Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

sagt Hrafnsson. »Ich nenne das ein Ange-
bot wie aus dem Film ›Der Pate‹. Man
kann es nicht ablehnen.«
Wenn das so weitergehe, werde bald je-
der hartnäckige Journalist, egal in welchem
Land, »als Extremist oder Spion behandelt
werden« – während staatliche Kriegs -
verbrechen womöglich erst recht unbe-
straft blieben. Man müsse sich nur um-
schauen, rät Hrafnsson, überall auf der
Welt gebe es derzeit Anzeichen dafür, dass
die Wahrheit unterdrückt werden solle.
»Das ist ein Krieg gegen den Journalismus.«
Tatsächlich ist auffällig, wie massiv vor
allem die USA derzeit gegen Investigativ-
journalisten und Whistleblower vorgehen.
Bereits seit März 2019 sitzt die einst von
US-Präsident Obama begnadigte Chelsea
Manning, die Quelle des »Collateral Mur-
der«-Videos, in Beugehaft. Sie weigert sich,
gegen Assange auszusagen. Ähnlich geht
es dem Hacker Jeremy Hammond und
weiteren WikiLeaks-Quellen.


Aber auch andernorts wird der Druck
größer. In Brasilien erhielt jüngst Glenn
Greenwald, einer der Enthüllungsjourna-
listen der Snowden-Dokumente, eine An-
klage wegen Cyberkriminalität (die später
wieder zurückgenommen wurde). In Ecua-
dor wartet Ola Bini, ein langjähriger Weg-
gefährte Assanges, auf sein Verfahren.
In Deutschland hat das Bundeskriminal-
amt auf Ersuchen des FBI schon vor Jah-
ren begonnen, namentlich bekannte Wiki -
Leaks-Mitstreiter aufzusuchen und um
Hinweise zu bitten. Der inzwischen ge-
schasste Verfassungsschutzpräsident Hans-
Georg Maaßen versuchte, die Macher der
Medienplattform Netzpolitik.org wegen
Landesverrat vor Gericht zu zerren.
Was das Vorgehen gegen den Wiki -
Leaks-Gründer so bedeutend macht: Es
ist erst der dritte Fall in der US-Geschichte,
bei dem das mehr als hundert Jahre alte

Spionagegesetz gegen einen Zivilisten ein-
gesetzt wird. Erstmals wollen die Ankläger
zudem die bloße Entgegennahme und Ver-
öffentlichung von vertraulichen Dokumen-
ten der »Nationalen Verteidigung« bestra-
fen. Mehrere der 18 Anklagepunkte gegen
Assange zielen darauf ab. Schlösse sich ein
US-Gericht dieser Sichtweise an, würde
das die journalistische Arbeit in vielen Re-
daktionen kriminalisieren. Praktisch jede
Ausgabe des SPIEGELzitiert aus vertrau-
lichen Materialien und verbreitet sie damit
an »nicht befugte« Leser.
Da die bisherige Anklage sich aus-
schließlich auf die Manning-Enthüllungen
aus dem Jahr 2010 stützt, betrifft sie den
SPIEGELin besonderem Maße. »Nach
dem Spionagegesetz hätte die Regierung
Assange, die ›New York Times‹, den
SPIEGELund den ›Guardian‹ jederzeit
strafrechtlich verfolgen können, völlig ei-
nerlei, ob sie die Namen von Informanten
schwärzten oder nicht«, schreibt Gabe
Rottman vom US-Reporters-Comittee in
einer rechtlichen Würdigung der Anklage.
Tatsächlich hat schon die Regierung
Obama, die stets überhart gegen Whistle-
blower vorging, erwogen, gegen Assange
vorzugehen. Nach Recherchen der »Wa-
shington Post« verzichtete sie aber darauf,
weil seine Arbeit der von beteiligten Jour-
nalisten zu ähnlich gewesen sei. Erst unter
Trump – der Medien gern mal »Feinde
des Volkes« nennt – wurde das Verfahren
in der verschärften Form wiederaufge -
nommen.
Kurioserweise könnten die drastischen
Anklagevorwürfe der Amerikaner Julian
Assange im jetzt bevorstehenden Auslie-
ferungsverfahren sogar helfen. Dokumen-
tieren sie doch nach Ansicht von Rechts-
experten, dass es in diesem Fall um eine
politische Verfolgung geht. Sähen die
britischen Richter das auch so, dürften sie
Assange nach geltender Rechtslage nicht

