Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
nicht mehr nur die Ränder, die so reden.
Die Gegner von ARD und ZDF sitzen
längst im Bürgertum.
Sachsen-Anhalts Landesvater Reiner
Haseloff (CDU) legt dem WDR-Intendan-
ten Tom Buhrow nahe, wahlweise auf
nahezu die Hälfte seines Gehalts zu
verzichten oder auf die Erhöhung des
Rundfunkbeitrags. Nicola Beer, heute
FDP-Vizevorsitzende, drohte, kein öffent-
lich-rechtlicher Rundfunk könne sich »dau-
erhaft vom schwindenden Zuspruch in der
Bevölkerung abkoppeln«.
Es ist eine gefährliche Allianz entstan-
den, zwischen hasserfüllten Rechtsextre-
men, enttäuschten Zuschauern und bür-
gerlichen Parteien. Nie waren die Angriffe
gegen ARD und ZDF so laut und hart, nie
wirkten die Sender so plan- und schutzlos.
Wie mächtig diese Allianz sein kann,
zeigte sich im Dezember, beim Skandal
um die »Umweltsau«-Satire des WDR.
Gut vernetzte Twitter-Trolle lösten einen
Shitstorm gegen den Sender aus. Der über-
forderte Intendant Buhrow entschuldigte
sich live im Radio, vom Krankenbett seines
Va t e r s.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet
(CDU) erkannte schnell, welches Potenzial
in dem Thema steckt, und prangerte
den WDR öffentlich an. Später lästerte er
über die »privilegierte Stellung« öffentlich-
rechtlicher Redakteure und kritisierte
ihre »überdurchschnittlichen Gehälter«
(SPIEGEL3/20). FDP-Mann Wolfgang Ku-
bicki sprach davon, dass »ein Kinderchor
missbraucht wird, um zu denunzieren und

Medien

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F


ür ARD und ZDF würde Lisa H.
ins Gefängnis gehen. Nicht, weil
ihr der öffentlich-rechtliche Rund-
funk so am Herzen läge, im Ge-
genteil. Sie verachtet ihn, spricht von »Pro-
pagandasendern« und »Staatsfernsehen«.
Deshalb will die 26-Jährige auch keinen
Cent Rundfunkgebühr mehr bezahlen,
derzeit ist sie mit 121 Euro im Rückstand.
Sie zerknülle die Mahnungen oder zerrei-
ße sie, erzählt sie bei einem Treffen in
einem Café in der Nähe von Köln.
H. ist YouTuberin und in rechten Krei-
sen ein Star. Ihr Künstlername ist Lisa Li-
centia, lateinisch für Freiheit, aber auch
für Macht. Sie war in den vergangenen
Jahren kurzzeitig das Aushängeschild der
rechtsextremen »Identitären Bewegung«.
Dann sagte sie sich los. Mit der AfD und
den Identitären will H. nichts mehr zu tun
haben, sie sind ihr nun doch zu extrem,
zu laut, zu männlich.
Alles Vergangenheit. Bis auf einen
Punkt, einen gemeinsamen Gegner, den
sie und die AfD immer noch haben: den
öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
H. ruft auf ihrem Kanal zum Zahlungs-
boykott auf, sie ermuntert ihre 36 000
Fans, den Beitragsservice, ehemals GEZ,
mit Papierkram zu blockieren: »Müllt sie
mit Briefen zu!« Falls sie wegen ihres Boy-
kotts hinter Gittern lande, sagt H., würde
sich ihre Mutter um die drei Kinder küm-
mern. Das sei schon abgemacht.
Der Echoraum solcher radikalen Stim-
men ist nicht mehr auf das Paralleluniver-
sum rechter YouTuber begrenzt. Es sind


Umerziehung zu betreiben«, er fühlte sich
gar »fatal an die untergegangene DDR« er-
innert. Auch Lisa H. mischte beim Angriff
auf den WDR kräftig mit. Sie rief mit zu
einer Kundgebung vor dem Kölner Funk-
haus auf, von der sie auf ihrem Kanal be-
richtete.
Ein banales Liedchen hatte sich zur
Staatsaffäre hochgeschaukelt. Spätestens
da war klar, dass etwas aus dem Gleich -
gewicht geraten ist.
Kritik am Programm gab es schon immer.
Neu ist, dass ein Intendant sich davon so er-
schüttern lässt, dass er seinen Mit arbeitern
in den Rücken fällt. Und dass bürgerliche
Parteien bei rechtsextremen Kampagnen
mitmachen, um Wähler vom rechten Rand
zurückzuholen. Ein ARD-Hier arch nennt
es das »süße Gift des Populismus, das nun
in die Mitte einsickert«.
Ging es früher um geschmäcklerische
Vorwürfe – der eine klagte über zu viel
Volksmusik, der andere über zu wenig
Sport –, wird es jetzt existenziell. Laut der
noch unveröffentlichten Mainzer Langzeit-
studie Medienvertrauen 2019 sagen elf
Prozent der Deutschen, man könne dem
öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht
mehr vertrauen. Der Wert hat sich seit Be-
ginn der Untersuchung 2016 mehr als ver-
doppelt.
Gut acht Milliarden Euro erhalten die
Öffentlich-Rechtlichen jährlich. Am ver-
gangenen Donnerstag empfahl die Kom-
mission zur Ermittlung des Finanzbedarfs
(KEF) eine Erhöhung des monatlichen
Rundfunkbeitrags auf 18,36 Euro von 2021

Gemeinsamer Gegner


RundfunkEine Allianz aus rechten Trollen und bürgerlichen Parteien macht den öffentlich-
rechtlichen Sendern zu schaffen. Für ARD und ZDF geht es jetzt um ihre Existenz.

YouTuberin Lisa H.
VERENA MÜLLER / DER SPIEGEL

Intendant Gniffke
DAVID KLAMMER / DER SPIEGEL
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