Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
Die Unternehmerlobby nutzte den Zwist,
um das Vorhaben zu sabotieren.
Frankreich ist da schon weiter. Es hat
bereits 2017 als erstes Land in der EU ein
Gesetz verabschiedet, das Unternehmen
auch für Vergehen ihrer Zulieferer in Haf-
tung nimmt. Zwar wurde auch das soge-
nannte Wachsamkeitsgesetz durch die In-
dustrie weichgespült: Es gilt nur noch für
Firmen mit mehr als 5000 Angestellten.
Gestrichen wurde eine strafrechtliche Ver-
antwortung der Manager, und die Opfer
müssen in einem Schadensfall ihre Betrof-
fenheit zweifelsfrei beweisen.
Wirkung entfaltet das Gesetz trotzdem.
Zumindest gibt es inzwischen die ersten
Klagen. Zwei richten sich gegen den Öl-
konzern Total. Im ersten Fall gingen Um-
weltschutzorganisationen und französi-
sche Behörden gegen das Unternehmen
vor: Total, so der Vorwurf, sei gegenüber
Umweltauswirkungen nicht wachsam ge-
nug und betreibe Greenwashing, was Total
bestreitet.

In der zweiten Klagegeht es um ein ge-
plantes Ölförderprojekt in Uganda und
eine 1445 Kilometer lange Pipeline nach
Tansania. Zusammen mit anderen NGOs
wirft »Friends of the Earth« dem Konzern
hierbei Umwelt- und Menschenrechtsver-
letzungen vor. Fast 5000 Menschen in
Uganda seien bereits von ihrem Land ver-
trieben worden, ohne adäquate Entschä-
digung.
Total hält mit Studien dagegen. Fast
70 000 Menschen in Uganda und Tansania
seien konsultiert worden. Direkt betroffen
seien nur 617 Haushalte. Die Entschädi-
gung der Bewohner geschehe sowohl nach
örtlichem Recht wie auch nach Regeln der
International Finance Corporation.

Der Fall Total zeigt, dass Verantwortung
heute mehr bedeutet, als ein guter Platz
in Nachhaltigkeitsrankings, in denen die
Franzosen relativ weit vorn liegen.
Wie also entscheiden Konzerne, welche
Geschäfte noch möglich sind und ob sie
einen Auftrag annehmen oder nicht?
Die Allianz spielt in dieser Hinsicht eine
Doppelrolle: Als Versicherer bekommt sie
bei umstrittenen Projekten Druck von
Aktivisten. Als einer der weltgrößten Ver-
mögensverwalter kann sie selbst Druck
ausüben. Der Versicherungskonzern hat
13 sensible Geschäftsbereiche definiert,
für die eine Nachhaltigkeitsprüfung Pflicht
ist. Von der Landwirtschaft über die Öl-
und Gasindustrie bis zur Sexbranche. Im
Zweifel wird ein Vorhaben bis in den
Vorstand eskaliert, wo ein ESG-Gremium
entscheidet.
2018 hat die Allianz 631 Einzelfälle ge-
nauer geprüft. Nur etwa jedes zehnte Ge-
schäft hat sie dann allerdings unterlassen.
Umweltgruppen attackierten den Asse-
kuranzriesen im vergangenen Jahr, weil
er als Teil eines Konsortiums den brasi -
lianischen Bergbaukonzern Vale versichert
haben soll. Im Januar 2019 war der Damm
eines Rückhaltebeckens für Erzschlamm-
reste einer Vale-Mine gebrochen, mit ka-
tastrophalen Folgen. Ein klassischer Fall
für das Prüfverfahren der Allianz, das hier
möglicherweise versagt hat. Der Konzern
äußert sich nicht dazu und will nicht ein-
mal bestätigen, als Versicherer involviert
gewesen zu sein. Transparenz sieht anders
aus.
Völlig unklar ist auch, wie die Allianz
den Weg zur CO 2 -Neutralität gestalten
will, den sie sich bis zum Jahr 2050 als
Ziel gesetzt hat. In etwa einem Jahr soll
die Strategie klarer sein. Bislang zieht sich

das Unternehmen nicht einmal aus Gas-
und Ölinvestitionen zurück.
Eine Unterstützung kohlebasierter Ge-
schäftsmodelle schließen die Münchner im-
merhin heute bereits aus. »Auch die Infra-
struktur für eine Kohlemine oder ein Koh-
lekraftwerk würden wir nicht finanzieren
oder versichern, wenn sie in erster Linie
zu diesem Zweck errichtet wird«, erklärt
Nachhaltigkeitsmanager Urs Bitterling.
Einen GAU wie Siemens-Chef Joe Kaeser,
der wegen der Zulieferung von Signaltech-
nik für eine Kohlemine in Australien einen
schweren Imageschaden erlitt, hat sich Al-
lianz-Chef Oliver Bäte damit erspart.
Aber wird die Allianz deshalb gleich
darauf verzichten, bei Siemens Energy zu
investieren, der Energiesparte, die für das
Kohlegeschäft zuständig ist und im Herbst
an die Börse gehen will?
Bitterling gerät ins Lavieren: »In Grenz-
fällen ist es extrem wichtig, dass das be-
treffende Unternehmen einen klaren Pfad
in Richtung Klimaziel aufzeigen kann«,
sagt er salomonisch.
Der Börsengang der Siemens-Energie -
sparte dürfte zu einem Test werden, ob
Firmen mit einem klimaschädlichen Ge-
schäftsmodell weiterhin Investoren finden.
Noch immer hängt fast die Hälfte des Um-
satzes an fossilen Energien, etwa dem Bau
oder der Ausrüstung von Kohle- und Gas-
kraftwerken oder der Ölförderung.
Fondsmanager, die komplett auf klima-
freundliche Geschäftsmodelle setzen,
müssten um die neue Siemens-Tochter ei-
gentlich einen Bogen machen. Blackrock,
mit gut fünf Prozent an Siemens beteiligt,
wird wohl trotz des neuen, grünen An-
strichs bei Siemens Energy Großaktionär
bleiben. Mit ihrer indexbasierten Strategie
können die Amerikaner nicht anders. An-
dere gewichtige Investoren aber, die sich
aus Investments in Kohle, Öl und Gas zu-
rückziehen wollen, wie den norwegischen
Staatsfonds, dürfte der designierte Chef
von Siemens Energy, Michael Sen, kaum
noch gewinnen können.
Sen stellt gern die Windkraft seines neu-
en Konzerns in den Vordergrund. Vor Mit-
arbeitern schwärmt er von einem grünen
Energieriesen, der alles anbiete, was die
Kunden für die Wende hin zu erneuer -
baren Energien brauchten: Windkraft, grü-
nen Wasserstoff und Brückentechnologien,
die bis zum endgültigen Ausstieg aus fos-
silen Brennstoffen benötigt werden.
Es ist eine schöne neue Welt, die Sen
da skizziert, und sie würde Investoren wie
Aktivisten befrieden. Sie hat nur einen
Schönheitsfehler: Noch gibt es sie nicht.
Gerade mal ein Drittel steuert die Wind-
kraft derzeit zum Umsatz bei, der Gewinn-
anteil liegt sogar noch deutlich darunter.
Tim Bartz, Dinah Deckstein, Martin Hesse,
Nils Klawitter, Gerald Traufetter

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FRANK HOERMANN / SVEN SIMON / DDP IMAGES


»Fridays for Future«-Aktivistin Luisa Neubauer: Die Manager sind angreifbar geworden
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