Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

D


ie Demonstranten wissen, welches
Urteil sie wollen. »Gefängnis für
den Tierquäler«, so steht es auf Pla-
katen, die sie vor dem Landgericht Ulm
in die Höhe halten. Und sie wissen auch,
was sie ablehnen: »Bewährungsstrafe =
Legitimation für Tierquäler!«
Das Amtsgericht Ulm wurde ihren Er-
wartungen im vergangenen Jahr gerecht.
Es verurteilte einen Schweinehalter, der
Tausende Mastschweine über Jahre übel
vernachlässigt hatte, zu drei Jahren Frei-

heitsstrafe. Der Amtsrichter sprach in sei-
nem Urteil von »katastrophalen Haltungs-
bedingungen«, die hohe Strafe sollte aus-
drücklich der »Abschreckung weiterer
potentieller Täter« dienen.
Die Tierschützer waren zufrieden mit
dem Urteil – und kurz darauf entsetzt, als
neben dem Angeklagten die Staatsanwalt-
schaft in Berufung ging, weil sie die Strafe
für zu hoch hielt. Jetzt muss also das Land-
gericht entscheiden.
Johannes S., 56, studierter Landwirt,
schlurft mit schweren Schritten in den Sit-
zungssaal. Die Familie betrieb seit Gene-
rationen Landwirtschaft in Merklingen auf
der Schwäbischen Alb. Nach einem Brand
im August 2012 verlegte sich S. ganz auf

die Schweinemast und hielt bald mehr
Tiere als erlaubt. Für seine zwei Ställe
waren insgesamt 1488 Mastplätze geneh-
migt. Im Frühjahr 2014 hatte er mehr als
350 Schweine zu viel.
Diese begannen, sich zu kannibalisieren,
fraßen sich gegenseitig Ohren und Schwän-
ze ab. Manche schleppten sich nur noch
auf den Vorderbeinen über den Boden.
In anderen Betrieben sterben im Schnitt
offenbar etwa 3 Prozent der Tiere. Bei S.
waren es 17 Prozent und mehr.

Sein Fall zeigt mehr als deutlich, wie
schlecht zuweilen kontrolliert wird. S. durf-
te sich sogar mit Labeln für Qualität und
Tierwohl schmücken – und damit höhere
Preise erzielen. Tatsächlich hingen in den
Ställen vereinzelt Plastikobjekte, mit denen
die Schweine spielen sollten. Angesichts
der übrigen Zustände wirken die abgekau-
ten Gegenstände wie Hohn.
Im Herbst 2014 machten Tierschützer
Videoaufnahmen im alten Stall aus den
Siebzigerjahren. Die Geodaten des Hofs
gaben sie dem Landratsamt durch. Es folg-
te eine Kontrolle durch zwei Amtstierärz-
te, die jedoch nur in den vorderen, neuen
Stall aus dem Jahr 2006 schauten. Dass
dort nur etwa die Hälfte der genehmigten

Mastschweine untergebracht war, fiel an-
geblich nicht auf.
Die Qualen für die Tiere gingen allem An-
schein nach jetzt erst richtig los. Im Mai 2016
hielt S. gut anderthalb mal so viele Tiere wie
erlaubt. Mehr als jedes fünfte Schwein starb.
Im Schlachthof Ulm fiel auf, dass die Mast-
schweine von S. überdurchschnittlich viele
Lungenschäden hatten. Doch nichts passier-
te. Auch die Kontrolleure der Stuttgarter
Zertifizierungsstelle Adia-Zert, die für die
Label »QS«, »Qualitätszeichen Baden-Würt-
temberg« und »Initiative Tierwohl« den Hof
überprüften, bemerkten jahrelang nichts –
auch sie prüften nur den neuen Stall.
Im September 2016 war Friedrich Mülln
in der Gegend unterwegs. Er gehört der
»Soko Tierschutz« an, einem gemeinnüt-
zigen Verein, und wollte Geflügelzüchter
kontrollieren. Im Mondlicht sah er eine
Kadavertonne auf dem Hof. Als Mülln

hineinleuchtete, bot sich ihm ein »entsetz-
licher Anblick«, wie er sagt. Tote Ferkel
mit zerfledderten Ohren und abgebissenen
Schwänzen – »das ging weit über das hi-
naus, was man anderswo sieht«.
Mülln beschloss, sich die Ställe näher
anzuschauen. Der neue Stall war ver-
schlossen, der alte nicht. Müllns Aufnah-
men zeigen Schweine, die verenden oder
in eigenen Ausscheidungen liegen. In den
Folgetagen machte Mülln weitere Aufnah-
men. Er informierte die Polizei und ein
Team von »Stern TV«, das fragte beim
Stuttgarter Landwirtschaftsministerium
an – nun kamen die Dinge ins Rollen.
Das Landratsamt in Ulm schickte einen
der Tierärzte, die 2014 schon mal dort

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Deutschland

Die Hölle auf der Alb


TierschutzEin Landwirt ließ über Jahre Tausende Schweine leiden.
Dennoch kommt er mit einer Bewährungsstrafe davon.

FRIEDRICH MÜLLN/ SOKO TIERSCHUTZ MATTHIAS KESSLER / SÜDWEST PRESSE ULM


Schweine in Merklingen 2016, Demonstranten vor dem Landgericht Ulm: »Katastrophale Haltungsbedingungen«
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