dem Land.
Stoltenberg:Wir werden sie nicht sofort
auf null reduzieren. Aber wenn die Taliban
sich willens und in der Lage zeigen, die
Gewalt zu reduzieren und sich an inner -
afghanischen Verhandlungen zu beteiligen,
dann ist das ein wichtiger Schritt, den im
Übrigen auch Deutschland unterstützt. Au-
ßerdem haben wir unsere Truppen schon
stark reduziert: Noch vor wenigen Jahren
waren in Afghanistan 130 000 Soldaten im
Kampfeinsatz.
SPIEGEL:Zum Schluss zurück zur Welt -
untergangsuhr. Sie tickt nicht nur wegen
der Atomwaffen schneller, auch der Kli-
mawandel zählt dort inzwischen als exis-
tenzielle Bedrohung. Wie geht die Nato
damit um?
Stoltenberg:Bevor ich Generalsekretär
wurde, war ich unter anderem Klimabot-
schafter der Vereinten Nationen, ich habe
mich viele Jahre mit dem Thema beschäf-
tigt. Auf Konflikte wirkt der Klimawandel
wie ein Brandbeschleuniger. Marinestütz-
punkte sind durch die Folgen des Klima-
wandels bedroht. Wetterextreme stellen
unsere Soldaten vor neue Herausforderun-
gen. Wenn die Nato ihre Operationen
energieeffizienter gestaltet, hat das auch
praktische Vorteile. Einer unserer größten
Schwachpunkte in Afghanistan war zum
Beispiel der Transport von Treibstoff.
SPIEGEL:Aber wie kann die Nato auf den
Klimawandel reagieren, wenn der Präsi-
dent der USA abstreitet, dass ein von Men-
schen verursachter Klimawandel existiert?
Stoltenberg:Es mag unterschiedliche An-
sichten darüber geben, ob der Klimawan-
del vom Menschen verursacht wird. Aber
niemand bestreitet, dass die Temperaturen
steigen. Deshalb können wir das Thema
auch angehen, etwa indem wir Emissionen
reduzieren und mehr erneuerbare Ener-
gien nutzen. So werden wir unabhängiger
von fossilen Brennstoffen. Noch mal: Das
macht unsere Operationen widerstands -
fähiger und hilft dem Klima.
Interview: Markus Becker, Peter Müller

Stoltenberg:Das ist die Entscheidung
Frankreichs, und ich respektiere sie. Wenn
die Franzosen ihre Meinung ändern, sind
sie jederzeit willkommen. Es ist wichtig,
dass die Nato als eine multinationale
Organisation in Fragen der nuklearen Ab-
schreckung beteiligt ist, denn Atomwaffen
sind eine ernste Angelegenheit.
SPIEGEL:Könnten Macrons Angriffe auf
die Nato auch damit zu tun haben, dass er
mit Ihnen unzufrieden ist? Sie gelten vie-
len in der Allianz als Sprachrohr von US-
Präsident Trump. Fordert er mehr Geld
von den Verbündeten oder mehr Engage-
ment im Irak, tun Sie das ebenfalls.
Stoltenberg:Ich habe ein gutes Verhältnis
zu Präsident Macron, genau wie zu allen
Nato-Regierungschefs. Es war nicht Präsi-
dent Trump, der die Nato aufgefordert hat,
mehr in die Verteidigung zu investieren.
Das waren unsere Mitglieder selbst bei
ihrem Gipfel 2014. Deutschland stimmte
damals zu, und der US-Präsident hieß
Barack Obama. Dass ich als Generalsekre-
tär nun darauf dränge, diese Versprechen
einzuhalten, ist selbstverständlich. Wenn
wir mehr Europa wollen, dann muss
Europa mehr für die Verteidigung tun.
SPIEGEL:Neuerdings lobt Trump die Nato-
Partner für die Steigerung ihrer Wehr-
etats – mithilfe von Zahlen, die Sie ihm
geliefert haben. Hat sich die deutsche Bun-
desregierung schon bei Ihnen dafür be-
dankt, dass Sie Trump besänftigen?
Stoltenberg:Das sind nicht meine Zahlen,
das sind die offiziellen Zahlen. Da ist keine
Hexerei im Spiel. Und wenn das Glas halb
voll ist, sage ich nicht, es sei halb leer. Wir
sollten gemeinsame Fortschritte auch be-
nennen. Außerdem geben wir nicht mehr
Geld für die Verteidigung aus, weil der US-
Präsident das will. Wir tun es für unsere
eigene Sicherheit.
SPIEGEL:Ist Trump derzeit auch deswe-
gen so freundlich zur Nato, weil er will,
dass die Allianz den USA unliebsame Auf-
gaben abnimmt, etwa im Irak?
Stoltenberg:Wir sind im Irak, um uns vor
Terroristen zu schützen. Bis vor Kurzem
beherrschte der sogenannte Islamische
Staat (IS) ein Gebiet der Größe Großbri-
tanniens, das vergisst man leicht. Im Irak
spielt die Nato ihre Stärke aus, Nordame-
rika und Europa kooperieren. Wir arbei-
ten zusammen in der Nato-Ausbildungs-
mission und in der US-geführten Koalition
gegen den IS-Terror. Die Nato kann sich
als multilaterale Organisation mit einge-
übten Entscheidungswegen stärker enga-
gieren. Daher haben wir vor Kurzem die
Ausweitung unserer Ausbildungsmission
im Irak beschlossen.
SPIEGEL:Sie schaffen also wunschgemäß
Entlastung für die USA.
Stoltenberg:Die Vorstellung, die Nato
geht rein, und die USA gehen raus, ist
falsch. Schauen Sie nach Afghanistan,

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