Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
Medien

Den meisten AfD-Vertretern kommen
solche Zerschlagungsfantasien beiläufig
über die Lippen, als eine von vielen extre-
men Forderungen. Wenn es nach Martin
Renner, dem medienpolitischen Sprecher
der AfD, geht, reicht das nicht. Die Öffent-
lich-Rechtlichen müssten das Kernthema
seiner Partei werden: »Kultur und Medien
sind die Hefe im Teig des Politischen, nicht
die Verzierung.«
In seinem Büro in der Nähe des Bran-
denburger Tors raucht der 65-Jährige täg-
lich 50 bis 60 filterlose Zigaretten und tüf-
telt an Möglichkeiten, den »Staatsfunk«
nach seinen Vorstellungen umzubauen.
Wenn Renner darüber redet, wie andere
Parteien auf die Öffentlich-Rechtlichen
schimpfen, fängt er an zu kichern. Er sieht
darin keine Konkurrenz, sondern Anknüp-
fungspunkte. Die Wahl des Thüringer
FDP-Ministerpräsidenten mit Stimmen
von AfD-Abgeordneten sei ein erster
»Testballon« gewesen, »die Tiefen und Un-
tiefen einer politisch denkbaren Zusam-
menarbeit mit konservativen und liberalen
Parteien auszuloten«. Ein zweiter Test -
ballon für eine solche Allianz soll, wenn
es nach Renner geht, die Kontrolle von
ARD und ZDF sein. Er hat dafür schon
mal zwei Anträge an den Deutschen Bun-
destag vorbereitet. Der eine Entwurf
fordert die Einrichtung einer Enquetekom-
mission zum öffentlich-rechtlichen Rund-
funk, besetzt mit Vertretern aller Fraktio-
nen, die über »Alternativen zur bestehen-
den Ordnung« nachdenken sollen.
Der andere verlangt eine »Stiftung Me-
dientest« nach dem Vorbild der Stiftung
Warentest, »um die Einhaltung journalis-
tischer Qualitätsstandards zu kontrollie-
ren«. Dokumentiert werden sollen auch
»Übergriffigkeiten von Journalisten« und
»versteckte Kommentierungen«. Er beteu-
ert aber, keinen »Pranger für unliebsame
Journalisten installieren« zu wollen. Die

72

Teurer Auftrag
Einnahmen von ARD und ZDF, in Milliarden Euro

Werbung und Sponsoring

ARD-Anteil
5,6
ZDF 1,9

Sonstiges
z. B. Programmverwertung,
Kostenerstattungen Quellen: ARD, ZDF

8,8
Mrd. Euro

2018
insgesamt

7, 5
Rundfunkbeiträge (Gebühren)

0,7 0,6


der heutigen ARD-Kommentatoren sind
ihm zu meinungsschwach. »Sie haben
nicht mehr den Mut, eine steile These in
den Raum zu stellen, weil sie fürchten, im
Netz zerstört zu werden.« Ein paar
Positivbeispiele fallen ihm ein, auf linker
Seite etwa Restle und Anja Reschke von
»Panorama«. Und Konservative? Heinz
Klaus Mertes, der mal »Report München«
moderiert hat, das ist auch schon fast
30 Jahre her. Oder Alois Theisen vom Hes-
sischen Rundfunk, seit zweieinhalb Jahren
im Ruhestand.
Es war immer leicht, sich über den
stramm konservativen Gottlieb lustig zu
machen. Aber was der 68-Jährige zum öf-
fentlich-rechtlichen Fernsehen sagt, ist
eine harte Abrechnung, selbst mit seiner
eigenen Arbeit. »Ich war auch Täter und
nicht der einzige«, sagt er.
»Wir wollten nicht wahrhaben, dass Do-
nald Trump ernsthaft Chancen hat, Präsi-
dent zu werden. Wir sind nach New York,
Boston, Los Angeles gefahren, aber nicht
in den Mittleren Westen, wo die Menschen
von Problemen niedergerungen werden.
Wir haben einfach den Hintern nicht hoch-
gekriegt. Bei der Brexit-Abstimmung war
es genauso.«
Einer der größten Fehler sei der Um-
gang mit der AfD gewesen, sagt Gottlieb.
»Anfangs haben wir versucht, sie aus Dis-
kussionsrunden draußen zu halten. Dann
hatte sie eine Größe erreicht, wo man sie
einladen musste.« Damit begannen die
Probleme. »Man versuchte, die AfD-Ver-
treter vorzuführen, befragte sie auf inqui-
sitorische Art, anders als andere Gäste.
Das erleichterte es ihnen, sich als Opfer
darzustellen. Überhaupt waren sie viel zu
oft Thema.«
ZDF-Chefredakteur Peter Frey verkün-
dete im Dezember in einem »Zeit«-Inter-
view, den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke
nicht mehr in Talkshows einzuladen. Eine
Entscheidung, die im Sender umstritten
ist. Wer eine Liste mit unerwünschten Gäs-
ten herausgibt, kommt schnell in die Lage,
sich für die gerade noch erwünschten
rechtfertigen zu müssen.
Uwe Junge ist Fraktionschef der AfD
Rheinland-Pfalz und gilt in der Partei noch
als einer der Gemäßigteren. »Wir sprechen
von Staatsfunk, weil in ARD und ZDF die
Regierungspolitik nicht hinterfragt wird«,
sagt er. Und: »Es gibt dort keine kritische
Berichterstattung.« Jahrzehntelang habe
er »Tatort« geschaut, aber inzwischen sei
sogar die Krimireihe »zu einer Art ideolo-
gischem Erziehungsfernsehen geworden«.
Als Beispiel fällt ihm ein, dass in einer Fol-
ge mal ein Anti-AfD-Graffito zu sehen war.
Er wolle die Öffentlich-Rechtlichen auf ein
»möglichst neutrales Maß herunterfahren«,
so Junge. »Warum es noch eine ARD und
ein ZDF geben soll, erschließt sich mir
nicht.« Eines von beiden reiche.