ausliefern. Dafür brauchte der Australier
allerdings ein faires Verfahren.
Dem gegenüber stehen Donald Trump
und seine Helfer, die es im Fall Assange
ganz offensichtlich auf einen Showdown
anlegen. Das immer schon prekäre Ver-
hältnis zwischen Mächtigen und Medien
würde damit neu vermessen – nach Lage
der Dinge nicht zugunsten der Medien.
Und schon gar nicht zugunsten eines Man-
nes, der nach Jahren der Verfolgung offen-
bar nur noch ein Schatten seiner selbst ist.
Als Assange im Oktober schon einmal
kurz vor Gericht angehört wurde, hatte
er anscheinend Schwierigkeiten, sich an
seinen eigenen Namen zu erinnern. Der
Mann, der einst glaubte, mit etwas Nach-
denken lasse sich jedes Problem lösen, sag-
te: »Ich kann nicht klar denken.«
»Hier wird vor den Augen der Welt ein
Verbrechen begangen«, sagt John Shipton.
»Wir erleben die Zerstörung eines Men-
schen, der dokumentierte Verbrechen ans
Licht gebracht hat.« Shipton, 75, ist Julian
Assanges Vater, was man dem hageren,
hochgewachsenen Mann mit dem grauen
Resthaar auch auf den ersten Blick ansieht.
Rund zwei Wochen, bevor man seinen
Sohn vor Gericht stellen wird, sitzt Ship-
ton in einer abgedunkelten Wohnstube in
London-Knightsbridge, fünf Gehminuten
entfernt von der ecuadorianischen Bot-
schaft. Ein Unterstützer hat ihm und seiner
Familie in den vergangenen Monaten Un-
terschlupf gewährt.
Durchs Haus laufen mehrere junge Frau-
en und ein Kind, die auf die eine oder
andere Weise verwandt sind mit Julian
Assange. Sein Sohn, sagt Shipton, habe
seit der Verhaftung im vergangenen April
15 Kilogramm abgenommen. Um zu ihm
zu gelangen, müsse er durch drei Sicher-
heitsschleusen und an einem Spürhund
vorbei, Treffen seien nur in einem ohren-
betäubend lauten Besuchsraum mit zahl-
losen Kameras gestattet.
»Was Nils Melzer sagt, ist wahr: Julian
leidet unter den körperlichen und menta-
len Folgen psychologischer Folter.« Er,
Shipton, fürchte um Assanges Leben, soll-
te dieser wirklich nach Amerika ausgelie-
fert werden. »Sie werden ihn mit den grau-
samsten Methoden zermürben.«
In Belmarsh, das immerhin, habe sich
die Situation seines Sohnes zuletzt ein we-
nig verbessert. Er sei verlegt worden in die
Abteilung für die über 50-Jährigen, habe
Kontakt, könne fernsehen. Nur das, wo-
rum sich sein Leben bislang drehte, bleibt
ihm bis auf Weiteres verwehrt.
Es gibt in Belmarsh zwar regelmäßig
Computerkurse für Insassen. Julian As -
sange hat man sicherheitshalber davon
ausgeschlossen.
Dietmar Pieper, Marcel Rosenbach,
Jörg Schindler

52 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020

HENRY NICHOLLS / REUTERS
Pro-Assange-Wandgemälde in London: Ikone des Antiimperialismus
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