Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

D


ie Graffiti-Botschaft der Gruppe
»Avenir en feu« (»Zukunft in
Flammen«) in der Pariser Zen -
trale des amerikanischen Vermö-
gensverwalters Blackrock war eindeutig:
»Blackrock Assasins«, »Mörder Black-
rock«. Dutzende junger Leute hatten An-
fang Februar die Büros in der Innenstadt
gestürmt, um gegen die Rentenreform -
ideen der französischen Regierung zu pro-
testieren. Blackrock, mit mehr als sieben
Billionen Dollar größter Kapitalanleger
der Welt, habe Präsident Emmanuel Ma-
cron die Pläne souffliert, um selbst zu pro-
fitieren und »umweltzerstörende Projekte«
zu finanzieren. Erst ein Großaufgebot der
Polizei beendete das Spektakel.
Für Blackrock-Gründer und -Chef Larry
Fink war die gewaltsame Stippvisite der
Ökoaktivisten höchst ärgerlich. Der Inves-
tor versucht gerade, sich an die Spitze der
Bewegung zu setzen. Fink, Kapitalist durch
und durch, schockte die wichtigsten Unter-
nehmensführer der Welt kürzlich in seinem
jährlichen Rundbrief. Er kündigte an, alle
Konzerne, die beim Klimaschutz schlam-
pen, künftig mittels Kapitalentzug und
Misstrauensvoten zu strafen.
Demonstrativ schlang er sich auf dem
Davoser Weltwirtschaftsforum, dem Hoch-
amt des Kapitalismus, einen Schal in Klima -
wandeloptik um den Hals. Die einge -
webten Farbstreifen des »Warming Stripes
Scarf«, von blau bis tiefrot, sollen die
Durchschnittstemperaturen von 1850 bis
2018 symbolisieren, ein Streifen pro Jahr.
Ein Schal als Fanal. Dabei hat sich
Blackrock in der Vergangenheit nie wirk-
lich für Ökothemen interessiert. Im Ge-
genteil: Kam es darauf an, stimmten Finks
Leute auf Hauptversammlungen oft dage-
gen, wenn andere Aktionäre Unterneh-
men zu mehr Einsatz im Kampf gegen den
Klimawandel animieren wollten.
Finks Sinneswandel ist ebenso bizarr
wie bedeutsam. Was 2018 mit Greta Thun-
bergs Schulstreik in Stockholm begonnen
hat und über die Bewegung »Fridays for
Future« Jugendliche überall in Euro pa ent-
flammte, gilt spätestens seit Davos als das
Überthema der Weltwirtschaft: der Klima-
schutz.
Und so bilden Fink, der finanzstärkste
Kapitalist der Welt, und Thunberg, die
wirkmächtigste Vertreterin der Klima-


schutzbewegung, gerade eine Allianz, die
die Regeln der Wirtschaft dauerhaft ver-
ändern könnte. Die Politik scheint dazu
nicht in der Lage. Große Staaten wie die
USA oder Brasilien ignorieren das Pariser
Klimaschutzabkommen; die Europäer kün -
digen zwar einen »Green Deal« an, ver-
heddern sich aber im Klein-Klein.
Nur: Was folgt aus dem ungewöhnli-
chen Bündnis von Markt und Moral? Was
davon ist PR? Und wie gehen die Konzer-
ne damit um, dass sie plötzlich grün und
gerecht werden sollen?
Bei Siemens rückten Klimaschützer der
Konzernführung kurz vor der Hauptver-
sammlung Anfang Februar so nah auf die
Pelle wie nie zuvor. Greenpeace-Mitglie-
der fuhren neben der Siemens-Zentrale
am Wittelsbacher Platz eine 30 Meter lan-
ge Leiter aus und stiegen Unternehmens-
chef Joe Kaeser im Wortsinne aufs Dach.
Sie enthüllten Protestplakate, schlugen auf
den Terrassen Zelte auf und bliesen wei-
ßen Rauch in die Luft. Ein starkes Symbol:
Ihr mächtigen Konzerne und Manager seid
angreifbar und verwundbar geworden.
Zuvor hatten Klimakämpfer mit ähn -
lichen Aktionen auch anderen Konzernen

zugesetzt. Mitglieder der Organisation
»Ende Gelände« bauten Häuser in den
Bäumen des Hambacher Forsts, um den
Bau einer Kohlegrube durch den Energie-
riesen RWE zu verhindern; »Extinction
Rebellion«-Leute besetzten das Kohle-
kraftwerk Datteln 4 des RWE-Konkurren-
ten Uniper; das Bündnis »Sand im Getrie-
be« blockierte die Automesse IAA.
Einen Masterplan, welches Unterneh-
men sie als Nächstes attackieren wollen,
haben die Aktivisten nicht. Untereinander
koordinieren sie ihr Vorgehen eher spora-
disch. Dennoch ist es ihnen gelungen, das
gesellschaftliche Klima zu ihren Gunsten
zu verändern – und das große Geld für
ihre Ideen zu gewinnen.
Sichtbar wird das auf den Hauptversamm-
lungen der Konzerne, egal ob bei Bayer,
BASF, VW oder der Allianz. Umwelt- und
Menschenrechtsgruppen sind dort Stamm-
gäste. Doch während ihre Forderungen von
den Vorständen und Aufsichtsräten früher
freundlich weggelächelt oder genervt ertra-
gen wurden, werden sie heute hofiert.
Beim Reiseriesen TUI etwa hatten der
Dachverband der Kritischen Aktionäre
und der Naturschutzbund Nabu vor der
Hauptversammlung am 11. Februar die Ar-
beitsbedingungen und den Schadstoffaus-
stoß der Kreuzfahrtflotte heftig kritisiert.
Vor ein, zwei Jahren noch hätte man das
abgeschüttelt.
In diesem Jahr reagierte TUI-Chef
Friedrich Joussen bereits, bevor die Spre-
cher der kritischen Verbände überhaupt
ans Mikrofon traten. »Wir brauchen
dringend neue Kraftstoffe, die nicht auf
fos silen Energien beruhen«, rief er den
Aktionären zu. Näheres werde die TUI am
Jahresende im Rahmen ihrer neuen Nach-
haltigkeitsstrategie bekannt geben.
Die Manager treibt die Angst vor bra-
chialen Aktionen wie bei Siemens um.
»Unternehmen sind auf Kampagnen von
Umweltaktivisten nicht gut eingestellt«,
sagt Michael Diegelmann, Vorstand der
Agentur Cometis, die Firmen im Umgang
mit Aktionären und Öffentlichkeit berät.
Es sei wichtiger denn je, »Imageschäden
rascher zu erkennen und darauf zu reagie-
ren«. Zumal auch die Kapitalseite den
Druck spürbar erhöht.
30 Billionen Dollar wurden bis Ende
2018 weltweit unter Berücksichtigung von

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 59

Wirtschaft

Zwischen Larry und Greta


KonzerneUmweltaktivisten haben das gesellschaftliche Klima verändert. Gemeinsam


mit Finanzfirmen wie Blackrock treiben sie die Unternehmen vor sich her und fordern nachhaltiges
Wirtschaften ein. Die Manager tun sich schwer mit der neuen Realität.

Alles auf grün
Nachhaltig angelegtes Vermögen in Billionen
Euro, ausgewählte Regionen

Quelle: GSIA

Europa

USA

Japan

Kanada

0,6Australien

2014 2016 2018

9,9 12,311,0

1,8

1,4

10,5
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