dafür veranschlagten zehn Millionen Euro
Stiftungskapital soll der Bundestag zur
Verfügung stellen. Der Name ist nicht neu:
Schon 1994 forderte eine von Bundesprä-
sident Richard von Weizsäcker einberufe-
ne Kommission eine »Stiftung Medien-
test«. Damals ging es um die Einhegung
von Auswüchsen im Programm von RTL,
Sat.1 und Co. mit ihren Talks, Sex- und
Boulevardmagazinen. Der politische Elan
erlahmte jedoch schnell.
Renner entmutigt das nicht, er hat sogar
schon einen möglichen Vorsitzenden im
Auge: den Berliner Medienforscher Nor-
bert Bolz, der sich mit Klagen über »Mer-
kelismus« und »Medienmanipulation«
eine rechte Fangemeinde erarbeitet hat.
Dem SPIEGELsagt Bolz: »Es ist ehrenvoll,
dass man an mich denkt.« Trotzdem sei
er der falsche Mann, »keine Zeit«.
Es ist nicht zu erwarten, dass andere
Parteien diesen Anträgen zustimmen. Kei-
ne von ihnen arbeitet im Bundestag mit
der AfD zusammen. Aber eine große Hilfe
sind die bürgerlichen Politiker den Öffent-
lich-Rechtlichen auch nicht.
Die schärfsten Attacken kommen, jen-
seits der AfD, aus der FDP. Die Jungen Li-
beralen hatten bereits 2015 vorgeschlagen,
den Rundfunk auf ein Minimalprogramm
zusammenzukürzen. Ende November wit-
terten sie eine neue Chance: ARD und
ZDF seien eine »unzeitgemäße Wettbe-
werbsverzerrung und Geldverschwen-
dung«, schrieben sie auf Twitter.
Fragt man bei Juli-Chefin Ria Schröder
nach, sagt sie, sie wolle auf keinen Fall in
eine Ecke mit der AfD gestellt werden.
»Nicht alle Kritiker des öffentlich-rechtli-
chen Rundfunks sind Feinde der Demo-
kratie«, sagt sie.
Wenn schon die Politiker die Sender
nicht verteidigen, könnte es zumindest das
Publikum tun. Schließlich schauen die
Deutschen noch immer durchschnittlich
dreieinhalb Stunden pro Tag fern, noch
immer hat die »Tagesschau« jeden Abend
fast zehn Millionen Zuschauer, beim »Tat-
ort« sind es auch mal mehr. Aber auch von
ihnen ist nicht viel zu erwarten.
»Das Problem sind nicht die 20 Prozent,
die gegen uns sind, das Problem sind die
80 Prozent, die nicht genug für uns kämp-
fen«, sagt Stefan Raue, Intendant des
Deutschlandfunks.
Vor allem beim jungen Publikum fehlt
der Rückhalt. Gerade mal vier Prozent der
14- bis 29-jährigen TV-Zuschauer schalte-
ten im vergangenen Jahr das ZDF ein,
bei der ARD waren es fünf. Viele Inten-
danten zeigen sich von diesen Zahlen
unbe eindruckt, sie verweisen auf ihre Me-
diatheken und YouTube-Kanäle. Doch ge-
gen Netflix und Amazon Prime Video ha-
ben sie keine Chance.
Kein Wunder, bei dem Angebot. Das
Programm von ARD und ZDF gleicht
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