Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

34 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020


Deutschland

A


ls oberster Haushälter der Republik
macht sich Finanzminister Olaf
Scholz in diesen Tagen Gedanken
über den nächsten Bundesetat. Doch zu-
gleich scheint der Sozialdemokrat mental
noch in der Vergangenheit zu stecken. Um
seinen neuen Parteivorsitzenden
Norbert Walter-Borjans und Sas-
kia Esken zu gefallen



  • schließlich ist er ein har-
    moniebedürftiger Zeitge-
    nosse –, will Scholz die
    Investitionen im Bundes-
    haushalt für die nächsten
    vier Jahre um jeweils drei
    Milliarden Euro aufsto-
    cken, ein Herzensanliegen
    seiner SPD-Chefs.
    Zum Unmut seiner
    Beamten lässt Scholz
    auch noch eine Ar-
    beitsgruppe der Koali-
    tion auswählen, welche
    Ministerien bedacht wer-
    den sollen. »Früher hätten wir
    uns die Entscheidung über die
    Haushaltseckwerte nicht neh-
    men lassen«, schimpft ein Fi-
    nanzministerialer.
    Mittel für die Investitionsoffen-
    sive, so glaubt Scholz, seien ge-
    nügend vorhanden. Tatsächlich
    beträgt sein Finanzierungsspiel-
    raum 17 Milliarden Euro, weil der
    Bund 2019 wieder einen statt -
    lichen Überschuss einfuhr und die Flücht-
    lingsrücklage unangetastet blieb. Zöge
    Scholz auch noch, wie angekündigt, den
    Teilabbau des Solidaritätszuschlags auf den
    Sommer dieses Jahres vor, was den Bund
    fünf Milliarden Euro kosten würde, wäre
    das ganze Geld auch schon wieder weg.
    Das Problem ist nur: Scholz streut die
    Früchte der Vergangenheit unters Volk.
    Die Steuereinnahmen sprudeln längst
    nicht mehr so üppig wie in den vergange-
    nen Jahren, als der Finanzminister das
    Geld mit der ganz großen Gießkanne auf
    allerlei Vorhaben und Projekte verteilen
    konnte. Diese Zeiten scheinen vorbei.
    Die zahlreichen Projekte müssen auch
    in den kommenden Jahren weiter finan-


ziert werden, doch nun fehlt das Geld da-
für. »Die expansive Haushaltspolitik der
vergangenen Jahre hinterlässt Spuren«,
warnt eine interne Vorlage des Ministe -
riums. Neue Maßnahmen kommen hinzu.
Tatsächlich klaffen schon riesige Lücken
in der Etatplanung des Bundes. Allein für
2021 rechnen Scholz’ Beamte mit einem
Fehlbetrag von bis zu 15 Milliarden Euro.
Denn viel hat sich ihr Hausherr vorgenom-
men, allein es fehlt das Geld.
So will Scholz 2021 den Anteil der Aus-
gaben für Bundeswehr und Entwicklungs-
hilfe am Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf
dem Niveau dieses Jahres stabil halten. Da-
für allein braucht es 4,1 Milliarden Euro,
wie aus der Vorlage hervorgeht.
Weitere vier bis fünf Milliarden Euro
benötigt Scholz, um die steigenden Ab-
führungen an den EU-Haushalt zu finan-
zieren. Ebenfalls noch nicht finanziert ist

der Ausgleich von Inflationsgewinnen des
Fiskus an die Steuerzahler. Scholz ist
gehalten, die sogenannte kalte Progres -
sion regelmäßig zu begradigen, 2021 steht
der nächste Schritt an. Die Kosten für
den Bund liegen bei rund drei Milliarden
Euro.
Am vergangenen Mittwoch verabschie-
dete das Bundeskabinett die Grundrente.
Bezahlt werden soll das Vorhaben vom
nächsten Jahr an mit einer Finanztrans -
aktionsteuer auf den Kauf von Aktien.
Doch selbst Scholz’ Mitarbeiter winken
ab, wenn es um deren Realisierungschan-
cen geht. Scheitert der Plan, fehlen Scholz
weitere 1,3 Milliarden Euro. Und um die
Zielgröße der Forschungsausgaben am

