Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

SPIEGEL: Herr Hofreiter, ein Gericht hat
die Klage gegen die Rodung eines Kiefern-
walds für den Bau der neuen Tesla-Fabrik
in Brandenburg zurückgewiesen. Schlägt
Ihr Herz mehr für Elektroautos oder für
den Baumbestand?
Hofreiter:Im Fall Tesla halte ich es für rich-
tig, dass gerodet wird. Man muss unter-
scheiden zwischen einem artenreichen,
vielfältigen und deshalb ökolo-
gisch hochwertigen Wald und
einer Kiefernplantage. In Grün-
heide haben wir es mit Letzterem
zu tun. Nach allem, was wir bis
jetzt wissen, ist diese Plantage für
den Artenschutz vernachlässig-
bar. Da zählt nicht jede Kiefer.
SPIEGEL: Die Klage zweier Um-
weltverbände war also albern?
Hofreiter:In einem Rechtsstaat
ist es legitim zu klagen. Wie nötig
das ist, ist eine andere Frage. Man
sollte beachten: Die Grüne Liga
engagiert sich nicht, weil sie den
Artenschutz in Gefahr sieht, son-
dern wegen angeblicher Gefahren
für die Trinkwasserversorgung
und wegen der Verkehrsbelas-
tung. Solche Einwände kann die
Grüne Liga natürlich vorbringen.
Aber dafür hätte sie die Rodung
nicht stoppen lassen müssen. Das
ist ja offenbar auch im eigenen
Laden umstritten. Ich persönlich
halte die Forderung des Rodungs-
stopps für einen Fehler.
SPIEGEL: Der zweite Kläger ist
ein wenig bekannter Verband
mit Sitz in Bayern und eher un-
durchsichtigem Hintergrund.
Hofreiter:Ja, dieser angebliche
Artenschutzverein aus Bayern
ist nicht einmal vor Ort in Bran-
denburg organisiert. Und der
macht Verhinderungsklagen ge-
gen Windkraft und jetzt auch ge-
gen Tesla. Das geht nicht, und
das hat auch nichts mit der Ar-
beit aller anderen seriösen Um-
weltverbände zu tun, die einen
wichtigen Job für die Gesell-
schaft machen. Dass kleinste re-
gionale Vereinigungen bundes-
weit mit Klagen blockieren kön-
nen, ist absurd. Das sollte man
ändern.
SPIEGEL: Die naturschutzrecht-
liche Verbandsklage wurde 2002


von Rot-Grün auf Bundesebene ausge -
weitet.
Hofreiter:Ja, und sie hat sich auch be-
währt. Sie wurde nach Rot-Grün sogar
noch erweitert, auch wegen Anforderun-
gen des Europarechts. Ich stehe zum Ver-
bandsklagerecht. Aber wir müssen eben
Missbrauch, zum Beispiel durch solche
Kleinstvereine, einen Riegel vorschieben.

Ich bin übrigens selbst Mitglied in zwei
anerkannten Naturschutzverbänden. Und
die gehen sehr verantwortungsvoll mit
ihrem Klagerecht um.
SPIEGEL: Was muss getan werden, damit
so etwas nicht mehr vorkommt?
Hofreiter:Wir müssen bei der Planung
ansetzen, nicht bei der Klage. Wir wollen
das Planungsrecht modernisieren. Bei
Raumordnungs- und Planfeststellungs -
verfahren sollte nicht mehr doppelt
geplant oder doppelt geprüft werden
müssen. Eine fundierte Umweltverträg -
lichkeitsprüfung reicht, und zwar am
Anfang. Es sollte eine Stichtagsrege lung
gelten, danach herrscht Gutachten stopp.
Jetzt dauert ein Verfahren um den Bau
einer Windkraftanlage bis zu sieben Jah-
re, weil ein Gutachten das
andere jagt.
SPIEGEL: Und wenn nach dem
Stichtag doch noch ein bedrohter
Raubvogel entdeckt wird?
Hofreiter:Das Naturschutzrecht
muss der Sicherung und der Ent-
wicklung der Populationen ge-
schützter Arten dienen. Es geht
nicht darum, auf Teufel komm
raus zu verhindern, dass auch
nur ein einziger Mäusebussard
ins Windrad fliegt. So traurig das
ist. Eine zentrale Informations-
plattform über vor Ort lebende
bedrohte Arten könnte den Prüf-
bedarf verringern und Planun-
gen erleichtern. Das alles wird
aber nichts werden, ohne deut-
lich mehr Personal in den einzel-
nen Behörden, auch in den Ge-
richten. Die Klagen sind derzeit
ja gerade deshalb meistens erfolg-
reich, weil nicht sauber geplant
wurde. Zu wenig Personal erhöht
die Anfälligkeit für Fehler. Die
Bundesregierung sollte prüfen,
ob sie nicht eine zentrale Service-
stelle einrichten kann, die Kom-
petenzen bündelt und den Län-
dern und Kommunen Planungs-
leistungen anbietet. Und eine
frühzeitige Öffentlichkeitsbetei-
ligung muss verpflichtend sein.
Dadurch werden Planungen bes-
ser und schneller.
SPIEGEL:Behindert das Recht
mittlerweile den Fortschritt in
Deutschland?
Hofreiter:Oft liegt es einfach an
der Finanzierung, dass etwas
nicht läuft. Das gilt vor allem für
öffentliche Investitionen. Neh-
men Sie die Bahnstrecke von
Augsburg nach München. Die
ersten beiden Gleise wurden im


  1. Jahrhundert binnen zwei Jah-
    ren gelegt; das dritte und das vier-
    te Gleis dagegen waren und blie-


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Deutschland

WOLFGANG STAHR / LAIF

»Nicht jede Kiefer zählt«


UmweltschutzGrünenfraktionschef Anton Hofreiter über
den Artenschutz als Vorwand, um Großprojekte zu verhindern

HC PLAMBECK
Tesla-Gelände: »Für den Artenschutz vernachlässigbar«

Politiker Hofreiter
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