Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
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Container auf Reisen
Verschiffte Standardcontainer 2017 in
Tausend und wichtige Handelsrouten
Quelle: worldshipping.org

* aufgrund abgesagter Schiffstouren, von KW 5 bis 12
Quelle: Sea-Intelligence

Knappes Gut
Container aus Asien, die wegen des Coronavirus
nicht transportiert wurden *

(^1344)
(^73)
0
(^194)
(^82)
(^74)
(^90)
99
24
Mittelmeerraum
Nordeuropa
Nordamerika (Ostküste)
Nordamerika (Westküste)
87 952
276 872
20 349
210 765
7%
12 %
2%
9%
Anteil an allen
Richtung Containerfahrten
513
9
(^55)
(^04)
(^24)
(^09)
3
3
4
0
(^14)
(^00)
kaum Produkte aus China verschifft wer-
den, bleiben obendrein die leeren Contai-
ner in den chinesischen Häfen ungenutzt
stehen.
In Europa aber beginnen sie zu fehlen,
immer mehr. Dort kommen zu wenige
Schiffe und Flugzeuge aus China an, um
wie sonst auf dem Rückweg mit Ware für
Asien beladen werden zu können. Schon
gehen die Preise für Ladekapazitäten steil
nach oben.
»Engpass für Exporte nach Fernost«,
warnt ein großer deutscher Logistiker in
einem Schreiben an seine Kunden. Es müs-
se von »langfristigen Auswirkungen auf
die globalen Warenströme ausgegangen
werden«. Denn der Bedarf an deutscher
Exportfracht in asiatischen Ländern sei un-
verändert hoch.
Weil aber kaum Produkte aus China ver-
schifft werden, haben Reeder einen gan-
zen Schwung ihrer Schiffsfahrten gestri-
chen, Fluglinien lassen viele ihrer Maschi-
nen am Boden. Das spitzt die Lage weiter
zu. Denn die Transportketten bilden ein
hochsensibles, ineinander verschränktes
System.
»Die Frachtkosten schießen jetzt
hoch. Es fehlen Container für Wa -
re aus Deutschland, der Trans-
portkreislauf stockt erheblich«,
heißt es bei dem Logistiker.
»Und nicht nur in Richtung
China haben wir ein Pro-
blem. Ganz Asien kauft in
Europa ein.« Auf den Rou -
ten gen China gehen auch
Waren für viele an dere
Märkte in Fernost mit.
Deut sche Bioprodukte sind
in Thailand gefragt, in deut-
schen Fabriken wird grüner
Tee für Japan veredelt, Viet-
nam ordert Maschinen »made
in Germany«. Doch die Ware
kommt nicht vom Fleck.
Die Luftfracht ist da keine echte
Alternative für die meisten Unterneh-
men. Da die Nachfrage nach Ladevolu-
men dort groß werde, sobald die chinesi-
sche Wirtschaft wieder erwache, »werden
die Raten in den Himmel steigen«, warnt
ein Frachtunternehmen. Die Kosten der
ohnehin schon recht teuren Lufttransporte
könnten sich versechsfachen, schätzt man
dort. Seefracht werde von März an teils
doppelt so teuer.
Die jüngsten Stürme über Europa hät-
ten die Lage noch verschärft, da viele
Transportschiffe dadurch verspätet ankä-
men, erklärt die Hamburger Hafen und
Logistik AG (HHLA). Die starke Nach -
frage nach Leercontainern könne nur
schwer bedient werden. Auch der Logistik -
konzern Kühne + Nagel warnt vor »Kapa-
zitätsengpässen« und daher »einem
sprunghaften Anstieg der Frachtraten«.
Angesichts der Lage kündigte der welt-
größte Containerschifffahrtskonzern A. P.
Møller-Mærsk bereits an, sein Betriebs -
gewinn werde 2020 wohl unter das Vor-
jahresergebnis sinken.
Vor allem Anbieter von Frischwaren be-
kommen gewaltige Probleme. Fast alle
Plätze für Kühlcontainer, die mit Strom
versorgt werden müssen, sind in den chi-
nesischen Häfen belegt. Dadurch können
Frachter neue Container mit Kühlwaren
kaum mehr in China abladen.
»Manche Schiffe müssen auf einen an-
deren Hafen umsteuern«, sagt Lars Jen-
sen, Chefberater des Kopenhagener Ana-
lysehauses Sea-Intelligence, »die Kunden
müssen dann die zusätzlichen Kosten für
den Transport zu ihrem Zielort tragen.«
Oder die Aufschläge zahlen, die große
Reeder in den vergangenen Tagen einge-
führt haben. Hapag-Lloyd etwa verlangt
neuerdings 500 Dollar zusätzlich für Kühl-
containerlieferungen auf das chinesische
Festland; Wettbewerber CMA CGM aus
Frankreich eine »Port Congestion Surchar-
ge« von sogar 1250 Dollar für Kühlcontai-
ner nach Shanghai, Ningbo oder Tianjin.
Jensen war früher ein hoher Manager
beim dänischen Reederkonzern Møller-
Mærsk. Der 50-Jährige arbeitet seit zwei
Jahrzehnten in der Containerschifffahrt,
er kennt alle Aufs und Abs dieses Ge-
schäfts. Aber »eine Störung von dieser Di-
mension habe ich noch nicht gesehen«,
sagt er. »Pro Woche fallen zurzeit etwa
300 000 Container weg.« Das sind etwa
acht Prozent des globalen Verkehrs. Selbst
wenn sich die Lage in China normalisiere,
werde es Monate brauchen, bis die Han-
delsschifffahrt wieder in gewohnten Bah-
nen laufe. Branchenexperten des Analy-
sehauses Alphaliner prophezeien, dass bis
Ende März mindestens sechs Millionen
Standardcontainer weniger von Chi-
na aus verschifft oder dort ankom-
men werden.
Auch auf den Lkw-Strecken
ins Landesinnere lauern Pro-
bleme. Viele Städte seien
von ihren Regierungen blo-
ckiert worden, berichten
Logistiker. Zudem würden
Lkw-Fahrer 14 Tage unter
Quarantäne gestellt, bevor
sie auf der Rücktour wie-
der in ihre Stadt fahren
könnten. Das habe den
Transport über Land fast
zum Erliegen gebracht. Wer
seinen Lkw doch fährt, kommt
nur mühsam voran, denn er
muss ständig an Kontrollstellen
seine Körpertemperatur messen
lassen.
Manche Logistikkonzerne schwenken
jetzt auf die Schiene um, nutzen die Wege
der von China aus angelegten neuen Sei-
denstraße. Güterzüge fahren von Deutsch-
land über Polen, Weißrussland, Russland,
Kasachstan, die Mongolei bis nach China
auf einer guten Handvoll Strecken. 18 Ta -
ge dauert die Tour nach Shanghai, fast
halb so lang wie mit dem Schiff. Das Pro-
blem: Auf einen Zug passen gerade einmal
100 Container, auf einem Schiff haben bis
zu 20 000 Platz.
Kristina Gnirke, Simon Hage,
Claus Hecking, Martin U. Müller
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eine globale Seuche zu verhindern

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