BIP zu erreichen, muss er eine weitere Mil-
liarde auftreiben.
Noch bedrohlicher sieht es aus für die
Folgejahre. In der mittelfristigen Finanz-
planung bis 2024, die Scholz mit dem
nächsten Etat ebenfalls aufstellt, klaffen
noch größere Lücken. So muss das soge-
nannte Gute-Kita-Gesetz nach 2022 weiter
finanziert werden. Jährliche Kosten: zwei
Milliarden Euro. Der Hochschulpakt, den
der Bund mitfinanziert, bekommt vom
nächsten Jahr an eine Nachfolgeregelung,
zum Preis von knapp acht Milliarden Euro
bis 2024. Würden die Aufwendungen fürs
Militär bis 2024 schrittweise auf 1,5 Pro-
zent des BIP heraufgeschraubt und die
für Entwicklungshilfe, wie vereinbart, im
Gleichschritt angehoben, fehlten bis dahin
mehr als 40 Milliarden Euro.
Außen vor sind bislang auch die Kosten
für den Ausstieg aus der Kohleverstro-
mung. Dafür hat Scholz bis 2038
rund 40 Milliarden Euro ver -
anschlagt, etliches davon wird
schon in den nächsten vier Jah-
ren fällig.
Insgesamt kommen die Etat-
experten des Ministers auf einen
Fehlbetrag für die Zeit bis 2024
von bis zu 60 Milliarden Euro
mindestens.
Noch wagt niemand, die
schwarze Null infrage zu stellen,
also den Haushalt ohne neue
Schulden. Deshalb suchen die Be-
amten des Finanzministeriums
dringend andere Möglichkeiten,
um die Lücken zu schließen.
So denken sie an den Verkauf
von Aktien der Telekom und der
Post, der einen Milliardenbetrag
aufbrächte – aber nur einmalig.
Nachhaltiger wäre zum Beispiel
die Erhöhung der Tabaksteuer, die
die Ministerialen ebenfalls in Be-
tracht ziehen. Damit könnten sie,
je nach Ausgestaltung, ebenfalls
einen Milliardenbetrag erlösen.
Derweil hat Scholz den Kabi-
nettstermin, bei dem die Haus-
haltseckwerte beschlossen werden sollen,
um eine Woche auf den 18. März verschie-
ben lassen. Grund dafür sind nicht etwa
die Schwierigkeiten seiner Beamten, die
Löcher zu stopfen. Im Gegenteil: Am


  1. März trifft sich der Koalitionsausschuss,
    um festzuzurren, wie die Milliarden für
    Investitionen zu verteilen sind. Scholz
    scheint davon auszugehen, dass es danach
    bis zum eigentlich vorgesehenen Kabi-
    nettstermin am 11. März knapp werden
    könnte, alle Wünsche der Runde einzu -
    arbeiten. Denn auch deren Mitglieder
    stehen im Verdacht, gedanklich noch in
    den fetten Jahren zu leben.
    Christian Reiermann


Weg ist


das Geld


FinanzenIm Bundesetat
klaffen Milliardenlücken. Jetzt

lässt Minister Scholz über höhere


Steuern und den Verkauf von
Bundesvermögen nachdenken.

PETER RIGAUD
Ressortchef Scholz: Früchte der Vergangenheit

Erhöhung von
Militärausgaben/
Entwicklungs-
hilfe

Nachfolge-
regelung des
Hochschulpakts

Ausgleich
der kalten
Progression

z. B. durch

Bundes-
haushalt
Fehlbetrag 2021 bis 2024

rund 60
Mrd. €
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