Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

V


olkswagens Chinachef Stephan Wöl-
lenstein war im Skiurlaub in Süd -
tirol, als er vom Coronavirus erfuhr.
Kurze Zeit später, Anfang Februar, flog er
ins Zentrum des Geschehens, um das
Schlimmste zu verhindern.
Seitdem müssen alle VW-Mitarbeiter in
der Chinazentrale in Peking »rigide Hy-
gienemaßnahmen« befolgen, sagt er. Wer
das Gebäude betritt, wird mit einem Ther-
malscanner auf Krankheitssymptome ge-
testet. Alle tragen ganztägig Mundschutz.
Besprechungen gibt es nur noch in großen
Meetingräumen, in denen die Mitarbeiter
mindestens 1,5 Meter Abstand voneinan-
der halten können. Gegessen wird nicht
mehr in der Kantine, sondern am Arbeits-
platz. Die Klimaanlage bleibt ausgeschal-
tet, damit keine Viren ins Gebäude gebla-
sen werden. Türgriffe und Aufzugknöpfe
werden mehrmals am Tag desinfiziert.
Noch ist keiner der insgesamt 101 000
Mitarbeiter von VW und seinen chinesi-
schen Partnerfirmen mit der neuartigen
Lungenseuche Covid-19 infiziert. Jede Er-
krankung könnte den Konzern hart treffen.
Denn Chinas Staatsführung greift rigoros
durch, um das Virus zu bekämpfen. Sobald
auch nur eine einzelne Person in einem

Bürohaus positiv auf das Virus getestet
werde, schließe die Regierung das kom-
plette Gebäude; alle Mitarbeiter würden
für zwei Wochen in Quarantäne einge-
sperrt, warnt ein großes deutsches Unter-
nehmen in einem Schreiben seine Mitar-
beiter. »Wir sind besorgt.«
Eigentlich sollen die Angestellten, die
bislang zu Hause geblieben sind, in der
kommenden Woche wieder an die Arbeit
gehen. Auch die meisten der 33 Volkswa-
gen-Werke in China sollen dann wieder
die Produktion aufnehmen, wenn auch
nicht in vollem Umfang. Im Moment steht
ein Drittel der Kapazitäten still.
Die Büros verwaist, die Straßen verlas-
sen, Chinas Städte muteten zuletzt an, als
hätten sie den Atem angehalten – und mit
ihnen die Wirtschaft. Schon jetzt schlägt
das Coronavirus auf viele Konzerne voll
durch, gilt das erste Quartal in China quer
durch alle Branchen als verloren. Der
Autohandel ist in weiten Teilen des Lan-
des zum Erliegen gekommen. Allein im
Januar brachen die Umsätze der Branche
um 20 Prozent ein.
Der US-Techkonzern Apple kassierte
gerade seine Umsatzprognose für die ers-
ten drei Monate des Jahres, weil die Pro-

duktion von iPhones in China stockt. Der
deutsche Sportartikelhersteller Adidas, für
den sonst kein Land so wichtig ist wie das
Reich der Mitte, hat dort in den vergange-
nen vier Wochen 85 Prozent seiner Um-
sätze verloren. Ein solcher Einbruch lässt
sich, selbst unter optimistischen Annah-
men, bis Ende März nicht mehr aufholen.
Das ganze Ausmaß lasse sich »zu diesem
Zeitpunkt nicht zuverlässig quantifizie-
ren«, warnt Adidas.
»Die Lieferketten sind bereits massiv
gestört«, sagt Wilhelm Könning, Geschäfts-
führer von ADA Cosmetics International,
einer der Marktführer für Hotelzubehör
mit Sitz im badischen Kehl. Er kauft aus
China leere Tuben für seine Kosmetik,
aber auch Duschhauben, Zahnpflegesets
oder Nähetuis. Derzeit sei das alles dort
kaum zu bekommen, Alternativen gebe
es so gut wie keine. »Hält dieser Zustand
noch für weitere vier Wochen an, werden
wir große Teile unserer Hotelkundschaft
in Europa, im Nahen Osten und in Nord-
amerika nicht mehr bedienen können«,
sagt der Manager.
Die Unternehmen kämpfen an mehreren
Fronten zugleich. Der Industrie fehlen Vor-
produkte für Autos und Maschinen; den
Handelskonzernen Mode und Aktionswa-
re, weil Chinas Fabriken ihre Arbeit einge-
stellt haben. Umgekehrt werden die Her-
steller die eigenen Waren auf dem chinesi-
schen Markt kaum los, seitdem die Men-
schen dort gezwungen sind, möglichst in
ihren Wohnungen zu bleiben. Für deutsche
Unternehmen ist das ein herber Schlag. Sie
haben 2019 Waren im Wert von 96 Milliar-
den Euro nach China exportiert. Das sind
nur knapp 14 Milliarden Euro weniger, als
Deutschland von dort importiert hat.
Die gegenseitige Abhängigkeit ist ris-
kant. Die eng verwobenen Handelsrou-
ten könnten gerade jetzt, wo Chinas Wirt-
schaft wieder anspringen soll, für eine Aus-
weitung der Krise sorgen. Der Grund ist
20 Fuß lang, 8 Fuß breit und derzeit kaum
zu bekommen: Standardcontainer, das
Herzstück der globalen Logistik. Selbst
wenn sich die Coronakrise bald legen soll-
te, wird der Platz auf den Handelsrouten
Richtung Asien knapp – und teuer.
China ist der Dreh- und Angelpunkt der
weltweiten Handelsschifffahrt. Sieben der
zehn größten Containerhäfen der Erde
liegen an der Küste der Volksrepublik. Da
90 Prozent des gesamten Welthandels auf
dem Seeweg abgewickelt werden, hängt
an Chinas Containern der Konsum der
ganzen Welt.
Doch obwohl die Wirtschaft stockt, feh-
len frei verfügbare Container. Zu Hundert-
tausenden stehen sie voll beladen in den
Containerhäfen von Shanghai bis Tianjin,
es fehlen Hafenarbeiter zum Entladen und
Lkw-Fahrer für den Weitertransport der
Waren ins Landesinnere. Und da derzeit

64 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020

Wirtschaft

Massiv gestört


GlobalisierungDie Corona-Epidemie blockiert Chinas Wirtschaft und
lähmt den Welthandel. Die Schifffahrt stockt, in den Häfen stapeln
sich die Container. Andere Wege nach Asien sind kompliziert und teuer.

CHINA DAILY / REUTERS


Containerschiff im chinesischen Qingdao: »Die Frachtkosten schießen jetzt hoch«
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