Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

A


uf einmal stehen rund 30 Menschen
mit Fahnen und Transparenten auf
der Bühne. Es ist Februar 2019, die
Partei Die Linke hält in Bonn ihren Europa -
parteitag ab. »Hände weg von Venezuela«,
steht auf einem Banner. Die Aktion richtet
sich unter anderem gegen die Aner -
kennung von Juan Guaidó als venezo -
lanischen Übergangspräsidenten durch
Deutschland und wird von vielen als Soli-
darisierung mit dem Machthaber Nicólas
Maduro verstanden, einem Autokraten.
Noch Tage später empören sich Linke über
den offenbar unangekündigten Auftritt.
Es sind solche Aktionen, die immer wie-
der Zweifel wecken, ob die Linke und die
Demokratie wirklich zusammenpassen.
Ob die Partei nicht doch die »totale gesell-
schaftliche Wende« wolle, wie Professo-
ren, Bürgerrechtler und Schriftsteller in
einem »Gewissensappell« warnten, als
Bodo Ramelow vor gut fünf Jahren zum


ersten linken Ministerpräsidenten gewählt
wurde. Ob man sich bedenkenlos für die
Partei entscheiden kann, wenn es heißt:
Linke oder AfD. Wie in Thüringen.
Die Linke, die ihre Wurzeln vor allem
in der DDR hat, durchläuft eine Bundes -
republikanisierung, die nicht abgeschlossen
ist und das vielleicht auch nie sein wird. Die
entscheidende Frage für mögliche Bündnis-
partner heißt: Wie weit ist sie schon fort -
geschritten? Die Antwort darauf hängt vom
Umgang der Linken mit ihrer Vergangen-
heit ab, von ihren Positionen in der Gegen-
wart und ihrem Umgang mit der Macht.
Eine wegweisende Entscheidung für
den Umgang mit der Vergangenheit fiel
in den Wirren des Revolutionswinters
1989/90. Die SED, die über die DDR ge-
herrscht hatte, wurde nicht aufgelöst, son-
dern wandelte sich zur SED-PDS. »Das
war die einzige Möglichkeit«, sagt Gregor
Gysi, der damals Parteivorsitzender war.

»Man hätte sonst 100 000 Mitarbeiter über
Nacht entlassen müssen.«
Seitdem haftet dieser Makel der Linken
an: rechtliche SED-Nachfolgerin. Damit
verantwortlich für Mauerbau und Stasi.
Eine Partei wie alle anderen kann sie des-
halb vielleicht noch sehr lange nicht sein.
Eine demokratische schon, das ginge.
CDU und FDP haben Blockparteien ge-
schluckt – die hatten die SED-Herrschaft
mitgetragen. Ehemalige Stasi-Spitzel gab
es auch in der Ost-CDU und der Ost-FDP.
Ehemalige SED-Mitglieder ebenso.
Wohin sollen sie auch alle verschwun-
den sein nach der Revolution?
»Rucksack der Geschichte«, nennt die
Linke Petra Pau die Last. »Ich habe die
friedliche Revolution nicht herbeigeführt«,
sagt Pau. »Aber die Lehren, die ich gezo-
gen habe, sind sehr nachhaltig.« Pau ist
heute dienstältestes Mitglied des Bundes-
tagspräsidiums. »Ich bin leidenschaftliche
Parlamentarierin und Demokratin gewor-
den.« Ja, geworden.
»Ich wurde auch angegriffen als eine, die
sich dauernd entschuldigt«, sagt Pau. Auf
dem Papier verurteilt die Linke heute die
Mauer, Schüsse auf Fliehende, die be-
schränkten Bürgerrechte.
Gleichwohl sagt Klaus Schroeder vom
Forschungsverbund SED-Staat der FU

36


Deutschland

Auf Bewährung


BündnisseDie Linke hat sich stark verändert. Ist sie heute eine
normale Partei oder eine Gefahr für die Demokratie?

OLIVER BERG / DPA
Bühne des Europaparteitags 2019: »Rucksack der Geschichte«
Free download pdf