Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

D


raußen scheint die Sonne über dem
Starnberger See. Vom Ufer kann
Axel Börsch-Supan bis zu den Al-
pen sehen, der Professor schießt noch ein
Foto mit dem Handy. Man könnte jetzt
einfach stehen bleiben und den grandiosen
Blick auf die Benediktenwand genießen,
aber Börsch-Supan muss zurück in den
Vortragssaal, der einige Schritte hinter ihm
liegt. Es ist offensichtlich, dass er mit dem
nahenden Auftritt hadert. »Eigentlich hat-
te ich schon abgesagt«, sagt er.
Drinnen, in der Rotunde der Evangeli-
schen Akademie Tutzing, warten Dutzen-
de Sozialexperten auf seinen Vortrag.
Börsch-Supan, Direktor am Max-Planck-
Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik,
ist nicht nur einer der bekanntesten Renten-
ökonomen. Vor allem ist er Mitglied jener
Kommission, die im Auftrag der Bundes-
regierung nach einem Rentenkonzept für
die Zukunft sucht und die bislang beharr-
lich über ihre Arbeit geschwiegen hat.
Damit ist es an diesem Februarmorgen
vorbei. Börsch-Supan nutzt seinen Auftritt
für eine Abrechnung, die gnadenloser
kaum sein könnte. Es fallen Worte
wie »Blockade« und »Denkverbo-
te«, als er über seine Sicht auf die
Rentenkommission spricht.
Am 10. März, so war es ursprüng-
lich geplant, sollte das Gremium sei-
nen Abschlussbericht vorlegen. Weil
seine Mitglieder seit Wochen im
Clinch liegen, haben sie den Termin
inzwischen auf den 27. März vertagt.
Doch kaum ein Beteiligter rechnet
noch damit, dass sich die Runde in
den wichtigsten Fragen auf konkrete
Empfehlungen einigen kann. Sie hät-
te damit ihren Auftrag verfehlt. Für
die Rentenpolitik zeichnet sich ein
Desaster ab.
Im kleinen Kreis ätzen Mitglieder
seit Wochen über »Chaos«, »Stress«
und verunglückte Tischvorlagen.
Börsch-Supan ist lediglich der Erste,
der seinen Frust öffentlich erklärt.
Er hat, das wird in Tutzing klar, jede
Hoffnung auf ein respektables Er-
gebnis aufgegeben: »Erwarten Sie
besser gar nichts«, sagt er.
Dabei gäbe es einiges zu tun. Die
gesetzliche Rentenkasse steht vor
einer schwierigen Dekade. In den
nächsten Jahren drängen die gebur-
tenstarken Babyboomerjahrgänge


in Rente, gleichzeitig schrumpft die
Zahl der Jüngeren. Heute kommen auf
100 potenzielle Beitragszahler 37 Senio-
ren, im Jahr 2040 werden es bereits 53
sein, wie Daten des Statistischen Bundes-
amts zeigen. »Die Altersstruktur wird
nicht nur temporär, sondern dauerhaft fun-
damental schlechter für die Rentenkasse«,
sagt Ökonom Martin Werding von der Uni-
versität Bochum.
Es ist eine gesellschaftliche Entschei-
dung, wie man diese Lasten gerecht zwi-
schen den Generationen verteilt – und wel-
chen Anteil des Bruttoinlandsprodukts ein
Land überhaupt für die Alterssicherung
aufbringen will. Solch heikle Fragen ver-
schieben Politiker oft in unabhängige Kom-
missionen. Diese sollen einen Konsens fin-
den, der Parteien nie gelänge – als Blau-
pause für breit getragene Reformen.
In der Vergangenheit hat das funktio-
niert. Ob Nachhaltigkeitsfaktor oder Ren-
te mit 67: Die wichtigsten Rentengesetze
der Nullerjahre gingen auf die Vorschläge
der Rürup-Kommission zurück. Doch ver-
glichen mit damals gibt es heute einen gro-

ßen Unterschied: Die aktuelle Kommis -
sion ist nicht eingesetzt worden, um das
Sozialsystem zu retten – sondern um die
Regierung zu retten.
Schon bei ihren Koalitionsgesprächen
konnten sich Union und SPD im Frühjahr
2018 nicht über die Rente verständigen.
Umstritten war vor allem das Sicherungs-
niveau, jene komplizierte Größe, die be-
schreibt, wie sich eine Standardrente nach
45 Versicherungsjahren zum Durchschnitts -
lohn verhält. Die Sozialdemokraten setz-
ten durch, dass dieses Niveau bis 2025 auf
dem Stand von heute (48 Prozent) einge-
froren wird. Im Gegenzug ließ die Union
festschreiben, dass die Beitragssätze nicht
über 20 Prozent des Bruttolohns steigen
dürfen. Die gewagte Rechnung geht nur
auf, weil die Große Koalition die pralle
Rücklage der Rentenkasse plündern kann.
Spätestens 2025 wird diese aufgebraucht
sein – über die Zeit danach solle die Kom-
mission mit dem Namen »Verlässlicher Ge-
nerationenvertrag« entscheiden, befanden
Union und SPD.
Die Große Koalition beging jedoch ei-
nen strategischen Fehler: Sie besetzte die
zehnköpfige Runde nicht nur mit exter-
nem Sachverstand, sondern mit fünf Poli-
tikern von Union und SPD – jener Parteien
also, die sich bereits nach der Wahl nicht
einigen konnten. Dazu entsandte sie eine
Gewerkschaftsvertreterin und einen Ar-
beitgeberfunktionär, die schon von Berufs
wegen inhaltlich über Kreuz liegen. Was
folgte, war ein Desaster mit Ansage.
Es ist nicht so, dass die Kommis-
sion sich nicht bemüht hätte. Um
ihre Unabhängigkeit zu zeigen, tagte
die Runde nicht im Bundesarbeits-
ministerium, sondern in Hotels oder
hippen Coworking-Räumen. Sie lud
Jugendvertreter und Senioren zum
»Generationendialog« ein und warf
sich zum Kennenlernen große, blaue
Würfel zu. Sie debattierte so aus-
ufernd über Zahlentableaus, dass
Teilnehmer sich in einer »rentenpoli -
tischen Gesprächstherapie« wähn-
ten. Beim Neujahrsempfang im Ar-
beitsministerium frotzelten Politiker
ironisch, immerhin habe die Runde
es geschafft, sich nach anderthalb
Jahren »auf eine gemeinsame Da-
tengrundlage« zu einigen.
In ihren ersten Sitzungen hatten
die Mitglieder versprochen, keine
roten Linien zu ziehen. Der gute
Wille hielt nicht lange. Über Monate
arbeitete sich die Runde an der Fra-
ge ab, was sie auf keinen Fall will:
Die Arbeitgeber wollen nicht über
höhere Ausgaben reden; die Ge-
werkschaften nicht über ein höheres
Rentenalter; die Union nicht über
ein höheres Sicherungsniveau; die
SPD nicht über ein sinkendes.

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Wirtschaft

Desaster mit Ansage


DemografieDie Rentenkommission soll im Auftrag
der Bundesregierung nach einem Zukunftskonzept für die Absicherung
im Alter suchen. Doch das Gremium hat sich völlig verkeilt.

SEBASTIAN PFÜTZE / LAIF
Ökonom Börsch-Supan: »Erwarten Sie besser nichts«
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